Im Test:
Historisches Stillleben
Was für ein akribisch recherchiertes Stillleben! Nicht nur die Mode und die Architektur, nicht nur berühmte Denkmäler und Sehenswürdigkeiten von Parks bis hin zu Filmgeländen, selbst Schaufenster, Schuhe, Bowlingbahnen und kleinste Gegenstände vom Teddy bis hin zum Lippenstift scheinen direkt aus dem Jahr 1947 auf Xbox 360 und PlayStation 3 gebeamt zu werden. Wie viele Jahre haben die Entwickler in Foto- und Filmarchiven verbracht? Dieses Los Angeles wirkt wie ein virtuelles Gemälde, das man staunend als Tourist erkunden kann.
Selbst die sozialen und politischen Konflikte werden in knapp fünf Stunden Zwischensequenzen und zig Dialogen greifbar: Die untergeordnete Rolle der Frau zwischen dominanten Chauvinisten, die Alkoholprobleme einer ganzen Gesellschaft, die diskriminierten Schwarzen, die immer noch als „Neger“ bezeichnet werden und nur als Hilfsarbeiter oder Türöffner arbeiten. Dazu all die Feinde Amerikas von Kommunisten über Japaner bis hin zu Nazis. Hinzu kommen die psychischen Probleme all der Kriegsheimkehrer, die als Obdachlose, Säufer oder Gewaltverbrecher enden. All das kann man sich als interessierter Zeitreisender ansehen und anhören.
Thriller ohne Spannung
Cole Phelps hat in Japan gekämpft, trägt die Tapferkeitsmedaille und gilt als junge Hoffnung der Polizei. |
Die Fassade ist so schön, die Ausgangslage so vielversprechend: In der Rolle des Polizisten Cole Phelps jagt man den Verbrechern in der Stadt der Engel nach – 21 Fälle warten auf den ehrgeizigen Kriegsveteranen, der sich vom einfachen Verkehrspolizisten langsam hoch arbeitet zum Ermittler der Mordkommission. Er muss mit zig Bewohnern sprechen, zig Tatorte aufsuchen und Verdächtige interviewen. Und die überzeugen durch die Bank mit einer schauspielerischen Qualität, die ihresgleichen sucht. Gerade zu Beginn ist man von der fantastischen Mimik und vor allem den Verhören überaus angetan. Da kann man die technischen Probleme im Hintergrund verzeihen: Es ruckelt des Öfteren, es gibt Pop-ups, Fade-ins und kleine Bugs. So mancher Fußgänger schwebt schon mal über dem Boden. Manchmal bleibt ein Kollege auch einfach stehen, anstatt ins Auto zu steigen oder man kommt nicht auf Anhieb durch Türen, weil er sie blockiert.
Lebendige Mimik, klasse Verhöre
Die Kulisse ist stilvoll, Mode und Architektur authentisch. |
Das Ganze läuft ohne Zeitdruck wie in Alpha Protocol oder situative Spannung à la Heavy Rain: Man hat also genug Muße, um seine Menschenkenntnis unter Beweis zu stellen – man kann z.B. in seinen Notizen nachsehen und über den rechten Analogstick plötzlich sein Gegenüber taxieren, das vielleicht in diesem Moment blinzelt. Ein Hinweis auf eine Lüge? Schätzt man Verdächtigen richtig ein, kann man ihm vielleicht weitere Details zum Fall entlocken. Wer ihn der Lüge bezichtigt, muss allerdings einen Beweis aus seinem Notizbuch vorlegen – z.B. die Aussage eines Zeugen oder einen Gegenstand.
Obwohl diese Verhöre sehr gut inszeniert werden und das Highlight des Spiels sind, laufen sie immer nach demselben Schema ab, wiederholen sich Motive und Lösungstaktiken. Man kann fast sicher sein, dass ein Blinzeln immer auf eine Lüge hinaus läuft; hat man keinen Beweis, reicht auch das Anzweifeln. Spannung kommt lediglich auf, wenn man mehrere Verdächtige parallel befragen muss: Wen wird man am Ende als Täter überführen? Nach einem Fall bekommt man auch schon mal einen Hinweis auf die Folgen oder versäumte Möglichkeiten.
Vom Briefing zum Baudenkmal
Man kann Gegenstände drehen und näher betrachten. |
Wenn man mal aussteigt und die Gegend erkundet (und nicht plötzlich totgefahren wird, was selbst auf ruhiger Straße passieren kann), wird man allerdings die Leblosigkeit der Stadt erkennen: Man hat keine Wohnung, kann in keinen Laden gehen, kann sich noch nicht mal beim Kiosk eine Zeitung kaufen, obwohl sich gerade das angeboten hätte - hier spielt das Los Angeles der 40er Jahre zu wenig interaktive Erkundungsreize aus und man fragt sich, wozu L.A. Noire (ab 5,09€ bei kaufen) die offene Welt überhaupt braucht. Wäre es nicht klüger gewesen, die einzelnen Schauplätze der Morde sowie Zwischenfälle noch detaillierter auszuarbeiten? Selbst das elf Jahre alte Shenmue wirkt in seiner Darstellung von Stadtleben wesentlich lebendiger als diese Metropole.
So kann man lediglich wie ein Tourist bis zu 30 Baudenkmäler besuchen, zig Fahrzeuge sammeln oder auf knapp 40 Zwischenfälle reagieren, die per Funk reinkommen: Die bringen einen aber nicht zu interessanten Nebenfällen, sondern in immer gleiche, unheimlich simple Actionsituationen – Faustkampf, Schießerei, Verfolgung. Warum es gut ist, dass man sie ignorieren kann, klärt der Test weiter unten.
Schnitzeljagd am Tatort
Die Figuren wirken sehr lebendig - auch die Nebendarsteller. |
Am Ende jedes Falls bekommt man dann lediglich eine spielerisch irrelevante Wertung von bis zu fünf Sternen, die bloß Outfits oder Fahrzeuge freischaltet - all das hat keinen Einfluss auf die eigene Karriere im Dezernat oder auf das Lob des Chefs. Warum bietet man da nicht ein lebendigeres Feedback für die Leistungen an? Hinzu kommen lediglich so genannte "Intuitionspunkte", mit denen man wie bei einem Quiz eine falsche Antwort streichen oder sich alle Beweise an einem Tatort anzeigen lassen kann - quasi wie Hot Spots in einem Adventure. Außerdem kann man über eine optionale Internet-Verbindung zum Social Club die prozentualen Antworten anderer Spieler einsehen.
Die Suche selbst gestaltet sich aufgrund des lebendigen Verhaltens und kernigen Sprüche der Polizeikollegen sowie des Presserummels überaus stimmungsvoll, ist allerdings viel zu leicht - es erinnert fast an eine geführte Schnitzeljagd. Denn ein Schütteln des Controllers weist sicher darauf hin, dass es in der Nähe etwas Interessantes gibt. Immerhin ist auch das abschaltbar: Denn diese Dopplung aus Melodie und Rumble raubt die Erkundungsreize. Man muss sich den Tatort gar nicht genau ansehen, sondern einfach nur überall herum stöbern, bis der Controller anspringt. Aber selbst bei abgeschalteten Hilfen stellt sich schnell Routine ein, weil alles Relevante sofort klar und leicht zu finden ist.
Die Beweise sind sicher
Die Verfolgungen zu Fuß und die Faustkämpfe werden zu einfach inszeniert. |
Viel besser wäre es gewesen, wenn Phelps erst mal alle verdächtigen Gegenstände sammeln und dann im Revier über Kombinationen oder Gemeinsamkeiten die Spreu vom Weizen trennen müsste! Was ist mit Fingerabdrücken? Obwohl sie eine Rolle in der Story spielen, werden sie als Ermittlungstechnik nicht eingesetzt. Phelps kann nach einer Tatortbegehung nichts mehr analysieren, sondern sich lediglich über Telefonanrufe mal einen Wohnort oder eine Akte durchgeben lassen – und selbst das läuft automatisch. Man muss keine Nummer wählen, keine Verdächtigen nennen, nicht nachdenken.
In einem Notizbuch werden automatisch alle Personen, Hinweise und Orte vermerkt; man kann selbst die kompletten Dialoge nachschlagen und genau nachvollziehen, wer was gesagt hat – sehr schön. Hinzu kommt eine zoombare Karte mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten, die man markieren und anfahren kann. Allerdings nervt die Wartezeit bei Briefen und geschriebenen Texten: Obwohl man den Inhalt eines Schreibens in wenigen Sekunden verstehen kann, muss man warten, bis die deutschen Untertitel Zeile für Zeile alles übersetzt haben, damit der Hinweis als solcher auch notiert wird – wer da zu schnell abbricht, kann an einem Tatort schon mal nicht weiter kommen und sich wie in einer Sackgasse fühlen.
Story verliert den Faden
Die wenigen Rätsel sind unheimlich banal - es gibt keine Kopfnüsse. |
Zwar ist es schön, dass seine Polizeikollegen ab und zu darüber sprechen, aber er kann nie aktiv nachfragen, kann nie nachhaken – und das, obwohl er Leichen findet, denen man das Kürzel „BD“ mit Blut auf den Bauch geschmiert hat! Auch das Inspizieren dieser Frauen bietet keine Freiheit, denn man kann nur die Punkte des Körpers untersuchen, die vorgegeben sind. Das wird sehr anschaulich inszeniert, indem man ganz nah ran muss, Arme und Kopf in blutiger Großaufnahme drehen kann – sobald der Controller rumpelt, hat man etwas gefunden und kann näher ranzoomen, um fehlende Ringfinger oder Strangulierungsspuren zu finden. Aber auch das wiederholt sich immer wieder und nach der x-ten blutigen Leiche hat man sich daran gewöhnt. Es gelingt den Entwicklern nicht, die schwelende Monotonie zu durchbrechen.
Kraftlose Rückblicke in den Krieg
Das Highlight sind die Verhöre mit der lebendigen Mimik und der Suche nach Wahrheit. |
Immerhin trägt das Spiel diesen Zusatz nicht umsonst, aber dieser Stil scheint nur selten durch. Wo ist die Schwärze, wo ist das mysteriöse Dunkle, das z.B. so unheilvoll über allem in Max Payne schwebte? Warum zeigt man davon nichts, obwohl gerade diese Düsternis so wichtig sein kann für die Dramaturgie und den Helden? Wer es dunkler mag, darf immerhin einen Schwarzweißfilter nutzen. Die aktiven Ermittlungen fühlen sich eher an wie sterile Tatortbegehungen ohne doppelten Boden. Erst sehr spät gibt es auch mal Missionen bei Nacht oder Regen. Erst sehr später werden einige Überraschungen sichtbar und Perspektivwechsel möglich. Sehr schön, weil fast beiläufig, wird die Korruption der Zeit thematisiert: Selbst die Polizei lässt es sich gut und auch schon mal was mitgehen, wenn keiner hinschaut.
Monotone Ermittlungen
Man kann nie frei ermitteln, läuft immer nur Hinweisen hinterher. |
Das wäre überhaupt nicht schlimm, wenn diese spielerischen Elemente interessant, spannend und anspruchsvoll genug wären. Aber das sind sie nicht: Die Action ist dermaßen simpel, egal ob Schießereien oder Schlägereien oder Verfolgungen, dass man sie fast mit verbundenen Augen meistert. Und die wichtigere Ermittlungsarbeit, also das detektivische Kombinieren, Vergleichen, Ausschließen, Rätseln ist meist nicht mehr als ein lineares Kinderspiel auf Wimmelbild-Niveau – selbst mäßige Adventures verlangen mehr Gehirnschmalz und bieten mehr Deduktion.
Warum wird einem alles vorgekaut, warum muss man so selten logisch denken? Man muss tatsächlich in einem Auftragsbuch mit zwei Spalten voller Ziffern eine vierstellige Ziffer finden, die man in seinem Notizbuch hat – man bewegt den Finger bei mysteriöser Musik in die Spalte und gut. Man muss tatsächlich eine Kiste mit einem dreistelligen Code öffnen, indem man die drei Zahlen eingibt, die man in seinem Notizbuch hat. Man muss tatsächlich eine Erdkugel so verschieben, dass der mehrteilige (!) amerikanische Kontinent zu sehen ist. Man muss tatsächlich mehrmals an Wohnungseingängen den Namen in einem Labyrinth aus unglaublichen zwölf Schildern finden, der schon im Notizbuch steht. Sagt mal, liebe Entwickler von Team Bondi: Ist das ein Krimi für Grundschüler? Ich dachte, ihr wollt einen Thriller für Erwachsene machen? Aber was einem hier an Rätselqualität und Ermittlungsanspruch aufgetischt wird, ist erbärmlich. Und das geht mit der Action weiter.
Action ohne Anspruch
Die Schießereien können nicht überzeugen: zu leicht, zu belanglos. |
Hinzu kommen zwei Arten von Verfolgungsjagden: Zu Fuß und im Auto. Was hätte man da rausholen können! Ersteres ist aber an Einfachheit kaum zu unterbieten, denn man hält eine Taste für den Spurt gedrückt und die Kamera schwenkt tatsächlich automatisch (!) nach links oder rechts, wenn man den Flüchtenden um eine Ecke verfolgt, damit man ihn bloß nicht aus dem Auge verliert. Wie lächerlich ist das denn? Ich erwarte ja hier kein Mirror’s Edge mit Vollakrobatik, aber will bitte selbst lenken! Mir ist es vollkommen schleierhaft, dass man in den Optionen tatsächlich noch die Möglichkeit anbietet, alle Actionsequenzen nach x Fehlschlägen automatisch überspringen zu können. Wer soll denn da bitte scheitern?
Immerhin sind die Verfolgungsjagden im Auto etwas anspruchsvoller, aber auch sie werden einem einigermaßen geübten Spieler nur ein müdes Lächeln entlocken: Es gibt zwar ein optisches Schadensmodell und zig Typen vom sportlichen Zweisitzer bis zur trägen Limousine, aber die Fahrzeuge steuern sich wesentlich leichter und gleichförmiger als etwa in Grand Theft Auto IV. Meist gilt es, rechtzeitig die Kurve zu kriegen und an die Seite des Flüchtenden zu kommen, damit der Partner auf die Reifen schießen kann. Aber selbst wenn man das mal nicht schafft, wartet am Ende vielleicht irgendwo eine Straßensperre, die ihn aufhält.
Fazit
Hervorragende Mimik. Ausgezeichnete Stadtkulisse. Und so viele tolle Zahlen: 95 Fahrzeuge, 400 Charaktere, 2000 Seiten Drehbuch! Und wie oft habe ich gegähnt? 5000 mal! L.A. Noire hätte so viel mehr sein müssen als schön anzusehende Langeweile. Bei all der zeitgeschichtlichen Recherche haben die Entwickler die Dramaturgie und vor allem den Anspruch vergessen. Was ist das für eine lineare Banalität? Man würde viel lieber mit Spannung im Nacken ermitteln oder anspruchsvolle Kriminalrätsel lösen als nach spätestens vier Stunden immer wieder gelangweilt zu werden, weil der Hauptcharakter wie ein beliebiger CSI-Agent wirkt, weil sich das Spielprinzip in monotonen Schleifen wiederholt, weil es sowohl an der belanglosen Action (Faustkämpfe und Schießereien für Vollnoobs) als auch, und das wiegt viel schwerer, an der viel zu einfachen Adventure-Komponente scheitert. Hallo, wo sind Deduktion und Kombination? Da ist ja manches stocksteife Sherlock Holmes-Adventure von anno dazumal cleverer! Echte Rätsel gibt es nicht, knifflige Situationen haben Seltenheitswert und auch von Film noir ist erst sehr spät etwas zu merken. Die stilvolle Kulisse und vor allem die interessanten Verhöre mit ihren psychologischen Einschätzungen sorgen noch für guten Unterhaltungswert. Aber das sind zwei Highlights, für die man weder eine ebenso offene wie tote Welt noch Pseudo-Action gebraucht hätte. Die anfängliche Euphorie angesichts der grandiosen Mimik war angesichts des schwachen Spieldesigns schnell verflogen.
Pro
Kontra
Wertung
360
Ein zeitgeschichtliches Stillleben - schön anzusehen, aber mit monotonem Spielablauf.
PlayStation3
Tolle Mimik, klasse Kulisse, aber schwaches Spieldesign: Banale Action und Ermittlungen ohne Anspruch.
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