Bully: Die Ehrenrunde06.03.2008, Paul Kautz
Bully: Die Ehrenrunde

Im Test:

Anderthalb Jahre ist es her, dass man vor einer blauen Schachtel mit dem bulligen Logo sowie dem Schriftzug »Canis Canem Edit« stand und sich fragte, was zum Teufel das wohl bedeuten sollte. Anderthalb Jahre ist es her, dass der Rotzlöffel Jimmy Hopkins in dem coolen, ungewöhnlichen und intelligenten Action-Adventure durch die Bullworth Academy trabte, das uns 87% wert war. Jetzt schwingt sich Jimmy kaum gealtert auf 360, Wii und PC.

Denkt denn keiner an die Kinder?

Was ist Bully? Ist das wirklich ein GTA auf dem Schulhof? Columbine - Das Spiel? Oh mein Gott, rettet die Jugend vor diesem Spiel! Verständigt Pfeiffer! Bewahrt die Familie! Sagt der Bild-Zeitung Bescheid!

Jimmy Hopkins ist wieder da - spielerisch kaum gealtert, optisch auf Hochglanz gewienert. Zwar kann die Präsentation nicht mit »echten« 360-Produktionen mithalten, doch für eine PS2-Umsetzung ist das Resultat sehr ansehnlich.
 Oder doch nicht?

Nö. All die Panik, all der Terz - völlig sinnlos. Bully war und ist ein intelligentes, außergewöhnliches und lässig designtes Action-Adventure in einem zugegebenermaßen in Computerspielen selten genutzten Szenario - einer runtergekommenen Schule, gegen die die Rütli-Lehranstalt wie ein Streichelzoo wirkt. Held ist der 15-jährige Jimmy Hopkins, der von seiner Mutter und seinem neuen, verhassten Stiefvater auf dem Weg zu ihrer Hochzeitsreise an den Toren der Schule ausgesetzt wird. Da steht er nun, der arme Tor - und muss sich ein Jahr lang bestmöglich durchschlagen.

Der musikalische Rabauke

Wenn ihr wissen wollt, wie sich Bully spielt, wie die Missionen aufgebaut sind oder kurz, um was für ein Spiel es sich handelt, dann verweisen wir euch auf unseren ausführlichen Test des PS2-Originals Canis Canem Edit . Denn das grundlegende Bully entspricht seinem Sony-Vorbild auf den Pickel genau, die anderthalb Jahre Wartepause haben die Designer für Feinschliff, zusätzliche Missionen und Extras sowie systemspezifische Verbesserungen genutzt. Aber eines nach dem anderen.

Beginnen wir mit den Zusatzinhalten, die sowohl in der 360- als auch der Wii-Fassung enthalten sind: Am wichtigsten sind die vier neuen Unterrichtsstunden; neben Englisch, Kunst oder Sport paukt ihr neuerdings auch Biologie, Musik, Mathematik und Geographie. Natürlich auch wieder in Form von Minigames: In Bio müsst ihr unter Zeitdruck Frösche oder Tauben sezieren, in Mathe schnellstmöglich Rechenaufgaben lösen, Musik präsentiert sich als eine Art Dance Dance Revolution light - begleitet von einem quälend falsch spielenden Schülerorchester müsst ihr gut getimt herunterfallende

Acht neue Missionen finden sich im Spiel, die meisten davon spielen im Winter - hier müsst ihr einem besoffenen Weihnachtsmann unter die verschwitzten Arme greifen.
Richtungsangaben erwischen. Unterhaltsam, einfach zu steuern, insgesamt ziemlich leicht - genau wie der Rest des Spiels, was Bully ideal für Genre-Neulinge macht. Darüber hinaus gibt es noch acht frisch designte Missionen, die zum größten Teil während der verlängerten Winterperiode spielen  und gut in die bekannte Levelstruktur einfügen, sowie zusätzliches freischaltbare Klamotten und Frisuren. Außerdem wartet im Hauptmenü neuerdings der Menüpunkt »Mehrspieler«, der zwei Schülern die Möglichkeit gibt, in acht Minigames, zum größten Teil die Unterrichtsstunden, gegeneinander anzutreten - nett, aber auch nicht mehr. 360-Spieler bekommen natürlich auch die obligatorischen Achievements, die sehr angenehm auf das gesamte Spiel verteilt sind - wer also die vollen 1000 haben will, muss etwa 20 bis 25 Spielstunden investieren. Zwar kommt man auch wesentlich schneller durch Bully, indem man sich auf die Hauptstory konzentriert und Unterricht sowie Nebenaufträge unbeachtet lässt, doch dann entgeht einem locker das halbe Spiel. Wie auch das Original erschallt auch der neue Bully komplett auf Englisch, optional dürft ihr deutsche Untertitel dazuschalten. Auf 360 gibt es als Bonus noch einen merkwürdigen Soundbug, der dafür sorgt, dass immer wieder mal der Ton für einen Sekundenbruchteil komplett aussetzt - zwar kein Beinbruch, aber hörbar.           

Das schöne Leben

Die Wii-Fassung entspricht grafisch im Großen und Ganzen dem PS2-Vorbild, profitiert aber auch von frischen Texturen und 3D-Modellen. Allerdings ist hier die Framerate noch unbeständiger als auf der 360.
 Die wichtigste Neuerung der 360-Fassung ist die generalüberholte Grafik: Jimmy und Konsorten schlagen sich in HD durchs Leben, ein großer Teil der Texturen wurde hochauflösend neugepinselt oder wenigstens sorgsam hochgerechnet, die 3D-Modelle wurden verfeinert, es gibt viele frische Lichteffekte und realistischen Schattenwurf. Außerdem wurde an der Framerate gekurbelt, das Spiel läuft meistens (aber nicht durchgehend) flüssig, obwohl weitaus mehr NPCs die Straßen Bullworths und das Schulgelände bevölkern. Klingt alles gut, sieht auch anständig aus - nur sollte man die Hoffnungen nicht übertrieben hoch ansetzen: Dem Spiel sieht man seine PS2-Wurzeln deutlich an, ein Vergleich mit nativen 360-Entwicklungen wäre nicht ganz fair.

Die Wii-Fassung hat das Problem nicht, sieht sie doch im Großen und Ganzen ihrem PS2-Bruder sehr ähnlich: Auch hier profitiert man von runderneuerten Texturen, Modellen und Effekten, das Resultat sieht aufgrund der Wii-Auflösung aber nur solide aus. Beiden Varianten gemein sind die langen Ladezeiten, die bereits die PS2-Fassung plagten: Es wird dauernd und ständig nachgeladen, bei jedem Betreten eines Gebäudes, bei jedem Starten einer Mission, bei jedem Unterricht - zwar sind das immer nur ein paar Sekunden, aber die häufen sich mit der Zeit enorm. Die Wii-Version kommt gelegentlich sogar gar nicht hinterher: Fade-Ins sind ja eher normal, aber hin und wieder kam es im Test vor, dass ein Raum beim Betreten komplett leer war, wie das Konstrukt in der Matrix. Und genau wie der füllte sich der Raum nach ein paar Sekunden mit Wänden, Texturen und Figuren - zwar irgendwie recht unterhaltsam, aber natürlich nicht schön anzusehen.

Die Kampfsteuerung funktioniert via Wiimote und Nunchuck ganz wunderbar - fummelig wird's erst, wenn »Waffen« und das Skateboard ins Spiel kommen.
Was der 360-Version die Grafik, ist der Wii-Fassung die Steuerung: Die Bewegungskontrolle der Konsole wird unvermeidlich genutzt, was mal mehr, mal weniger gut funktioniert. Beim Kampf ist z.B. alles in Butter, beide Geräte repräsentieren Jimmys links bzw. rechten Arm, das Kloppen geht schön leicht von der Hand. Auch die Unterrichtsstunden wurde an die Steuerung angepasst: So müsst ihr in Chemie nicht nur die richtigen Tasten drücken, sondern auch die Controller drehen und schütteln. Gewöhnungsbedürftiger ist da schon das Feuern mit der Steinschleuder, wird sie vom im Modus für präzises Zielen ausschließlich per Wiimote gesteuert, was eine sehr ruhige Hand erfordert - auch noch kein Problem. Ärgerlich wird es erst bei der Waffenwahl und dem Skateboard: Während ihr Stinkbomben, Juckpulver und Murmeln mit Plus und Minus durchschaltet, müsst ihr für das Skateboard beides gleichzeitig drücken - was mit normaler Wiimote-Haltung einfach nicht funktioniert, es sei denn, euer Daumen ist fachgerecht zerteilt. Im Notfall ist also ein schnelles Anwählen des Boardes nicht möglich, was sich bei flotter Flucht immer wieder negativ bemerkbar macht.   

Die PC-Version

Knapp acht Monate nach 360 und Wii geht der Unterricht auch endlich für PC-Schüler los. Und spielerisch hat sich nichts verändert: Es gibt keine PC-spezifischen Extras oder Sondermissionen, das Abenteuer entspricht zu 100% der 360-Version. Mit zwei großen Ausnahmen: Da wäre zum einen natürlich die Grafik, deren Auflösung ihr ordentlich

Bully setzt auf dem PC keine Grafik-Maßstäbe, sieht allerdings auch nicht schlecht aus - Anti-Aliasing und Co. leisten gute Arbeit.
hochkurbeln könnt. Dazu gibt's noch bis zu sechsfaches Anti-Aliasing sowie Schatten in verschiedenen Qualitätsstufen. Das Endergebnis mit allen aktivierten Verschönerungen sieht sehr ordentlich aus, aber natürlich kann Bully auch hier seine PS2-Wurzeln nicht verleugnen. Dafür sind die Hardwareanforderungen wunderbar niedrig, selbst mit vollen Optionen flitzt die Grafik wie ein 100m-Sprinter dahin. Allerdings gibt es auf ATi-Karten bei vollem Anti-Aliasing gelegentliche Grafikfehler an Polygonübergängen, auf die man im Detail achten sollte. Das Intro-Video, das nicht in Echtzeit berechnet, sondern als Film abgespielt wird, wird bei hohen Auflösungen mysteriöserweise gestaucht angezeigt. Und wie schon auf den Konsolen gibt es auch hier gelegentlich gut sichtbare Pop-Ups und Fade-Ins - an der Sichtweite der Engine wurde nicht geschraubt.

Ausnahme Nummer 2 ist die Steuerung: Habt ihr ein gutes Gamepad (wie mittlerweile gewohnt wird das 360-Pad nativ unterstützt), dann ist alles wunderbar und spielt sich exakt wie auf der Konsole. Mit Tastatur und Maus macht das Schulleben etwas weniger Freude, denn einige Standard-Funktionen, die auf den Pad analog ausgeführt werden, müssen hier digital erledigt werden. Man gewöhnt sich daran, aber die Tastatursteuerung ist nicht optimal.   

Fazit

Ein Revival dieser Art macht dem faulen Redakteur das Leben leicht, kann er doch Teile seines damaligen Fazits einfach recyceln, die heute nichts an Wahrheit verloren haben: Die überwältigende Liebe zum Detail, die tolle Inszenierung, der tiefschwarze Cartoon-Humor, die brillanten Dialoge, die groovyfunkyrocknrolly Musik - all das und mehr machen Bully zu einem einzigartigen Spiel, das einen ganz speziellen Charakter entfaltet, den es weder in Liberty City noch in San Andreas gibt. Eine Art Mini-GTA, ganz ohne die fiese Brutalität, Knarren, Blut, Autos und Helikopter, dafür mit vielen frischen Ideen und noch mehr Zynismus - eine schöne Abwechslung! Allerdings ist es viel zu einfach (es gab nur eine Hand voll Missionen, die ich nicht beim ersten Anlauf gepackt hätte) und der Mehrspielermodus zwar eine nette Ergänzung, aber immer noch weit von den Möglichkeiten entfernt, die das Spielkonzept geboten hätte. Die grafischen Verfeinerungen der 360- und PC-Fassungen schaffen es zwar nicht ganz, den PS2-Staub zu kaschieren, jedoch ist das Spiel auch weit davon entfernt hässlich zu sein. Und die Wii-Steuerung? Nun, wenn man auf das Skateboard verzichtet, dann funktioniert sie ganz gut. Alles in allem also nach wie vor ein exzellentes, ungewöhnliches und durchdachtes Spiel, das dieses Mal hoffentlich ein breiteres Publikum erreicht - und genau zum richtigen Zeitpunkt erscheint, stimmt es doch optimal auf GTA 4 ein.

Pro

schöne, sinnvolle Erweiterungen gegenüber dem Original
abwechslungsreiches Missionsdesign
tolle Atmosphäre
liebevoll und elegant designte Spielwelt
ausgezeichnete (englische) Sprachausgabe und Dialoge
einfache Steuerung
bemerkenswert umfangreich
groovige Musik
interessant-witzige Story
niedrige Hardwareanforderungen (PC)

Kontra

lange Ladezeiten
nicht durchgehend flüssige Grafik
wenig spektakuläre Präsentation
teils fummelige Wii-Kontrolle
regelmäßige Soundaussetzer (360)
sehr leicht
suboptimale Tastatur/Maus-Steuerung (PC)

Wertung

360

Würdige Umsetzung eines der frischesten Action-Adventures der letzten Jahre.

PC

Auch auf dem PC ein tolles Schul-Abenteuer - allerdings vorzugsweise mit Gamepad zu steuern.

Wii

Gute Umsetzung von Canis Canem Edit, allerdings ist die Steuerung nicht immer brauchbar.

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