NHL 2K806.11.2007, Jörg Luibl
NHL 2K8

Im Test:

Das Team von Visual Concepts hat sich gerade mit NBA 2K8 zum Gold-Award gedunkt, jetzt will man auch den Puck versenken. Eigentlich stehen die Chancen für sportliche Begeisterung recht gut, denn schon letztes Jahr hat man sehr gutes Eishockey serviert - immerhin haben wir stolze 86% vergeben. Und theoretisch bräuchte man das erfolgreiche Konzept nur verfeinern. Ein bisschen grafisch polieren, inhaltlich aufrüsten, was soll da schiefgehen?

Alte Liebe rostet nicht?

Komplexität ist gut, mit Intuition wäre sie noch besser: Man kann viel machen, aber die Steuerung macht es einem selten leicht.
Ich spiele dieses NHL jetzt schon seit Jahren. Und wenn man eine Sportserie kennt, dann kann man den Nachfolger fast immer blind spielen - meist ändern sich nur Feinheiten. Umso verwunderlicher ist es, dass ich so lange brauchte, um mit diesem Eishockey wieder in einen Fluss aus coolen Dekes und harten Schüssen zu kommen. Zunächst fühlt man sich wunderbar aufgehoben dank der wuchtigen Fankulisse, der knackigen Kommentare und der nochmals verfeinerten Gesichtszüge. Auch die Individualität der Profis ist spürbar - egal ob Größe, Technik oder Bewegungsstil. Wer diesen Sport mag, der wird hier viele feine Animationen vom eleganten Skaten bis zum unglücklichen Stolpern sehen.

Gut, die Menünavigation ist zu nervös und auf der PS3 stören die üblichen Kanten. Doch selbst wenn nur poliert wurde: Grafisch und akustisch gibt es nichts zu meckern. Auch die neuen Face-Offs sind ansehnlich, denn jetzt wird regelrecht um den Puck gerungen, außerdem ist Timing gefragt: Wer zu schnell mit dem Stick fuchtelt, wird zurückgepfiffen - ein schönes System.

Die erste Fehlpass-Orgie

Was ansehnlich beginnt, entwickelt sich dann sehr zäh. In den ersten Partien dominierten Fehlpässe, Fehldrücke und Frust auf dem Eis. Die neue Steuerung ist zu überladen, um sofort mit ihr warm zu werden. Und das Handbuch ist wie schon in NBA 2K8 ein dünner Witz, denn es erklärt keinerlei Details. Es ist immer noch klasse, dass man in diesem Eishockey mehr Finessen einleiten kann als bei der Konkurrenz von NHL 08 - vom rückwärts Skaten über den leicht gelupften Pass bis hin zum schnellem Symbolpassen oder dem coolen Puck-Kick zwischen Stock und Schuh.

Und endlich kann man den Stock mit dem rechten Analogstick wie in EA-Spielen komplett unabhängig bewegen: In der Offensive herrscht eine ganz neue Freiheit, wenn man die Zielrichtung von links auf rechts wechselt. Man spürt, dass man wesentlich mehr Tore über Handgelenkschüsse erzielen kann - und das ist gut! Allerdings wirkt das System noch nicht so ausgereift, dass man alleine dadurch effiziente Situationen vor dem Kasten einleiten könnt; da ist NHL 08 einfach besser. In der Defensive reicht das Gefuchtel in Gegnernähe, um Pässe abzufangen; man kann den Stock sogar flach aufs Eis legen.

Überladene Steuerung

Porentiefe Profigesichter: Die Stars sehen dieses Jahr noch einen Tick realistischer aus. Viel wichtiger wäre es gewesen, die erweiterte Steuerung komfortabler zu gestalten.
So weit, so gut. Aber bevor man all das wirklich verinnerlicht, hat man die vielen Funktionen, die sowohl auf den Schultertasten als auch Sticks und Buttons liegen mehr als einmal verflucht. Das Problem ist, dass die Standardsteuerung nicht intuitiv genug ist. Das Passen liegt auf L1, das Schießen auf R1. Will man zum Schlagschuss ansetzen, muss man L2 und R1 drücken bzw. gedrückt halten für einen mächtigen Abschluss - das ist in der Hitze eines Matches einfach zu umständlich! Dann gibt es zwei Sprintvarianten, einmal über R2, dann noch mal über X. Und schließlich kann man in der Offensive über die Kombination von L2 plus zwei Buttons, z.B. schnell X und X, sehr ansehnliche Manöver in 1:1-Situationen einleiten. Seid ihr noch dabei oder schon verwirrt?

Diese zwölf neuen Superstar-Moves sehen ja auch klasse aus: Freut euch auf Doppel-Dekes, Annahmen aus der Drehung oder das elegante Wechseln des Pucks von der Vor- auf die Rückhand. All das sorgt tatsächlich für mehr spektakuläre Szenen auf dem Eis, wenn, ja wenn der richtige Profi sie mit dem richtigen Timing abspulen - und das ist richtig knifflig! In der Praxis landen viel zu viele Versuche im Nichts und gerade diese abgebrochenen Superstar-Moves sehen fade aus. Warum gibt es kein eingängigeres System, das z.B. Analogstick-Kombos erfordert? Beruhigend ist, dass man alles im Training einstudieren kann: Hier fährt sogar ein Geist vor und zeigt euch, wie ihr die Buttons drücken müsst! Überhaupt sind die Trainingsmöglichkeiten im Vergleich zu NBA 2K8 vorbildlich, denn jede einzelne Bewegung darf man aktiv nachvollziehen.       

Training deluxe

Egal ob Kamerawinkel, Schwierigkeitsgrad, Online-Modi, Franchise  oder Kaderverwaltung - ihr habt immer die Wahl. In Sachen Optionen und Umfang macht diesem Spiel keiner was vor.
Dieser lobenswerte Komfort zahlt sich dann irgendwann auf dem Eis auch aus: Wer Geduld und Fleiß investiert, wird diesem rasanten Eishockey auch einige herrliche Szenen abgewinnen und Spaß haben. Aber der Weg dahin ist steinig. Vor allem, wenn man im Geiste der Reihe eher eine Simulation als Arcade erfahren will. In der Standardeinstellung sind die Sprints so stark, dass man kinderleicht durch die Verteidigung spurtet - man fühlt sich wie Sonic on Ice! Und die Checks sind so stark, dass man die Stürmer fast immer mit Schmackes aus den Kufen haut - eigentlich müssten sie danach ins Krankenhaus.

Nichts gegen Rasanz und Körpereinsatz: Aber beides wirkt dieses Jahr zu dominant. Wer es eine Spur langsamer haben will, sollte tunlichst auf Simulation schalten. Trotzdem bleibt es schwer, ein taktisches, auf Pässe ausgerichtetes Spiel aufziehen - da hat NHL 08 dieses Jahr klar die Nase vorn. Natürlich ist das auch hier möglich, aber angesichts der hohen Geschwindigkeit und der starken Defensivmanöver landen überproportional viele Pucks dort, wo man sie nicht haben will. Natürlich kann man wieder auf das Icon-Passing der Vorgänger zurückgreifen, aber schon die dafür nötige Betätigung der Back-Taste ist zu umständlich - man drückt in der Hektik schon mal daneben. Hätte man das System nicht einfacher aktivieren können?

Umfang deluxe

Vom Stick zum Schuh: Freut euch auf einige elegante Manöver!
Bei aller Kritik muss man diesem Eishockey zugute halten, dass es die Offensive variabler macht. Wer letztes Jahr noch vornehmlich über One-Timer zum Erfolg kam, wird sich wundern: Selbst wenn der Pass sitzt, landen die Abschlüsse oft schlaff neben dem Kasten. Dafür kann man jetzt auch aus der Halbdistanz mit Handgelenkschüssen in den Winkel lupfen und vor allem von der blauen Linie mit Schmackes einnetzen. Es lohnt sich, sein Pass-Spiel auf solche Schüsse auszurichten, denn man wird des Öfteren belohnt. Und schließlich gibt es noch einen Joker, der auch diese Version in gute Bereiche hievt: den Umfang. Egal ob Liga, Franchise, Training, Minispiele oder Online - alles üppig, alles vorbildlich.

Wer mit seinem Team die Karriere samt Vertragspoker, Liga und Transfers startet, wird hier wie schon letztes Jahr so gut bedient, dass das ehrgeizige Vereinsherz lacht. Man könnte NHL 2K8 (ab 4,95€ bei kaufen) auch alleine als Eishockeymanager spielen, so viel gibt es hier zu beeinflussen und einzustellen - Kenner freuen sich über Waiver, Two-way-Verträge, Free Agents, Drafts sowie die Entwicklung der Profis über mehrere Saisons. Das Katz- und Mausspiel zwischen Talentsuche und Gehaltspoker wird hier bestens simuliert, denn der Agent der möglichen Neuverpflichtung hat ein Wörtchen mitzureden. Allerdings werden es Neulinge schwer haben, sich in dem Labyrinth an Statuten zurecht zu finden, denn hier wird zu wenig erklärt und die Anleitung ist, wie gesagt, ein dünner Witz.

  

Fazit

Hallo Visual Concepts? Warum habt ihr die Steuerung so radikal verändert? Ich liebe Komplexität im Spiel, aber nicht in der Hand! Ich werde dieses Jahr einfach nicht richtig warm mit diesem Eishockey. Was uns letztes Jahr noch sehr gutes Gold wert war, sinkt in gute Bereiche ab. Dabei sehen die Hallen klasse aus, dabei gehen die Fans wunderbar mit und der Komfort lässt mal wieder keine Wünsche offen - egal ob Franchise, Liga, Minispiele, Training oder Online-Duelle. Alles vorbildlich, alles so gut wie letztes Jahr. Und wenn man sich über die lobenswerten Übungsmanöver mit Fleiß einarbeitet, erlebt man ja auch packendes Eishockey. Aber: Die Steuerung ist einfach zu überladen, die Sprints wirken arcadig schnell, die Checks viel zu dominant. Und selbst wenn nach einem Dutzend Matches endlich so etwas wie Spielfluss aufgekommen ist, selbst wenn man über das Verstellen der Reiter endlich so etwas wie eine Simulation vor sich hat: Schnelle Sportarten brauchen einfach eine intuitive Bedienung. Und so löblich der neue Pro-Stick und Superstar-Moves auch sind, so wichtig ist es auch, dass beides in der Praxis auch ohne vorherige Zen-Meditation flutscht. Unterm Strich gutes Eishockey, aber dieses Jahr hat NHL 08 die Nase vorn.

Pro

rasantes Action-Eishockey
vorbildliches Training
coole Superstar-Moves
sehr ansehnliche Animationen + effizientere Distanzschüsse
klasse Soundtrack & Fankulisse
angenehm freie Stick-Steuerung
zig Spielmodi
gut reagierende KI
erstklassiger Online-Modus
komplexer Franchise-Modus

Kontra

überbelegte, kaum intuitive Steuerung
schmeckt zu stark nach Arcade
Superstar-Moves & Pro-Stick wirken noch nicht ganz ausgereift
mickriges Handbuch
zu schnelle Sprints
zu starke Checks

Wertung

360

Letztes Jahr noch sehr gutes, dieses Jahr nur gutes Eishockey.

PlayStation3

Trotz überladener Steuerung: Gutes Eishockey!

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