Just Cause21.09.2006, Mathias Oertel
Just Cause

Im Test:

In den mittlerweile mehr als 20 Jahren als aktiver Zocker passiert es selten, dass mich ein Spiel überrascht. Doch genau dies hat Just Cause (ab 6,29€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) auf der E3 geschafft. Mittlerweile habe ich nahezu unzählige Stunden in der über 1000 Quadratkilometer großen Welt verbracht. Wurde die Überraschung in Faszination gesteigert oder hat sie der Ernüchterung Platz gemacht?

Willkommen in San Esperito

San Esperito ist das Urlaubsland ihrer Träume. Egal ob sie einen Abenteuerurlaub machen oder einfach nur mit der Familie ausspannen möchten: Auf der insgesamt über 1000 Quadratkilometer großen Inselgruppe finden sie einfach alles. Glasklares blaues Wasser, das zu Tauchgängen einlädt.

Davon stand aber nichts im Urlaubs-Prospekt... Macht aber nichts, sieht nämlich wie der Rest von Just Cause trotzdem imposant aus...
Weit reichende Sandstrände, die frei sind von Müll und Zerstörung typischer Touristenhochburgen. Verschlafene Dörfer, vor Leben berstende Großstädte - verraten sie uns, wie sie sich ihren Traumurlaub vorstellen! Wir finden auf San Esperito genau den richtigen Ort für sie...

So oder ähnlich könnte man sich einen Text in einem Prospekt vorstellen, den die San Esperitanische Tourismus-Behörde dort hat unterbringen lassen. Und im Großen und Ganzen trifft er auch die Wahrheit - zumindest die eine Seite der Medaille. Denn natürlich findet man in der Hochglanzbroschüre keine Informationen über den Präsidenten Mendoza, dessen Militärregime nicht nur den örtlichen Rebellen ein Dorn im Auge ist. Auch die in San Esperito ansässigen Drogenkartelle, die sich mit der südamerikanischen Mafia, der örtlichen Polizeimacht und der Armee erbitterte Duelle auf offener Straße liefern, werden mit keinem Wort erwähnt.

Und ausgerechnet in dieses gottverlassene und zerrissene Land, das zwar idyllisch, aber auch lebensgefährlich sein kann, werdet ihr beordert - in Person des CIA-Agenten Rico Rodriguez. Euer Auftrag: Die Entmachtung Mendozas. Die euch zur Verfügung stehenden Mittel: Alles, was gefällt. Es gibt keine Restriktionen. Ihr müsst nicht Undercover agieren - dafür gibt es die NSA-Kollegen Fisher & Co. 

Und irgendwie scheint Leisetreten sowieso nicht Ricos Spezialität zu sein: Ungefähr 0,242 Sekunden nach seiner punktgenauen Fallschirmlandung an der nordöstlichen Spitze der Inselgruppe wird er mit seinem Kontakt vor Ort in ein heißes Feuergefecht und eine waghalsige Verfolgungsjagd verwickelt. Dabei explodieren zig Jeeps, ein paar Hubschrauber, die euch Raketen hinterher jagen, segnen ebenso das Zeitliche und obwohl Rico seinen Auftrag noch nicht einmal ansatzweise begonnen hat, müssen die Regierungstruppen schon empfindliche Verluste hinnehmen - ein guter Tag.

Wenn ihr gut mit dem Magnethaken seid, könnt ihr euch nicht nur an Helikopter anhängen, sondern diese auch übernehmen...
Alles sieht danach aus, als ob Ricos Präsidensturz nicht nur einen gerechten Hintergrund (Just Cause) hat, sondern auch frischen Wind ins Action-Genre bringen kann. Und das, obwohl das schwedische Team von Avalanche bei genauem Hinsehen viele viele  Stilmittel und Mechaniken in seiner Premiere verwendet, die man bereits aus anderen Titeln kennt.

Die Rezeptur

Wenn es denn eine Rezeptur gibt, nach der man erfolgreiche Spiele brauen kann, dürfte sie bei Just Cause so (oder ähnlich) lauten: Man nehme das wohl schmeckende Insel- und Urlaubs-Feeling von Far Cry und rühre die gleiche Würzmischung ein, die auch schon Boiling Point zum Erfolg verhelfen konnte. Dann schließlich fügt man nach eigenem Ermessen "Open-World-Gaming" à la GTA etc. hinzu. Nachdem man den Teig ein paar Stunden gehen lässt, hebt man vorsichtig folgende Zutaten unter: eine Prise Pursuit Force, ein paar Gramm der Total Overdose-Essenz. Das alles wird unter kleiner Hitze zum Kochen gebracht und immer wieder umgerührt, damit sich die Zutaten gut und ohne schalen Beigeschmack vermischen. Gesagt, getan. Und nur weil die Köche von Avalanche Zutaten verwenden, die man bereits aus allgemeinen globalen Küchen verwendet, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass das Endergebnis schlecht schmeckt - ganz im Gegenteil!

   

Denn trotz aller Einflüsse der internationalen Spiele-Cuisine schafft es Just Cause, Eigenständigkeit aufzubauen. Selbst wenn im Detail vereinzelte Elemente nicht ganz die Klasse ihrer Vor- respektive Leitbilder erreichen, verwebt Avalanche alles zu einem großen harmonischen Ganzen.

Freies Action-Paradies

Dabei ist es eigentlich schon fast egal, aus welcher Action-Ecke man nun kommt - irgendwo findet man immer etwas, für das sich Just Cause zu spielen lohnt. Fans von Spielen des so genannten "Open-World"-Szenarios kommen dabei natürlich am meisten auf ihre Kosten - immerhin gibt es ein über 1000 Quadratkilometer großes Gebiet zum Erforschen.

Gibt es etwas Schöneres, als mit dem Heli (einem von über 90 Fahrzeugen) in den Sonnenuntergang zu fliegen? Hmm, vielleicht dabei etwas in die Luft jagen...
Da das Gelände von seichten Stränden bis hin zu steil in den Himmel ragenden Gebirgszügen und sogar (erloschenen) Vulkanen häufig suboptimale Wanderbedingungen bereit hält, finden sich im Laufe der Zeit insgesamt über 90 Fahrzeuge, die ihr steuern könnt. Mofas, Jeeps, abgehalfterte Transporter sind nur der Anfang: Spätestens wenn ihr mit einem bis an die Zähne bewaffneten SUV durch die Pampas heizt und den Regierungstruppen Feuer unterm Allerwertesten macht, ziehen die Mundwinkel genauso unaufhaltsam nach oben wie die Motivationskurve. Natürlich könnt ihr auf einer Inselwelt auch Boote steuern und später warten auch Jets und Kampfhubschrauber auf ihren Einsatz.

Während die Physik der Vehikel sich als zufrieden stellend präsentiert und die verschiedenen Fahr- bzw. Flugeigenschaften gut transportiert, kommt man auch schnell mit der deutlich auf Instant-Action getrimmten Steuerung klar. Allerdings zicken die Fahrzeuge in der PC-Version immer noch etwas, wenn es um filigranes Einlenken per Tastatur geht. Im Vergleich zur Vorschau-Version hat man zwar kaum noch Probleme, doch in direkter Gegenüberstellung mit den Konsolen-Varianten liegen diese klar vorne.

Ballistisch

Auch Anhänger ballistischer Third-Person-Action werden schnell zufrieden gestellt: Neben der Hauptstory, die euch auf die Fährte von Präsident Mendoza setzt, finden sich überall auf der Insel Nebenmissionen, in denen ihr entweder für die Rebellen oder ein ortsansässiges Drogenkartell die Armee respektive konkurrierende Drogenhändler aus dem Weg räumt. Neben der Übernahme von Siedlungen, Wohnsitzen etc. warten später die üblichen FedEx- sowie Kopfgeld-Missionen. Die auf Dauer mangelnde Abwechslung bei den Nebenaufgaben wiegt allerdings nicht so schwer: Für jeden erfüllten Auftrag bekommt ihr Gesinnungspunkte bei der jeweiligen Fraktion und sorgt dafür, dass die jeweilige Provinz politisch stabiler wird. Ersteres sorgt dafür, dass euch irgendwann neue Titel innerhalb der Rebellen bzw. des Kartells verliehen werden, die wiederum mit neuen Lagern (Speicherpunkte) sowie besseren Bewaffnungen sowie schlagkräftigeren Fahrzeugen versehen sind. Zweites hingegen erleichtert euch die Reise, da ihr in "bereinigten" Provinzen keine Übergriffe durch die Armee befürchten müsst.

Nein, dies ist nicht die Next-Gen-Version von Pursuit Force. Avalanche hat sich für Just Cause aber nicht nur dort bedient...
In Gegenden, in denen der Bürgerkrieg bzw. die Schlachten zwischen den Drogenbossen an der Tagesordnung sind, begegnen euch bei der Durchreise immer wieder kämpfende Gruppen, bei denen ihr unter Umständen vollkommen unbeteiligt in einen Kampf gezogen werdet. Das ist zwar ärgerlich, wenn ihr gerade auf dem Weg zu einer Mission seid, unterstreicht aber den Versuch von Avalanche, eine lebendige Welt zu schaffen.

Das ist auch größtenteils gelungen: Die Städte wirken zwar angesichts ihrer Größe etwas zu leblos, doch egal wohin ihr fahrt, begegnen euch -auch abhängig von der Tageszeit- Passanten, Fahrzeuge und eben rivalisierende Parteien.

Dieser lebendige Eindruck kommt allerdings auf lange Sicht etwas zu kurz: An den ewig gleichen gesprochenen Kommentaren der Gringos in San Espirito hat man sich schnell satt gehört. Und da auch keine Revanche-Angriffe der Armee auf bereits eingenommene Gebiete erfolgen, hat Avalanche hier eine Chance ausgelassen für größere Dynamik zu sorgen.

Die Hilfe, die man durch die Fraktionspunkte bekommt, reichen zwar als Grundmotivation aus, doch hat man nie das Gefühl, dass politische Stabilität oder Instabilität etwas am Verlauf der Hauptmissionen ändern würde, die euch für sich alleine ca. sechs bis acht Stunden beschäftigen - aber auch nur dann, wenn man die Zwischensequenzen nicht weg klickt. 

    

Doch zurück zu den zahlreichen Feuergefechten: Dank eines umfangreichen Waffenrepertoires (auch von Gegnern fallen gelassene Schießprügel können aufgenommen werden) habt ihr immer genügend Argumente im Patronengurt, die bei den unaufhaltsam angreifenden Gegnern allerdings auf taube Ohren stoßen. Mit anderen Worten: Ihr knallt einen nach dem anderen ab und die nachfolgenden Kameraden ändern in keiner Form ihre Taktik.

Ka-Bumm! Und schon geht wieder ein Gegner in einem beeindruckenden Feuerball auf - naja, so schwer ist das angesichts der mauen KI nicht.
Das könnt man mit viel gutem Willen als "Befehlshörigkeit" auslegen, wirkt hier aber nur wie eine schwache KI-Leistung. Andererseits steht bei Just Cause der überzogene Arcade-Action-Spaß im Vordergrund, so dass ich schweren Herzens darüber hinweg sehen kann.

Abenteuerlust

Denn egal ob ich jetzt der Hauptstory folge, die auch Aufgaben jenseits der üblichen Zerstörungsorgie bereit hält -so muss ich z.B. in einer Mission einige Kokainfelder abfackeln, um die Wirtschaft empfindlich zu stören- oder mich an den überall versteckten Nebenaufgaben wie Finden von Paketen oder Rennen versuche: Die Zeit auf San Esperito vergeht wie im Fluge. Eben wie bei einem entspannenden Urlaub oder einem interessanten Gespräch mit Freunden und einem edlen Wein&

Und das, obwohl die Action mit Ausnahme der aus Pursuit Force entliehenen Stunt-Möglichkeiten kaum Überraschungen bietet. Doch das Gesamtpaket wirkt trotz KI-Macken und abwechslungsarmer Nebenaufgaben extrem stimmig und lädt zum Stöbern ein, da ihr auch bei den Hauptmissionen nicht unter Zeitdruck steht.

So ertappe ich mich immer wieder, wie ich mit meinem immer zu Verfügung stehenden Fallschirm entweder dem Basejumping fröne, mir irgendwo einen Hubschrauber schnappe, um einen Rundflug zu machen oder versuche, im Zusammenspiel aller zur Verfügung stehenden Bewegungsmöglichkeiten einen so spektakulären Stunt wie möglich zu machen: Flugs einen Hubschrauber geholt, in luftige Höhen aufsteigen, dort dann den Hubschrauber verlassen, beim freien Fall die Aussicht genießen, irgendwann den Fallschirm öffnen, dann von dort auf das Dach eines Autos springen, das Fahrzeug übernehmen, über eine Klippe steuern, wieder raus springen, Fallschirm auf und ab ins Wasser zum Tauchen. Und schwupps: sind schon wieder zehn Minuten vorbei&

Besonders im Frei- oder Fallschirmflug kann man die imposante Sichtweite und die Urlaubsatmosphäre bewundern...
Plattform-Unterschiede

Angesichts der prachtvollen Kulisse, die sich auf PCs schon im mittleren Drehzahlenbereich sowie der Xbox 360 breit macht, stellt sich natürlich die Frage, wie die Konsolen der gegenwärtigen Generation punkten wollen. Klar: Weder PS2 noch Xbox können es mit der enormen Sichtweite oder der Detailverliebtheit der HighEnd-Versionen aufnehmen. Bei den Explosionen schaut man ebenfalls lieber auf PC und 360. Und trotzdem: Auch PlayStation 2 und die eigentlich schon abgeschriebene "Alte" von Microsoft schein alles aus dem jeweiligen System rauszuholen. Allerdings bleibt dabei sowohl das eine oder andere Details auf der Strecke und vor allem auf der PS2 (mit Einschränkungen auch auf Xbox) muss man mit starken Pop-Ups sowie gelegentlichen Einbrüchen in der Bildrate leben. Doch so schlecht wie es sich anhören mag, sieht es unter dem Strich nicht aus. Man befindet sich in etwas auf dem Niveau von GTA San Andreas, bietet dafür aber ein wesentlich größeres Gebiet. Die angesprochenen Pop-Ups finden sich allerdings auch in den High-End-Versionen, fallen dort aber bei weitem nicht so stark auf und auch dementsprechend nicht in die Wertungswaagschale.   

Fazit

Bereits auf der E3 konnte mich Just Cause in den Bann ziehen. Dann kam die Vorschau-Version und fesselte mich trotz kleiner Bugs und Probleme ans Pad. Und die finale Fassung? Die präsentiert sich als wohltuende Ergänzung im "Open World"-Genre, das bislang hauptsächlich von Spielen aus dem Hause Rockstar dominiert wird. Die schiere Größe ist bewundernswert, die spielerischen Freiheiten sind ansprechend und die optische Umsetzung vor allem auf PC und 360 eine Augenweide. Will ich mehr Spiele dieser Art? Ja! Will ich eine Fortsetzung? Definitiv. Aber die Faszination, die Just Cause anfänglich zusammen mit der beständig hohen Motivation und der prächtigen Kulisse auszeichnet, reicht auf Dauer allerdings nicht, um den Gold-Award einzuheimsen. Dazu müssten auch KI, Nebenmissions-Vielfalt und die Einflussmöglichkeiten auf die Welt mit Umfang und Grafikqualität mithalten. Doch auch trotz kleiner Mankos mache ich gerne und immer wieder Urlaub in San Esperito – zumal ich ja so ganz nebenbei auch noch eine Regierung stürzen kann.

Pro

traumhafte Kulisse
enorme Sichtweite (360, PC)
gutes Fahrverhalten
über 90 Fahrzeuge aus nahezu allen Kategorien
imposante Explosionen
viel zu entdecken
über 1000 Quadratkilometer großes Gebiet
haufenweise Nebenmissionen
riesiger Abenteuerspielplatz
übersichtliche Karte
gute Sprachausgabe
interessante Stunt-Möglichkeiten

Kontra

schwache KI
sensible Fahrzeug-Tastatur-Steuerung (PC)
Fraktionen ohne tiefere Auswirkungen
Musik auf Dauer zu abwechslungsarm
plastikhaftes Aussehen der Figuren in Zwischensequenzen
gelegentlich Probleme mit der Kollisionsabfrage
im Kern orientieren sich alle Gameplay-Ideen an Vorbildern
keine eigenen Wegpunkte setzbar
Pop-Ups/Slowdowns (PS2, Xbox)

Wertung

360

PC

PlayStation2

XBox

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