BlackSite04.12.2007, Paul Kautz
BlackSite

Im Test:

2007 war das Jahr des Shooters: Ein Highlight jagte das andere, direkt dahinter verfeuerten noch mehr gute bis sehr gute, aber nicht ganz brillante Kollegen ihre Munition - und die meisten davon in den letzten beiden Monaten. Was tut man nun also, wenn man lediglich einen ganz gewöhnlichen Shooter im Portfolio hat, aber trotzdem mit den großen Jungs spielen will?

Saddam und Tentakel

Auf die Aliens mit Rabatz! Die Standard-Widersacher sind nicht sonderlich intelligent, dafür gibt's viele von ihnen...
 Vor die Vernichtung der fiesen Killeraliens haben die Designer Geduld gesetzt, jedenfalls bei der PC-Fassung: Satte zwölf Gigabyte sind zu installieren! Glücklich sind die 360-Zocker, doch auch die müssen mit langen Ladezeiten leben. Nach denen tummelt ihr euch im gänzlich unaußerirdischen, gelb leuchtenden Irak: Zusammen mit zwei Kameraden stiefelt ihr an zerfallenen gelben Gebäuden und zerrissenen Saddam-Postern vorbei, immer ein wachsames Auge auf herrenlose Massenvernichtungswaffen. Die findet ihr zwar nicht, aber nach einigen Scharmützeln mit widerständlerischen Irakern begegnet ihr einem offensichtlich außerirdischen Artefakt. Einer eurer Männer kann, neugierig wie er ist, nicht die Hände davon lassen, wodurch eine mittelgroße Hölle und in eurem Fall eine kurze Bewusstlosigkeit ausbricht. Noch während euer Alter Ego die Augen langsam wieder öffnet, wird der Kamerad von bizarren Wesen umkreist, stabile Türen schließen sich - er ist verloren!

Ein paar Jahre später findet ihr euch, den Rest des Teams sowie die erstarkte Alien-Front in Nevada wieder, genau genommen in der Nähe des Ortes Rachel, das nicht weit entfernt von der berüchtigten Area 51 liegt - jahu, ein guter Grund, einmal mehr das MG auszupacken! Oder das Scharfschützengewehr, die außerirdische Schrotflinte oder den Raketenwerfer, die den Großteil des unspektakulären Waffensortiments stellen. Mit dem zerlegt ihr die meist in Gruppen, aber nicht sonderlich intelligent angreifenden Gegner: Irakis, kleine Krabbelaliens, die aus dem Boden brechen und bei 

...ganz im Gegensatz zu den Bossgegnern: Die sind selten, verdammt groß und sehr durchschlagskräftig!
Kontakt explodieren, dickere Kaliber, die jaulend den direkten Körperkontakt suchen, mutierte Marines oder große Exoskelette, die nicht nur Raketen verschießen, sondern deren Oberkörper nach dem Abschießen noch auf Solo-Vernichtungspfaden wandelt. Aller paar Levels gibt es auch einen dicken Bossgegner zu versemmeln: Einen stacheligen Giganto-Käfer, der direkt aus Lost Planet stammen könnte oder das Fünftentakel-Alien, das sich um eine Brücke gewickelt hat, und nicht nur mit zielsuchenden Feuerbällen, sondern auch handlichen Bussen um sich schmeißt - während ihr es vom Helikopter aus mit Minigun-Munition eindeckt, bis es schließlich in einem Schwächeanfall umkippt und dabei die ganze Brücke mit ins Verderben reißt. All das ist in eine brauchbare Story eingebunden, die hauptsächlich durch Dialoge im Spiel fortgeführt wird - wahlweise auf Deutsch oder Englisch. Letzteres hat den Nachteil der abwesenden Untertitel, was die slangenden Kollegen gelegentlich schwer verständlich macht. Ersteres hingegen glänzt nicht nur durch einschläfernde Sprecher (Lowlight: Medizinerin Noa), sondern auch durch unfreiwillig komische Schreibfehler - in MGs wird z.B. »eingestiegen«.

Ist nur 'ne Fleischwunde

Ihr seid so gut wie nie allein unterwegs: Mindestens ein Kamerad trabt die meiste Zeit an eurer Seite bzw. in einigem Abstand hinter euch her. Die Kollegen ballern nicht nur tapfer mit, sie gehorchen euch auch aufs Wort - zielt auf einen Punkt mit der Landschaft, klickt mit dem linken Bumper (bzw. der E-Taste) und schon dackeln die Kameraden treudoof da hin und machen dort das, was sie am besten können. An manchen Stellen, meist Türen, schwebt ein grün leuchtendes Symbol, was übersetzt soviel bedeutet wie »Öffne irgendwas« - eine interaktive Variante der  Call of Duty -Türöffner-Skripte, denn

Bitte lächeln: Ihr könnt eurem Team rudimentäre Anweisungen geben, ansonsten kämpfen sie ganz passabel allein.
als Kommandant dürft ihr euch natürlich nicht die Sohlen schmutzig machen. Es wirkt allerdings dezent dämlich, wenn man nicht mal selbst eine Klotür aufmachen darf oder an einem stabilen Tor abwarten muss, bis die Kollegen mal angetrabt kommen. Immerhin muss man sich um ihre Gesundheit keine Sorgen machen: Geht euer Trupp mal zu Boden, steht er nach kurzer Zeit automatisch wieder auf - was vermutlich am extrem großzügigen Gesundheitssystem liegt, das dafür sorgt, dass ihr selbst auf dem höchsten der drei Schwierigkeitsgrade unorthodoxe Mengen an Blei aufnehmen könnt, bevor sich der Bildschirm dunkelrot färbt. Sobald das passiert, müsst ihr nur für einen kurzen Moment ein ruhiges Fleckchen suchen, danach geht's frisch und kerngesund weiter. Falls ihr doch mal ins Gras beißt oder das Spiel zwischendurch beenden müsst, lernt ihr die Genialität der Checkpunkte fürchten: Im Normalfall sind sie brauchbar verteilt, vor jedem größeren Gefecht findet sich z.B. einer. Gelegentlich aber wirkt das Speichersystem willkürlich; obwohl der Spielstand angeblich gesichert wurde, musste ich mehrmals bereits gemeisterte Abschnitte nochmal spielen, weil mich die Automatik eine Viertelstunde vor dem eigentlich geplanten Einstieg abgesetzt hat.              

Innovativer wird es mit dem Moral-System, zumindest theoretisch - euer Handeln hat nämlich direkten Einfluss auf die Stimmung des Teams: Seid ihr ein gutes Vorbild, treffsicher, mutig voranschreitend, ist auch euer Trupp entsprechend motiviert und stürmt Gift und Galle (bzw. Blei und Feuer) spuckend in Richtung Gegner, sucht den Nahkampf und

Die Fahrzeugsteuerung ist schlecht aus Halo importiert. Auf den PC ruckeln diese Abschnitte überdies deutlicher als der Rest des Spiels.
verfügt über mehr Lebensenergie. Uninspirierte Mannen hingegen verweilen lieber in der Deckung und trauen sich nicht so richtig nach vorne. »Theoretisch« deshalb, weil das System vollkommen unnütz ist: Ob die Truppenmoral oben oder unten ist, wirkt sich auf das Run-and-Gun-Spielprinzip nicht die Bohne aus.

Deine Deckung bröckelt!

Auf Schusters Rappen ballert ihr euch nicht nur durch strikt linear designte Levels, sondern auch durch üblich verdächtige Missionen: Bestimmten Punkt erreichen, rabiaten Helikopter vom Himmel holen, mit einem stationären MG heranstürmende Feinde zerbröseln, während man auf einen langsam ankriechenden Fahrstuhl wartet - das hatten wir schon ein paar Mal. Interessanter wird's erst, sobald ihr Rachel erreicht, da dort einige spannende Gefechte sowie abwechslungsreichere Levels warten. Bis dahin rennt ihr nicht nur durch immergleiche Tunnel, sondern übersteht auch einige der nervendsten Fahrsequenzen der letzten Jahre: Mal ganz abgesehen davon, dass die Fahrlevels mit ihren Copy/Paste-Texturwänden nach 1996 aussehen ist die Halo -inspirierte Steuerung ein Hort des Haareraufens - Gas und Bremse liegen auf dem linken Analogstick (bzw. W & S), die Steuerung auf dem rechten (bzw. der Maus). Argh! Warum? Warum?? Selbst wenn man diese Kontrollvariante mag, bleibt immer noch eine Fahrphysik, für die sich jeder Arcade-Racer schämen würde (inkl. kleinerer Hügel, die unüberwindbare Hindernisse darstellen) sowie ein deutlich verstärktes Ruckeln - gerade in der PC-Fassung, die auch so schon nicht gerade mit einer stabilen Framerate gesegnet ist!

Die wie gegenwärtig jedes zweite Spiel auf der Unreal-Engine basierende Grafik ist an sich nicht übel: Die Figuren sehen ordentlich militärisch aus, die Aliens sind angemessen bizarr-fleischig, die Levels realistisch designt. Das schöne Bild bekommt erst Risse, wenn man genauer hinsieht - den Charakteren fehlt es erheblich an Leben, gerade die Gesichter sind starre  Masken. Die farbarmen Levels sind an sich interaktiv, aber nur zum Teil: So kann man einen Teil der Umgebung dramatisch in Schutt und Asche legen, auf der anderen Seite gibt es im Rest nicht mal Schussspuren an den Wänden.

Hallo Stranglehold: Ein begrenzter Teil der Umgebung kann in Schutt und Asche gelegt werden.
Und mit den Effekten hat man es etwas zu gut gemeint: Bewegungsunschärfe ist zwar prinzipiell prima, wenn aber alles, aber auch wirklich alles andauernd verwischt, geht die Faszination flöten; die Straßen in Rachel sehen aus, als wären sie von einer Putzkolonne mit Red Bull-Überdosis auf Hochglanz geschrubbt worden. Auf dem PC gibt es noch ein paar Bonusärgernisse: Ganze Teile der Landschaft poppen unerwartet ins Bild, Feinde springen übers Schlachtfeld, als würden sie offline laggen - zusätzlich hatte ich noch das Problem, dass ich Anti-Aliasing nicht aktivieren konnte. Außerdem hat sich die Bildschirmauflösung bei jedem Neustart resettet.

Bleibt schließlich noch der Mehrspielermodus, dem ich genauso viel Aufmerksamkeit widme, wie offensichtlich die Entwickler: Hier wird lediglich das absolut nötige Minimum für bis zu zehn Spieler geboten, erwartet keine interessanten Spielmodi oder motivierende Boni wie in Call of Duty 4  - nicht mal der eigentlich geplante Koop-Modus hat es ins endgültige Spiel geschafft.         

Fazit

Was tut man, wenn man lediglich einen ganz gewöhnlichen Shooter im Portfolio hat, aber trotzdem mit den großen Jungs spielen will? Man hat zwei Möglichkeiten. Entweder akzeptiert man die Mittelmäßigkeit seines Produkts, sieht ein, dass man gegen die Schwergewichte keine Chance hat und gönnt Spiel und Entwicklern noch ein paar Monate Feinschliff. Oder man haut das Game auf Teufel komm raus auf den Markt. Letzteres ist passiert, Ersteres wäre das Richtige gewesen: BlackSite ist nicht schlecht, aber auch nicht gut. Es hat eine brillante Technik unter der Motorhaube, die aber nur auf zwei Zylindern läuft. Es hat viele prima Ideen, die aber nur halbherzig umgesetzt wurden - allen voran die Team-Moral. Was bleibt, ist ein gewöhnlicher Shooter, der ein paar Stunden unterhält, aber nicht befriedigt. Und sich damit gleich neben F.E.A.R. - Mission Perseus auf die »Aus mir hätte was Tolles werden können!«-Bank setzen kann. Schade.

Pro

<P>
gute Grafik
einfache Team-Steuerung
angenehm umfangreich
brauchbare Story
gute englische Sprachausgabe</P>

Kontra

<P>
instabile Framerate
nervendes Checkpunkt-System
08/15-Leveldesign
hässliche, ruckelige, schlecht steuerbare Vehikel-Abschnitte</P>

Wertung

360

Ein durchschnittlicher Shooter mit vielen guten Ideen, die aber nur halbherzig umgesetzt wurden.

PC

Die PC-Version ruckelt stärker als die 360-Variante, ansonsten sind beide Fassungen identisch.

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