Saints Row 230.10.2008, Mathias Oertel
Saints Row 2

Im Test:

Es ist wieder an der Zeit, in die idyllische Stadt Stilwater zurückzukehren. Zwei Jahre nach dem Vorgänger und ein gutes halbes Jahr nach GTA IV will Volition mit Saints Row 2 (ab 5,88€ bei kaufen) beweisen, dass Gangster nicht nur in Liberty City ein Zuhause finden. Und man liefert Rockstar Games einen dramaturgischen Kampf bis aufs Messer. Einen Kampf, der in vielerlei Hinsicht knapp verläuft, der aber letztlich von banalen Argumenten entschieden wird.

Die T-Frage

Bereits in der Vorschau habe ich befürchtet, dass die Technik für Sand im Getriebe der Stilwater-Gangstersaga sorgen könnte. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass die Kulisse mindestens eine Klasse unter dem liegt, was Rockstar Games uns mit Liberty City in GTA IV inszenierte.

Wahlweise hat man sowohl auf PS3 als auch auf 360 mit Tearing-Problemen zu kämpfen oder muss mit der Gefahr leben,

Saints Row 2 bietet Action ohne Kompromisse, wurde in der deutschen Variante aber in einigen Punkten "zurechtgestutzt".
dass es ab und an ruckelt, wenn man in den Optionen den V-Sync-Schalter aktiviert. Es gibt Pop-Ups und Fade-Ins, gelegentlich auch in den Boden versinkende Fahrzeuge und auch die Kamera ist manchmal damit überfordert, eine vernünftige Position einzunehmen.

Auch die Texturen erreichen in ihrer Gesamtheit nicht die Klasse, die auf den Straßen der GTA'schen Metropole zu sehen war. Und auf lange Sicht macht es nicht so viel Spaß, sich einfach nur an den Straßenrand zu stellen und die Bevölkerung zu beobachten. Das Bild einer lebendigen Großstadt wird zwar gezeichnet, bleibt aber ein oberflächliches.

Das sind größtenteils Probleme, die auch schon den Vorgänger plagten. Und es ist höchst ärgerlich, dass die Designer diese Mankos nach zwei Jahren nicht in den Griff bekommen haben.

Willkommen zurück

Denn inhaltlich ist Saints Row 2 (SR2) eine lohnenswerte Alternative zu GTA IV. Angefangen vom Gefängnisausbruch eurer Figur, die nach einer vermeintlich tödlichen Explosion und jahrelangem Koma wieder erwacht, bis hin zum Grande Finale bietet der Ausflug nach Stilwater dramatische und teilweise famos inszenierte Szenen.

Die Stadt, die etwas kleiner als Liberty City zu sein scheint, ist nach wie vor von Anfang an frei erkundbar. Und wer aufmerksam ist, wird feststellen, dass beim Erforschen auf der Karte alle gefundenen Shops und die so genannten Aktivitäten festgehalten und zum späteren Anwählen verfügbar gemacht werden.

Denn nach wie vor ist Respekt der Schlüssel zu den Story-Missonen, die sich auf fünf unabhängig voneinander entwickelnde Erzählstränge verteilen. Diesen Respekt erhaltet ihr durch erfolgreiches Bewältigen der verschiedenen Aktivitäten. Dazu gehören wie in Teil 1 nicht nur Autorennen oder die Beschaffung von heißen Schlitten für den örtlichen KfZ-Gebrauchthändler. Auch der beliebte Versicherungsbetrug oder das Ausspannen und Überführen von Pferdchen in den heimischen Prostituierten-Stall gehören nach wie vor dazu. 

Zu Lande, zu Wasser und in der Luft: In Stilwater ist niemand sicher, sobald die Saints einmal loslegen.
Um diese Aktivitäten zusätzlich attraktiv zu gestalten, bekommt ihr nicht nur Respekt und bare Münze. Zusätzlich wird an bestimmten Punkten ein Goodie, ein Bonus oder ein Gimmick ausgeschüttet, das den weiteren Verlauf erleichtert. 

Bedauerlich ist allerdings, dass einige der neuen Missions-Typen der deutschen Schere zum Opfer gefallen sind.

Auch einige Waffen sind nicht mehr in der lokalen Version enthalten, was angesichts des weiterhin üppig gefüllten Arsenals allerdings zu verschmerzen ist. Die ganzen Kürzungen führen jedoch zu einem weiteren Problem. Die USK-Versionen sind inkompatibel zu den anderen Fassungen, wodurch das Internetspiel deutlich leidet. Denn was bringen mir gute und größtenteils lagfreie Sessions mit Standard-Multiplayer-Spielmodi oder gar die Möglichkeit, mich mit einem Kumpel oder einem wahllosen Quereinsteiger kooperativ durch die Kampagne zu ballern, wenn die Teilnehmerzahl schon im Vorfeld durch die Schnitt-Variante eingeschränkt wird? Auch dies ist ein Manko, das dem Vorgänger bereits das Leben schwer machte.

       

Dramatisch, praktisch, gut

Ja: Saints Row 2 hat mit technischen Problemen und dem einen oder anderen Defizit zu kämpfen. Und dennoch habe ich Schwierigkeiten, mich von der Gangster-Saga loszureißen. Große Schwierigkeiten sogar - und das, obwohl ich mich wahrlich nicht über eine zu kleine Auswahl an Titeln beschweren kann, die nur darauf warten, den Weg ins Laufwerk zu finden.

Die Zwischensequenzen gehören zu den absoluten Highlights von Saints Row 2 und überzeugen mit sowohl ausgefeilter Dramaturgie als auch famosen Dialogen.
Denn was Volition auf technischer Seite vermissen lässt, packen sie in punkto Spaßfaktor, Unterhaltungswert und Drama bis zum Überfluss hinein. Vor allem der Story-Abschnitt mit den Ronin, der Yakuza Stilwaters, packt mich in den Zwischensequenzen mit klasse Dialogen, hervorragenden Kamerafahrten sowie spektakulären Zeitlupen im John Woo-Stil. Und als Sahnehäubchen gibt es teils Atem beraubendes Drama. Nicht Scorsese-Drama und schon gar kein Tennessee Williams. Aber Drama, das der leicht überzeichneten Action im Stile eines Michael Bay gut zu Gesicht steht und bei aller Überlebensgröße der Figuren den Charakteren erstaunliche Tiefe gibt.

Doch auch die anderen Fraktionen, die Bruderschaft (Tatöwierungen liebende Rocker) oder die Söhne Samedis (Voodoo-Anhänger) sowie die in alles verstrickte Ultor-Corporation (ja: die aus Red Faction), die die Armut aus Stilwater vertreiben will, bieten interessante Geschichten.

Und erst als es wortwörtlich schon viel zu spät war, habe ich realisiert, dass ich mich inmitten eines gefährlichen Strudels befinde. Einem Strudel, der mich mit seinem Sog aus interessanten Aktivitäten (alle eingeleitet durch eine kleine individuelle Zwischensequenz), die dann wiederum zu coolen Story-Elementen führen, beinahe blind für die Kulisse werden lässt.

Ehe ich mich versah, setzte das bedrohliche "Ach, eine Mission geht noch"-Syndrom ein. Verdammt. Ich möchte Saints Row 2 und Volition doch so gern hassen. 

Hassliebe

Dafür, dass sie mich erst mit ihren Inhalten von der durchschnittlichen Kulisse ablenken können, anstatt im Vorfeld dafür zu sorgen, dass mich die Umgebung fasziniert.

Ihr könnt Aussehen, Reaktionen und selbst Graffiti-Logos für eure Gang festlegen - ein kleiner Teil der umfangreichen Personalisierungs-Möglichkeiten.
Dafür, dass es kein aktives Deckungssystem gibt, dass die KI sich zumeist strunzdumm verhält, dass manche Missionen leicht zufallsabhängig sind und man auch mal Glück haben kann, wenn sich eines der Ziele mit einem Raketenwerfer selbst ins Aus manövriert. Aber all das interessiert nur am Rande, weil ich wissen will, wie es mit den Saints und ihrer anarchischen Machtübernahme weiter geht.

Und alles, was mit meiner Figur, der Personalisierung bis hin zu Schimpf- und Jubelgesten sowie den freispielbaren Materialien zusammenhängt, bringt eine Saite in mir zum Schwingen, die "Mehr! Gebt mir mehr!" schreit.

Es gibt viel zu tun - vielleicht sogar zu viel: So kann ich für die Saints nahezu alle Shops kaufen, die in der Stadt irgendwas abgeben, woraufhin ich nicht nur einen täglichen Einnahmenzuwachs, sondern auch Vergünstigungen im jeweiligen Laden bekomme.

    

Fazit

Oh Mann! Volition macht es mir wirklich nicht leicht. Auf der einen Seite liefert das Team ein häufig überzogenes, dann wiederum herrlich dramatisches Gangster-Epos mit fünf unabhängigen Handlungssträngen ab. Dazu gibt es haufenweise Personalisierungs-Möglichkeiten und mit Stilwater eine ansprechend große Stadt, in der ich mich nach Herzenslust austoben sowie mehr Nebenmissionen frönen kann, als mir lieb ist. Sprachausgabe, Musikauswahl und Atmosphäre sind ebenfalls allererster Güte und können sich mit nur wenigen Abstrichen mit GTA IV messen. Wenn man dazu einen Filmvergleich ziehen möchte: Liberty City ist mit seiner Bevölkerung und lebendigen Struktur eher der Oliver Stone/Martin Scorsese-Ecke zuzuordnen, während Stilwater am ehesten von Jerry Bruckheimer und Michael Bay in Szene gesetzt würde. Action, Action, Action - mit spektakulären Kamerafahrten in den Zwischensequenzen und wohl dosierten Zeitlupen inklusive. Doch leider reichte das Budget nicht mehr für Hochglanzkulissen, sobald es in die Spielwelt geht. Hier wirkt Stilwater nicht so durchgestylt, so harmonisch, so zum Beobachten einladend wie das an New York angelehnte Liberty City. Ganz böse Zungen könnten sogar behaupten, dass der Fortschritt zum bereits zwei Jahre alten Vorgänger nur marginal spürbar ist. Und diese Zungen behalten Recht. Grafische Schwächen, die allesamt abseits der klasse inszenierten Zwischensequenzen liegen, stellen die Toleranz-Fähigkeit auf eine Probe. Und dann ist da ja noch das Thema der leidlichen deutschen Version. Die macht zwar unter dem Strich ebenso viel Spaß wie die ungeschnittene Variante, muss aber im Gegenzug damit leben, dass wie beim Vorgänger keine Online-Spiele mit anderen Fassungen möglich sind. Es heißt, dass man ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen soll. Und wenn es danach ginge, würde Saints Row 2 mindestens Gold kassieren. Es heißt aber auch, dass das Auge mit isst. Und hier wirkt Stilwater zwar stimmig, aber eben leicht veraltet. Zwar habe ich mich irgendwann an die durchschnittliche Kulisse gewöhnt, doch letztlich ist es der mangelnde Feinschliff in diesem Bereich, der die Saints den eigentlich verdienten Award kostet.  

Pro

teilweise starke Zwischensequenzen
fünf interessante Story-Stränge
herrlich überzogene Action
umfangreiche Personalisierungs-Möglichkeiten
abwechslungsreiche Nebenaufgaben
auch kooperatives Online-Spiel möglich
umfangreiches Waffenarsenal in acht Kategorien
Stadt von Anfang an geöffnet

Kontra

grafisch mit einigen Problemen (Pop-Ups, Fade-Ins, Clipping)
hin und wieder Bildrateneinbrüche
haufenweise Klon-NPCs und -Gegner
kein aktives Deckungssystem
deutsche Version teilweise stark gekürzt (Cut-Scenes, Missionstypen)
mitunter Kamera-Schwierigkeiten

Wertung

360

Egal, ob geschnitten oder international: Eine biedere Technik steht einer klasse Inszenierung und Dramaturgie gegenüber.

PlayStation3

Inhaltlich und dramaturgisch ein großes Gangster-Spektakel, technisch jedoch nur Durchschnitt.

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