NHL 200521.09.2004, Jörg Luibl
NHL 2005

Im Test:

Eishockey bleibt Eishockey? Nicht in der Spielebranche! Hier wird der schnellste Mannschaftssport der Welt alljährlich neu aufgelegt. Ein bisschen Feintuning hier, ein bisschen Politur da - und schon kracht die Bande satter. Oder doch nicht? Wir haben uns mit NHL 2005 (ab 14,90€ bei kaufen) in EAs Kufentempeln ausgetobt und verraten euch, wieso EA am Award vorbeiskatet!

Tanz auf dem Eis

Jaromir Jagr jagt wie ein Blitz Richtung Goalie. Ein Verteidiger setzt zum fulminanten Check an, aber erwischt ihn nicht. Trotzdem gerät der Tscheche ins Taumeln, findet gerade noch tänzelnd seine Balance und sichert in letzter Sekunde den Puck. Wie ein Tiger lauert er jetzt hinter dem Tor, das Publikum bebt in freudiger Erwartung.

Im WM-Modus treten acht Teams an. (PC)

4P|Stream: Kanada vs. Russland (Laufzeit: 4:45 Min.)Noch bevor die Verteidiger in seine Nähe kommen, streichelt er das Hartgummi und umkurvt elegant den Goalie - Wraparound, Schuss, Tor! Frenetischer Jubel, die Halle bebt.

Keine Frage: Die NHL-Kulisse ist atmosphärisch dicht wie immer. PS2 und GameCube hinken dem blitzsauberen PC- und Xbox-Auftritt zwar ein wenig hinterher, was Schärfe und Fluss angeht, aber für alle Plattformen gilt: Die Banden krachen, die Zuschauer feiern, das Eis glänzt mit Schatten und Spiegelungen.

Im Stadion sind optisch und akustisch jedoch kaum Veränderungen zu bemerken. Im Publikum werden immer noch einige Zuschauer per Copy&Paste integriert, so dass man oft Zwillinge oder Drillinge sieht. Das amerikanische Kommentatorenduo bietet eine gewohnt gute Mischung aus Enthusiasmus und Fachsimpelei inklusive altbekannter Aussetzer; deutsche Sprecher in der DEL sind auch dieses Jahr Fehlanzeige, was angesichts der großen Fangemeinde überaus schade ist.

Egal ob Klammern oder Schieben: Die Animationen sind auf allen Plattformen erstklassig. (GC)
Klasse Präsentation

Lediglich bei den Animationen hat EA einen kräftigen Zahn zugelegt: Die Bewegungen auf dem Eis wirken natürlicher, individueller und geschmeidiger - egal ob Nachhaken, Taumeln, Checken, Gerangel, Geschiebe oder Täuschen. Dieses NHL sieht in Bewegung wirklich fantastisch aus.

Selbst das Rückwärts-Skaten funktioniert jetzt präziser, so dass man Auge in Auge mit dem Stürmer den Raum zum Torwart decken kann. Und vor allem Stars wie Jagr, Yzerman & Co bieten euch jetzt noch charakteristischere Schuss- und Skatekunst. Ruckler zeigen sich jedoch hier und da auf Sonys und Nintendos Konsole, ansonsten flutscht der Puck butterweich durch die Reihen.

Es gibt lediglich kleine Fehlerteufel wie z.B. ein Plexiglas-Splittern an der falschen Scheibe. Auch die Kollisionsabfrage des Pucks lässt beim Dive in der Verteidigung ab und zu Federn: Statt aufgehalten zu werden, schlittert er durch den Körper. Aber das sind Feinheiten, die nur ein wenig an der ansonsten famosen Hallenkulisse kratzen können.

  

Neues Pass-System

Was sofort auffällt, ist das neue Spielgefühl: NHL 2005 fühlt sich arcadiger an. Man hat in den ersten Spielminuten das Gefühl, an einem martialischen Check-Beat`em Up teilzunhemen, denn man kracht im Sekundentakt in die Bande. Außerdem ist NHL leichter, schneller und einfacher zu meistern als im Vorjahr, denn das simulationslastige Pass-System wurde komplett ersetzt.

Panik vor dem Kasten: Auch die Torhüter gänzen mit herrlichen Paraden und "Big Saves". (Xbox)
Musste man anno 2003 noch die Länge, Richtung und Höhe des Zuspiels timen, reicht jetzt ein einfacher Druck auf die Pass-Taste. Das hat den Vorteil, dass die Lernkurve wesentlicher flacher und das Spiel auf den ersten Blick einsteigerfreundlicher ist.

Das hat allerdings den Nachteil, dass es jetzt weniger authentisch wirkt und dass weite Pässe in den Raum oder zu einem entfernten Mitspieler kaum möglich sind - zumal das einfache Checken ohnehin einen komplexeren Spielaufbau schnell im Keim erstickt.

Der Kurzpassautomatismus bevorzugt meist die nächste Anspielstation, was gerade Profis ärgern dürfte, die das Hartgummi schon mal gerne diagonal oder leicht gelupft auf die andere Seite passen; das leichte Anheben ist auch möglich, aber nicht so gezielt wie zuvor. Und ganz vermurkst ist das schnelle Passen: Man muss tatsächlich den Button dafür lange (!) gedrückt halten! Wie war das noch mit der Relativität von Zeit?

Offenes Eis für Schnelldenker

Aber EA hat sich etwas einfallen lassen, damit trotz Fließbandchecks und Kurzpassterror dynamische Spieltiefe aufkeimen kann: die Open Ice-Kontrolle. Dahinter verbirgt sich das aus FIFA 2004 bekannte System, das euch auf Knopfdruck die Kontrolle über einen freien Mitspieler gewährt, um mit ihm manuell in den freien Raum zu skaten. Jetzt könnt ihr zum richtigen Zeitpunkt die Pass-Taste aktivieren, um angespielt zu werden. Oder ihr aktiviert die Schuss-Taste, damit die von der KI gesteuerte Figur einen Schuss aufs Tor zimmert.

Was sich zunächst wunderbar anhört, entpuppt sich in der Spielpraxis als sehr knifflige und erst mit sehr viel Übung zu meisternde Steuerungs-Herausforderung - auf der PS2 komfortabler zu aktivieren als auf der Xbox, denn Sonys Schulterknöpfe sind wesentlich leichter zu erreichen als die S/W-Knöpfe von Microsoft.

Die 600 neuen Gesichter sehen ihren Vorbildern verdammt ähnlich. (PC)
Aber aufgrund dieses neuen Features verliert NHL 2005 seine eben noch gelobte Einsteigerfreundlichkeit. Warum? Schon im langsameren FIFA 2004 erwies sich das manuelle Umschalten vom Ballführer zum Freiläufer als umständlich, da man gleichzeitig zwei Dinge im Auge behalten und koordinieren musste, bevor man den Pass spielen konnte.

Ohne Training zum Meister?

Und da es beim Eishockey bekanntlich noch wesentlich schneller zugeht, verlangt das neue Steuerungs-System noch mehr Konzentration. Und ehrlich gesagt: Ich habe es verflucht und Versuche im Dutzendpack gebraucht, bevor endlich mal etwas im Netz zappelte. Vor allem gegen menschliche Kontrahenten wird man so gnadenlos gecheckt, dass man nur Sekunden für einfache Pässe hat. Wenn so ein One-Timer-Tor klappt, ist die Befriedigung natürlich umso größer. Aber weshalb gibt es für dieses verdammt schwer einzusetzende neue Feature keinen Trainingsmodus?

Und wieso kann ich Doppelpässe und Freilaufen nicht praktisch verinnerlichen? Auch dieses Jahr hat sich EA nicht durchgerungen, Übungs- oder Minispiele zu integrieren - das ist ärgerlich. Dafür gibt es zwar erstklassige Strategie-Videos (4P|Stream: Offensiv-Tipps (Laufzeit: 1:02 Min.)) mit Mike Crawford, von denen sich FIFA eine Scheibe abschneiden könnte und die besonders Laien in die Finessen des Sports einführen, aber eine praktische Einstudierung von Tight Point und Überzahltaktiken wäre sinnvoller.

   

Zwischen Frust & Lust

Jetzt wäre der Open Ice-Frust noch zu bewältigen, wenn man denn auch ohne das manuelle Umschalten zum Erfolg kommen könnte. Und ja: man kann es auch. Dieses Jahr lässt es sich sogar leichter einnetzen als zuvor, wobei deutlich mehr spektakuläre Schüsse von der blauen Linie einschlagen.

Wraparound am Start: Neu ist dieses Jahr das automatisierte Umkurven des Tors. (Xbox)
Aber die eigene Sturmreihe verhält sich -genau so wie im Vorjahr- noch viel zu passiv: da skatet keiner in den freien Raum, da sucht kaum einer Lücken, um tödliche Zuspiele zu fordern. Klar kommt man auch so zum Torerfolg, klar macht NHL auch so Spaß.

Aber man vermisst einfach die intuitive Spieltiefe, diese magische Mischung aus Spaß und Realismus - die trägen Sturmpartner spielen einfach nicht intelligent genug mit. Das wird besonders deutlich, wenn man einfach mal stehen bleibt: Anstatt dass sich Team-Mitglieder freilaufen, bleiben gleich alle stehen! Der einzige Ausweg, um wirklich unerwartete Bewegung in den Angriff zu bringen, ist die komplizierte Open Ice-Kontrolle.

Nicht nur die eigene, auch die gegnerische Offensiv-KI lässt zu wünschen übrig: Lobenswert ist zwar, dass man schon auf der mittleren Schwierigkeits-Stufe im WM-Modus beobachten kann, wie der Kontrahent alles nach vorne schmeißt und den Torwart auswechselt, um vielleicht noch den Ausgleich zu erzielen. Aber die gegnerischen Goalgetter enttäuschen selbst auf "schwierig" vor dem Tor viel zu oft mit billigen Schüssen und plumpen Moves, anstatt elegant zu umkurven oder mit Dekes zu glänzen. Selbst Anfänger werden die WM daher mit Außenseitern wie Deutschland schnell gewinnen - kein gutes Zeichen für Simulationsfreunde, die auf lange Sicht ihre Skills verbessern wollen. Das liegt jedoch auch an der komfortablen Verteidigung.

Beim Bully ist Taktik gefragt: Drei Formationen stehen zur Auswahl. (PS2)
Hinten dicht & donnernd

Denn so schlecht die Offensiv-KI abschneidet, so gut zeigt sich die Defensiv-KI. EA hat beim Verhalten der Hintermannschaft einen lobenswerten Fortschritt gemacht hat. Letztes Jahr bemängelten wir noch, dass man keinen zweiten Verteidiger hinzuziehen kann - dieses Jahr geht`s! Die durch Pro Evolution Soccer etablierte Doppeldeckung hat jetzt nach FIFA auch in NHL Einzug gehalten, so dass ihr auf Knopfdruck einen zweiten Verteidiger auf den gegnerischen Puckführer hetzen könnt.

Das ist ein herrlicher Zusatz, gerade in Multiplayerspielen, der die Defense enorm erleichtert. Denn die KI setzt hier nicht einfach zu bulligen Checks an, sondern stört auch schon mal durch kluges Halten oder Stochern, so dass man schnell wieder in Puckbesitz kommt. Und falls doch mal jemand durchkommt, kann man ihn selbst checken oder halten - übrigens auch ganz intuitiv mit dem rechten Analogstick als Hüftcheck, der zu den fulminanten Hinguckern dieses Jahres gehört.

Neues Schuss-System

Trotz der Kritik am Pass- und Offensiv-Verhalten kommt auf dem Eis prickelnde Spannung auf. Dazu tragen nicht nur die erstklassigen Animationen bei, die Torhüter mit vielen Glanzparaden in Szene setzen, sondern auch das neue Schuss-System, das jetzt zwei Tasten für den Schlag- und den Handgelenkschuss bietet. Gerade Letzterer sieht nicht nur sehr elegant aus, sondern bereichert die gefährlichen Torszenen. Außerdem richtet sich die Erfolgsquote nach der Qualität des Spielers: Wenn Colorados Joe Sakic einen Wristshot ins Netz jagt, jubelt das Eishockeyherz!

  

Und damit nicht genug, habt ihr in der Offensive noch eine weitere ansehnliche Abschlussmöglichkeit: Für den Torwart tödliche Abfälscher und coole Wraparounds. Sobald sich euer Spieler hinter dem gegnerischen Tor befindet, wird bei gedrückt gehaltener Schusstaste eine elegante Torwartumkurvung samt Schuss eingeleitet, die sehr oft zum Erfolg führt. Für Simulationsfans sicher zu viel der Automatismen, aber trotzdem ansehnlich.

Hüft-Check gefällig? (Xbox)
Neue Bully-Taktiken

Am Ende seien noch die neuen Taktiken beim Bully erwähnt, die euch jetzt drei vorgefertigte Aufstellungen ermöglichen, bevor es zum Stock-Gestocher kommt: konservativ, normal und aggressiv. Bei Letzterer stehen eure Mitspieler z.B. so, dass ihr nach der Eroberung des Hartgummies direkt in die Offensive gehen könnt. Der Nachteil: Gewinnt ihr den Puck nicht, hat es der Gegner leichter. Dieser taktische Zusatz ist sicher lobenswert, obwohl er in der Praxis keinen großen Spielspaßgewinn bringt.

Manager & Free4All

Wer sich abseits von Freundschaftsspiel, Elite-Ligen und WM-Modus austoben will, kann sich neben dem Online-Ausflug (PC, Xbox, PS2) in einem neuen Free4All-Modus auf die wilde Puckjagd machen: Bis zu vier Kontrahenten kämpfen hier für sich alleine gegen einen Goalie um jedes Tor - Hektik und Spaß geben sich hier die Klinke in die Hand. Ein netter Zusatz für zwischendurch, aber kein wirklicher Mehrwert im Vergleich zum wünschenswerten Training.

Wer es lieber ruhiger mag, kann sich auch dieses Jahr als Manager versuchen. Der gesamte Modus wurde optisch und spielerisch aufgepeppt, so dass die Vereinskarriere komplexer und angenehmer abläuft. Ihr werdet über ein schniekes PDA und E-Mails auf dem Laufenden gehalten und könnt euch Team-Reports anzeigen lassen. Egal ob Eintrittspreise, Nachwuchs, Vereinserwartungen, Transfers oder Gehaltsverhandlungen mit gierigen Stars - Manager kommen voll ihre Kosten.

 

Fazit

NHL 2005 kurvt klar am Award vorbei. Obwohl mich die ersten Testspielerlebnisse euphorisch stimmten, hat sich nach zwei WMs und vielen Multiplayer-Partien Ernüchterung eingestellt. NHL fühlt sich nach dem ersten Bully noch klasse an, es ist einfacher zu spielen und es sieht grandios aus - aber es verströmt auf lange Sicht nicht diesen letzten Funken Begeisterung, der durch intuitive Kontrolle und Spieltiefe aufkommt. Meine größten Kritikpunkte sind die schwache Offensiv-KI, das oberflächliche Pass-System und die fummelige Open Ice-Kontrolle - diese Lösung ist für den schnellsten Mannschaftssport der Welt ungeeignet. Und wenn man schon zu doppelter Konzentration gezwungen wird, sollte man wenigstens Gelegenheit zum Üben haben! Aber wo ist der Trainingsmodus? Optisch und akustisch hält EA das hohe Niveau und baut sinnvolle Verbesserungen im Managermodus ein. Und es macht immer noch einen Heidenspaß, die Kufen mit diesem Schmuckstück glühen zu lassen: Egal ob Checks, Dekes oder Schlagschüsse - alles fühlt sich verdammt gut an. Allerdings hat man den Fokus zu einseitig auf krachende Action, elegante Moves und spektakuläre Szenen gelegt und weniger auf authentischen Pucksport: Es gibt Kurzpassterror statt kluger Spielzüge, einfache Checks im Sekundentakt statt gutem Stellungsspiel. Kurzum: Arcade-Action statt Simulation. Irgendwann gibt es eine inflationäre Flut an "Big Saves" und "Big Hits". Die entfachen zwar auch Spaß, aber wenn man die WM im schwersten Modus im ersten Anlauf gewinnt, verliert man die Motivation, seine Skills zu verbessern. Echte Eishockeyfans werden insgesamt enttäuscht sein und sollten auf den realistischeren ESPN-Konkurrenten warten. Gelegenheitsspieler können mit dem Kauf nichts falsch machen und dürfen in grandioser Kulisse auf Puckjagd gehen.

Pro

600 neue Gesichter
ideal für Arcadefans
neue Bully-Formationen
actionreiches Eishockey
erstklassige Animationen
interessante Taktik-Videos
erstklassige Hallenakustik
aufgepeppter Karriere-Modus
neue Wraparounds & Wristshots
Online-Spiel (Xbox, PS2, PC)
starke Defensiv-KI
Doppeldeckung

Kontra

kein Training
schwache Offensiv-KI
kein ausgefeiltes Pass-System
kein Online-Modus (GameCube)
nichts für Simulationsfans
zu wenig Spieltiefe & Authentizität
kleine Ruckler (PS2, GameCube)
nur englische Sprecher (auch in DEL)
Open Ice-Kontrolle schwer umzusetzen
zu leichte KI-Gegner, WM schnell gewonnen
empfindliche Menüsteuerung (PC)

Wertung

XBox

GameCube

Die Bande kracht satt, die Stimmung ist klasse, aber spielerisch fehlt die Simulationstiefe.

PlayStation2

PC

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.