L.A. Noire16.11.2017, Jörg Luibl
L.A. Noire

Im Test: Babylon 1947

Obwohl sich L.A. Noire (ab 5,09€ bei kaufen) im Jahr 2011 knapp fünf Millionen mal verkaufte, gingen die australischen Entwickler von Team Bondi bald darauf pleite. Trotzdem zeigte sich Rockstar Games als Lizenzinhaber danach noch offen für eine Fortsetzung. Daraus wurde bekanntlich nichts, aber dafür wurde das überaus ansehnlich inszenierte, aber auf Dauer etwas eintönige Krimi-Abenteuer (Wertung: 74%) jetzt für aktuelle Konsolen modernisiert. Wie schlägt sich Detective Cole Phelps nach sechs Jahren und technischer Verjüngungskur auf PS4, One und Switch?

Der Fluch der Moderne

Egal ob ihr auf PS4, Xbox One oder Switch ins Jahr 1947 reisen wollt, um Verbrechern nachzujagen: Vor der Ankunft steht auch mit dem Erwerb einer Boxversion der verpflichtende Download - nach den zehn Gigabyte von der Disc warten noch mal dreizehn Gigabyte, die das Spiel dann endlich auf Version 1.1 aktualisieren. Muss so etwas bei einer Neuauflage ohne Multiplayer-Funktionen sein? Gerade für Switchbesitzer mit lediglich 32 Gigabyte internem Speicher ist eine zusätzliche MicroSD-Karte genauso unausweichlich wie der ohnehin schon höhere Preis: Hier zahlt man 50 statt 40 Euro.

Auch wenn man auf Switch die technisch schwächste Version bekommt, sie L.A. Noire gut aus (Switch).
Startet man daraufhin die Geschichte rund um den Aufstieg von Detective Cole Phelps, ist man zunächst überrascht, wie gut sich die Charaktere gehalten haben und wie angenehm entspannend die entschleunigte Inszenierung immer noch wirkt. Schon damals konnten vor allem die dank fortschrittlichem Motion Capturing eingefangenen Gesichter überzeugen - und das waren nicht ein dutzend, sondern mehrere hundert. Selbst wenn L.A. Noire hinsichtlich der Mimik und Gestik natürlich nicht mit Spielen à la Beyond: Two Souls, Hellblade oder Uncharted 4 mithalten kann, die ein fortschrittlicheres Motion Capturing verwenden, wirken die männlichen und weiblichen Darsteller auch heute noch natürlich und je nach Charakter sehr ausdrucksstark - und lassen damit so einige Figuren in manch aktuellem Spiel wie z.B. Elex klar hinter sich.

Von 720p bis 4K

Während der Ermittlung deutet eine Melodie an, dass man noch weitere Hinweise finden kann (PS4 Pro).
L.A. Noire läuft auf PS4, Xbox One und Switch in 1080p (im Handheld-Modus in 720p), auf PlayStation 4 Pro und Xbox One X wird 4K unterstützt. Auf Nintendos Konsole bekommt man die schwächste Version mit späterem Bildaufbau, etwas Tearing und Krümelschatten; außerdem sind die Filmsequenzen auf allen Systemen nicht optimal aufgelöst. Man merkt der Kulisse auch in gestochen scharfem Ultra HD die sechs vergangenen Jahre an: Zwar hat Rockstar hinsichtlich der Beleuchtung, der Wolken sowie der Texturen ordentlich poliert, alles läuft flüssig und sieht sauber aus. Aber ist man mit dem Streifenwagen oder zu Fuß unterwegs, wirken Straßen und Gassen im Vergleich zu aktuellen Spielen teilweise unbelebt, hinzu kommen recht steife Bewegungen, wenn man rennt oder kämpft.

Auch wenn Team Bondi den Geist der Zeit hinsichtlich der Mode, Geschäfte und Architektur überzeugend einfangen konnte, war die Stadt der Engel schon damals keine quirlige, sondern eine eher sterile Metropole. Trotzdem hat man auch heute noch das Gefühl, in einen Film der 40er abzutauchen und gleich Humphrey Bogart oder Greta Garbo zu begegnen. Nur darf man sich nicht täuschen lassen - L.A. Noire inszeniert keine Detektivschnulze, sondern einen Thriller für Erwachsene. Unter dem eleganten Zeitgeist verbergen sich Rassisten, Vergewaltiger, Psychopathen und Serienmörder, denen man in Episoden nachjagt, während die militärische Vergangenheit des Protagonisten in Rückblicken enthüllt wird.

Alle Zusatzinhalte auf allen Systemen

Auf allen Systemen sind die Zusatzfälle wie z.B. Reefer Madness, Nicholson Electroplating, The Consul's Car, The Naked City sowie A Slip of Tongue dabei, die auch schon vor sechs Jahren in der Complete Edition für PC enthalten waren. Wie gehabt bleibt es bei komplett englischer Sprachausgabe mit deutschen Untertiteln sowie Menüs. Man erlebt über knapp fünfzehn Stunden ein weitgehend linear konzipiertes Krimi-Abenteuer, das aufgrund der vielen Autofahrten in 90 fiktiven Limousinen samt freier Routen zwar an ein Grand Theft Auto 5 erinnert, aber kein Spielplatz in offener Welt ist. Leider erlebt man sowohl in den taktikfreien Faustkämpfen als auch hüftsteifen Schießereien banale Action, die man ebenso wie das monotone Fahren am liebsten überspringen würde, um endlich den nächsten Fall zu lösen. Aber das war damals gar nicht das größte Problem.

Die Schießereien und Faustkämpfe gehören nicht zu den Stärken des Spiels (PS4 Pro).
Dass L.A. Noire zwar solide unterhalten, aber nicht begeistern konnte, lag an den Defiziten des Spieldesigns. Denn bei all der zeitgeschichtlichen Recherche hatten die Entwickler vor allem den Anspruch vergessen: Was zu Beginn noch neugierig machte, weil man aktiv Spuren suchte, Verdächtige verhörte und Beweise untersuchte, wurde nach ein paar Stunden immer monotoner, weil sich all das wiederholte und man zu wenig gefordert wurde - es gab keinerlei nennenswerte Deduktion, Kombination oder gar Rätsel, eher eine geführte Schnitzeljagd.

Auf PS4 und One kann man Objekte übrigens per Anlogstick drehen, während man auf Switch die Joycons à la Move einsetzen kann - die Gestensteuerung klingt aktiver, ist aber nerviger; aufgrund der Ungenauigkeiten und Verzögerungen empfehlen wir daher das Gamepad. Besser gelungen ist die Touchscreen-Steuerung gerade im mobilen Betrieb: An einem Tatort kann man wie in einem klassischen Point&Click bequem per Wischen die Kamera positionieren oder Phelps per Fingertipper zu einer neuen Position bringen.

Psychologische Verhöre

Das Highlight des Krimi-Abenteuers sind die Verhöre, in denen man sein Gegenüber beobachten muss (PS4 Pro).
Was die Motivation auch heute aufrecht erhält, ist das aktive Verhören, das die Beobachtung zum zentralen Erlebnis macht. Wie funktioniert das? Das Ganze läuft ohne Zeitdruck wie etwa in Alpha Protocol oder situative Spannung à la Heavy Rain ab, so dass man ganz in Ruhe die Mimik eines Verdächtigen studieren kann, um ihn einzuschätzen. Man hat also genug Muße, um seine Menschenkenntnis unter Beweis zu stellen – man kann z.B. in seinen Notizen nachsehen und über den rechten Analogstick plötzlich sein Gegenüber taxieren, das vielleicht in diesem Moment blinzelt. Ein Hinweis auf eine Lüge? Schätzt man einen Verdächtigen richtig ein, kann man ihm vielleicht weitere Details zum Fall entlocken. Wer ihn beschuldigt, muss allerdings einen Beweis aus seinem Notizbuch vorlegen – z.B. die Aussage eines Zeugen oder einen Gegenstand.

Zwar wirkten dieses Situationen vor allem aufgrund der stark begrenzten Fragemöglichkeiten manchmal etwas künstlich, außerdem wiederholten sich die Lösungsansätze sowie das verräterische Blinzeln zu oft, aber es war ein kreativer Schritt hin zu emotionaler und psychologischer Gesprächsführung, der immer noch fasziniert. Apropos Dialoge: Rockstar hat die drei möglichen Fragen getauscht, um Phelps als Charakter gerechter zu werden, der sich angeblich in einen rasenden Psychopathen verwandelte, wenn er sein Gegenüber zu oft anzweifelte. Ehrlich gesagt ist mir das damals nicht so extrem vorgekommen, zumal Phelps aufgrund seiner Zeit im Krieg durchaus plausible manische Züge zeigen konnte. Aber wie auch immer: Hatte man damals immer die Wahl zwischen "Wahrheit", "Anzweifeln" oder "Lüge", muss man sich jetzt zwischen "Guter Cop", "Böser Cop" und "Beschuldigen" entscheiden. Das klingt jetzt rheotorisch plumper und wirkt sich nicht spielentscheidend aus.

Keine spielmechanische Entwicklung

Man kann Objekte aufnehmen, drehen und genauer untersuchen - auf Switch auch aktiv mit den Joycons (PS4 Pro).
Am Ende jedes Falls bekommt man weiter eine spielerisch irrelevante Wertung von bis zu fünf Sternen, die bloß Outfits oder Fahrzeuge freischaltet - all das hat leider keinen Einfluss auf die eigene Karriere im Dezernat oder auf das Lob des Chefs. Hinzu kommen  lediglich so genannte "Intuitionspunkte", mit denen man wie bei einem Quiz eine falsche Antwort streichen oder sich alle Beweise an einem Tatort anzeigen lassen kann - quasi wie Hot Spots in einem Adventure.

Obwohl man ständig im Rang aufsteigt und viel zu viel überflüssige Intuitionspunkte sammelt, hat man schon nach zwei, drei Stunden alles gesehen und alles erlernt, was man in Los Angeles machen kann. Schade, dass man diese Karriere nicht so abwechslungsreich inszenieren konnte, dass man mit dem Wechsel in ein neues Dezernat auch mal neue Polizei- oder Ermittlungstechniken erlernte; oder meinetwegen neue Möglichkeiten in der Beweisanalyse oder Verhörmethode. So wendete man viel zu früh immer dieselben Methoden an, öffnete zig Handtaschen und Wohnungen, klapperte immer dieselben Routinen ab, egal ob auf Adventure- oder Actionseite. Das wäre überhaupt nicht schlimm, wenn diese spielerischen Elemente interessant, spannend und anspruchsvoll genug gewesen wären. So kann man sich in L.A. Noire zwar immer wieder gemütlich einem Fall widmen, braucht aber zwischendurch längere Pausen, um aufgrund der Wiederholungen wieder motiviert zu sein.

Fazit

Es ist schon erstaunlich, wie gut sich L.A. Noire gehalten hat. Selbst nach sechs Jahren können die Charaktere aufgrund ihrer Mimik überzeugen, außerdem wirkt dieses Los Angeles trotz steriler Abschnitte immer noch wie eine elegante Filmkulisse, in der einem gleich Greta Garbo zuwinken könnte. Rockstar hat dieses Krimi-Abenteuer sehr gewissenhaft poliert, so dass es sowohl auf Switch als auch PS4 Pro und Xbox One X auch im Jahr 2017 ein ansehnliches ist. Und vor allem die psychologischen Einschätzungen der Verdächtigen bleiben das kreative Highlight - dass man die drei Fragen aufgrund einer besseren Charakterzeichnung des Helden abgewandelt hat, kann ich zwar nicht verstehen, aber es fällt weder positiv noch negativ auf. Es bleibt jedoch bei den klaren Defiziten, die sich nicht nur in 08/15-Faustkämpfen sowie banalen Schussgefechten, sondern vor allem in einer spielmechanische Monotonie sowie dem fehlende Anspruch in den Ermittlungen zeigen. Hat man die ersten Fälle noch mit gewisser Neugier gelöst, macht sich aufgrund immer gleicher Abläufe zu schnell Langeweile breit. Echte Rätsel gibt es nicht, knifflige Situationen haben Seltenheitswert, man vermisst eine spielmechanische Entwicklung in der Karriere und auch von Film noir ist erst sehr spät etwas zu merken. Die stilvolle Kulisse und die interessanten Verhöre mit ihren psychologischen Einschätzungen sorgen aber für soliden Unterhaltungswert, so dass man immer mal wieder einem Mord nachgehen kann. Darüber hinaus wird im Dezember übrigens L.A. Noire: The VR Case Files für HTC Vive erscheinen, das aus sieben ausgewählten und speziell für VR überarbeiteten Fällen besteht.

Pro

klasse Schauspieler
lebendige Mimik
glaubwürdige Dialoge
tolle Verhörsituationen
sehr gute Zwischensequenzen
authentisches Los Angeles der 40er
Autofahrten überspringbar
Unfälle mit Schadensmodell
Schwarzweiß-Filter aktivierbar
frei absolvierbare Nebenmissionen
Hilfen (Rumble, Melodie) abschaltbar
freischaltbare Outfits & Fahrzeuge
alle DLC sind enthalten (Switch, PS4, One)
gute mobile Touchsteuerung (Switch)
unterstützt 4K-Auflösungen (PS4 Pro, One X)

Kontra

monotoner Spielablauf
schwache Dramaturgie
Story verliert zu oft den Faden
Hauptcharakter bleibt zu lange blass
zu wenig Film-noir-Atmosphäre
leblose Riesenstadt ohne Interaktionen
keine Detektiventwicklung, banales Rangsystem
kaum Ermittlungs-Anspruch, keine Indizien-Analyse
unheimlich simple Faustkämpfe
nervig langatmiges Brief/Textlesen
viel zu leichte Schießereien
nur einfachste Rätsel
keine Radiosender wählbar
keine deutsche Sprachausgabe
Tearing, Pop-ups, Krümelschatten (Switch)
viel zu träge Joycon-Gesten-Steuerung (Switch)
Filme nicht optimal aufgelöst (PS4, One, Switch)

Wertung

Switch

Ein zeitgeschichtliches Stillleben - schön anzusehen, aber mit monotonem Spielablauf. Die technisch schwächste Version, aber dafür mit intuitiver mobiler Touchsteuerung.

XboxOne

Auch sechs Jahre nach der Premiere noch schön anzusehen und mit interessanten Verhören, aber auch mit monotonem Spielablauf und ohne investigativen Anspruch.

PlayStation4

Auch sechs Jahre nach der Premiere noch schön anzusehen und mit interessanten Verhören, aber auch mit monotonem Spielablauf und ohne investigativen Anspruch.

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