Far Cry 223.10.2008, Benjamin Schmädig
Far Cry 2

Im Test:

Müde drückt sich ein dunkles Gelb hinter dem Horizont empor. Noch bevor es seine trägen Finger gen Himmel strecken kann, wird es von den Blättern einer dünnen Baumkrone in tausend Stücke zerbrochen. Nur als schmale, lange Scherben erreichen sie ihr Ziel - wo sie ein hungriges Buschfeuer leidenschaftslos verschlingt. Krieg wütet in der afrikanischen Idylle: ein Kampf um Macht, um Waffen, um Menschenleben. Ein Kampf mit der Zerrissenheit zwischen einer fabelhaften Welt und ihren seelenlosen Einwohnern...

Die Last des Vergangenen

"Wieder so ein sinnloser Krieg, der das Land zerstört. Bin gerade auf dem Flughafen angekommen, da kommen mir Männer, Frauen und Kinder entgegen, die ihre Heimat mit der nächsten Maschine verlassen wollen. Mein Fahrer sagt, es wird keine mehr kommen.

Beeindruckender Tag/Nachtwechsel: So sieht die Savanna in der Abenddämmerung aus.Fährt mich nach Pala, dem einzigen Gebiet, in dem noch Waffenstillstand herrscht, und erklärt mir, wie Militärs sich im Land breit machen - aber nichts unternehmen. Mir geht es schlecht. So schlecht, dass ich ohnmächtig werde. Als ich zu mir komme, blättert ein Typ in meinen Unterlagen. Es ist der Typ, wegen dem ich überhaupt in diesem Krieg gelandet bin. Nennt sich der Schakal  und lässt mich aus irgendeinem Grund am Leben. Ich muss dringend aus diesem Schlamassel raus!"

Auf den Schultern von Ubisofts Entwicklern in Montreal liegt eine schwere Last: Auf der linken sitzt ein Vorgänger, der technisch sowie spielerisch als wegweisend gilt und auf der anderen Schulter sitzt mit Crysis ein inoffizieller Nachfolger eben dieses wegweisenden Far Cry, der als die aktuelle Messlatte für das technisch Machbare gilt. Ubisofts Fortsetzung des Actionspektakels muss also visuell beeindruckend und spielerisch enorm abwechslungsreich sein - schließlich waren es vor allem die smarten Gegner und die offene Spielweise, mit der Far Cry von sich reden machte. Erreicht Far Cry 2 (ab 3,96€ bei kaufen) also die technische Brillanz des Kontrahenten, während es die Handlungsfreiheit seines Vorgängers erweitert?

New  Africa

Immerhin ersetzt Ubisoft die ehemals nur scheinbar offenen Levelschläuche durch eine echte offene Welt. Ihr dürft euch während der ersten Hälfte eures Abenteuers zwar nur im Norden des Staates bewegen, aber egal, ob 50 oder 25 Quadratkilometer: Der afrikanische Schauplatz ist enorm weitläufig. Ich habe mich jederzeit so verlassen gefühlt, wie ich es von einer Savanne, einem Dschungel oder einer Wüste erwartet hätte. Natürlich mussten die Entwickler ihre drei Vegetationszonen komprimieren - so schnell wie hier gehen endloser Sand und Regenwald nie ineinander über. Aber die Entfernungen sind ähnlich glaubwürdig wie jene in Rockstars New York, Verzeihung: Liberty City. Mit dem Unterschied, natürlich, dass euch in Afrika deutlich weniger Einwohner pro Quadratkilometer begegnen.

Leider muss ich sogar feststellen, dass jede einzelne Menschenseele, die nicht als Soldat in diesem Krieg verpflichtet wurde, das Land bereits verlassen hat. Es gibt keinen einzigen Zivilisten in Far Cry 2, und das wirkt trotz des überzeichneten Szenarios sehr unglaubwürdig. Wieso geht nicht wenigstens eine Hand voll Menschen ihrem täglichen Geschäft nach? In den vereinzelten Ansammlungen 

Herrliche Weitsicht in einem der seltenen Paraglider.
kleiner Hütten hätte es dafür mit Sicherheit erzählerische und technische Möglichkeiten gegeben. Es wäre vor allem deshalb wünschenswert gewesen, weil auch die gebliebenen Soldaten und Söldner kein wahrnehmbares Eigenleben entwickeln. Wenn euch die Milizen nicht gerade im Kampf begegnen, laufen sie entweder auf wenigen Metern Patrouille oder stehen stur am Fleck. Ja: Es gibt eine offene Welt, in der ihr euch frei bewegen dürft. Aber Ubisoft hat das Innenleben vergessen.

Der Messias nach dem Messias

Und auch technisch ist Far Cry 2 nicht der Messias nach dem Messias. Selbst am PC erstrahlt Afrika nie mit der Brillanz des koreanischen Dschungels. Dafür geht Ubisofts Kontrahent schonend mit eurer Rechenkraft um; selbst mein oller 3,1 Duron XP stemmt (mehr schlecht als recht, aber immerhin!) den Dschungel - der mit minimalen Details immer noch gut aussieht. Crysis entpuppte sich bei ähnlichen Einstellungen als hässliches Entlein und war kaum noch spielbar. Falls halbwegs potente Hardware unter eurem Tisch steht, solltet ihr deshalb zur PC-Version greifen, denn Far Cry 2 deutet an, dass flotte Rechner einer aktuellen Konsole tatsächlich überlegen sind. Deutlich schwächere Texturen, einige richtig böse flackernde Schatten, später in der Entfernung auftauchende Bäume oder Felsen sowie die gelegentlich erst spät ins Bild streamende Umgebung sprechen eine deutliche Sprache. Nicht zuletzt zeigt Far Cry 2 wieder einmal, dass man Ego-Shooter auch per Gamepad hervorragend steuern kann - trotzdem ist die Kombination aus Maus und Tastatur immer noch bequemer. Und zwar nicht nur wegen der Möglichkeit, jederzeit Speichern zu können.        

Am PC dürft ihr euch außerdem beim Sprinten frei bewegen, während die Konsolenfassung nur ein minimales Drehen erlaubt. Und noch ein Detail: Nur, falls ihr über einen 4:3-Bildschirm nach Afrika schauen solltet, genießt ihr auf allen Systemen die volle Aussicht. Denn die Widescreen-Formate werden jeweils mit derselben Breite wie das entsprechende 4:3-Bild dargestellt. Bei den häufigen Autofahrten kann das deshalb notwendige Nachschauen auf die Übersichtskarte am unteren Rand deshalb nerven, weil ihr den Widescreen-Blick dafür extra senken müsst - eine unbequeme Kleinigkeit.

PC vs. Konsole

Technisch also kein Crysis und ohne echtes Eigenleben - aber auf Bildern sah die Welt doch so beeindruckend aus... Und das tut sie auch in

Auch wenn die Konsolenversionen großartig aussehen - Far Cry 2 zeigt, welche Pracht in einem starken PC schlummert.
Bewegung. Kurz gesagt: Far Cry 2 gehört sowohl auf Konsole (die PS3-Version wirkt einen Tick unschärfer als das 360-Pendant) als auch am PC zum Schönsten, was je über eine Mattscheibe geflimmert ist! Vor allem tagsüber, wenn das afrikanische Land mit seinem beeindruckenden Tages-Rhythmus ständig in Bewegung scheint. Wenn der Blick in aller Ruhe über weite Täler schweift, wenn man im hüfthohen Gras einen steilen Felsen erklimmt oder sich auf einem kleinen Fischerboot über einen der zahlreichen Flüsse treiben lässt. Wenn die zirpende Grille fast greifbar ist, wenn eine steife Brise durch die Baumwipfel fegt oder man sich im stürmischen Regen eine Kapuze wünscht: Es ist nicht nur das idyllischste Afrika aller Zeiten, es bietet einige der bislang schönsten Aussichten überhaupt. Schade, dass die seltenen und ausschließlich ungefährlichen Tiere höchstens zu dritt unterwegs sind - so grandios die Flora, so sehr gleicht die Fauna der minimalistischen Menschenwelt. So sehr mich Far Cry 2 in seinen Bann zieht, so sehr strotzt es vor Inkonsequenzen...

"Endlich Medizin! Verdammte Malaria. Wenn ich nicht ohnmächtig werden will, muss ich Tabletten schlucken, sobald mir schwarz vor Augen wird. Nachdem ich dem Anschlag in Pala entkommen bin, habe ich mich mit drei Typen zusammengetan, alle Söldner wie ich. Warren ist mein bester Kumpel, hilft mir bei meinem Auftrag, kennt das Land wie seine Westentasche. Dann sind da noch Marty und Flora. Marty ist cool: Macht nicht viel, haut mich aber raus, wenn's mich da draußen mal erwischt. Klappt aber nur einmal, dann muss ich erst wieder eins von meinen Verstecken aufsuchen. Und Flora gibt mir ein bisschen was zu tun. Ist auf ihrer eigenen Mission, braucht aber manchmal Hilfe. Und falls ich mal selbst Hilfe brauche, fahren da draußen Waffentransporte durch die Gegend - zerlege ich einen davon, kann mir der Waffenladen die erbeuteten Schießeisen verkaufen. Und falls ich mal Kohle, also Diamanten brauche, lege ich einfach jemanden um. Für irgendeine verzerrte Stimme, die sich am Telefon meldet. Ansonsten liegt das weiße Gold aber auch überall rum: Findest du einen von über 200 Koffern, bist du ein, zwei Diamanten reicher. Ist auf Dauer ganz schön öde, dem Funkelkram hinterherzulaufen."

Erzählerisches Schwungholen

Manchmal ist der Dschungeltrip eine offene Welt wie GTA oder Just Cause und manchmal ein geradliniger Ego-Shooter mit grenzenloser Bewegungsfreiheit. Was das heißt? Es bedeutet, dass er euch an wenigen Stellen an die Hand nimmt und euch Missionsziele vorsetzt, die ihr 

Bis auf Diamanten gibt es in der wunderschönen Idylle kaum etwas Spielerisches zu entdecken.
unbedingt erfüllen müsst. Bis ihr sie erledigt habt, könnt ihr euch zwar nach eigenem Gutdünken in Afrika umsehen, dürft aber keinen der sonst verfügbaren optionalen Aufträge annehmen. Und in gewisser Weise ist das gut so. Zum Einen erwacht die Welt in den geradlinigen Erzählphasen nämlich zum Leben, weil sich die Ereignisse plötzlich überschlagen, ihr deshalb von einer gewissen Dringlichkeit getrieben werdet, die dem Abenteuer sonst fehlt, und weil wichtige Figuren ins Spiel gebracht werden, die sonst entweder gar nicht auftauchen oder euch erzählerisch langweilige Aufträge zuteilen.

Zum Anderen sind diese Erzähltriebwerke recht zügig erledigt, so dass ihr euch schnell wieder in der offenen Welt austoben dürft. Das liegt leider u.a. daran, dass die Gegner selten eine echte Bedrohung darstellen - gut, dass man den Schwierigkeitsgrad jederzeit von "Normal" auf "Heftig" und "Berüchtigt" ändern kann, "Einfach" gibt es natürlich ebenfalls. Die Kürze der durchaus spannenden Plot-Sequenzen zeigt allerdings auch, dass die Geschichte recht knapp ausfällt. Würde man sich ausschließlich um die Handlung kümmern, wäre der exotische Trip vorbei, bevor er richtig Fahrt aufnehmen könnte. Far Cry 2 holt deshalb an anderer Stelle Schwung - immer dann, wenn es euch in der freien Wildbahn von der Leine lässt.

Fraktionskrieg

Aber das offene Erforschen der Wildnis ist Fluch und Segen zugleich. Viel Fluch, wohl gemerkt - weil die Entwickler beim Erschaffen ihrer imaginären Nation zwei grundlegende Aspekte vergessen: Auf der einen Seite ist ihre Welt nicht glaubwürdig genug, während sie auf der anderen Seite zu wenig Spielraum zum Austoben lässt. Eine dieser Bedingungen hätte sie aber erfüllen müssen, damit sich Videospieler in ihr wohl fühlen können. Aber worum geht es überhaupt und was müsst ihr tun?    

"In Pala herrscht Waffenstillstand. UFLL und APR, die zwei Fraktionen, die diesen Krieg führen, haben hier ihre Quartiere aufgeschlagen und verhalten sich ruhig. Wer hier keinen provoziert, dem passiert nichts. Aber mir ist gerade nicht danach, meine Mission voranzutreiben, indem ich die Drecksarbeit für die beiden Kriegstreiber erledige. Ändert sowieso nichts daran, dass mich sämtliche UFLL- und APR-Soldaten da draußen angreifen, sobald sie mich sehen. Fällt schwer, sich so mit denen zusammen zu tun! Verdiene mir deshalb momentan meine Kohle mit Attentaten oder überfalle ein paar Waffentransporte. Will ja gerüstet sein, wenn's in den Süden geht. Da geht's nämlich noch mal härter zur Sache. Wobei ich hier schon alle Hände voll zu tun habe. Keinen Kilometer kannst du dich bewegen, ohne dass du einer Patrouille begegnest. An jeder zweiten Kreuzung fährst du auf einen gut bewachten Checkpunkt zu. Raus aus dem Wagen! Warten, bis zwei von denen in ihrem Jeep auf dich

"Marty hier haut mich raus, wenn's mir in der Savanna zu heiß wird."
zu fahren und kurzer Prozess. Zwei Granaten, ein Magazin auf die restlichen Gegner und das Problem ist erledigt. Weiter!"

"Checkpunkt Nr. X"

Auch wenn ich nach der Einführung sofort für UFLL oder APR arbeiten könnte, um ihrem Waffenhändler, dem Schakal auf die Schliche zu kommen, will ich erst einmal sehen, was mich in Afrika abseits der Handlung erwartet - eine offene Welt wird für mich meistens dann faszinierend, wenn sie einen großen Spielplatz zum Erkunden und Erforschen bietet. Und genau danach habe ich die prachtvollen Kulissen buchstäblich vergeblich abgegrast. Denn obwohl überall Koffer mit Diamanten liegen: Spannend sind die langen Lauf- und Fahrwege nur zu Beginn. Irgendwann kennt man die Pfade, irgendwann will man entdecken statt suchen. Zumal das Sammeln der Edelsteine über den Peilsender auf Dauer mehr Nerven kosten als dass es die Neugier anspornt, weil es Zeit und mitunter mehrere 360-Grad-Drehungen kostet, das Signal richtig zu interpretieren. Ganz abgesehen davon war das wesentlich kniffligere Aufspüren ähnlicher Extras in Pacific City ohnehin aufregender als die banale Koffersuche.

"Wieder ein Checkpunkt. Diesmal fahre ich direkt in das feindliche Lager. Zwei Gegner steigen in einen Wagen, fahren zehn Meter auf mich zu, steigen wieder aus. Ich erledige erst sie, dann den Rest - und weiter geht's. Mein Ziel ist die Ermordung irgendeines Typen, von dem ich nicht einmal weiß, wie er heißt. Ein gewinnträchtiges Unterfangen, also weiter!"

Wieso ich mich an etwas so Banalem wie dem Sammeln von Diamanten hochziehe? Ganz einfach: Es gibt sonst partout nichts zu tun. Vom immer gleichen Ballern auf die Truppen der APR und UFLL mal abgesehen. Wenn mir Far Cry 2 schon die Tore zu einer offenen Welt öffnet, darf sie nicht nur eine bleihaltige Tech-Demo sein, sie muss sich auch spielerisch öffnen. Ich WILL mich doch von dieser Welt vereinnahmen lassen! Aber wenn mich dort nur eine umwerfend gut aussehende Schießbude erwartet, funktioniert das nicht. Da kann es in der Schießbude noch so beeindruckend rumsen und krachen...

Explosive Staubschleudern

"Bin fast am Ziel. Am nächsten Checkpunkt nehme ich den Wachposten aus der Ferne aufs Korn. Aber diese verdammten Hunde setzen sich in ihren Jeep und fahren direkt auf mich zu, nachdem ich nur einen Schuss abgegeben habe. Das war's mit der Taktik. Aussteigen lassen, erledigen, ins Lager vorrücken und  weiter geht's."

... und die Schauwerte haben es immerhin wirklich in sich - vor allem dann, wenn eine Granate die Umgebung zerfetzt und schwere Sandsäcke durch die Gegend pfeffert. Die Objekte wirken so schwer, dass man die Wucht des Sprengkörpers beinahe spüren kann. Dabei

Far Cry 2 lässt's ordentlich krachen: Die Schauwerte sind sehens- und hörenswert!
reicht es schon, wenn er mitten im Dschungel in die Luft fliegt: Dann reißt eine dreckige Staubschleuder die Büsche auseinander und Äste von den Bäumen. Richtig eindrucksvoll wird es aber erst dann, falls ein Buschfeuer entsteht. Zwar grenzen die Entwickler dessen Ausbreitung so ein, dass höchstens ein paar hundert Quadratmeter verbrannte Erde zurückbleiben, aber wer einmal sieht, wie sich das Feuer entsprechend der Windrichtung bewegt, wird das Spiel mit Flammenwerfer oder Brandgranaten lieben! Zumal ihr solche Mittel auch taktisch nutzen könnt: Entfacht auf der einen Seite des Lagers einen Brand, um die Gegner auf die andere Seite zu locken. Oder platziert Bomben an Vehikeln oder Munitionskisten - und zündet diese, wenn ihr euch vorher an anderer Stelle in Position gebracht habt...

Solche oder andere Taktiken, u.a. das langsame Herantasten an eine feindliche Stellung als Scharfschütze, eröffnen zahlreiche Möglichkeiten. Zumal ihr euer Arsenal mit etlichen Waffen aufstocken könnt. Auch der Wechsel zwischen unterschiedlichen Vorgehensweisen funktioniert nahtlos: Wenn ihr euch z.B. im Gebüsch versteckt, nachdem ihr die Soldaten einmal aus ihrem Unterschlupf gelockt habt, suchen sie nur dort, wo sie euch zuletzt sehen konnten... Bessere Tarnung hilft euch später sogar dabei, noch besser unterzutauchen.       

Schlauberger

"Meine Munition wird knapp. Muss noch mal zum letzten Stützpunkt. Sieht so aus, als wäre ich nie hier gewesen. Schon wieder stehen überall Wachen, von den Toten keine Spur. Was soll's. Diesmal schleiche ich mich auf leisen Sohlen heran, erwische einen der Kerle mit der Machete - woher wissen die anderen plötzlich, dass ich hier bin? Ein, zwei Salven mit der Schrotflinte und das Problem ist gegessen. Endlich nachladen, Erste Hilfe-Kisten einpacken und weiter!"

Das einzige, was Far Cry 2 so gut wie überhaupt nicht zulässt, ist das leise Anschleichen - heimliche Sam Fishers oder Solid Snakes kommen in dem fiktionalen Afrika zu kurz. Keine Frage: Die heißen Feuergefechte sind ungemein befriedigend! Es ist aber schade, dass es keine spielerischen Unterschiede zwischen Tag und Nacht gibt. So wird zudem das manuelle Vordrehen der Zeit in den Verstecken entwertet. Abgesehen davon sind die UFLL- und APR-Soldaten auch nicht auf leises Vorgehen eingestellt sind. Die Schlauberger entdecken nämlich jede aus der Deckung geworfene Granate noch bevor sie explodiert. Schlimmer noch: Sollte es euch gelingen, eine Wache lautlos mit einem Finisher zu erdolchen - schlägt der Rest der Bande trotzdem Alarm.  Und zwar nicht erst dann, wenn sie die Leiche finden.

Lautloses Vorgehen bringt leider kaum etwas.
Solche Momente stehen im krassen Gegensatz zur gelungenen Action. Ihr dürft nicht einmal mit coolen Nahkampfangriffen attackieren - das lapidare Schwingen der Machete ist hier das höchste der Gefühle.

"Vorletzter Checkpunkt! Eine Hand voll Soldaten, ein Feuerwechsel, ein Magazin später geht's weiter."

Letzte Rettung

Immerhin sollten euch die Widersacher wie erwähnt keine allzu große Hürde sein. Zumal sie nicht zu den cleversten ihrer Art gehören. Sie gehen zwar in Deckung, umgehen vor allem im späteren Verlauf geschickt eure Position und sind verdammt gute Schützen. So lange ihr euch jedoch umsichtig vortastet und erst dann eure Deckung verlasst, wenn ihr das Gebiet im Nahkampf kontrollieren könnt, geratet ihr selten in Schwierigkeiten. Passt nur auf, dass benutzte Waffen nicht plötzlich klemmen; Ladehemmung sorgen für unnötig stressige - und ungemein coole! - Momente, wenn ihr den Knopf zum Nachladen malträtieren müsst, damit das Schießeisen endlich wieder mitspielt!

Solltet ihr einer Übermacht unterlegen sein, kommt euch übrigens euer zweitbester Kumpel zu Hilfe. Ihr seht dann, wie er oder sie euch stützt, in Sicherheit bringt und eine neue Waffe in die Hand drückt. Schade, dass die Sequenz komplett automatisch abläuft, so dass die Buddys schon mal direkt auf einen Felsen ballern, obwohl hinter ihnen ein Gegner wartet. Abgesehen davon ist es aber eine ausgesprochen elegante Methode, um ein frustrierendes und auf Konsole langwieriges Laden des Spielstands zu vermeiden. Immerhin dürft ihr auf PS3 und 360 nur in bestimmten Gebäuden speichern - was den Ablauf bremsen kann, wenn ihr vor einem Missionsziel auf Nummer sicher gehen wollt... Für die Eskalationen der Gewalt gilt letztendlich, was auch für die Spielewelt zählt: Es sind vor allem die Schauwerte, mit denen Far Cry 2 von sich reden macht.

"Checkpunkt. Soldaten. Jeep. Granaten. Magazin. Weiter, weiter, weiter!"

Nicht schon wieder - jetzt halt' doch endlich mal den Rand!

Intermezzi

"Aber ich kann nicht!"

Wieso denn? Du musst dich doch nicht ständig selbst zitieren.

"Ich zitiere nicht mich, ich zitiere das Spiel."

Aber ich versuche dieses Spiel zu genießen - die knirschenden Kiesel unter  meinen Stiefeln, die tief in den Fels eingeschnitten Flussbetten, das Rattern der Kanonen. Und das geht nicht, 

Fahren, Checkpunkte überfallen, Weiterfahren - mehr hat Far Cry 2 über weite Strecken leider nicht zu bieten.
wenn mich deine ständig wieder kehrenden Checkpunkt-Soldaten immer wieder aus der Illusion reißen.

"Ach!"

Ach?

"Ach - na, was denkst du wie's mir geht? Ich wünschte, dieses Land wäre eine lebendige Welt. Eine Welt, in der mein Tun irgendetwas bewirkt. Eine offene Welt, die wenigstens so tut, als würde ich nicht nur durch eine virtuelle Tech-Demo rasen."

So schlimm?

"So schlimm. Oft ist Far Cry 2 grandios - gelegentlich treibt es mich in den Wahnsinn. Man kann zwar, oberflächlich gesehen, tun und lassen, was man will: Kehrt man nach drei Minuten oder nach einem Kilometer aber wieder um - weil man was vergessen hat oder den falschen Weg genommen hat oder von einem Auftrag heimkehrt - steht die Welt auf 'bevor du hier warst'. Es interessiert nicht mal, ob du ganze Forts, Dörfer oder Schrottplätze ausräucherst; die kommen alle wieder."

Das ist ja extrem unglaubwürdig.

"Ach."

Schade. Solche Inkonsequenzen ziehen sich also wie ein roter Faden durch das gesamte Spiel. So könnt ihr euch z.B. dafür entscheiden, eure schwer verwundeten Kumpels einfach zurückzulassen oder sogar zu erschießen. Das geschah in einer dramatischen Szene, die mir beim ersten Mal die Luft zum Atmen nahm! Warren weiß, wie es um ihn steht, hält sich meine Pistole an seinen Hals - und ich drücke ab. Nachdem die Tat vollbracht war, rauschte nur noch der Wind durch die Wipfel der hohen Bäume. Ich hatte meinen besten Kumpel erschossen und blieb einsam mit meiner Schuld zurück...         

Witzige Soldaten

Lange hielt der emotionale Höhepunkt allerdings nicht an, denn ich musste bald feststellen, dass der Mord erstens ohne Konsequenzen blieb und die gefallenen Kameraden zweitens einfach ersetzt werden. Das Spiel würfelt aus, welche Buddys euch wann begegnen - doch egal, wen ihr trefft, jeder beste Kumpel gibt euch stets exakt dieselben Aufträge! Ganz zu schweigen davon, dass sämtliche Aufträge ohnehin stets aufs Gleiche hinauslaufen: hinfahren, ballern, zurück fahren. Auf diese Art werden die scheinbar individuellen Kameraden zu leblosen Marionetten. Ich habe Far Cry 2 auf drei Systemen, teilweise sogar mehrmals, gesehen und gerade die jeweils unterschiedlichen Buddys könnten mir inzwischen nicht weniger bedeuten. Dasselbe trifft auf die Führer der UFLL und APR zu: Sie versorgen euch

Bootsfahrten bringen euch wesentlich stressfreier ans Ziel als der Weg über die Straße.
zwar ebenfalls mit Missionen, aber zum Einen habt ihr praktisch keine Wahl, für welche Seite ihr Missionen erledigen  wollt und zum Anderen findet nie eine Annäherung zwischen euch und eurem Auftraggeber statt. Denn euch greifen stets sämtliche Soldaten beider Fraktionen an - egal, für wen ihr unterwegs seid. Die einzige Wahl, die ihr treffen könnt, ist jene, welche Mission ihr annehmen wollt, denn die Kameraden bieten euch in den meisten Fällen alternative Lösungswege an. Weil die emotionale Bindung an die Figuren aber ausgesprochen blass bleibt und weil einmal erledigte Gegner viel zu schnell wieder unversehrt am gewohnten Platz stehen, sind deren witzige Unterhaltungen ihre hervorstechendste Eigenschaft. Immerhin ist die Synchronisation sämtlicher Texte richtig gut gelungen. Selbst die afrikanischen Sprachfetzen wirken überzeugend.

"Mein Auftrag ist so gut wie erledigt. Seit ich den Weg über die Flüsse entdeckt habe, konnte ich einige der nervigen Checkpunkte endlich umgehen. Gibt selbst auf dem Wasser zu viele feindliche Posten, aber man flieht schneller als vor den lästigen Jeeps. Ich mache mir langsam Gedanken nach dem Danach. Was, wenn der Schakal Geschichte ist? Die Jagd war packend - aber wäre ich nicht froh, wenn's vorbei wäre?"

Zeig doch mal, was du gegen die anderen Söldner drauf hast!

"Die erledige ich mit links!"

Editier mich!

Dann mach das! Immerhin sammelst du im Internet oder LAN Erfahrungspunkte und steigst so über drei Stufen in den sechs Klassen im Rang auf. Mit jedem Schritt erhältst du stärkere Waffen. Was Call of Duty 4 groß gemacht hat, funktioniert auch in Far Cry 2 hervorragend, wobei man in gewöhnlichen Gefechten schneller Erfahrungspunkte einsackt als im Ranglistenspiel. Verständlich, denn der Klassenaufstieg ist dort nach jeder Partie wieder futsch. Etwas Besonders bietet der Ubisoft-Shooter dabei nicht: Die vier Spielvarianten ("Deathmatch", "Team-Deathmatch" sowie  "Capture the Flag") sind längst bekannt. Lediglich das zufällige Festlegen eines Team-Captains im Kampf um Kontrollzonen

Was kann schon Halo 3? Der umfangreiche Editor ist auf Konsolen bislang unerreicht!
("Uprising") sorgt dafür, dass die Gruppe mehr als sonst zusammenhalten muss, um ihren verwundbaren Anführer zu beschützen.

Im Gegensatz zu ähnlichen Titeln dürft ihr allerdings nicht in einer offenen Welt beweisen, was ihr in Sachen Taktik und Geschicklichkeit auf dem Kasten habt. Stattdessen tragt ihr die Gefechte in begrenzten Gebieten aus, die den zentralen Schauplätzen des Solo-Abenteuers gleichen. Großer Vorteil davon: Ihr könnt sogar eigene Karten erstellen, auf die offiziellen Server laden, dort auf die Werke anderer Spieler zugreifen, um sie zu bewerten oder weiter zu verbessern! Was für PC-Spieler freilich eine erfreuliche Nachricht, aber auch Schnee von gestern ist. Doch auch PS3- und 360-Architekten dürfen dasselbe Programm nutzen, um aus einem flachen Niemandsland ihr Wunschareal zu basteln. Natürlich geht die Gamepad-Steuerung des komplexen Editors nicht ganz so flüssig von der Hand wie die Bedienung mit Maus und Tastatur - trotzdem können selbst Neulinge schon nach einer Stunde beachtliche Ergebnisse erzielen. Wer sich wirklich mit der Materie beschäftigt, formt schließlich komplexe Schauplätze einschließlich Bergen, Wäldern, Flüssen, Dörfern: Sämtliche Materialien, aus denen Ubisoft sein prächtiges, wenn auch inhaltlich formloses Afrika geschaffen hat, stehen euch zur Verfügung!        

Fazit

Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust. Far Cry 2 stößt mich in ein Wechselbad der Gefühle, denn selten habe ich so hässliche Entlein vor einem so bildschönen Hintergrund gesehen. Ich bin dem Rauschen des Windes durch die sengende Hitze gefolgt, ich bin mit Fährschiffen über weite Seen gefahren, ich habe mich im Schatten hoher Baumkronen verloren. Auch wenn Crysis die technische Nase vorn hat: Ubisoft hat das idyllischere Szenario. Leistungsstarke Rechner haben dabei die Nase vor den Konsolen-Fassungen, wobei die PS3-Version am mattesten wirkt. Auch die Handlung ist in den wenigen Momenten, in denen sie angetrieben wird, packend und macht neugierig. Aber warum agieren sämtliche Figuren zum größten Teil nur wie Statisten? Ich will keinen namenlosen Anführer, der in seinem Zimmer stets am Fleck steht. Ich will keine besten Kumpels, die nicht nur austauschbar wirken, sondern tatsächlich einfach ausgetauscht werden, falls sie das Zeitliche segnen. Und ich will keine Gegner, die wie festgeschweißte Stehauf-Männchen nur auf festgelegten Punkten oder Patrouille-Routen aufkreuzen. In ein Land von 50 Quadratkilometern gehören außerdem abwechslungsreiche Aufgaben sowie Zivilisten - irgendetwas, das einen lebendigen Eindruck vermittelt! Schön, dass die starken Gegner den überlegten Einsatz meiner Waffen fördern: Die Action ist zwar wenig überraschend, aber wunderbar brachial inszeniert. Es sind die knackigen Gefechte sowie das grandiose Mittendrin-Gefühl, wegen denen ich mich der Faszination Afrika einfach nicht entziehen kann. Beim nächsten Mal muss Ubisoft seinem grandiosen Schauplatz aber auch Leben einhauchen!

Pro

grandioser Schauplatz…
stimmungsvolle Wettereffekte
überzeugende Physik, glaubhaftes Feuer
stellenweise packender Plot...
satte Geräusche
starke Gegner fordern taktisches Vorgehen
Ladehemmungen sorgen für aufregende Momente
Buddys als Lebensretter mit cooler Sequenz
zahlreiche optionale...
umfangreiches, offenes Aufrüsten
Mehrspieler-Gefechte frei nach Call of Duty 4
umfangreicher Editor für Mehrspieler-Karten
selbst erstellte Karten online bewerten und tauschen
cleveres Wegweiser-System
sehr gute deutsche Synchro

Kontra

Gegner verhalten sich mitunter unlogisch
nur jeweils ein Auftrag möglich
nervtötendes Abklappern der Checkpunkte- ... meist herrscht jedoch erzählerische Flaute
seelenlose Buddys
lautloses Vorgehen zu schwierig
Texturen/Objekte tauchen teilweise spät auf (360 & PS3)
Welt wirkt starr und unbelebt- ... aber ständig gleiche, banale Missionen
Entscheidungsfreiheit nur in wenigen vorgesehenen Situationen
Figuren wirken auch in "Filmsequenzen" relativ starr

Wertung

360

Technisch zwar einen Schritt hinter der PC-Fassung, gleichen sich die Versionen bis hin zum umfangreichen Editor.

PlayStation3

Auch PS3-Söldner dürfen sich an Ubisofts Afrika satt sehen - dessen visuelle Reize nur eine winzige Note hinter dem 360-Dschungel liegen.

PC

Ein grafisch umwerfendes exotisches Szenario - das sich spielerisch zu schnell erschöpft.

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