The Matrix: Path of Neo15.11.2005, Paul Kautz
The Matrix: Path of Neo

Im Test:

Enter the Matrix hinterließ bei den meisten Spielern ein mulmiges Gefühl, was nicht an einem Bauchgriff von Agent Smith lag – unausgegorenes Leveldesign, mäßiges Matrix-Flair und mehr blieben hinter den hohen Erwartungen zurück. Das Shiny-Team um Dave Perry hatte jetzt mehr als zwei Jahre Zeit, die Scharte auszuwetzen und die Matrix-Jünger wieder zu begeistern. Ob’s geklappt hat?

In Morpheus' Arme

Das Leben von Thomas Anderson war auch schon mal einfacher: Tagsüber ein routinierter Programmierer in einem großen Softwareunternehmen, abends als Hacker »Neo« immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Die größte stellt sich ihm, als ihm der mysteriöse »Morpheus« zwei Pillen unter die Nase hält; eine rote, eine blaue. Schluckt Neo die blaue, bleibt alles beim Alten: Er wacht auf und lebt sein Leben weiter wie bisher.

Die Figuren sehen ihren Film-Vorbildern sehr ähnlich.
Für den Spieler bedeutet das, dass er die 50 Euro besser anders investiert hätte, denn das Game ist damit zu Ende. Würgt er die rote runter, erfährt er, was es mit der »Matrix« so alles auf sich hat – die Wahrheit tut immer weh. Das gilt auch für den ersten Spieleindruck, denn wider besseren Wissens hat sich Shiny auch dieses Mal dafür entschieden, das Spiel mit dem bei weitem langweiligsten Level starten zu lassen – ein Manöver, das schon bei Enter the Matrix für heftiges Kopfschütteln und Gähnanfälle gesorgt hat. Dieses Mal rennt ihr nicht durch die ödeste Lagerhalle der Welt, sondern schleicht mit Thomas Anderson auf der Flucht vor Polizisten und Agenten durch ermüdend belanglose Büroräume, versteckt euch in Arbeitskabinen, lehnt euch an Mauern und stoßt unzählige Polizisten um, was besonders dann nervt, wenn man von mehreren umringt ist. Denn kippt man einen aus den Latschen, ist schon der nächste da, was zu einer Art Teufelskreis führt. Ist man erstmal auf dem Boden der Tatsachen (bzw. Trinitys Motorrad) angelangt, wird das Spiel deutlich gehaltvoller. Aber dem für diesen Einstieg zuständigen Designer gehört ordentlich der Kopf gewaschen!

Danach geht es in das eigentliche »I know Kung Fu!«-Training. Doch bevor ihr Morpheus den Kimono plättet, rennt ihr in sehr albernen Klamotten durch ein Szenario, das an den Bruce Lee-Film »Enter the Dragon« angelehnt ist – hier lernt ihr alles über Schläge, Kicks, Waffen und die Zeitlupe. Kurz darauf wechselt die Szenerie in einen Bambusgarten, danach geht es durch einen Schwarz-Weiß-Abschnitt, bis

Ihr spielt Schlüsselstellen der Trilogie aus Neos Sicht nach.
ihr schließlich in einer Location landet, die der Eingangsszene aus John Woos »Hard Boiled« nachempfunden ist – und hier bekommt ihr den Umgang mit Pistolen und Maschinengewehren beigebracht. Sitzt die Technik, könnt ihr endlich Morpheus die Platte polieren: Gewinnt ihr das berühmte Dojo-Duell, geht es, anders als im Film, in der Szene weiter – Morpheus fordert euch zu einem Wettrennen heraus. Danach folgt das Spiel einigermaßen chronologisch den Filmen: Ihr müsst Morpheus aus der Hand von Agenten befreien, das Haus des Merowingers aufsuchen, die Schlacht gegen hunderte Smiths überleben und schlussendlich gegen Supersmith antreten. Das Spiel folgt den wichtigsten Szenen der Filme aus Neo-Sicht, präsentiert die Story allerdings im Zeitraffer in einer Mischung aus Ingame-Szenen, rasant zusammengeschnittenen Filmsequenzen und Ausschnitten aus der Zeichentrick-Variante Animatrix. Wenn man mit der Materie nicht vertraut ist, wird man den Schnipseln und wilden Sprüngen kaum folgen können, da das Spiel weiter geht als der Film: Ihr könnt als Thomas Anderson den Agenten entfliehen, ihr müsst persönlich Leute aus der Matrix befreien, ihr rennt nach dem U-Bahn-Fight gegen Smith nicht gleich an die frische Luft, sondern tummelt euch erst
In der Zeitlupe ist die Hölle los: Waffenspuren ziehen fauchend durchs Bild.
eine Zeit lang in den Kanälen und einer innerhalb der Matrix bugverseuchten U-Bahn. Das Spiel speichert euren Fortschritt automatisch zwischen den Levels, dazu gibt es innerhalb der Abschnitte teilweise sehr mies platzierte Rücksetzpunkte – die allerdings nur für die aktuelle Sitzung gelten. Brecht ihr mitten im Level ab, geht’s nächstes Mal wieder von vorn los.

Nur ein Agent…

Die Matrix-Trilogie wäre nur halb so lang, wenn die vielen Actionszenen nicht mit cooler Bullet-Time gestreckt wären – und natürlich bemüht ihr auch hier euren linken Zeigefinger sehr oft mit dem Druck auf die Zeitlupen-Taste! Zack, wird die Geschwindigkeit des Spiels runtergefahren, ebenso die Tonhöhe aller Geräusche, Schläge und Kicks tun optisch doppelt so weh, abgefeuerte Kugeln ziehen etwas sehr an Kondensstreifen erinnernde Spuren durch die Luft. Gerade in der Zeitlupe sieht es verdammt cool aus, wenn man wie mühelos solide Betonpfeiler einfach zerbröselt, damit die nähere Umgebung in einen Dunstwall taucht, nach einer langen Kombo auf den Gegner zuspringt und ihn mit einem kraftvollen Kick die Visage verbiegt.            

Anfangs könnt ihr die Zeit nur kurz verlangsamen, aber aller paar Missionen bekommt ihr einen Auserwählten-Bonus, mit dem sich nicht nur eure für die Verlangsamung zuständige »Fokus«-Leiste auflädt, sondern

Abgefahren: Aufgrund eines Fehlers in der Matrix lauft ihr auch mal durch einen Schwarz-Weiß-Level.
ihr auch neue Bewegungen erlernt – so zählt später ein weiter Doppelsprung, der Wandlauf oder das patentierte Kugeln-Ausweichen zu eurem Repertoire. Darüber hinaus dürft ihr Neo zwischen den Missionen in einem gesonderten Screen mit neuen Moves aufrüsten: über mehrere Levels lernt ihr Wandangriffe, Mehrfachkicks, einen Erdbebenstoß und mehr.

Der Kampf unterteilt sich in bewaffnete und unbewaffnete Auseinandersetzungen. Allerdings ist das nicht strikt getrennt, da ihr jederzeit die Knarren zücken könnt – teilweise ist das sogar Teil einer Kombo. Path of Neo glänzt, solange ihr euch auf Fäuste und Füße verlasst: Wie bei Mortal Kombat: Shaolin Monks oder Death by Degrees könnt und werdet ihr in alle Richtungen gleichzeitig kämpfen. Ihr könnt prinzipiell so lange stumpf auf einen Knopf einhämmern, bis der Gegner am Boden liegt – aber das sieht weder spektakulär aus noch macht es auf Dauer Spaß. Interessanter wird es durch Kombos, die ähnlich wie in God of War ausgelöst werden: Startet ihr eine Attacke, werden daraufhin mögliche Folgebuttons kurz eingeblendet. Drückt ihr die schnell genug, wird die Attacke mit einer anderen Kombo weitergeführt, was immer brachialere Bewegungen zur Folge hat – befriedigend und fies gleichzeitig ist es, einen Gegner in die Luft zu treten, blitzschnell die Maschinenpistolen zu ziehen und ihm im Flug noch einige Kugeln hinterherzuschicken. Was  uns zum bewaffneten Kampf bringt: Er ist reichlich fummelig zu bedienen, angesichts der Menge der Agenten (die den Kugeln

Ihr kämpft meist gegen mehrere Gegner gleichzeitig.
ausweichen) tatsächlich nur selten sinnvoll zu benutzen und lange nicht so spaßig wie der Nahkampf. Problematisch ist auch die Zielauswahl, denn wenn sich Neo einmal auf ein Ziel eingeschossen hat, fällt es ihm scheinbar schwer, davon wieder abzulassen – auch wenn man ihm die entsprechende Anweisung einbläut. Auch die Kamera spielt gerade mit der Waffe in der Hand gerne verrückt: sie zeigt immer wieder mal unmögliche Winkel, im Weg stehende Objekte werden nur zur Hälfte ausgeblendet – oder die Ansicht rückt so nahe an die Kombattanten heran, dass man kaum noch etwas erkennt. Immerhin lassen sich mit den Knarren sehr schöne, sehr maxpaynige Zeitlupenmanöver zünden, speziell die Attacken von der Wand sind verdammt cool anzusehen.

Alles neu macht Shiny

Die Matrix-Trilogie ist ihrer schwankenden erzählerischen Qualität zum Trotz ein Meisterwerk der ästhetischen Bilder. Edle Kulissen, stylische Kostüme, exzellente Kampfchoreographien – Shiny hatte einen verdammt schweren

Schöne Lichteffekte beanspruchen gerade die PS2 bis an die Schmerzgrenze.
Job, diese Qualität in interaktive Form zu packen. Über einen gewissen Teil ist das durchaus gelungen: die Figuren sehen ihren Filmpendants sehr ähnlich, schöne Licht- und Schattenspielereien verpassen den größtenteils stimmungsvollen Lokalitäten einen realistischen Touch. Die Levels sind zum Teil zerstörbar, gute Leucht- und Glanzeffekte auf Figuren oder regennassen Straßen sorgen für ansehnliche Bilder – und gerade in den Echtzeit-Zwischensequenzen gibt es coole Nähe- und Tiefenunschärfe zu sehen. Leider geht es ab hier abwärts, denn gerade die PS2-Version treibt die Konsole über die Grenzen ihres technisch Machbaren hinaus – das Spiel gerät sehr oft ins Ruckeln. Nicht unmittelbar spielverschlechternd, aber fraglos ernüchternd. Zugegeben: es tummeln sich teilweise bemerkenswert viele Figuren gleichzeitig auf dem Screen. Aber die sind dermaßen grob gehauen, dass man die Polygone teilweise zählen kann. In den größeren Fights geht die Framerate spürbar in die Knie, selbst auf der Xbox – wenn auch nicht so oft wie auf der PS2.         

Immerhin gibt’s auf der Microsoft-Konsole bessere Effekte zu sehen. Alleine die Hand, die Neo nach dem Griff zur roten Pille und in den Spiegel in die Kamera hält, ist ein gutes Indiz: auf der Xbox wandert ein spiegelnder Chrom-Effekt den Arm hinauf, auf der PS2 hält man die Farbwirbel unweigerlich für einen Grafikfehler.

Mit dem schweren MG zerlegt ihr eindrucksvoll einen großen Teil der Umgebung.
Dazu gesellen sich teilweise extrem schwache, sehr flimmerfreudige Texturen und ein grottig hässlicher Ladebildschirm – die PS2 hat’s wirklich nicht leicht. Auf allen Plattformen sind dazu die Ladezeiten sehr lang, die Schatten schwindfreudig, die Animationen abgehackt. Letzteres geht allerdings auf die Kappe des rasanten Kampfsystems, welches wahrhaft flüssige Bewegungen in alle Richtungen unmöglich macht.

Spielerisch geht Neos Pfad teilweise nicht-lineare Wege – allerdings nur so weit, dass euch gelegentlich die Wahl des nächsten Levels überlassen wird. So müsst ihr verschiedene Personen in freier Reihenfolge befreien, was u.a. eine extrem nervende Bibliothekarin beinhaltet, der man aufgrund ihres Gekreisches sehr schnell mehr als alles andere den gesamten Brockhaus in die Kehle stopfen möchte. Außerdem gibt es immer wieder die Möglichkeit, einen Abschnitt auf unterschiedliche Art und Weise zu beenden. So könnt ihr gleich zum Spielbeginn auf der Flucht vor den Agenten eine (filmgetreue) Verhaftung akzeptieren, was einen zusätzlichen Level beinhaltet. Außerdem bietet euch das Game ein komplett neues und reichlich bizarres Ende, was u.a. einen sehr abgefahrenen Auftritt der Wachowski-Brüder (die Matrix-Erfinder) beinhaltet.

Boxensprenger

Wer »Matrix« sagt, muss auch »laut« sagen: Der Effekt-Overkill auf der Leinwand wäre ohne die perfekte Akustik nur halb so beeindruckend. Das gilt auch am Fernseher: Wenn hier nicht alles krachen und knirschen, explodieren und zerbersten, brechen und rummsen würde, wäre das Spiel nur halb so viel wert. Die Soundeffekte klingen großartig, mit entsprechendem Equipment standesgemäß THX-optimiert aus allen Richtungen – vorbildlich! Die Sprachausgabe müht sich redlich, ist aber nicht optimal: zum

Die variantenreichen Nahkämpfe sehen besonders in der Zeitlupe spektakulär aus.
einen gibt es nur auf der PS2 auch englische Stimmen, auf der Xbox müsst ihr euch mit den deutschen Sprechern zufrieden geben. Dafür erwarten euch hier die zwar nicht lippensychronen, aber immerhin originalgetreuen Synchronsprecher – im Gegensatz zu den englischen Pendants, die mit Ausnahme von Laurence Fishburne nicht den echten Mündern entspringen. Leider hat Atari speziell bei der Besetzung der deutschsprachigen Nebenfiguren teilweise gehörig ins Klo gegriffen: was man sich z.B. bei dem Türsteher im Club Hel samt seinen Kumpanen gedacht hat, kann man nicht mal raten. Nicht dass diese Clowns in der englischen Fassung viel besser wären – aber immerhin sind sie nicht völlig lächerlich.

Um der Akustik die Krone aufzusetzen, werdet ihr über weite Teile vom Original-Soundtrack begleitet, der hervorragend zur Action passt – und an einem merkwürdigen Bug leidet. Denn gelegentlich setzt die Musik einfach aus, woraufhin zwar die Effekte besser zur Geltung kommen, aber man deutlich spürt, dass atmosphärisch etwas fehlt.             

Fazit

Es gab mal eine Zeit, da war der Name »Shiny« gleichbedeutend mit »Kaufen!« - man denke in diesem Zusammenhang an die ersten beiden Earthworm Jim-Teile, Aladdin, MDK oder Sacrifice. Mittlerweile scheint die Ära unendlich weit weg, denn genau wie Enter the Matrix ist Path of Neo ein Spiel, das erstaunlich konservativ gute Action abspult, aber dabei so viele Fehler macht, dass man sich kaum eine Kreativtruppe wie Shiny dahinter vorstellen kann. Das geht mit dem öden Spieleinstieg los, denn das sich kaugummiartig dahinziehende Herumgeschleiche im Büro ist einschläfernder als das Sandmännchen. Danach geht es mit dem Spiel stetig bergauf, man erkennt, dass die Entwickler ambitioniert und voller guter Ideen an das Projekt rangegangen ist. Aber letzten Endes, sei es aus technischen oder spieldesignbedingten Gründen, sind sie dann doch sehr viele Kompromisse eingegangen – Kompromisse, die dem fertigen Produkt einen bitteren Beigeschmack verleihen. Ja, gerade die Nahkämpfe machen verdammt viel Spaß, die Zeitlupenbewegungen sehen cool aus, das Kombo-System funktioniert mit etwas Übung sehr flüssig. Aber auf der anderen Seite sind Figuren und Animationen extrem eckig, das Schusswaffensystem tendiert in die Nähe von »unbrauchbar«. Spielerisch ist Neos Pfad dem Matrixteintritt deutlich überlegen – technisch hingegen nimmt er sich gerade auf der PS2 viel zuviel vor. Wenn die echte Matrix genauso ruckelt, dann hat der Architekt reichlich Mist gebaut.

Pro

sehr ästhetische Action
coole Nahkämpfe
großartige Soundeffekte
angenehm hektisches Kampfsystem
lässige Zeitlupen-Momente
nicht-linearer Spielverlauf
gut präsentierte Story
gute Sprachausgabe
zerstörbare Umgebungen
teilweise beeindruckend viele Figuren auf dem Bildschirm
variabler Schwierigkeitsgrad
ziemlich umfangreich
schöne Lichteffekte

Kontra

eckige Bewegungen
ziemlich ruckelig (PS2, Xbox)
grobe Figuren
fummeliger Waffenkampf
unzuverlässige Kameraführung
teilweise miese Rücksetzpunkte
einige lästige Jump-n-Run-Einlagen
nicht abbrechbare Filmszenen
teilweise lächerliche Sprachausgabe
öder Spieleinstieg
kaum nachvollziehbare Story
gelegentlich aussetzende Musik

Wertung

XBox

PlayStation2

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