Pro Evolution Soccer 201015.07.2009, Jörg Luibl
Pro Evolution Soccer 2010

Vorschau:

Konami muss nachsetzen: Im letzten Jahr konnte sich FIFA 09 erstmals vor den bis dato klaren Fußballfavoriten aus Japan spielen - die Fußballwelt war überrascht. Woran hat das gelegen? Nicht nur an der Stärke des Konkurrenten, sondern auch an der Lethargie des japanischen Rekordmeisters. Kann sich das Team von Seabass wieder an die Spitze kämpfen? Endlich konnten wir selbst kicken!

Realistischer, schöner, besser?

Konami setzt zwar nicht auf einen Technikwechsel mit neuer Grafik-Engine. Trotzdem gibt es deutliche Fortschritte im Bereich der Gesichter: Mehr Schatten, mehr Falten, mehr Details.
In den bisherigen Pressemitteilungen sowie dem Video hat Konami viel versprochen: Obwohl man erneut keinen konsequenten Neuanfang inklusive neuer Grafik-Engine wagt, soll alles hübscher, detaillierter und natürlicher wirken. Man wolle zudem neue Maßstäbe in Sachen Realismus setzen, wobei vor allem das Verteidigen intuitiver ablaufen soll; hinzu kommen manuell regulierbare Strategie-Regler für Pressing, Raumaufteilung & Co. Stürmer sollen früh unter Druck gesetzt und schon das Mittelfeld zu strategischem Denken gezwungen werden - der Weg zum Tor soll kreativer erarbeitet werden. Allerdings hat Konami auch eine neue Geschwindigkeit angekündigt, die dem modernen One-Touch-Fußball entsprechen soll. Und wenn man sich die Kritik am Vorgänger in Erinnerung ruft, gehörte auch die Pomadigkeit im Mittelfeld mit der statischen Ballabschirmung zu den kleinen Motivationsbremsen.

Viel Ehrgeiz und Konjunktive in der Theorie? Richtig. Wie präsentiert sich der Kick in der Praxis? Ganz wichtig: Die installierte Version war erst bis zu 60% fertig; es fehlten noch einige Animationen, das Stadion-Drumherum bestand noch aus Platzhaltern und wir konnten weder die neue Meisterliga noch das Training oder Online-Matches ausprobieren; auch das neue Kartensystem war noch nicht aktiv. Spielbar waren nur Einzelmatches zwischen dem FC Liverpool und dem FC Barcelona; in denen konnte man allerdings schon die Strategie-Regler anpassen. Das heißt, dass wir wahrscheinlich noch vor der gamescom eine zweite Vorschau anbieten werden, in der man einen wesentlich ausführlicheren Einblick gewinnen kann. Trotzdem lassen sich auch nach dem ersten Anspielen schon einige Schlüsse ziehen.

Handanimierte Fußballpracht

 Erstmal das Offensichtliche, allerdings auch fast schon Selbstverständliche: Pro Evolution Soccer 2010 (ab 9,38€ bei kaufen) sieht deutlich besser aus als der Vorgänger. Angesichts dieser Bilder bekommt man sofort Lust zu kicken:

Die Anfield Road lädt mit ihrem Grün zum Fuballfest. Auch diesmal bleiben die Japaner bekanntlich den handgezeichneten Fußballern treu und setzen nicht auf das Motion-Capturing wie die Konkurrenz von EA.  Nach unseren bisherigen Eindrücken muss man allerdings festhalten, dass FIFA 10 damit wahrscheinlich die grafische Nase vorn haben wird. Die Spielermodelle sehen aber auch ohne die fortschrittliche Aufnahmetechnik richtig gut aus: Die zusätzlichen Schatten sowie die Ergänzungen hinsichtlich der Mimik wirken sich positiv aus. Allerdings sorgen die zusätzlichen Falten und dunklen Stellen auch dafür, dass so mancher Profi in der Nahaufnahme nicht nur detaillierter, sondern auch um Jahre gealtert aussieht - schaut euch mal die Vergleichsbilder an.

Leider lässt sich noch nicht abschätzen, inwiefern Konami das Stadion-Drumherum endlich ansehnlicher gestaltet. Zwar sprechen die ersten Bilder für einen klaren Fortschritt, aber live wirkte alles um den Platz herum noch so wie früher. Dafür hinterließ der Rasen bereits einen herrlichen Eindruck: Sobald die Kamera auf das Grün schwenkt, will man einfach spielen. Er ist eher filzig als platt, wirkt wie ein grüner Teppich mit Struktur. Und sobald der Ball rollt, verliebt sich in die handanimierten Bewegungen der Kicker, die sich angenehm natürlich bei der Annahme, dem Passen und Dribbeln verhalten. Allerdings kann diese Eleganz einige Unstimmigkeiten nicht kaschieren: Warum sehen Messis Beine beim Sprint immer noch aus, als hätte man ein Meerschweinchen bei dreifacher Geschwindigkeit durch einen Kreisel gejagt? Vielleicht kann man da noch mal Hand anlegen.

Wichtig ist auf'm Platz

Henry spielt Liverpool schwindelig: Die handanimierten Bewegungsabläufe können sich sehen lassen.
Wie spielt sich das Ganze mit Liverpool und Barcelona? Wie schon seit eh und je wirkte sich das Mannschaftsgefüge sowie die bevorzugte Teamtaktik sofort aus: Während die Reds am liebsten über außen agieren, mit Kuiyt und Torres dann Druck machen sowie im Mittelfeld eher arbeiten als zaubern, lassen die Katalanen den Ball elegant durch die Mitte laufen, bevor sie mit den schnellen und dribbelstarken Flügelflitzern auch mal in den Strafraum ziehen, ohne zu flanken. Die Unterschiede in der Spielmentalität werden jedenfalls sehr schnell deutlich. Aber war das nicht immer so? Ja. Welche sofort spürbaren Fortschritte gibt es dann? Wenige. Vor allem hinsichtlich der Steuerung scheint wieder alles beim Alten zu bleiben, so dass man die identischen Pässe in die Tiefe, Ballannahmen, Doppelpässe und Dribblings einleitet.

Was man positiv festhalten kann: Das Spiel lässt sich etwas einfacher auflösen, öffnen und strecken. Das heißt, dass man aus dem verzwickten Mittelfeld über weite Pässe oder schnelle Seitenwechsel erfolgreicher herausfindet, um dann in die Spitze zu spielen. Besonders lobenswert ist das Laufverhalten der Spieler, das sich tatsächlich daran orientiert, wer gerade den Ball führt. Sprich: Wenn Iniesta das Leder Richtung gegnerische Hälfte treibt, dann bieten sich die Außen aktiver an als wenn sich z.B. Puyol nach vorne kämpft - manche Spieler stoßen bei Iniestas ANkunft dann auch plötzlich mit einem Sprint in Lücken, um von ihm angespielt zu werden - und das sorgt natürlich umgehend für angenehme Dynamik.

Vier neue Strategie-Regler

Neue Strategie für PES-Kicker: Man kann über vier manuelle Regler auf das komplette Mannschaftsverhalten einwirken. Mehr dazu auch im Video!
Aber daraus kann bei einem Fehlschlag auch eine unangenehme Eigendynamik werden, wenn nämlich auch defensive Mittelfeldspieler zu forsch nach vorne stürmen und dann beim Konter hinten fehlen. Hier muss sich noch zeigen, ob sich das neue System der vier taktischen Regler direkt darauf auswirkt. Denn das wäre wichtig, um wirklich gezielt neue Strategien vorzubereiten. Man kann in den Einstellungen z.B. die Spieler-Unterstützung von null bis hundert einstellen - so kann man beobachten, dass sich die Mannschaft bei 0 komplett auf die Defensive beschränkt und hinter dem Ballführenden bleibt; bei 100 hingegen stürmen sie mit nach vorne und bieten sich an.

Genau so kann man den Bereich "Pass-Weite" auf 100 setzen, so dass die Spieler eher auf kurze Bälle warten und damit enger am Ballführenden laufen. Außerdem kann man den "Positionswechsel" eher konservativ oder offen einstellen. Und schließlich lässt sich der "Angriffsstil" über einen Regler variieren: Auf 0 geht die Mannschaft weit über außen, auf 100 geht sie durch die Mitte. Dieses manuelle "Slider"-System hinterließ in den Probespielen zwar schon einen spürbaren Eindruck, aber es muss sich natürlich langfristig beweisen. Es könnte sich unheimlich positiv auswirken, wenn man die einzelnen Taktiken effizient kombinieren und gezielt gegen die des Gegners einsetzen kann.     

Etwas träges Spielgefühl

Das Spiel wirkt wieder offener und freier als noch in PES 2009, aber die ersten Ballkontakte hinterließen noch einen trägen Eindruck: Das Leder ließ sich nicht immer schnell genug passen.
Aber zurück zum direkten Spielgefühl, das trotz der Fortschritte bei der Auflösung des Mittelfeldgeplänkels noch nicht so recht begeistern konnte. Wenn man z.B. schnellen One-Touch-Fußball einleiten wollte, versickerte der Ball selbst mit dem Spitzenmittelfeld der Katalanen noch relativ oft, weil die Spieler bei der Annahme und dem Abspiel noch zu träge wirkten - das ging alles nicht direkt genug. Ob das an der PC-Version lag, die auf höchster Detailstufe lief? Wir haben allerdings sowohl mit V-Sync als auch ohne gespielt, um Ballverzögerungen und/oder Tearing auszumerzen, aber in beiden Varianten blieb es bei der realtiven Trägheit. Lediglich bei einigen Kontersituationen blitzte eine angenehme Schnelligkeit auf, die das Spiel sofort interessanter machte, aber das lag wohl eher an der Situation als an der generellen Ballkontrolle.

Ansonsten trägt das Ziel, noch mehr Realismus zu bieten, auch einige unbarmherzige und gleichzeitig angenehm physikalische Früchte: Wer einem Messi den Ball in den Rücken spielt, muss damit rechnen, dass er an seinen Hacken abprallt. Überhaupt reagiert das Leder überaus penibel auf Kollisionen, wobei auch die Körperteile berücksichtigt werden. Man beobachtet ein ganzes Sammelsurium an unterschiedlichen Abprallern. Allerdings darf es Konami nicht mit der Physik übertreiben, denn wenn selbst Top-Stars zu oft verstolpern und man sich selbst bei sicheren kurzen Pässen verhaspelt, dann kann das dem Spielfluss schaden. Es müsste so sein, dass am Ende eher ungenaue Pässe und die Ballannahmen schlechter Techniker häufiger zu negativen Resultaten führen. Da fehlte es manchmal noch an der Balance.

Dribblings, Ballphysik & Co

Ein Blick hinter die Kulissen der KI und Laufwege: Wenn man die taktischen Regler kombinieren und seine Spielzüge auf die des Gegners abstimmen kann, könnte der Kick neue strategische Zeichen setzen.
Bei den Dribblings hat sich scheinbar auch nichts Auffälliges getan, obwohl wir noch nicht dezidiert trainieren konnten - man kann immer noch über die Schultertasten dieselben Tempoverzögerungen und Übersteiger machen. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden, aber Konami sollte dem Spieler auch mal frische Möglichkeiten für 1:1-Situationen an die Hand geben. So lief es darauf hinaus, dass entweder Torres seine Gegenspieler überholte und selbst bei Doppelpressing mühelos am Strafraum entlang zog oder eben Messi auf der anderen Seite. Ja, beide können auch sehr präzise den Ball führen und Tempo rausnehmen, aber es wäre klasse, wenn man auch mal manuell ein direkteres Dribbling starten könnte, als nur nach vorne zu ziehen. Denn die KI reagiert auf die offensiven Stars mit hohem Druck in den Zweikämpfen.

Bei Distanzschüssen hinterließ die Ballphysik übrigens noch einen recht unscharfen Eindruck: Das Leder krachte noch nicht gut genug, was aber auch daran liegen kann, dass wir noch zu wenig aus der zweiten Reihe geschossen haben. PES-Kenner wissen, dass man sich immer erst an die neue Positionierung gewöhnen muss, bevor der Ball zum tödlichen Geschoss wird; da muss man also erst noch abwarten. Das Verhalten der Defensivleute wurde leicht verbessert, aber sie haben noch einige statische Probleme: Vor allem, wenn hohe Bälle kommen, kann man nicht aktiv genug mit seinem Körper um den besten Platz zur Ballannahme kämpfen - meist bleibt es bei der Vorder-/Hintermannsituation, die schon zu Beginn der Flanke klar war. Auch bei Ecken ist noch dieselbe Lethargie zu beobachten: Die Stürmer bewegen sich zu wenig, machen die Defensivleute nicht über Positionswechsel nervös. Es wäre auch klasse, wenn man mal Ecken-Varianten einstudieren könnte - so läuft immer noch allles ab wie seit Jahren.

Wankelmütiger Torwart

Ob Konami auch das wichtige Drumherum nach vorne bringen kann? Stadionkulisse, Fangesänge, Meisterliga und vor allem der Online-Modus bleiben noch unbekannte Komponenten.
Besonders fragwürdig verhielt sich der Torwart bei halbhohen Flanken oder beim Abfangen hoher Bälle, die er halbherzig abklatschte oder gar nicht erst fing - hier kam es zu einigen peinlichen Toren; die neue Agilität war jedenfalls noch genau so wenig spürbar wie das Vorhaben, leichte Tore zu verhindern: Es wurde getunnelt, abgefälscht, abgestaubt und reingedrückt.  Aber vielleicht verkennt man mit diesem Ziel auch das Wesen des Fußballs, in dem es auch skurrile oder unmögliche Tore geben muss. Das Elfmeterschießen wird anders gehandhabt als bisher: Man sieht seinen Spieler von schräg oben und muss relativ zum Tor abziehen. Die Schussstärke hängt von der Dauer des gedrückten Knopfes und die Richtung vom entsprechenden Ruck des Analogsticks ab. Das funktionierte in der Praxis relativ gut. Ansonsten war von "mehr Kontrolle bei Standardsituationen" allerdings noch wenig zu sehen - leider.

Was ist mir dem Drumherum? Alles noch Platzhalter. Ich hoffe, dass im Stadionbereich noch einiges passiert, denn man hat "packende Stadionatmosphäre" versprochen. Akustisch muss man ohnehin gegenüber FIFA aufholen, denn die Fangesänge waren auf lange Sicht zu monoton. In Ansätzen ist bereits eine frische Begeisterung zu hören, wenn es zu Chancen kommt - da wirkt das Publikum lauter und markanter als bisher. Zum Release soll ja auch der Unterschied zwischen Heim- und Gastmannschaft deutlich stärker heraus kristallisiert werden. Aber es bleiben noch viele Fragezeichen, was die Qualität der Präsentation angeht. Konami kündigte bereits das Auftauchen von UEFA Champions League als auch Euro Liga für den erneuerten Meisterligamodus an und verspricht verbesserte Kommentare. Was letztlich alles drin ist, muss die zweite Vorschau zeigen.  

Ausblick

Ich habe mich unheimlich auf dieses erste Anspielen gefreut. Seit einem gefühlten Jahrzehnt zocke ich mit Leidenschaft Pro Evolution Soccer und musste dann die schleichende Stagnation erleben, die für den spektakulären Führungswechsel im virtuellen Fußball sorgte. Aber ich wünsche Seabass und seinem Team ein Comeback - vor allem, damit der Wettbewerb weiter spannend bleibt. Nur muss man dazu vielleicht etwas mehr wagen. Nach mehr als einem Dutzend Partien hinterlässt PES jedenfalls einen durchwachsenen Eindruck. Ja, grafisch bin ich sehr angetan und würde am liebsten sofort wieder auf diesem Rasen auflaufen. Aber spielerisch bin ich noch nicht begeistert. Das Mittelfeld lässt sich besser auflösen, man kann sich kreativer Räume schaffen als noch im Vorgänger und die vier neuen Regler könnten auf lange Sicht noch ein strategischer Joker sein. Viele Aktionen auf dem Platz wirkten unterm Strich jedoch zu träge - vor allem die Ballannahme und das Kurzpassspiel; von der "neuen Geschwindigkeit" war noch nicht viel zu spüren. Ich finde es auch schade, dass man zu wenig hinsichtlich der aktiven Dribbel- und Steuerungsmechanik wagt. Warum muss man schon nach fünf Minuten das Gefühl haben, mal wieder alles zu kennen? Warum versucht man im Bereich der Körpertäuschungen oder Ecken nicht mal etwas Neues? Ich habe viel gespielt und noch nicht diesen großen Schritt nach vorne gespürt, den die Pressemitteilungen bisher suggeriert haben. Schön ist, dass Konami im Gegensatz zu Electronic Arts alle drei Fußball-Varianten gleich behandelt. Sprich: PC-Kicker werden nicht mit einer abgespeckten Variante benachteiligt. Zur Frage des Online-Modus lässt sich noch nichts sagen. Konami ist sich allerdings der Wichtigkeit flüssiger Spiele über das Internet bewusst und will scheinbar eine ähnliche Technik verwenden wie noch zu PES 6-Zeiten. Und das ist eine gute Idee, denn damals hinterließ der Netzcode noch den besten Eindruck. Wie gesagt: Wir haben nur eine zu 60% fertige Version gespielt, die noch viele Fragen offen lässt. Jetzt muss die zweite Vorschaufassung vor der gamescom zeigen, ob man dieses Jahr wieder um Gold spielen kann. Momentan sehe ich FIFA 10 vorne.

Ersteindruck: gut

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