Call of Juarez: Bound in Blood08.05.2009, Benjamin Schmädig
Call of Juarez: Bound in Blood

Vorschau:

Ein Adler kreist kreischend über dem braunem Staub der Prärie, Gesteinsbrocken und trockenes Gestrüpp treiben einsam auf den Wellen der weiten Dünen, die Abendsonne verwässert die Umrisse des Hügels, der ihr müdes Antlitz schon halb verbirgt: Elektrisierte Luft strömt durch meine Nase als ich den Wilden Westen mit vollen Zügen aufsauge. Schon zum zweiten Mal will Techland die große Freiheit zum Leben erwecken...

Rau und männlich

Schade eigentlich: Was früher mal Mainstream war, ist heute kaum mehr als eine Randnotiz im Kino. Kommerziell ist aus dem Western jedenfalls längst die Luft raus. Allerdings hat das Macho-Genre schlechthin immer noch genug Puste, um sich regelmäßig auf der Leinwand zu zeigen. Und nicht nur da! Denn in den vergangenen Jahren konnten vor allem PC- und Videospieler immer wieder in die Prärie abtauchen. Egal ob Desperados , Red Dead Revolver , Gun oder Call of Juarez : Rauchende Colts, wortkarge Selbstjustizler und vernarbte Bösewichter gehören im verklärten Damals zum Alltag.

Dabei waren es für mich gar nicht die rauen Klischees, die mich an Call of Juarez fasziniert haben. Was Techland damals so erstklassig einfing, war vielmehr das Gefühl 

Das Tutorial deutet bereits an, worum sich in Bound in Blood alles dreht: pausenlose Action.der unendlichen Freiheit. Damit meine ich nicht die bildschönen Ausblicke, die den Polen im Vorgänger so gut gelungen sind, sondern das Gefühl des melancholischen Alleinseins in dem weiten unentdeckten Land. Und leider ist es genau das, womit mich die Fortsetzung Bound in Blood bislang enttäuscht hat...

Was wollt ihr?

Lasst mich kurz zum Mainstream zurückkehren: Was wollen die Massen denn sehen? Wollen sie die Prärie in Ruhe erkunden? Wollen sie Rätsel lösen? Langsam durch eine Westernstadt schleichen? Auf Hasenjagd gehen? Sich mit dem Lasso über Abgründe schwingen? Gar einen hohen Felsen erklimmen, um nach einem langen Aufstieg die Freiheit in vollen Zügen einzuatmen? In Call of Juarez steckte mehr Marlboro als in jedem Bahnhofskiosk!

Aber das will die Mehrheit der Spieler gar nicht - legten Ubisoft und Techland einfach mal fest. Die Masse will schießen! Sie will ballern, sie will Reaktionsspiele - Action, Action, Action! Was eben zum Macho-Genre passt. Wehe dem Entwickler, der seinen Spielern Zeit zum Durchatmen lässt! Das scheint jedenfalls das Credo bei der Entstehung von Bound in Blood gewesen zu sein.

Grantig sympathisch

Dabei handelt es sich bei Bound in Blood nicht um eine Weiterführung der Handlung, sondern um die Vorgeschichte zum ersten Call of Juarez. Ray McCall, der alternde Revolverheld, der sein Leben als Kopfgeldjäger später an den Nagel hängen wird, um Gottes Wort zu predigen, spielt dabei auch diesmal eine der beiden Hauptrollen. Was hat ihn dazu getrieben, seine Colts später in einer dunklen Truhe zu vergraben? Gleich die erste Sequenz zeigt einen scheinbar blutigen Streit zwischen den McCall-Brüdern; doch was hat die Blutsverwandten so entzweit?

Ich mag den chronisch grantigen Ray heute noch genau wie damals, auch wenn die tiefe englische Stimme seines älteren Egos nicht so recht zu seinen jüngeren Jahren passen will. Rays Neffe Billy, damals der zweite Protagonist, spielt diesmal hingegen keine Rolle - sein Bruder Thomas ist im Prequel die zweite spielbare Figur. Wo die Perspektive im Vorgänger jedoch immer wieder zwischen den Figuren wechselte, sind die McCalls diesmal meist im Team unterwegs und ich darf wählen, mit wem ich die Monate gegen Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs

Auch wenn sich Thomas draufgängerischer verhält als Billy: Ray ist auch diesmal der wahre Star des Helden-Duos.
erleben darf. Der Serientradition folgend unterscheiden sich die beiden Figuren dabei, so dass z.B. nur Ray mit zwei Revolvern gleichzeitig schießen kann, während sich Thomas mit dem Lasso auf Bäume klettert oder von Haus zu Haus schwingt. Und während Thomas seine Gegner mit leisen Messerwürfen ausschalten kann, zündelt Ray lieber mit Dynamit. Doch das sind spielerische Kleinigkeiten, markante Unterschiede wie zwischen Billy und Ray gibt es nicht. Grundsätzlich geht es mit jeder Figur um flotte Finger und ein geübtes Auge.

"Drängel' nicht!"

Der Großteil des Spiels dreht sich damit um die schnelle Action. In den ersten zwei Dritteln (so umfangreich ist die Vorschau-Version) gibt es tatsächlich gerade mal eine Atempause zwischen den Schusswechseln: Nur als ich irgendwo in Mexiko alleine die Prärie erkunden durfte, konnte ich den Wilden Westen in Ruhe genießen. Ansonsten ist mein Bruder stets bei mir und hetzt mich durch die Levelschläuche. Nicht nur, dass Thomas (ich war meist mit dem cooleren Ray unterwegs) ständig nach mir ruft, wenn ich nicht sofort Gewehr bei Fuß stehe. Es heißt auch ohne Vorwarnung "Game Over", falls ich mich zu weit von ihm absetze - etwa, weil ich die Umgebung erkunden will. Anschließend werde ich an den letzten Checkpunkt zurückgesetzt.    

Valve erklärt in den Audiokommentaren zu Half-Life 2: Episode 1  nicht ohne Grund, weshalb nicht Alyx das Tempo angibt, sondern der Spieler: Weil der sich sonst gehetzt fühlt. Und genau das passiert in Bound in Blood, denn der Bruder drängelt schon zehn Sekunden nach einer Schießerei zum Weitermarsch, obwohl ich die Umgebung noch nach Munition oder Geheimnissen abgrase. 

Das beherrscht hingegen nur Thomas: Mit Lassos kann er in die Höhe klettern, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen.
In Verbindung mit dem fehlenden freien Erkunden fehlt dem Spiel deshalb vieles, was im Vorgänger die Faszination des Wilden Westens erst lebendig gemacht hatte. Hoffentlich arbeiten die Entwickler noch daran, bevor sie die goldene Disk ausrufen!

Der Matrixwestern

Immerhin verhalten sich die Gegner ansprechend clever, indem sie bei Gefahr ihre Position wechseln und in Deckung gehen. Und auch ich darf neuerdings ein Deckungssystem nutzen - das mir allerdings mehr Kopfzerbrechen bereitet als dass es Schutz bietet. Gut ist, dass ich an jeder Ecke automatisch in Deckung gehe, falls das System aktiviert ist. Unhandlich ist aber, dass ich von da an nicht mehr das Fadenkreuz kontrolliere, sondern die Bewegung meiner Figur. Sprich: Drücke ich nach links, lehnt sich Ray nun nach rechts aus der Deckung heraus. Jetzt erst müsste ich einen Feind anvisieren - da hatte ich das ungewöhnliche System aber schon längst abgeschaltet.

Neu ist auch die Vielzahl automatisch ablaufender Szenen, in denen man z.B. zwei Fadenkreuze mit den Analogsticks bewegt. Solche Zeitlupen-Momente gibt es häufig, wenn Thomas und Ray gemeinsam eine verriegelte Tür eintreten oder per Kutsche vor wütenden Cowboys fliehen. Ein ganz anderes Reaktionsspiel sind die überarbeiteten Duelle mit den Anführern gegnerischer Banden: Mit dem linken Analogstick schleicht man diesmal langsam, das Thema aus "Spiel' mir das Lied vom Tod" pfeifend, um seinen Kontrahenten herum, um ihn in der Mitte des Bildes zu halten. Gleichzeitig hält man mit dem rechten Stick die Hand in der Nähe des Revolvers. Beim Ertönen eines Gongs greift man schließlich möglichst schnell nach dem Colt, um den vorher ins Auge gefassten Gegner schnell zu treffen. Trotz zahlreicher Fehlversuche waren das für mich schon in der Vorschau große Westernmomente!

Hinzu kommen Szenen wie die Verfolgungsjagd aus dem Inneren einer Kutsche heraus oder ein Konzentrationsmodus, nachdem man eine gewisse Anzahl Gegner getroffen hat. Ray kann dann wie im Vorgänger für wenige Sekunden mehrere Feinde in einer extremen Zeitlupe anvisieren, um sie anschließend im Schnelldurchlauf automatisch zu erledigen. Thomas schießt hingegen auf automatisch anvisierte Gegner, indem er den rechten Analogstick wie die Sicherung eines Revolvers immer wieder nach hinten zieht - cool!

Rauchende Colts und ferne Schreie

Keine Frage, die Bleiwechsel sind erneut erstklassig inszeniert! Fiese Gringos lauern mir auf den Dächern auf, Gewehre hinterlassen dicke Rauchschwaden, Pferdewagen oder Holzkisten bieten

Darf in keinem Western fehlen: der Ritt zu Pferde.
Deckung, beim Laufen klimpern die Schellen der Cowboy-Stiefel, Pistolenschüsse hallen lange nach, bevor sie mit dem Zirpen der Grillen verschmelzen: Die Polen kennen die Zutaten für einen packenden Western-Showdown! Nur an der akustischen Abmischung arbeiten sie hoffentlich noch, denn wenn ein 100 Meter entfernter Soldat so laut schreit als stünde er direkt neben mir, kratzt das an der eben erst aufgebauten Stimmung.

Doch so versiert das Prequel oberflächlich gemacht scheint; der Großteil des Macho-Trips läuft stets nach dem gleichen Strickmuster ab. Sollte sich daran im letzten Drittel nichts ändern, wird Bound in Blood bei mir wohl den Eindruck eines mittelprächtigen Actionfilms hinterlassen: unterhaltsam, aber ohne bleibende Momente. So gut die Prärie zudem aussieht, so starr wirken viele Figuren. Das gilt besonders für Pferde, denen noch dazu die Augen fehlen. In den Filmszenen wirken aber vor allem die Protagonisten so merkwürdig künstlich, dass die ohnehin etwas vernachlässigte Charakterzeichnung nur noch befremdlicher wirkt.

Ein kurzes Wort übrigens zum Bankraub oder dem Eisenbahn-Überfall per Internet sowie dem in Pressemitteilungen erwähnten kooperativen Modus: Die Optionen für Multiplayer sowie zusätzliche Download-Episoden waren zwar bereits im Menü vorhanden - sind  in dieser Vorschau-Version allerdings noch nicht verfügbar.  

Ausblick

Trotz einiger Schwächen habe ich den ersten Ausflug in die Welt von Ray McCall sehr genossen - und ich bin selbst nach der etwas ernüchternden Vorschau-Fassung gespannt auf die Vorgeschichte zu Call of Juarez! Doch warum ernüchtert? Der Wilde Westen sieht gut aus, die Weitsicht lässt mich durchatmen, die Schießereien gereichen einem Hollywood-Film zur Ehre und stilechte High Noon-Duelle sind das Salz in der Suppe. Hat Bound in Blood damit nicht alles, was ein Western braucht? Scheinbar nicht. Denn der Wilde Westen bietet mehr als mir das Macho-Abenteuer weismachen will - vieles davon gab es bereits im hauseigenen Vorgänger! Ich will meinen Blick über die dürre Steppe streifen lassen. Ich will in Ruhe sehen, was mich hinter den hölzernen Kulissen eines Saloons erwartet. Ich will die ganze Bandbreite eines Abenteuers im frühen Nordamerika erleben. Kurzum: Ich will nicht im Kugelrausch durch einen monotonen Schlauch-Western gehetzt werden. Aber genau das tut der Nachfolger. Dass die große Abwechslung des Vorgängers einem vergleichsweise eintönigen Action-Stakkato weichen musste, steht dem Nachfolger bislang ebenso wenig wie die furchtbar unpassenden E-Gitarren des unglücklichen musikalischen Adrenalinkicks. Ich hoffe, dass Techland für das Finale seines Prequels entweder erzählerische oder spielerische Asse im Ärmel versteckt oder dass die Entwickler zumindest den  hetzenden Bruder noch beschwichtigen. So oder so: Das abenteuerliche Gefühl der ganz großen Freiheit wird dieses Call of Juarez wohl nicht noch einmal erwecken. Vielleicht wird ja aber noch gute Westernaction in einem großartigen Ambiente daraus...

Ersteindruck: befriedigend

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