Im Test:
Ein echter Flachmann
Ausgesprochen viel versprechend fängt Jet Brodys Streifzug als Science Fiction-Held nicht an: Ein Fiesling namens Sheridan hat klammheimlich eine stattliche Streitmacht aufgebaut, zieht damit gegen die Atlantische Allianz in den Krieg und mutiert deshalb zum Staatsfeind Nummer eins. Nein, besonders einfallsreich sind leider weder der Plot noch die Erzählweise dieses Action-Einmaleins'. Schade, denn ich hatte mir mehr erhofft. Natürlich
Jet Brody auf einer seiner ersten Missionen.ist die Handlung eines Videospiels selten mehr als ein Vorwand, um den Spieler vom ersten bis zum dritten Akt zu scheuchen - der Streit um Gentechnik und Umweltkatastrophen dürfte trotzdem umfassender sein als eine geschätzte halbe Seite kurzer Notizen. Über den kahl geschorenen Jungspund, der weniger Charisma ausstrahlt als seine glänzende Rüstung, decken wir vorsichtshalber gleich den Mantel des Schweigens.
Was übrig bleibt? Filmszenen, die mitunter aussehen wie von VHS-Kassette überspielt, in denen es häufig scheppert, aber selten richtig kracht und die Brodys Befehlshaber zeigen, dessen Haut wie labbrige Latexfolie wirkt. Nein, auch die Inszenierung des platten B-Movies dürfte euch kalt lassen. Scheinbar entgeht selbst den Entwicklern aufwändiger Produktionen heute noch das Offensichtliche: Wer dermaßen lieblos Regie führt, unterschätzt die emotionale Bindung seiner Spieler. Das einzige Glanzlicht ist hier der vom Lost-Komponisten sowie zwei weiteren Künstlern arrangierte Soundtrack: Die Musik passt sich zwar nicht dem Geschehen an und wird deshalb unfair in den Hintergrund gedrängt, dafür wecken die feinfühligen bis donnernden Melodien Erinnerungen an orchestrale Glanzpunkte wie Star Wars oder Starship Troopers.
Activisions Sandkasten
Filme also mau, Story eher lau und schon die Einleitung endet mit einem großen Fragezeichen - das kann ja spielerisch nichts werden, stimmt's? Nicht ganz. Denn sobald man sich einmal daran gewöhnt hat, dass der charakterliche Flachmann jede Möglichkeit der Identifizierung missen lässt, zeigt Jet Brody echte spielerische Stärken. Und diese Stärken drehen sich erwartungsgemäß um die physikalischen Spielereien, mit denen Fracture groß rauskommen will. Im Mittelpunkt steht dabei der Verformer,
der den Boden entweder anhebt oder absenkt: Ein Druck auf den rechten Bumper und die Waffe baut einen etwa anderthalb Mann hohen Hügel, ein Druck auf den linken und der Boden senkt sich entsprechend. Auf diese Weise zieht Brody im Handumdrehen Deckung hoch, schleudert Gegner in die Luft oder zieht große elektronische "Stecker" aus ihren "Steckdosen" herunter. Milchgesichtiger Flachmann: Jet Brody bleibt als Identifikationsfigur leider viel zu blass.
Zu oft wiederholen sich dabei solche Denkaufgaben und viel zu schnell plappert "General Latexfolie" die Lösung aus. Anstatt den Ablauf wenigstens mit einer Hand voll anspruchsvoller Puzzles aufzulockern, sagen mir die Rätsel eigentlich immer wieder nur: "Guck mal, was die Geländeverformung alles kann!" Zumal die Möglichkeiten des Verformers ohnehin stark eingeschränkt bleiben: Höchstens zwei Mann hoch und ebenso tief dürft ihr den Boden bewegen. Das klingt vielleicht viel, bedeutet in den deutlich abgegrenzten "Sandkästen", in denen das Verformen überhaupt möglich ist, aber nicht sehr viel. Gelegentlich entdeckt ihr hier und da einen im Erdreich versteckten Unterschlupf samt mächtiger Waffe, mitunter müsst ihr vor hohen Mauern einen Berg Sand aufbauen - der eigentliche Reiz des "Hügelspiels" ist aber die taktische Komponente.
Taktisch fordernd?
Und die solltet ihr jederzeit im Auge behalten, die (wenig abwechslungsreichen) Pazifikaner sind nämlich verdammt harte Burschen. In freier Wildbahn zieht Brody jedenfalls meist den Kürzeren. Die Knopfdruck-Deckung beherrscht er zwar nicht, trotzdem muss er stets in einem geschützten Winkel Luft holen - u.a., damit sich sein Schild automatisch aufladen kann. Am besten nehmt ihr es aber gar nicht erst mit einer Überzahl auf, sondern schaltet die Widersacher einen nach dem anderen aus. Dafür baut ihr entweder einen Damm und lasst euch
So clever wie es hier aussieht, agieren die Pazifikaner leider meist nicht. |
Diese Einfältigkeit hat immerhin den Vorteil, dass ihr euch Gegner für Gegner durch einen selbst geschaffen Graben vortasten könnt. Nur im Abschluss solcher Raumgewinne reißt Fracture das Ruder wieder ins Negative herum. Denn sobald ihr sämtliche Pazifikaner eines Raums erledigt habt - tauchen einfach neue auf! Das passiert jedes Mal und unterbricht den Spielfluss vor allem dann empfindlich, wenn man sich am Ende eines Gebiets in Sicherheit wiegt. Wer z.B. den letzten Feinden gerne im Nahkampf den Rest gibt (was trotz der einzigen, völlig unspektakulären Ellbogen-Attacke ausgesprochen befriedigend sein kann!), steht plötzlich wie Freiwild vor dem nächsten Bündel Gegner (was ausgesprochen unfair ist!). Speicherpunkte liegen selbstverständlich meist am Eingang großer Areale...
Ratchet lässt grüßen!
Es ist gut, dass die Gefechte nie in plumpes Run'n Gun ausarten. Es ist aber denkbar unglücklich, dass sich die Entwickler dieser Stärke scheinbar kaum bewusst sind. Letztlich gibt es ohnehin zu wenig weitläufige Flächen, auf denen ihr taktisch kreativ werden dürft; oft müsst ihr engen Räumen ohne verformbaren Boden gegen eine Überzahl ankommen, die Brody beim ersten Anlauf erst mal das Lebenslicht ausbläst. Fracture bietet leider keine einheitliche Herausforderung, sondern unterbricht den Fluss immer wieder mit kurzen, aber
frustrierenden Momenten. Ratchet & Clank lässt grüßen: Die Vortex-Granate erzeugt einen explosiven Wirbelsturm.
Quasi im Gegenzug bietet es allerdings packende Höhepunkte oder topografisch interessante Situationen. Erstere entstehen z.B., wenn Brody ohne spielerische Unterbrechung an Bord einer Dreadnaught gelangt, während Start, Flug und Landung weiter kämpft und am Zielort schließlich wieder von Bord geht. Die Topografie spielt hingegen dann eine große Rolle, wenn euch der Weg in entfernte Höhen oder Tiefen führt. Dann steht die Physik oft im Mittelpunkt, denn durch geschicktes Absenken oder Anheben bringt ihr Rohre und Felsen ins Rollen und massive Gerüste zum Einsturz. Fracture ist trotz LucasArts-Plakette kein The Force Unleashed; die physikalische Spielerei sorgt aber für sehr unterhaltsame Momente!
Es geht ja nicht nur um den Verformer; auch das restliche Arsenal ist eine gelungene Kopie von Ratchets abgefahrener Multifunktionspalette. Mit Granaten Wirbelstürme erzeugen, auf einen Gegner feuern, damit der einen Moment lang sämtliche Objekte der Umgebung auf sich zieht (autsch!) oder eine Rakete abschießen, die sich unterirdisch fortbewegt kann ausgesprochen spaßig sein! Es sind solche kleinen Freuden, die das furchtbare geradlinige Spiel auf lange Sicht interessant halten. Auch wenn Fracture in jedem Akt nur sich ähnelnde Levelschläuche aneinander reiht: Ich wollte zumindest wissen, welche Spielerei ich im nächsten Raum ausprobieren könnte...
King of the Ausgrabung
Technisch hinterlassen die Physik-Spielchen übrigens sowohl auf PS3 als auch auf 360 einen soliden, aber keinen überragenden Eindruck. Einige stimmungsvolle Fernsichten werten das ideenlos gelackte Science Fiction-Szenario auf, welches auf beiden Systemen in denselben, spielerisch zum Glück unbedeutenden Momenten ins Stocken kommt. Dabei genießen Xbox-Besitzer das wie üblich sattere und vor allem schärfere Bild - was allerdings nur im direkten Vergleich auffällt. Wer sich im PlayStation Network austoben will,
Die Physik erlaubt unterhaltsame Spielereien - der Rest bleibt leider spannungsarm. |
Ausgrabung ist hingegen ein Neuzugang, der die Verformung in den Mittelpunkt rückt. Was ihr ausbuddeln müsst? Ein Leuchtsignal - und sobald ihr das getan habt, schießt ein steinerner Stachel in die Höhe. Erst jetzt sammelt ihr Punkte für die besetzte Position. Die Kontrahenten müssten nun den Stachel zerstören, bevor sie die Position wieder für sich beanspruchen können. Eine nette Idee - im Grunde spielt sich "Ausgrabung" aber wie King of the Hill, und auch die restlichen Mehrspieler-Scharmützel werden mit Hügelbau und witzigen Waffen nicht spannender als herkömmliche Partien. Bestenfalls ist ein gewisses Chaos wegen ständiger Verformungen mal ganz witzig - für mehr hat es bei mir allerdings nicht gereicht. Für die Onlinegefilde gilt damit wie für das gesamte Spiel: Fracture ist eine Ansammlung vieler unterhaltsamer Ideen - die leider in spielerischer Eintönigkeit verloren gehen.
Fazit
Wer hat eigentlich das Komponisten-Trio engagiert, um das Sci-Fi-Abenteuer so stimmungsvoll zu untermalen? Ich frage deshalb, weil der hervorragende Soundtrack weder zu der einfältigen Missionsstruktur, der öden Handlung, den charakterschwachen Figuren oder den wenig cleveren Gegenspielern passen will. Schade, denn die zahlreichen interessanten Ideen können unter solchen Voraussetzungen nur noch für kleine Höhepunkte in einem spannungsarmen Abenteuer sorgen. Das geforderte langsame Vorgehen und der taktische Grabenbau sind z.B. klasse, die einfallsreichen Waffen immer wieder unterhaltsam und einige Rätsel aufgrund der neuen Oberflächenverformung anfangs unverbraucht. Doch warum wird die Lösung meist vorgegeben? Wieso gibt es keine fordernden Kopfnüsse? Und weshalb dürfen nur deutlich eingegrenzte Gebiete im kleinen Rahmen gehoben oder gesenkt werden? "Macht euch die Erde untertan!", empfiehlt die Bibel. Aber das gelingt den Entwicklern nicht: Fracture ist ein actionreiches Experiment, nichts physikalisch Weltbewegendes - ein stinknormaler Shooter, der gerne etwas Besonderes wäre.
Pro
Kontra
Wertung
360
Physikalisch ist Fracture richtig interessant - der Rest erzeugt leider viel Langeweile.
PlayStation3
Die viele einfallsreichen Waffen täuschen leider nicht über spielerische Einfalt hinweg.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.