Alice: Madness Returns26.05.2011, Paul Kautz
Alice: Madness Returns

Vorschau:

Knapp elf Jahre ist es her, dass American McGee aus Lewis Carrolls surrealer Buchvorlage ein mindestens ebenso abgefahrenes Action-Abenteuer schnitzte - Alice ward geboren, gewann sehr viele Herzen für sich und verkaufte sich ganz ordentlich. Ob in dem Nachfolger ähnliches Potenzial steckt?

Follow the white Miezekatze

Wer nicht weiß, worin es in dem ersten Spiel ging, kann sich den zweiten Teil trotzdem zulegen - Erstkäufer bekommen einen Code für das kostenlose Original dazu; Gebrauchtkäufer müssen (vermutlich zehn Euro) dafür berappen. Aber dieses interaktive Vorwissen ist eigentlich nicht nötig, denn Alices weit aufgerissene grüne Augen, die einem im Hauptmenü entgegen starren, sprechen eine deutliche Sprache - der Untertitel »Madness Returns« ist schon richtig gewählt, wie man spätestens nach dem verstörenden Intro feststellen wird. Alice befindet sich elf Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teils in einem Waisenhaus im viktorianischen London - und in psychiatrischer Behandlung, denn ihre Träume bringen sie um den Verstand. Überall sieht sie Monster, das Wunderland verwandelt sich in ein Meer aus Blut, hat sie ihre Eltern umgebracht? All das und mehr erfährt derjenige, der sich auf ihren verdrehten Verstand einlässt und der weißen Katze folgt...

Das schmutzige London mit seinen extrem abgefahren designten Figuren dient als Anker zur Realität, Alice Liddel findet sich daher immer wieder mal dort zurück. Zurück woher? Natürlich aus dem Wunderland, das schon nach kurzer Zeit betreten wird: Da wartet die in Rätseln sprechende Grinsekatze auf sie, Kuhköpfe flattern durch die lila Luft, überdimensionierte Dominosteine schweben einfach so herum und bilden bei Bedarf Brücken. Generell wirkt das Artdesign wie das Nebenprodukt eines kollektiven Entwicklerrausches: Hochkreativ, völlig verdreht, mal fröhlich-bunt, mal rostig-düster, mal von Lavaströmen durchzogen, immer völlig abgefahren. Da übersieht man gerne, dass die Grafikengine mit ganz weltlichen Problemen wie sehr niedrig aufgelösten oder spät ladenden Texturen zu kämpfen hat.

Zu Tode gepfeffert

Läuft Alice durch London, kann sie eigentlich nicht viel mehr tun als sich die Sprüche der herumstehenden Leute anzuhören (bzw. die Beleidigungen der anderen Heimkinder). Ganz anders ist es im Wunderland: Da trägt sie in jeder neuen Zone ein frisches Outfit, kann mit Objekten interagieren und natürlich springen - und zwar nicht nur ein Mal, nein auch nicht zwei Mal, sondern bis

Das Spieldesign dagegen scheint nur ordentliche Genrestandards zu bieten - rennen, springen, kämpfen, interagieren.
Das Spieldesign dagegen scheint nur ordentliche Genrestandards zu bieten - rennen, springen, kämpfen, interagieren.
zu drei Mal hintereinander in der Luft. Mit jedem Hopser gewinnt sie ein wenig an Höhe dazu, dazwischen darf sie dank ihres luftigen Rockes und der Kraft von vielen Schmetterlingen auch ein Stück weit schweben. Schon nach kurzer Zeit trifft sie auf eine purpur leuchtende Quelle, an der ein »Drink Me!«-Schild baumelt. Folgt sie der Anweisung (nebst den Sprüchen der Grinsekatze), kann sie sich danach per Knopfdruck verkleinern. Dadurch hickst sie nicht nur die ganze Zeit, sondern erhält auch den »Shrink Sense« - der zeigt ihr versteckte Hinweise oder unsichtbare Plattformen an.

Kurz darauf ist auch Schluss mit dem Pazifismus, denn das »Vorpal Blade« liegt schwer in ihrer Hand - das große Messer ist ihre Standardwaffe, mit dem sie normale Gegner ratzfatz zerschlitzt. Später kommen noch bizarre Ideen wie das Pfeffermühlen-MG (das schnell überhitzt) oder das mächtig schwingende Steckenpferd dazu. Jede Waffe lässt sich in mehreren Stufen verbessern, dazu benötigt man allerdings eine Mindestzahl an Zähnen - die Standardwährung im Wunderland. Und wo man schon beim Aufsammeln ist, sollte man auch die Augen nach silbern schimmernden Erinnerungen offen halten. Die erzählen nämlich ihre eigene kleine Geschichte und tragen so ihren Teil dazu bei, den Mantel des Wahnsinns um Alice ein wenig zu lüften.

Behind Green Eyes

Das Kampfsystem ist sehr simpel: Mit der linken Schultertaste kann man sich auf einzelne Gegner ausrichten, mit dem rechten Analogstick darf man zwischen verschiedenen Feinden wechseln. Ist ein Widersacher im Fokus, darf man ihn mit allem bearbeiten, was man dabei hat. Manche Gegner geben schon nach ein paar Treffern aus der Pfeffermühle klein bei, andere verlangen nach einer  mehrstufigen Bearbeitung mit unterschiedlichen Waffen, bevor sie die öligen, metallischen oder sonstigen Extremitäten von sich strecken.

Ganz zu schweigen von den übergroßen Bossgegnern, die am Ende jedes Kapitels auf Alice warten. Bei den Kämpfen spritzt ein wenig Blut, hin und wieder kullert auch mal ein abgetrennter Kopf durch die Gegend - der aber nach kurzer Zeit, wie der Rest des Leichnams, komplett verschwindet. Sehr wichtig im Kampf ist auch das (ebenfalls von bunten Schmetterlingen begleitete) Ausweichen - das geht in alle Richtungen und jederzeit, und ist speziell bei Feinden nötig, die sich hinter einem Schutzschild verstecken.

Ausblick

Was ich letztes Jahr auf der Tokyo Game Show (hier unser kurzes Video-Interview mit American McGee) von Alice 2 zu sehen bekam, ließ mich nicht gerade aus der Hose hüpfen - veraltetes Spieldesign gesellte sich zu veralteter Technik. Die nahezu fertige Vorschauversion nimmt diesem Eindruck zumindest in einer Hinsicht gründlich den Schrecken: der Technik. Zwar sind manche Texturen nach wie vor bis zur Unkenntlichkeit vermatscht oder werden erst sehr spät geladen, aber das war etwas, das mich nur anfangs störte - schon nach kurzer Zeit gewinnt das extrem abgefahrene Artdesign die Oberhand. Spielerisch bleibt Madame Wahnsinn aber trotzdem altbacken: Springen, schlitzen, ballern, Hebel bedienen - Action-Adventure-Standards in wunderbar skurriler Hülle. Soll mir recht sein.

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