Tomb Raider: Underworld21.11.2008, Jörg Luibl
Tomb Raider: Underworld

Im Test:

Nervenkitzel beim Absprung. Spannung hinter der Ecke. Panik unter Wasser. Das, was Lara Croft ehemals auszeichnete, hatte weniger mit ihren körperlichen, sondern viel mehr mit Erkundungsreizen und akrobatischen Herausforderungen zu tun. Es war quasi ein dreidimensionales Jump'n Run mit Indiana Jones-Flair. Es war ein Abenteuer, das Schatzsucherinstinkte wecken und eine mysteriöse Stimmung verbreiten konnte. Diese faszinierende Mischung ist eigentlich eine zeitlose und sollte auch 2008 begeistern. Aber das tut sie nicht.

Der beste Moment

Auch wenn das Video noch hoffen lässt: Vom Glanz früherer Zeiten, der nur einmal im Remake namens Anniversary (4P-Wertung: 81%) aufblitzte, ist in Underworld nicht viel zu spüren.Ich habe einige halsbrecherische Sprünge hinter mir, habe Druckplatten scheinbar intelligent beschwert und ein Lichträtsel so clever gelöst, dass die Heiligen im bunten Mosaik genau umschattet werden. Die Belohnung: Es macht Klick, irgendetwas rastet ein und ein geheimer Mechanismus malmt. Die schweren Torflügel öffnen sich - endlich! Jetzt komme ich also nach getaner Akrobatik und Rätselarbeit weiter... aber was ist das? Die Torflügel schließen sich schon wieder! Mist, jetzt muss ich schnell sein: Die Säule hinauf klettern, von dort mit dem Kletterhaken auf den Ring zielen, dann hoffentlich am Seil rechtzeitig durch den schmalen Spalt schwingen. Ob's klappt? Ja, geschafft! Ein schöner Moment. Durchatmen.

Wenn es doch nur öfter so gewesen wäre zwischen Mittelmeer und Nordpol. Tomb Raider: Underworld (ab 4,33€ bei kaufen) (TU) hätte an die Faszination alter Zeiten anknüpfen können, wenn es sich auf eindringliche Szenen wie diese konzentriert und das Spielerlebnis abwechslungsreich verfeinert hätte. Und damit meine ich nicht den neuen Kletterhaken, der zum Schwingen und Niederreißen von Hindernissen geeignet ist, ein paar zusätzliche Bewegungen oder den Fahrzeugeinsatz. Ich meine

Die Flammen lodern im Einstieg auf dem PC in 1900 x 1200 bei vollen Textur- und Schattendetails sowie 4-fach Antialising. Leider macht es Lara manchmal nichts aus, wenn sie mitten im Feuer steht. (PC)
Tempo, Dramatik und Herzschlagmomente wie diesen, der für einen Augenblick an die Spannung erinnern konnte, die mich anno 1996 noch mit Lara und heute z.B. mit Faith in Mirror's Edge  begleitet. Das hier war eine von zwei (!) erwähnenswerten Situationen nach knapp sechs von insg. zehn Stunden - eine weitere spannende erlebt ihr, wenn ihr ganz zu Beginn von einem sinkenden Frachter flüchten müsst. Bis es danach wieder knistert, seid ihr schon im finalen Kapitel der Arktis unterwegs.

Ein seltsamer Rückschritt

Ja, es gibt Höhepunkte. Viel zu oft dominieren jedoch Routine, Langweile und Oberflächlichkeit das Spielerlebnis. Gerade klettert man noch in atemberaubender Kulisse und will dieses Abenteuer nicht nur grafisch, sondern auch inhaltlich genießen, da wird man schon wieder auf den Boden der stupiden Spieldesigntatsachen geschmettert. Warum macht ein Spiel, das in Tomb Raider: Legend (TL) schon auf einem guten Weg war, jetzt einen Rückschritt? Und das, obwohl es vielleicht im direkten handwerklichen Vergleich besser als Legend ist? Zum einen fließen Eindrücke von anderen Spielen ein, die innerhalb der letzten zwei Jahre erschienen sind und Duftmarken hinterlassen haben, mit denen Lara umgehen muss.

Der große Onkel Shiva lässt grüßen: In Thailand kraxelt Lara vor beeindruckender Kulisse. (360)
Ich denke vor allem an Uncharted: Drakes Schicksal , an Prince of Persia und im weitesten Sinne auch Assassin's Creed  und sogar an das bereits erwähnte an Mirror's Edge. Aber zum anderen, und das ist viel wichtiger, ist der Eindruck dieses Abenteuers zum jetzigen Zeitpunkt entscheidend. Und genau diese Erfahrung enttäuscht, wenn man nach der guten Vorlage vielleicht auf eine sehr gute Entwicklung gehofft hatte, die Tomb Raider vielleicht sogar wieder zu einem Hit gemacht hätte - davon ist man jetzt wieder so weit entfernt wie zu Angel of Darkness-Zeiten.

Wenn ich daran denke, dass die verantwortlichen Entwickler von Crystal Dynamics mit Soul Reaver eine meiner Lieblingsserien auf der PlayStation 2 entwickelt haben, die mich vor allem aufgrund ihrer atmosphärischen Dichte gefesselt hat, dann kann ich angesichts der folgenden zwölf Spaßbremsen nur mit dem Kopf schütteln. Es ist die Summe an Schnitzern, die viel zu schnell und offensichtlich hinter einer verdammt prächtigen Kulisse zum Vorschein kommen.                               

Spaßbremse I: Der Einstieg

Mal abgesehen vom sterilen Kreismenüdesign mit seinen lieblosen Icons und Waffenmodellen, das mich nicht gerade zum Stöbern animiert: Oberflächlich ist schon die Art und Weise, wie die ersten Minuten dieses Abenteuers eingeleitet werden -

Egal ob PC, 360 oder PS3 - Tomb Raider: Underworld macht - bis auf die sterilen Menüs - auf allen Systemen einen sehr guten grafischen Eindruck. Auf dem Rechner wird das 360-Gamepad sofort erkannt und die Steuerung lässt sich frei belegen. (PC)
nämlich gar nicht. Ein Haus brennt, Lara muss fliehen, wird von einem ihrer Freunde angegriffen, das war's. Neugier wird hier lediglich durch die Fragen geweckt, warum Lara an einigen Stellen einfach so ohne Verletzung in den Flammen stehen kann und warum der Freund die Waffe auf sie richtete. Aber worum geht es in diesem Abenteuer? Was soll das Gerede von Avalon und keltischen Unterwelten? Was ist überhaupt mit Laras Mutter passiert?

Das Spiel setzt bekanntlich als Nachfolger von TL eine mythologische Story fort, die mit einem bösen Cliffhanger endete. Man wurde nach Beendigung des Spiels mit vielen Fragen zurückgelassen. Aber anstatt einen bisher unvollendeten erzählerischen Faden in Form eines aufklärenden Intros oder Dialogs aufzunehmen, um mich wieder auf das Abenteuer einzustimmen, verweisen die Entwickler nach zwei (!) Jahren Wartezeit einfach auf die Rubrik Extras und Videos. Dort könne man erfahren, was bisher geschah. Ich muss also erst mal selber dafür sorgen, dass ich überhaupt weiß, worum es geht?

Spaßbremse II: Hanebüchene Story

Wenn man Lost gesehen hat, dann weiß man, wie stimmungsvoll gut geschnittene Einleitungen als knackige Nacherzählung sein können. Aber Schwamm drüber, denn die Story rund um nordische Artefakte, die man seltsamer Weise überall auf der Welt vom Mittelmeer über Thailand bis Mexiko finden muss, ist so seicht und konstruiert, dass man sie auch ohne stimmungsvolle Einleitung schnell durchschaut - die Kurzform: Lara sucht Thors Handschuhe, seinen Gürtel und den Hammer, um etwas Großes damit zu zermalmen. Dass die nordischen Wurzeln dieser Story hier mit Klischees vom Hörnerhelm und fehlender Detailrecherche leben muss, überrascht nicht weiter. Und dass Thors Hammer lang- statt kurzstielig dargestellt wird, ist im Gegensatz zur fehlenden Erzählqualität auch nicht wertungsrelevant.

Wer hier nur den Hauch von interessanten mythologischen Bezügen oder wenigstens so etwas wie einigermaßen nachvollziehbaren Plot vermutet, sollte sofort auf Dan Brown für Arme umschalten: Diese Story ist einfach hanebüchen an den Haaren herbei gezogen, um Schauplätze in aller Welt zu legitimieren. Avalon, Helheim, Niflheim - alles verschwimmt zu einem mysteriösen Brei. Laras Vater, Laras Opa, Laras Doppelgängerin - alles wird irgendwie montiert. Jetzt könnte man

Das schlechteste Actionerlebnis bekommt ihr auf einem Frachter: Mit 08/15-Kampfmechanik und strunzdummen Gegnern ballert sich Lara wie Rambos Schwester durch das schmucklose Schiff. (360)
selbst dieser Form der Erzählung noch eine gewisse Tiefe und einen Zusammenhalt geben, wenn man die uralte Universalmythologie, die ja allem zugrunde liegen soll, wenigstens über Gegenstände, Artefakte, Dialoge oder Ruinendeutung irgendwie plausibel machen würde. Erich von Däniken kann so etwas ganz gut. Crystal Dynamics verpasst diese Chance, denn die Überbleibsel vergangener Kulturen werden nicht in die Erzählung mit einbezogen. Und Lara stampft wie ein plumper Grabräuberelefant alles zerdeppernd durch Ruinen. Das fühlt sich dann so an...

Spaßbremse III: Schätze finden

Ich finde einen Schatz. Er sieht aus wie ein komisches Vieleck. Leider kann ich mir das Objekt nicht näher anschauen. Es gibt kein 3D-Modell zum Drehen und Zoomen. Ich finde einen zweiten Schatz. Sieht aus wie ein komisches Vieleck. Leider kann ich mir den auch nicht näher anschauen. Irgendwann finde ich einen dritten Schatz. Ich kann insgesamt dreißig dieser tollen Schätze finden. Sie sehen alle gleich aus, werden alle gleich, nämlich gar nicht, beschrieben und landen alle ohne Grafik als anonyme Ziffer in meinem Inventar. Ist das nicht toll, wenn da steht, dass man 3/30 Schätzen gefunden hat? Ist das nicht so faszinierend, dass man die restlichen 27 auch noch suchen will? Und das war erst ein Schauplatz. Wer weiß, wie viele Zahlen man in Mexiko finden kann! Ich glaube, es sind sogar 50.

Spaßbremse IV: Vasen kicken

Unterirdisch geht es prächtig und monumental zu. Ihr müsst einige Schalter-, Schiebe- und Lichträtsel lösen, um Mechanismen in Gang zu bringen. (PC)
Ich entdecke einen uralten unterirdischen Tempel. Auf dem Weg nach unten begegnen mir herrlich plastische Felsen, auf denen die Feuchtigkeit glänzt. Und meine Taschenlampe lässt wunderbare Schatten an der Wand tanzen. Unten angekommen entdecke ich uralte Vasen und Amphoren. Leider kann ich mir sie nicht näher anschauen. Ich bekomme auch keinen Hinweis von der fachkundigen Frau, die ich spiele. Aber ich kann kicken. Ich kann Vasen, die laut Story seit tausenden Jahren in Thailands Tiefe unbeschadet überstanden haben, einfach so zerstören. Ist diese Form der Interaktivität im Jahr 2008 nicht toll? Erst eine Vase. Dann zwei Vasen. Dann kommt die dritte und hui: Da ist ein Schatz drin! Sieht aus wie ein komisches Vieleck. Leider kann ich mir das auch nicht näher anschauen. Aber es gibt noch so viel zu zertreten - irgendwann ist sicher auch dieser eine Schatz dabei, dessen Entdeckung tatsächlich so etwas wie Freude bereitet. Und falls nicht: Es wird doch wohl ein Vasen-Bruce Lee-Achievement geben, oder?

Obwohl mich nach drei Schauplätzen eine gewisse Angst beschleicht: Ob sich die Artdesigner von Crystal Dynamics vielleicht

Das ist tatsächlich alles, was als Schatz präsentiert wird - und zwar in allen Regionen: Ein lieblos designtes Vieleck, das in einer sterilen Statistik nur eine weitere Nummer ist. (PC)
auch Vielecke zu Weihnachten schenken? Und zum Geburtstag? Und zur Hochzeit? Ob sich die Entwickler dieses grenzdebilen Systems denken, dass Spieler heute alles einfach so idiotisch sammeln wollen? Dann sollten sie in einem Action-Adventure dieser Tradition wenigstens die rudimentären Sammelreize entfachen, die selbst ein Online-Rollenspiel wie World of WarCraft entfachen kann. Oder schaut euch doch mal ein Legend of Zelda an, wie dort das Öffnen einer Kiste inszeniert wird! Schaut euch ein Mario  an, wie dort das Einsammeln eines Sterns zelebriert wird! Es kann doch nicht wahr sein, dass man in einem Spiel, wo es um uralte Gräber und Mythen geht, so lieblos in Sachen Schatzsuche abserviert wird - als würde man irgendwo gewöhnliche Pilze einsammeln. In Uncharted habe ich diese Mechanik schon kritisiert, aber da gab es wenigstens ansehnliche und unterschiedliche 3D-Modelle von Münzen, Krügen oder Schmuck im Stil der südamerikanischen Kulturen. Hier finde ich vom Mittelmeer bis zum Nordpol denselben nichtssagenden und lieblos dahin geklatschten Kram.                 

Spaßbremse V: Tiere klatschen

Auch in düsteren Grüften ist Lara unterwegs. Leider begegnet sie hier denselben Spinnen und sonstigem Kanonenfutter wie in anderen Schauplätzen. Die Kämpfe bleiben anspruchslos. (360)
Ich komme aus dem unterirdischen Tempel raus und pirsche durch eine faszinierende Ruinenlandschaft mit überwucherten Mauern und wild wachsenden Moosen. Sieht trotz so mancher flackernder Schatten wirklich klasse aus, fast wie in Uncharted. Komisch nur, dass ich manchmal auf hüfthohe Mauern klettern darf und manchmal nicht. Dann erscheint ein Königstiger - das sind diese majestätischen Raubkatzen, die am liebsten schwer bewaffnete Grabräuberinnen anfallen. Aber ich bin ja eine wehrhafte Frau und schieß den Tiger nieder. Geht ganz einfach, denn er lässt sich mit einem Stakkato aus Salti und Hüpfern umspringen. Dann baller ich den zweiten Tiger nieder. Dann baller ich den dritten Tiger nieder. Dann den vierten. Wäre es nicht eventuell spannender gewesen, wenn man einen dieser Tiger in einer Szene schleichend und fauchend gezeigt, dann im Dickicht verschwinden und später wieder hätte auftauchen lassen?

Die lautlosen Jäger laufen mir einfach so wie blöde Bots vor die Flinte. Lieblos. Dahingeklatscht. Irgendwann kommen auch Echsen und schwarze Panther in derselben stupiden Art und Weise auf mich zu. Und damit das Ganze nicht zu eintönig wird, schieße ich dutzendfach Fledermäuse und Spinnen ab. Die kann man auch abschütteln, weil sie so gefährlich sind. Oder zertreten. Dass man dann tatsächlich denselben Spinnenmodellen in Amerika begegnet wie in der europäischen Gruft, zeugt von erstaunlichem Fleiß und Einfallsreichtum auf Monsterdesignseite.

Obwohl ich mich irgendwann frage, warum ich überhaupt von Anfang an so viele Waffen habe? Schrotflinte, Maschinenpistolen, Sturmgewehr, Handgranaten, Harpune, Betäubungspistole und normale Pistolen. Hätte man da nicht eine Entwicklung in Form der Aufrüstung oder eine Spezialisierung anbieten können? Ist Lara bei der US Army oder eine Art stilvolle Privatermittlerin? Obwohl, warum auch? Ich kann ja mit den Pistolen schon auf dem zweiten der drei Schwierigkeitsgrade alles ohne Probleme wegschießen, wenn ich nur wild um meinen Feind herum hüpfe. Dank automatischer Zielfixierung und nicht vorhandener KI kann ich auch die Augen zu machen und die Feuertaste malträtieren. Okay, manchmal werde ich getroffen und schmeiße ein Medipack ein - aber man kann den Anspruch ja im Menü noch weiter runter schrauben.

Spaßbremse VI: Akrobatik ohne Nervenkitzel

Am besten ist Lara in den Momenten, in denen sie schwingt, hangelt und erkundet. Aber beim Klettern muss es auch öfter mal den Zwang zu Trial&Error mit Fehlschlägen geben - davon gibt es hier einige, aber unterm Strich noch viel zu wenige. Warum hat man so ein vorbildliches Autospeichersystem, wenn man kaum stirbt? Mir fehlen zwischendurch auch Überraschungen wie bröckelnde Simse oder wirklich lebensgefährliche Fallen, Verfolgungen, Zeitlimits oder wenigstens fordernde Gegner. Ja, es gibt elegante Akrobatik und einige interessante Rätsel, die das Spiel letztlich in den befriedigenden Bereich retten. Aber alles in einem gemächlichen Tempo, auf einem durchschnittlichen Niveau, so dass irgendwann alles zur Routine wird.

Das Klettern, Hangeln und Schwingen macht durchaus Spaß, aber ist wenig fordernd - Lara findet fast immer den sicheren Halt. (PC)
Lara wirkt etwas schlanker und sportiver als in Legend und beherrscht ein ansehnliches Repertoire an Bewegungen: Man kann das seitliche Hangeln an Simsen wie gehabt beschleunigen, man muss beim Balancieren auf Stangen klug gegen steuern und wenn der Wurfhaken einmal sitzt, kann man sich am Seil über Abgründe schwingen oder an Wänden hinab gleiten. Crystal Dynamics hat immerhin auf grell aufleuchtende Kanten für Blinde verzichtet, es gibt nur noch leicht hellere Stellen im Wand- und Mauerwerk. Ansonsten warten dieselben Komfortmechanismen wie im Vorgänger: Wenn Lara den Halt verliert, leuchtet ein Rettungsknopf immer noch zu lange auf, den man drücken muss, wenn es nicht bergab gehen soll. Das Klettern läuft genau so einfach und intuitiv wie bisher: Lara kann hier und da auch an Ranken oder kleinen Mauervorsprüngen wie eine Spinne irgendwo hinauf kraxeln, meistert sogar multiple Wandsprünge in engen Nischen und hält sich automatisch fest, wenn man einen Abgrund übersieht. Falls jemand mit Klettern Nervenkitzel verbindet, sollte er besser Mirror's Edge spielen.

Ja, man muss auch mal sehr knappe Sprünge meistern, aber wenn man einmal die helleren Simse ausgemacht und die nahezu immer passenden Abstände erkannt hat, kann man quasi blind all das erreichen, was zunächst halsbrecherisch aussieht. Immerhin hat Lara auch einen etwas kniffligeren Sprung drauf, der sie mit gutem Timing selbst auf Din A4-große Felsenstäbe bringt - inklusive zittriger Haltsuche vor dem Abgrund. In diesen Augenblicken macht sie eine hervorragende

Auch wenn Lara elegant klettert und balanciert: Man vermisst den Nervenkitzel in der Höhe. (PS3)
Figur, aber selbst diese Sprünge lassen sich später fast im Schlaf meistern. Die Motivation entsteht eher durch die angenehme Offenheit der teilweise verschachtelten Schauplätze, in denen man tatsächlich die Orientierung verlieren kann - selbst die umständliche zu bedienende Sonarkarte hilft dann manchmal nicht weiter. Gerade in Mexiko freut man sich jedenfalls darüber, dass mehrere Orte abseits des Haupttempels besucht werden müssen. Aber kaum hat man sich gefreut, bekommt man ein Motorrad.

Spaßbremse VII: Fahrsequenzen

Ein Paradebeispiel für die Belanglosigkeit und Anspruchslosigkeit des Spiels sind die Fahrsequenzen: Mal abgesehen davon, dass die schweren Reifen keine Spuren im mexikanischen Matsch hinterlassen, dass mich die Kollisionsabfrage selbst Frontalzusammenstöße überleben lässt, dass es auf 360 und PS3 ruckelt und dass man spektakuläre Donuts auf schrägen Steintreppen (!) hinlegen kann, bekommt man auf dem Bike nicht mal Arcade-Rasanz.

Wenn schon kein Realismus, was in diesem Abenteuer nach ein paar Stunden verständlich ist, dann bitte etwas Geschwindigkeitsrausch auf fiktivem Niveau! Das, was einem da an Sprungschanzen im Dschungel serviert wird, lädt hingegen zum Gähnen ein - selbst MX vs. ATV ist großes Racingkino dagegen. Es gibt keine Verfolgungsjagden, keine halsbrecherischen Manöver, sondern eine Art Zweiradflipper mit Grünzeug drumherum. Und wieder können lediglich die ansehnlichen Sprünge in Höhlen für touristische Reize sorgen; jedenfalls für einen kurzen Moment.             

Spaßbremse VIII: Gegnerverhalten

Mit dem neuen Kletterhaken kann Lara schwere Türen aufreißen oder Statuen umwerfen. (360)
Wenn Lara dann auf dem Motorrad ihre Pistolen zückt, um Panther erst stupide zu überfahren und dann umzunieten oder einen ganzen Haufen Schurken, die auf erhöhter Position (!) auf sie warten, von unten nieder zu machen, während sie sich einfach blöd mit der Maschine im Kreis dreht, dann erinnert das an die Steinzeit der Action. Warum werfen die Jungs keine Granate runter? Wieso versucht niemand, die Reifen der Maschine zu beschießen? Weshalb schießen zwei von diesen Schurken selbst dann nicht zurück, wenn ich schon zwei andere von ihnen kalt gemacht habe? Und warum dreht sich eine Wache nach diesem Feuergefecht wie eine Puppe im Kreis, immer wieder - sucht er einen Weg nach unten? Ein Bug?

All das erinnert an das katastrophale Level zu Beginn, wo Lara bei helllichtem Tag wie Rambos Schwester einen Frachter mit voll bewaffneter Besatzung aufreibt. Man hat sich nicht mal die Mühe gemacht, die Szene logisch nachvollziehbar aufzubauen. Die Luxusyacht der Archäologin schippert direkt neben dem feindlichen Schiff im Meer, ohne dass die Gangster sie besetzen, kapern oder zerstören würden, und kurz darauf klettert Lara auch schon an Bord des Frachters. Wachen? Gibt es nicht. Alarm bei Sichtkontakt? Auch nicht. Und kaum hat die Lady festen Boden unter den Füßen, ballert sie sich wie der Duke zum Boss der Gangster durch und baut dabei Adrenalin auf, um auch in Zeitlupe loszulegen - was sie gar nicht braucht.

Mal abgesehen davon, dass die Dame hier gerade zum primitiven Killer mutiert und damit als glaubhafter Charakter vor die Säue geworfen wird: Diese Shooterpassage wird einfach billig und anspruchslos inszeniert, denn es kommen immer dieselben Matrosenklone in ihrer identischen Kluft ins Fadenkreuz; man wechselt mal eben zwischen Schrotflinte, Sturmgewehr, Uzi und Granate und ballert einfach alles mit automatischer Zielfixierung weg, was einem da auf dem Frachter in suizidfreudiger Dummheit an Klongangstern entgegen kommt. Dieses Copy&Paste-Oberflächlichkeit beginnt bei den Schätzen und zieht sich weiter von Tier bis Mensch.

Warum Lara überhaupt eine Betäubungspistole mit sich führt, bleibt das Geheimnis der Entwickler. Sie kann quasi alles ohne Schwierigkeit mit ihren Pistolen ins Jenseits befördern. (PC)
Die Action ist eine Farce. Die KI ist eine Farce. Das Figurenverhalten ist mangelhaft. Wenn ich das mit der dynamischen Action in Uncharted vergleiche, ist das hier einfach 08/15-Shooter-Steinzeit. Sobald Lara eine Waffe zieht und Gas gibt, sollte man die letzten zwei Jahre der Spiele-Entwicklung aus seinem Gedächtnis streichen - das ist billigste und anspruchsloseste Action. Ich frage mich wirklich, wieso die Entwickler über die Adrenalinanzeige noch zu Kopfschüssen animieren wollen oder warum es eine Betäubungspistole gibt - das ist alles so nötig wie ein Tagebuch in einem Rennspiel.

Spaßbremse IX: Antagonisten ex machina

Fassen wir zusammen: Lara ist immer dann gut, wenn sie den Mund hält, die Fahrzeuge stehen und die Waffen schweigen lässt. Zwischendurch herrscht zumeist monumental ansehnliche Langeweile, durchsetzt von stupiden Ballereien, die nur aufgrund ihrer touristischen Reize dazu animiert, die Augen überhaupt offen zu halten. Das Team von Crystal Dynamics kann weder eine inhaltliche Dramaturgie über geschickt aufgebaute Antagonisten noch über überraschende Wendungen aufbauen. Die Charaktere, die Teil der Story sind, sprengen sich entweder selbst in die Luft oder tauchen plötzlich auf. Sie sind einfach da oder weg - basta.

Das fängt schon auf dem Frachter an: Was macht der Anführer der Schurken auf seinem eigenen Schiff? Nein, es gibt keinen spannenden Zweikampf mit Lara, sondern er schießt in selbstmörderischer Dummheit auf ein rot markiertes Fass mit entflammbarem Inhalt, um sein eigenes Schiff zu versenken und sich zu töten. Wenn man keine Antagonisten aufbauen kann, dann richtet man sie einfach selber hin.

Ich verlange ja keine klassischen Bosskämpfe, aber viele Titel haben in den letzten Jahren gezeigt, wie man Feindschaften und Rivalitäten selbst in Actionspielen langsam entwickeln kann - und Crystal Dynamics hat es ja selbst in Soul Reaver vorgemacht. Warum bekomme ich hier noch nicht mal die Popcornreize eines B-Movies? Wenn eine Figur wie Lara nicht wichtig genug für Dramaturgie ist, wer dann? Der regionale Schauplatzwechsel ist letztlich das einzige, was für Abwechslung und Neugier sorgt.

Spaßbremse X: Repetitives Rätseldesign

Auch unter Wasser wird gekämpft und gerätselt, aber alles ohne Panik im Nacken: Lara hat fast immer ausreichend Luft. (PC)
Es bleibt lediglich die Kulisse, die auf den ersten Blick fasziniert. Das erste Erkunden ist optisch ein Genuss: Wenn beim Joggen durch hüfthohe Gräser plötzlich bunte Papageien aufgescheucht werden und elegant in eine Schlucht mit glitzerndem Meer segeln, kommt Freude auf. Dieses Spiel sieht auf allen Plattformen richtig klasse aus, bietet ähnliche Panoramablicke wie Uncharted. Und wenn Lara wie ein Delphin taucht, wenn sie wie ein Affe an Simsen kauert und in den Katakomben mit dem Schein ihrer Taschenlampe die Schatten tanzen lässt, dann fühlt sich das nicht nur gut an, sondern sieht auch richtig gut aus. Aber Kulisse alleine kann keine Spannung erzeugen.

Das Prinzip des Leveldesigns ist fast immer dasselbe und damit werden auch die monumentalen, in ihrem Kern interessanten Rätsel entwertet. Man hat das Gefühl, die Entwickler hätten eine Schablone für alle Herausforderungen angesetzt. Um ein zentrales Monster zu besiegen, Artefakt zu aktivieren oder Tor zu öffnen, muss man zunächst die linke und dann die rechte Seite eines Schauplatzes erklettern - und zwar so lange, bis man auf einer Seite über Sprung und Gehangel an den betreffenden Apparat, Hebel oder Mechanismus gelangt, der einen Teil der zentralen Lösung darstellt. Danach muss man die andere Seite erklettern. Das fängt unter Wasser im Mittelmeer so an und geht bis Mexiko genau so weiter. Meist öffnet sich dann ein unterirdischer Zugang. Unter Tage wird dieses dreiteilige Prinzip dann sogar fortgesetzt, nur dass es da meist um Druckplatten geht. Hätte man nicht an einer Stelle mal etwas Abwechslung in das Rätseldesign bringen können? Man freut sich ja schon, wenn es tatsächlich mal darum geht, etwas aus dem Inventar zu benutzen.

            

Spaßbremse XI: Archäologin ohne Stil

Auch im Regen seid ihr unterwegs. Unten lauern zwei schwarze Panther in Mexiko, die sich wie Schlachtvieh abschießen lassen. Die Action ist erschreckend primitiv, vor allem die Raubtiere werden einem billig vor die Flinte geworfen. (PS3)
Anstatt das Abenteuer wirklich konsequent auf Erkundungsreize auszulegen, anstatt eine möglichst unberechenbar wirkende Welt zu kreieren und die Rolle des Lara Croft in eine intelligentere und anspruchsvollere Richtung zu entwickeln, serviert Crystal Dynamics zudem erschreckend billige und primitive Momente. Das fängt schon bei Kleidung und Animationen von Lara an und hört bei ihren naiven Kommentaren mit Rehblick auf: Warum muss sie wie ein Schimpanse ihren nur von einem Fetzen Neopren geteilten Hintern immer wieder penetrant in die Kamera strecken? Soll das sexy sein? Nichts gegen attraktive Polygonladys, aber hier wird Lara einfach billig inszeniert. Man muss sich fragen, ob man das Image als Sexsymbol oder als Videospielcharakter stärken will. Für Lara wäre Letzteres wesentlich wichtiger, denn die Zeit, in der man mit polygonalen Titten und Ärschen vielleicht noch faszinieren konnte, weil es neu war, sind eindeutig vorbei.

Ich rechne den Entwicklern deshalb hoch an, dass sie mir nach den Kapiteln die Möglichkeit geben, ihr ein Outfit mit langer Hose zu verpassen. Kaum trägt Lara andere Kleidung, wirkt sie auch weniger lächerlich - und trotzdem attraktiv. Leider fehlt ihr immer noch die Intelligenz und der Reiz des Unnahbaren, den man von einer britischen Aristokratentochter erwarten könnte. Dafür müsste man bessere Dialoge und innere Monologe als dieses 08/15-Gebrabbel entwerfen. Als sie ein Untier von einem Tintenfisch in den Tiefen des Meeres entdeckt, das auf den ersten Blick beeindruckt, fällt ihr tatsächlich nichts anderes ein als "Oh, der ist ja nett."

Spaßbremse XII: Risse in der Grafikpracht

Auch die auf den ersten Blick famose Kulisse bekommt irgendwann Risse. Auf den zweiten Blick offenbaren sich nicht nur Clippingfehler, Lara kann auch an einigen Stellen komplett durch Felsen gehen oder stößt an unsichtbare Wände, obwohl kein Hindernis zu sehen ist. Schon auf ihrer Yacht darf sie tatsächlich weder die Treppe auf das Oberdeck hinauf klettern noch an das Steuer - wenn man die drei kleinen Stufen hinauf gehen will, stößt man tatsächlich so auf unsichtbare Grenzen, dass diese auch noch per Animation der Hände mitten in der Luft erkennbar werden. Überhaupt gibt es bei solchen

Der Ausblick auf das Mittelmeer ist ein schöner, aber schon auf der Yacht zeigt das Spiele seine künstlichen Beschränkungen - Lara darf trotz Treppe nicht ans Oberdeck und ihre Kollisionen mit Hindernissen wirken plump. (PC)
Kollisionen oder Sprungversuchen einige holprige, fast schon plumpe Bewegungen zu sehen, die dieser Akrobatin nicht gut stehen. Richtig ärgerlich ist es, wenn man sich eine ganze Zeit locker auf schulterhohe Felsen zieht, aber das plötzlich an anderer Stelle nicht mehr möglich ist. Diese Inkonsequenz zeigt sich schon auf dem Frachter, wenn Lara die Container erklettern muss. Anstatt sich akrobatisch über eine direkt daneben platzierte Kiste hinauf zu ziehen, muss sie die Treppe hinten nehmen. Wieso?

Apropos Inkonsequenzen - da fallen mir noch einige Kleinigkeiten ein, die mich während des Spiels geärgert haben: Wieso verschmutzt Lara selbst dann, wenn kein Schmutz in der Nähe ist? Da wird beim Erkunden der Yacht einfach nur eine fleckige Textur auf ihre Beine geklatscht. Besser wäre es, wenn sie sich beim Klettern und im Dschungel schrittweise Schürfwunden oder Flecken zuziehen würden. Wieso nimmt Lara nicht grundsätzlich Schaden, wenn ihre Beine eindeutig im Feuer hängen? Sie kann an einigen Stellen sogar komplett in den Flammen stehen - ohne Konsequenz. Dabei zeigt sie vorher noch eine schöne Abwehrgeste, wenn sie sich die Hand schützend vor das Gesicht hält. Wieso breitet sich Feuer nicht in einem Level aus, wo Lara unterwegs ist - würde dadurch nicht erst Spannung entstehen? Wieso kann Lara manchmal Sprünge aus zwei Metern Höhe nicht einfach abfedern und landet wie eine Holzpuppe am Boden? Und wenn schon ein Waffenarsenal aktiv ist: Wieso gibt es keine Einschusslöcher auf Kisten? Ja, das ist kein wertungsrelevantes Manko, das ist eine kleine Nuance, aber eine weitere Inkonsequenz, die zeigt, dass hinter der hübschen Kulisse einfach nicht viel Substanz steckt.

       

Fazit

Tomb Raider fühlt sich in seinen besten Momenten so an wie Urlaub in einer exotischen Traumlandschaft. Wenn man erhaben an der Steilwand hängt und auf einen überwucherten Tempel blickt, dann kommt Freude auf. Allerdings fühlt sich das Spiel in seinen viel zu vielen schlechten Momenten so an, als säße man in einem Jeep mit einem Vollpfosten von Reisebegleiter, der blödsinnige Geschichten erzählt, primitiv in der Gegend rumballert und von einem Schlagloch ins nächste rast, während er einem billige Kopien als regionale Schätze verkaufen will - die Spielkulisse ist oft eine prächtige, die Spielerfahrung ist oft eine erbärmliche. Sollen tatsächlich Erkundungsreize entstehen, wenn ich in einer Region 30 identische, schlecht designte Vielecke einsammeln kann? Soll tatsächlich Spannung entstehen, wenn ich Kanonenfutter in 08/15-Manier voll Blei pumpe? Ab und zu kann man an die Faszination alter Zeiten anknüpfen, aber wirklich eindringliche und packende Kletterszenen sind viel zu selten - selbst in luftiger Höhe regiert die Routine, weil nahezu alles absturzsicher angelegt ist. Trotzdem retten diese guten Momente letztlich den befriedigenden Eindruck. Aber die vielen Qualitätseinbrüche bis runter auf mangelhaftes Niveau sind teilweise kaum zu ertragen. Sobald es auch nur einen Hauch von Action gibt, landet man umzingelt von strunzdummer Bot-KI in der Shooter-Steinzeit oder unter (!) dem Racing-Niveau von MX vs. ATV. Lara ist immer dann gut, wenn sie den Mund hält, das Motorrad stehen und die Waffen schweigen lässt. Crystal Dynamics verpatzt es zudem, Lara als Charakter weiter zu entwickeln. Man kann weder eine inhaltliche Dramaturgie über geschickt aufgebaute Antagonisten noch über erzählerische Neugier aufbauen. Anstatt das Abenteuer wirklich konsequent auf Erkundungsreize auszulegen und die Rolle der Lara Croft in eine intelligentere und stilvollere Richtung zu entwickeln, serviert man erschreckend billige Momente in einer hanebüchenen mythologischen Storysoße. Lara ist weit weg von der Qualität des direkten Konkurrenten Uncharted und noch weiter entfernt von der frischen Faszination eines Mirror's Edge. Im Vergleich zu starken Spielefrauen der Marke Nariko oder Faith wirkt sie leider immer noch wie ein dümmliches Babe, das lediglich touristische Reize befriedigen kann. Lara hat den Auftrag der Zielgruppen-Prostitution damit bestens erfüllt.

Pro

prächtige Kulissen
akrobatisch elegantes Klettern
einige interessante Rätsel
stimmungsvolle Musik

Kontra

schlechter Einstieg
hanebüchene Story
nervöse Kamera- erbärmliches Kampfsystem
grenzdebile Feinde
Tiere als Kanonenfutter
primitives Vasenzerdeppern
wenig Nervenkitzel beim Klettern- anspruchslose Fahrsequenzen
plumpe Kollisions-Animationen- liebloses Schatzsuchsystem
repetitives Rätseldesign
viel zu früh riesiges Waffenarsenal
Lara bleibt sexy Babe ohne Stil

Wertung

360

PlayStation3

Lara befriedigt lediglich touristische Reize in prächtiger Kulisse. Vieles andere ist billig und primitiv.

PC

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