Tiger Woods PGA Tour 0612.10.2005, Benjamin Schmädig
Tiger Woods PGA Tour 06

Im Test: Abwechslungsreiches Golf für zwischendurch

Namensgeber Tiger Woods hat zu seiner alten Stärke gefunden und befindet sich auf dem besten Weg, die Golfkrone nach ihrem Ausflug zu Vijay Singh wieder zu erobern. Auftritt Electronic Arts: Der Publisher-Riese hat die Krone zwar nie abgegeben, versucht sich aber wie jedes Jahr an neuen Features, die diesmal dem Realismus zugute kommen sollen. Schönheitsoperation oder gelungener neuer Ansatz?

Fertignahrung

Tiger Woods, oder vielmehr sein spielerisches Alter Ego, ist wie eine kalte Pizza: Die schmeckt auch am nächsten Morgen noch, aber irgendwie fehlt der Kick von zerlaufenem Käse und dampfenden Peperoni. Sicher: Das Menü aus dem Hause EA staubt bei jeder alljährlichen Untersuchung zurecht Höchstpreise ab, kommt aber aus einem Kessel, in dem Vorgekochtes lediglich aufgewärmt wird. Aufgrund der Vier-Sterne-Qualität fehlt den EA-Köchen seit 2002 einfach der Mut, das bewährte Rezept einer Generalüberholung zu unterziehen und mit neuen Ideen zu würzen. Und so ändert sich auch in diesem Jahr lediglich die Beilage, ansonsten bleibt alles beim Alten.

Und das ist nicht mal schlecht, denn so überzeugt die PGA Tour auch heuer mit perfektem Golf und gewinnt vor allem dadurch an Topspin, dass EA endlich ein Einsehen hatte und virtuelle Rasenprofis die Onlinebühne betreten lässt. Und was genau hat sich sonst noch

Der Meister ist zurück: Tiger Woods sitzt in diesem Jahr wieder auf den Golthron.
seit dem letzten Jahr getan? Die Antwort verbirgt sich im verbesserten Schlagsystem, dem verfeinerten Putten, dem vertieften Karrieremodus und dem bislang so schmerzlich vermissten Multiplayer-Abschlag.

Ganze Menschen, echte Plätze

Aber der Reihe nach. Ihr stellt euch diesmal auf 15 Kursen an den Tee, wovon vor allem die vom Entwickler erdachten Links euer ganzes Können fordern. Bevor es losgeht, bastelt ihr im Game Face euren Charakter, was dank der erweiterten Funktionsvielfalt schon eine ganze Sitzung in Anspruch nehmen kann. Von der Augenbraue bis zur Schuhgröße erschafft ihr euren Wunschathleten – wenn’s im echten Leben nur so einfach wäre!

Durch den Rest der Präsentation weht allerdings ein modriger Wind: Zwar wurde vorsichtig das Staubtuch angesetzt, die Umgebung mit einigen Tieren belebt und die Animationen der Charaktere sind immer noch schön anzusehen. Der Rest ist aber weit davon entfernt, an der Leistungsgrenze von PS2 und vor allem Xbox zu kratzen. Die microsoftsche Konsole wartet immerhin mit den detailreicheren Charakteren und schöneren Texturen auf. Gerade mal die Akustik versetzt immer wieder in wohlig sommerliche Zustände und schafft es mit Vogelzwitschern und ausnahmsweise angenehmem Flugzeuglärm, die eigenen vier Wände für kurze Zeit vergessen zu machen.

Der echte Schwung

Natürlich schlagt ihr den Ball auch in diesem Jahr mit dem hervorragenden True-Swing-System, das über den linken Analogstick die Bewegung des Golfschlägers simuliert. Je genauer ihr dabei mit dem Stick einen guten Schlag nachahmt, desto weiter und präziser fliegt der Ball in Richtung Zielvertiefung. Abweichungen sorgen dafür, dass die Kugel zu kurz fliegt oder abseits des Fairways landet. Das ist aber noch nicht alles, denn auch der rechte Analogstick kommt dieses Mal zum Einsatz, wenn ihr zum Draw oder Fade ansetzt oder mit Spin schlagen wollt. Links 2004-Spieler kennen das Prinzip: Ihr bringt mit dem zweiten Stick eine entsprechende Markierung in die gewünschte Position und schon erwischt ihr den Ball am rechten Fleck.

Das klingt klasse, funktioniert hervorragend und rückt das ansonsten schwer arcadelastige Konsolengolf ein wohlwollendes Stück in Richtung Realismus – jedenfalls theoretisch. In der Praxis schlägt die Begeisterung über den guten Ansatz schnell in die ernüchternde Feststellung um, dass die restliche Schlagmechanik der Idee beinahe komplett entgegen wirkt. Das Problem ist eine sehr nachgiebige Steuerung, die wie in den Jahren zuvor kaum Fehlschläge erlaubt. Außerdem dürft ihr mit schnellen Tastendrücken für einen ausgesprochen mächtigen Swing und den richtigen Spin noch während des Flugs sorgen. Das macht erstens die Notwendigkeit eines starken Abschlags zunichte und zerstört ebenso den Nutzen, Draw oder Fade schon vor dem Schuss festzulegen. Nur in den Momenten,

Im Game Face stellt ihr sogar den Swingstil nach Belieben ein.
wenn die Kameraführung sich dazu entscheidet, nicht den fliegenden Ball sondern euer Alter Ego zu zeigen, werdet ihr froh sein, keine Korrekturen in der Luft vornehmen zu müssen.

Gehhilfen

Zugegeben: Die Hilfen können abgeschaltet werden und fehlen zum größten Teil auf dem höchsten Schwierigkeitslevel . Aber viele Herausforderungen bauen darauf auf, diverse Hilfsmittel nicht zuzulassen, um ein besseres Resultat zu erzielen. Letzten Endes schließt ihr denn auch auf dem Tour-Level zu viele Turniere unter Par ab, echte Fehlschüsse sind mit etwas Übung ein Fall fürs Kuriositätenkabinett. Immerhin gehört die Tiger Vision der Vergangenheit an, so dass ihr euch nicht mehr wie Max Payne auf dem Golfplatz fühlt.

In die Kategorie Arcade fällt auch der neue Gamebreaker. Dabei handelt es sich um eine Anzeige, die nach guten Schlägen zunimmt und nach schlechten wieder sinkt. Ist sie voll, habt ihr die Wahl: Nutzt sie, um härtere und genauere Schläge auszuführen oder verringert die gleiche Anzeige eures Gegners und verhindert damit, dass er seinerseits wie ein Profi im Dopingrausch einlocht.

Gekonntes Einlochen

Beim Putten sieht die Sache mit dem gekonnten, aber nicht gewollten Simulationscharakter ähnlich aus, denn das simple Einlochen des Vorgängers gehört ab sofort der Vergangenheit an. Das heißt für euch: Putten läuft genauso ab wie der Schlag vom Tee, wenn ihr mit Hilfe der beiden Analogsticks dem Ball die richtige Dosis Stoßkraft und Drehung gebt. Klingt schwierig? Ist es aber nicht. Denn Unterstützung bekommt ihr von dem Raster, das auf den Rasen gelegt wird und anzeigt, wo das Grün ansteigt oder abfällt. Besonders hilfreich sind die sich, je nach Steigung, schneller oder langsamer bewegenden Pfeile, mit denen das Lesen des Greens sehr vereinfacht wird.      

Neu ist auch die Putt-Kamera. Diese ersetzt die Caddy-Hilfe des Vorgängers und fährt den Weg entlang, den der Ball in Richtung in Vertiefung zurücklegen muss. Eine praktische Idee, die das Spiel allerdings erneut rufen lässt: "Ich bin ein kurzer Spaß für zwischendurch!" Am besten macht ihr es nämlich einfach so, dass ihr euch zu Beginn der Kamerafahrt eine Stelle im Hintergrund merkt und anschließend den Abschlagwinkel auf genau diesen Punkt einstellt – Birdie Player One.

Unterm Strich ergibt sich folgendes Fazit aus den Neuerungen: EA fehlt scheinbar der Mumm, um Änderungen

Beim Putten zählen Richtung und Schlagstärke.
konsequent durchzusetzen und bietet damit wieder einmal erstklassiges, aber stark vereinfachtes Golfen, dessen Simulationsaspekte dem Erzwingen des schnellen Erfolgs untergeordnet werden. Immerhin schafft es Tiger Woods' PGA Tour 06, die Arcade-Qualitäten durch die gewohnte Vielfalt an Spielvarianten vor allem für Multiplayer-Freunde eindrucksvoll unter Beweis zu stellen und überzeugt endlich auch mit Online-Kapazitäten!

Verpasster Onlinestart?

Letztere lassen euch in sämtlichen Modi Multiplayer-Partien austragen und wenn ihr wollt geht ihr eine Wette ein, in der es um harte Onlinemünzen geht. Zusätzlich führt ein internationales Rangsystem Statistik über euren Fortschritt. Leider ist der Internetmodus oft von starken Lags und Rucklern geprägt, was auf der einen Seite den Ablauf beeinträchtigt und auf der anderen zu Fehlschlägen führt. Denn wenn ihr nur nach Gefühl ausholen könnt, weil die Animationen eures Alter Ego nur noch aus zehn Standbildern bestehen, sind präzise Schläge für Neulinge praktisch unmöglich. Schade, denn gerade die Auseinandersetzungen im Internet sind ansonsten eine echte Bereicherung für die Konsolenfassungen, auch wenn es störende Verbindungsprobleme gibt.

Karrieregolfer von einst

Solo-Tiger dürfen sich vor allem an den zwei Arten von Karrieren versuchen; dem PGA-Tour-Saisonmodus und dem Rivalenmodus. Der erste lässt euch eine 30-jährige Karriere erleben, in der ihr euch vom Rookie zum Profigolfer hochschießt. Der zweite ist der interessantere und stellt eine Erweiterung des Legendmodus aus dem Vorjahr dar: Durftet ihr anno 2004 gerade mal ein paar Herausforderungen gegen echte und frei erfundene Golfgrößen der Geschichte antreten, wartet jetzt gleich eine ganze Meisterschaft auf euch! Hier kämpft ihr euch durch die Jahrzehnte, um am Ende euren Titelanspruch gegen Tiger Woods persönlich zu vertreten. Normale Partien wechseln sich dabei ab mit separat aufrufbaren Herausforderungen, in denen es z.B. darum geht, besser zu putten oder weiter zu schlagen als die Gegner.

Die Rivalentour präsentiert sich in schönem Ambiente und lässt euch in jedem Jahrzehnt von einem zeitgenössischen Büro aus operieren: rustikal z.B. die Kulisse in den Siebzigern, modern euer Schreibtisch zur Jahrtausendwende. Auch die Golfer selbst schlüpfen ins Outfit ihrer Ära und wenn ihr hier mithalten wollt, stattet ihr dem Shop einen Besuch ab, um in den Klamotten eurer alten Herren aufzutreten. Schade nur, dass die Präsentation auf dem Platz in keiner Weise den zeitlichen Rückschritt widerspiegelt. Die (hervorragenden) Kommentare von Gary McCord und David Feherty sind die gleichen wie im Jetztzeit-Spiel und bis auf das erwähnte Aussehen der Kontrahenten erinnert rein gar nichts an das Thema Golf-Klassiker. Und schon ist da

Und noch ein Golfer - diesmal vor exotischer Kulisse.
erneut der Eindruck, dass die Entwickler frischen Wind aufkommen lassen wollten, dann aber doch nur wieder ein weiteres Feature an das vorhandene Gerüst hängen konnten.

Leistung ist nicht käuflich

Wollt ihr gegen die "Rivalen" richtig punkten, könnt ihr den Wetteinsatz in den Herausforderungen erhöhen, indem ihr Hilfen wie Powerswings oder die Putt-Kamera abschaltet. Das gibt bei Erfolg mehr Geld, welches in Ausrüstung und fesche Klamotten investiert werden darf. Nach bestimmten Accessoires dürft ihr allerdings erst dann shoppen, wenn ihr einen Sponsorenvertrag unter Dach und Fach habt. Und den bekommt ihr erst, wenn gute Leistung auf dem Rasen einen wertvollen Werbeträger aus euch machen.

Und was ist mit den Attributen? Konnten die nicht ebenfalls dank Geldspritze wie im Rollenspiel verbessert werden? Nicht ganz. Denn EA hat sich in diesem Jahr dazu entschlossen, neben Kleingeld auch Erfahrungspunkte für gekonnte Schläge und siegreiche Partien zu vergeben. Und genau die werden ab sofort – ihr habt es geahnt – ins Aufbohren eurer Talente gesteckt. Das tut dem Spiel spürbar gut, da es der Glaubwürdigkeit und dem Simulationscharakter einen klaren Schub gibt. Schließlich ist eine prall gefüllte Brieftasche auch im auch echten Leben kein Garant für sportliche Kompetenz. Wollt ihr euren Athleten also trainieren, verteilt ihr die gesammelte Erfahrung in den Kategorien Kraft, Präzision, Spin, Putten und Konzentration erhaltenen Punkte auf jeweils zwei Fähigkeiten. Ähnlich verfahrt ihr übrigens mit eurer Ausrüstung: Spezielle Boni werden z.B. auf Schläger und Bälle verteilt, die von da an ein präziseres Spiel garantieren.

Habt ihr vom Karrieremodus mal genug oder seid von den schwachen Kontrahenten gelangweilt, bleibt für den Soloabschlag noch die Möglichkeit des Trainings, einer einzelnen Partie oder der Skills 18. In Letzterer geht es nicht nur um das schnelle Erreichen des Lochs, sondern auch darum, den Ball durch grüne, gelbe und rote Ringe zu schlagen, wofür es unterschiedlich viele Punkte gibt. Hier kommen teilweise recht obskure Konstellationen zustande, so dass sich die Stirn spätestens dann in Falten legt, wenn ein roter Ring direkt hinter einem Baum oder über einem Bunker schwebt. Klar gehört es zum Repertoire eines guten Golfers, den Ball auch aus dem Sand zu schlagen – ihn absichtlich dahin zu bringen allerdings nicht.

Die GameCube-Fassung glänzt übrigens wieder einmal mit Verspätung. Sobald der Postbote damit anklopft, wird sie aber auf Herz und Nieren getestet.    

Fazit

Wie man es auch dreht und wendet: Die diesjährige Konsolenfassung trumpft mit allem auf, was ein Golfspiel haben muss und bietet fast jede erdenkliche Möglichkeit, sich auf dem Rasen auszutoben. Vor allem die beiden Karrierevarianten halten lange bei der Stange, die restlichen Modi sorgen besonders bei Multiplayerfans für Unterhaltung. Tiger Woods PGA Tour 06 schafft es allerdings nicht, aus dem Schatten seiner Vorgänger heraus zu treten und ein frisches Spielgefühl zu präsentieren. Das Prinzip stagniert an allen Ecken und Enden, solange sich EA nicht dazu entschließt, entweder nur Arcadegamer oder Simulationspuristen zufrieden zu stellen. Die ersten vermissen am Tiger eine erstklassige Präsentation und das Gefühl, nicht eine im Kern auf Realismus getrimmte Erfahrung zu erleben und die zweiten suchen vergeblich die vollständige Kontrolle über Schläger und Ball. Sämtliche Neuerungen sorgen zwar für mehr Glaubwürdigkeit, wirken sich aber kaum spürbar auf das Spielerlebnis aus. Wer mit dem Kompromiss nicht auf Kriegsfuß steht, die Mehrspieleroptionen nicht missen und sich ins ruckelige Onlinevergnügen stürzen will, wird hier fündig. Wer mit einer Fassung aus den letzten Jahren zufrieden ist, lässt die Brieftasche besser geschlossen – er verpasst nicht viel.

Pro

<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm">+&nbsp;Onlinemodus
jede Menge Spielmodi, auch im Netz
ausgereifte Schlag- und Ballphysik
unterhaltsamer englischer Kommentar
Draw, Fade und Spin auf zweitem Stick
Putten mit True Swing
zwei Karriermöglichkeiten
umfangreicher Game-Face-Modus
schöne Charakteranimationen
Trennung von Geld und Erfahrungspunkten
viel Hilfestellung für Anfänger</P>

Kontra

<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm">
altbackene Grafik
unfertige Präsentation im Rivalenmodus
weder Simulation noch Arcade
für Kenner keine Herausforderung
kaum Weiterentwicklung zum Vorjahr</P>

Wertung

XBox

PlayStation2

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