Odin Sphere30.06.2016, Benjamin Schmädig

Im Test: Rasantes Action-Rollenspiel

Warum den Test nicht mal mit einem Paradoxon beginnen: Was würde ich mich ärgern, hätte ich Odin Sphere (ab 22,90€ bei kaufen) nicht kennengelernt! Als Verpasser des Originals auf Playstation 2 lief das Spiel nämlich, von Pressemitteilungen und Forenbeiträgen mal abgesehen, komplett an mir vorbei – bis ich dank eines zusätzlichen Keys doch noch bei einem Abenteuer gelandet bin, das anno 2008 sogar unseren Gold-Award erhalten hatte. Klar, das ist zwei Generationen her und seitdem hat sich viel in der Spielewelt getan...

Rasante Rundentaktik

„Odin Sphere ist ein Action-RPG-Kleinod, das sich kein Genreliebhaber entgehen lassen sollte.“ Mit diesen Worten schloss Jens damals seinen Test, weil Odin Sphere nicht nur eins der schönsten, sondern auch spielerisch interessantesten seiner Art war. Tatsächlich ist es sogar einzigartig in der Art und Weise, wie es Rollenspiel und Action verbindet, denn es macht Elemente der Rundentaktik zur Grundlage rasanter und abwechslungsreicher Gefechte.

Es ist ja mitnichten üblich, mitten im flotten Echtzeitkampf Tränke zu mixen und per Menü Spezialangriffe herauszusuchen, während das Geschehen angehalten wird – den meisten Abenteuern würde in solchen

Odin Sphere verbindet rasante Action mit taktischen Überlegungen.
Momenten viel Schwung verloren gehen. Nicht so Odin Sphere, in dem die Ruhepausen auch dank einer durchdachten Steuerung wie das Luftholen vor eindrucksvollen Höhepunkten innerhalb teils furioser Scharmützel wirken.

Angriff und Verteidigung

Immerhin reiht man nicht nur Hiebe aneinander, sondern wehrt feindliche Angriffe auch ab, kontert Gegner, durchbricht ihre Deckung, wirft sie in die Luft, teilt dort weiter aus oder stürzt sich von oben auf sie herab. Mit Zaubern und mächtigen Nahkampf-Techniken setzt man zudem Akzente, falls ausreichend Energie bzw. Kraft dafür vorhanden ist. Das klingt wie die Aufzählung einer herkömmlichen Schnetzelei – spielt sich aber so dynamisch, wie aus einem Fluss, dass im Vergleich selbst reinrassige Actionspiele alt aussehen!

Mitunter leidet die Übersicht, trotzdem spürt man den tosenden Fluss fordernder Action.

So hält man Äxte schmeißende Wikinger zurück, weicht den Geschossen der Feuersalamander aus, ringt im Schneeball heran kugelnde Trolle nieder und zwingt die fliegenden Bogenschützen der Walküren zu Boden. Besonders einfallsreich sind einige der mächtigen Gegner; felsige Titanen, die nur an der Nase verwundbar sind, fleischfressende Pflanzen oder Luftschiffe, auf denen man herumlaufen kann, und natürlich solche, die nicht durch ihre Größe, sondern mit taktischer Finesse glänzen.

Man muss die Gegner genau beobachten, ihre Vorstöße aktiv abwehren oder ihnen ausweichen, vielleicht kontern, und Spezialangriffe für den richtigen Moment aufsparen. Versagt man, auch in einem wichtigen Kampf, wird man zum Glück ohne Verzögerung direkt vor der Herausforderung und mit aller vor dem Gefecht angelegten Ausrüstung wieder abgesetzt.

Heute mehr als damals

Der Entwickler des Originals, das japanische Studio Vanillaware (Muramasa: The Demon Blade, Dragon's Crown) hat nicht nur das gelungene, acht Jahre alte Kampfsystem für die mit Leifthrasir untertitelte Neuauflage übernommen, sondern viele Mechaniken stark überarbeitet. Manche Aktionen führt man deshalb jetzt schneller aus, einige Tastenkombinationen wurden verändert, das Timing ohnehin. Ganz generell ringt man vom ersten Moment an mit den Feinden, nicht mit einer altmodisch wirkenden Steuerung. Und so spielt man sich heute noch mehr als damals in einen fabelhaften Flow, der mit schicken Animationen vor teils märchenhaften Kulissen inszeniert wird. Viele Kämpfe gleichen sich zwar trotz der fantasievollen Gegner, dennoch ist Odin Sphere auch heute noch ein wunderschönes Kleinod, das sich Action-Freunde nicht entgehen lassen sollten!

Levels voller Käfige

Anhänger des Originals spielen dabei die unabhängig enthaltene, unveränderte PS2-Version, während sich O-Ton-Freunde in beiden Fassungen über japanische Sprachausgabe zu englischen oder deutschen Texten freuen. Die Erzählung kratzt zwar mit fernöstlichem Pathos und kitschigen Dialogen knapp an der Grenze der Peinlichkeit vorbei, setzt aus der Sicht von fünf Figuren aber Stück für Stück eine interessante Geschichte,

Leider wird die interessante Geschichte in oft gnatschigen Dialogen vorgetragen.
inspiriert von der nordischen Mythologie, zusammen. Abwechselnd schlüpft man dafür in die Rolle der Protagonisten, deren unterschiedliche Fähigkeiten das Abenteuer auflockern.

Das ist allerdings nach wie vor die größte Schwäche des Spiels: Man kehrt irgendwann so häufig in längst bekannte Umgebungen zurück, dass das übergeordnete Abenteuer nie den mitreißenden Schwung seiner rasanten Action erreicht. Auch in sich sind die zum Teil sehr großen Levels vergleichsweise starr, denn sie bestehen lediglich aus kleinen Abschnitten, in denen man entweder einen Boss bekämpft, etliche normale Gegner niederringt, Ausrüstung kauft oder lediglich Schätze, Schlüssel oder andere Gegenstände sammelt. Über verschiedene Wege führen zwar unterschiedliche Abschnitte zum jeweils letzten Boss, die verkommen aber irgendwann zu vorhersehbaren kleinen „Käfigen“, durch die man wieder und wieder getrieben wird.

Abenteurer und Alchemie-Brauer

Manche Wege darf man ja abkürzen, weil Teleporter mehrere Stationen innerhalb der Levels verbinden. Sucht man Zutaten für Tränke, ist das Abklappern möglichst vieler „Käfige“ allerdings die einzige Möglichkeit, falls man das wenige Geld nicht für etliche Kleinigkeiten bei Händlern lassen will. Und dieses Sammeln und Brauen ist ja auch eine der Stärken! Es hat meine Begeisterung trotz der vielen Wiederholungen jedenfalls stets aufs Neue angefacht.

Schließlich braucht man nicht nur überall vergrabene Kräuter, um zusammen mit dem Grundstoff „Materie“ Tränke zu brauen. Man kann diese Tränke auch mit Obst und anderen Nahrungsmitteln verstärken oder durch weitere Zutaten in verwandte Tränke mit anderer Wirkung verwandeln. Aus einem Gegengift wird so z.B. eine toxische Wolke, aus einem Wirbelwind ein schützender Eispanzer. Während man Kräuter dabei meist vom Boden aufliest, muss man Obst meist anpflanzen. Man benötigt also Samen, die man wiederum beim Durchstreifen der Levels findet, sowie so genannte Phosonen, also Überbleibsel besiegter Gegner.

Essen statt Tabellenkalkulation

Hier wird es einmal mehr knifflig, denn die relativ wenigen Phosonen benötigt man nicht nur als „Dünger“, sondern auch zum Aufwerten aller Magie und Spezialangriffe. Sprich, entweder haushaltet man mit den wichtigen Tränken oder

Fantasievolle Kulissen...
verzichtet darauf, grundsätzlich größeren Schaden anzurichten – beide Systeme greifen mit der richtigen Stärke ineinander.

Clever auch, wie Odin Sphere das typische Aufleveln eines Rollenspiels, also das Erhöhen der Lebensenergie sowie das Lernen neuen Fähigkeiten, sinnvoll ins Abenteuer einbettet, anstatt sich auf das abstrakte Werteschubsen zu verlassen. Erfahrungspunkte erhält man nämlich nicht einfach von besiegten Gegnern. Vielmehr geht man ins Restaurant, um aus selbst gesammelten Nahrungsmitteln zubereitete Speisen zu essen – erst diese erhöhen dann Charakterstufe und Widerstandsfähigkeit. Manche Speisen sind dabei besonders nahrhaft – auch deshalb ist man stets motiviert, in bereits offenen Levels entsprechende Zutaten und neue Rezepte zu suchen.

... und eine stilvolle, zum großen Teil überarbeitete Präsentation zeichnen die Neuauflage aus.

Von Odin Sphere zu Leifthrasir

Eine Neuerung des auf Playstation 3, 4 und Vita veröffentlichten Spiels ist dabei ein Koch, den man jetzt auch innerhalb der Levels rufen kann. Das erspart den umständlichen Rückweg und macht die Ausflüge flexibler. Überarbeitet wurden nicht zuletzt die Menüführung sowie Probleme mit der Bildrate. Das Taktieren in den Kämpfen fühlt jetzt auch deshalb flüssiger und genauer an.

Durch Antippen des rechten Analogsticks ruft man außerdem eine Karte auf, die die verzweigten Wege selbst der umfangreichsten Levels etwas übersichtlicher abbildet als ihre Vorgängerin. Zahlreiche Menüs und Nachschlageseiten wurden zudem visuell modernisiert. Einschließlich des verbesserten Kampfsystems hat Vanillaware sein Spiel also genau dort verändert, wo das schon damals prächtige Spiel tatsächlich noch ein Stück besser werden konnte.

Fazit

Es ist nicht nur so, dass man Odin Sphere seine acht Jahre kaum ansieht – es spielt sich dank ebenso feiner wie durchdachter Neuerungen auch so gut, als wäre es dieser Tage zum ersten Mal erschienen! Begeistert bin ich vor allem von den rasanten Gefechten gegen viele kleine und zahlreiche große Feinde, in denen schnelle Angriffe ebenso wichtig sind wie kluges Verteidigen, Ausweichen und der sinnvolle Einsatz von Zaubern, Spezialangriffen und Tränken. Weil man Letztere eigenhändig braut und auch die Zutaten selbst beschafft, ist man stets motiviert, selbst das zehnte und zwanzigste Mal durch bereits bekannte Umgebungen zu pflügen. Selbst die Charakterentwicklung ist an das Sammeln von Zutaten und Aufspüren von Rezepten gebunden; das erdet dieses Abenteuer auf angenehme Weise. Das häufige Abgrasen bekannter Schauplätze sowie die starre Unterteilung der Levels in kleine Abschnitte wirken zwar ermüdend, viele Kämpfe gleichen sich, da man die meisten Gegner auf ähnliche Weise bekämpft und die gnatschige Erzählung ist kein Höhepunkt des Videospielkinos - ohne Schwächen ist Odin Sphere also auch heute nicht. Viel können sie diesem hervorragend gealterten Action-Rollenspiel allerdings nicht anhaben!

Pro

schnelle, fordernde Action am Boden und in der Luft
Herstellen eigener, unterschiedlich starker Angriffs- und Heiltränke
Spezialangriffe und Zauber für besonders starke Attacken oder Verstärker
einfallsreiche Gegner und herausfordernde Bosskämpfe
indirekter Levelaufstieg durch Sammeln von Zutaten für verschiedene Gerichte statt bloße Erfahrungspunkte
übersichtliche Darstellung der teils umfangreichen Levels und schnelle Kartenansicht
wunderschöne Hintergründe und fantasievolle Charaktere
interessante Erzählung um mehrerer Hauptfiguren
englische oder japanische Sprache
enthält ursprüngliches Odin Sphere mit eigenen Spielständen
zahlreiche Optionen zum Einstellen der Anzeigen und der Steuerung
speichern jederzeit möglich und schnelle Neustarts nach verlorenen Kämpfen

Kontra

keine großen, abwechslungsreichen Levels Levels sind in kleine Abschnitte mit bestimmten Funktionen unterteilt
häufiges Wiederspielen bekannter Levels
auf Dauer gleichen sich fast alle Kämpfe
viel Pathos mit z.t. kitschigen Dialogen
gelegentlich wenig Übersicht

Wertung

PS_Vita

Rasantes Action-Rollenspiel vor wunderschöner Kulisse, das mit geschickten Neuerungen aktualisiert wurde.

PlayStation3

Rasantes Action-Rollenspiel vor wunderschöner Kulisse, das mit geschickten Neuerungen aktualisiert wurde.

PlayStation4

Rasantes Action-Rollenspiel vor wunderschöner Kulisse, das mit geschickten Neuerungen aktualisiert wurde.

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