The Witcher 2: Assassins of Kings21.04.2011, Jörg Luibl
The Witcher 2: Assassins of Kings

Vorschau:

Vor knapp vier Jahren sorgte der Hexer für frischen Wind im Rollenspielsumpf: Erwachsene Fantasy, düstere Spielwelt, elegante Klingentänze, interessanter Held, spürbare Konsequenzen!  All das bescherte dem Abenteuer trotz technischer Probleme einen Goldaward. Kann der Nachfolger an diese Qualität anknüpfen? Wir konnten den Prolog sowie den ersten von drei Akten der PC-Version spielen.

Vom Bett zur Belagerung

Für ein Techtelmechtel ist der Hexer immer zu haben - und sie werden für ein Videospiel hervorragend inszeniert.
Für ein Techtelmechtel ist der Hexer immer zu haben - und sie werden für ein Videospiel hervorragend inszeniert.

Ein Kerker, ein Verhör, danach gespielte Rückblicke? The Witcher 2 fängt fast genauso an wie Dragon Age II: Der Hexer wird für irgendetwas Rätselhaftes von einem Mann namens Vernon Roche angeklagt und muss sich in Ketten gelegt rechtfertigen, bevor ich das Erzählte spielen kann. Aber im Gegensatz zu BioWare nutzt CD Project RED diesen dramaturgischen Kniff nur für den Prolog, denn ab dem ersten Akt spielt man nicht mehr die Vergangenheit, sondern die Gegenwart des Hexers. Und im Gegensatz zu den Kanadiern inszenieren die Polen den erinnerten Einstieg ausgezeichnet.

Gerade lag ich noch neben einer rothaarigen Schönheit, strich sanft über ihre Hüfte und dachte mir: So eine schwierige Szene gleich zu Beginn? Aber der Morgen danach wirkt alles andere als videospielbillig – und die Frau auf dem Bett schon gar nicht: Triss Merigold ist eine etwas mehr als vertraute und überaus reizvolle Magierin. Jetzt spaziere ich als ihr Liebhaber und vernarbter Hexer durch ein Heerlager, an Soldaten und Zelten vorbei. Die Burg des abtrünnigen Lords La Valette wird gerade belagert, riesige Triboke knarzen und Männer exerzieren in voller Rüstung – das sieht alles richtig gut, lebendig und authentisch aus.

In Diensten des Königs

Ich bin Geralt von Rivia, stehe in Diensten von König Foltest und soll umgehend zu ihm kommen, wie mir ein idiotischer Spanner  von Soldat vorhin mitteilte. Gehe ich direkt hin oder schnappe ich noch eine Nebenquest auf? Unterwegs fragt mich z.B. jemand, ob ich nicht ein seltsames Medaillon untersuchen könnte. Das bleibt mir überlassen. Allerdings hat die Annahme dieses Auftrags später Konsequenzen – wie so vieles in diesem Abenteuer voller Entscheidungen. Davon ahne ich noch nichts und schaue mich weiter um, sammle hier ein Kraut ein oder spreche da Soldaten an.

Zu Beginn ist man mit König Foltest unterwegs - klasse Charakterdesign, klasse Sprecher.
Zu Beginn ist man mit König Foltest unterwegs - klasse Charakterdesign, klasse Sprecher.

Im Englischen fühlt man sich dank schauspielerisch überzeugender Sprecher, schottischer Akzente und altertümlicher Redewendungen umgehend im Mittelalter. Ich bin gespannt, ob man das auch in der deutschen Lokalisierung meistert. Nicht jeder lässt sich auf ein Schwätzchen ein, aber wenn, dann sind die Gespräche derb, direkt, manchmal sarkastisch, wenn auch nicht so verschachtelt wie in Dragon Age: Origins. Wenn man nach dem Heerlager in die erste Stadt kommt, darf man sich auf mehr brisanten Gesprächsstoff, verschrobene Charaktere sowie hervorragend inszenierte Quests und Dispute freuen. Wie setzt man sich für zu Tode Verurteilte ein, die schon fast am Strick hängen? Wählt man Volkes Stimme oder singenden Stahl?

Die Entwickler verzichten übrigens darauf, dem Spieler die Tragweite seiner Antworten über farbige Markierungen abzunehmen – man muss schon genau lesen.  Schön ist auch, dass das Dialogsystem ab und zu à la Alpha Protocol mit Zeitdruck für die Antwort oder der Möglichkeit, direkt Gewalt auszuüben, für Spannung sorgt. Aber Vorsicht: Wer einfach zuschlägt, kann auch schnell das Game Over sehen. Auch diese tödliche Konsequenz gehört zu den Stärken des Abenteuers.

Fantasy und Historiendrama

Der Prolog inszeniert die Belagerung einer Festung - und Geralt darf zur Erstürmung beitragen.
Der Prolog inszeniert die Belagerung einer Festung - und Geralt darf zur Erstürmung beitragen.

Das authentische Spielgefühl wird von den Farben und Formen verstärkt, die das hervorragende Artdesign prägen: Das ist keine grelle, sondern eine erdige und überaus vertraut anmutende Welt. Die Kleidung erinnert mit ihren Schnittmustern und Stickereien, mit ihren Riemen, Laschen und Wappen eher an das späte Mittelalter als an klassische Fantasy. Dazu schnappt man schon in ersten Gesprächen etwas über Lords und Fehden, Spione und Gerüchte auf – wer den Vorgänger nicht kennt, dürfte hier allerdings etwas überfordert sein. Zumal die Verweise auf die Vergangenheit des Hexers in statischen Comicbildern inszeniert werden, die deutlich unter der ansonsten hohen Produktionsqualität liegen.

Es gibt sehr viele Übersichten, die Statistiken und Aufgaben anzeigen. Die Menüstruktur könnte allerdings fließender sein: Tagebuch, Inventar, Charakterdaten, Attribute, Meditation, Karte etc. lassen sich nicht von einem Bildschirm, sondern nur über verschiedene Tasten aufrufen. Etwas fummelig ist zudem das Aufnehmen von Gegenständen: Man muss selbst bei kleinen Funden nochmal mit der Maus zur Bestätigung einen Button anvisieren – das könnte man mit Doppelklick intuitiver lösen. Aber das sind alles Peanuts, zumal man das alles für die Konsolenversionen ohnehin anpassen muss.

Denn die Atmosphäre stimmt: Man fühlt sich fast wie in der Zeit der Rosenkriege, es könnte auch das England des 15. Jahrhunderts sein, wenn man sich die Rüstungen und Helme, die Wappenröcke und Waffen anschaut. Nur dass es in der Welt von Temeria auch Drachen, Magier und Elfen gibt – übrigens ab dem ersten Akt mit langen Ohren in bestickten Strumpfhosen zu sehen. Aber keine Bange: Die auf den Büchern von Andrzej Sapkowski beruhende Fantasy ist zwar ab und zu witzig, aber nie kitschig.

Das Fundament von Sapkowski

Die Kulisse besticht mit stimmungsvollem Licht.
Die Kulisse besticht mit stimmungsvollem Licht.

Seine 1994 in Polen erschienene und erst 2007 ins Deutsche übersetzte Saga um Hexer Geralt thematisiert neben einem zerrissenen, von den Menschen als Dämon gebrandmarkten und seinen alchemistischen Mutationen ebenso bevorteilten wie verfluchten Helden, eher die Hintergründe einer von Rassenhass und Machtgier dominierten Welt. Und die Entwickler von CD Project RED visualisieren diese Vorlage nicht nur meisterhaft, sie lassen sie auch in Quests lebendig werden: Hilft man den Elfen z.B., ihr unabhängiges Reich aufzubauen oder ignoriert man ihr Freiheitsbestreben? Jagt man einen Troll, obwohl der Hexerkodex das eigentlich nur erlaubt, wenn er eine Gefahr für die Menschen darstellt? Die unterhaltsamen Missionen in der ersten Stadt Flotsam strotzen vor Sapkowski und Konsequenzen.

Und dort öffnet sich auch das Spiel, erlaubt Ausflüge in ebenso gefährliche wie ansehnliche Wälder, zu Ruinen und Höhlen. Wer einfach so hindurch joggt, wird schon mal in eine Bärenfalle treten oder von übergroßen Monstern überfallen. Wie weitläufig und überraschend diese Areale sind, werden wir im Test klären. Aber schon jetzt machen die Abstecher in die Wildnis deutlich mehr Spaß als in den letzten aktuellen Rollenspielen. Die Frage ist, wie offen das Ganze konzipiert ist und welche Erkundungsreize sich abseits der Hauptquests bieten. Für Abwechslung in der Stadt sorgten bisher Minispiele wie Würfelpoker, Armdrücken oder Faustkämpfe, die über WASD-Reaktionstests ausgetragen und in einem Turnier à la Fight Club auf die Spitze getrieben werden.

Shakespeare lässt grüßen

Vom Belagerungsturm auf die Zinnen: Geralt und die Elitetruppe des Königs in Aktion.
Vom Belagerungsturm auf die Zinnen: Geralt und die Elitetruppe des Königs in Aktion.

Man fühlt sich im Prolog allerdings noch wie in einem linearen Historiendrama, wie in einem Heinrich V. von Shakespeare. Die Polen pflegen einen mittelalterlichen Stil, der seinesgleichen sucht – dagegen wirken Two Worlds II und Dragon Age II wie Plastikfantasy. Besonders gelungen: Die frühe Szene innerhalb des riesigen Belagerungsturms. Während sich der hölzerne Koloss malmend gen Mauer bewegt, erklimme ich mit König Foltest die Treppen in seinem Inneren bis hoch auf die letzte Plattform. Dabei besprechen wir die taktische Situation, während die gefechtsbereiten Ritter kernige Lieder singen. Als wir ankommen, rammt der Turm die Mauer, die Luke schmettert auf die Brüstung, Licht strömt herein und die Ritter stürmen mit gezückten Klingen auf die Feinde zu – jetzt darf man selbst eingreifen.

Dieses Rollenspiel ist dank neuer Engine natürlich in einer anderen Grafikliga unterwegs als der Hexer, der anno 2007 mit der Aurora-Technik von BioWare debütierte. Ob die Polen ihre überaus ansehnliche, wenn auch im Hintergrund oftmals weich gezeichnete Kulisse  auch flüssig im Griff haben und aus Ladezeiten keine Halbzeitpausen machen, wird der Test zeigen müssen. Und was wird aus der Pracht auf Xbox 360 und PlayStation 3? Da gab es ja in letzter Zeit große technische Ernüchterungen. Aber ich bin auch nicht angesichts der scharfen Texturen und tollen Lichteffekte überrascht; es geht um den Stil, das Artdesign und die Regie. Die ehrgeizigen Entwickler haben mal im Schatten der Kanadier angefangen, jetzt demonstrieren sie auch in Kleinigkeiten ihre Überlegenheit: Hier schweben die Schwerter nicht zehn Zentimeter über dem Rücken der Träger, hier hängen sie festgezurrt am Rücken. Hier spritzt das Blut nicht kübelweise, sondern wohl platziert.

Wie in einem Action-Adventure

Im ersten Akt ist man im waldigen Einflussgebiet der Elfen und der Stadt Flotsam unterwegs.
Im ersten Akt ist man im waldigen Einflussgebiet der Elfen und der Stadt Flotsam unterwegs.

Allerdings hat sich das Spiel gegenüber dem Vorgänger The Witcher stark verändert, was die Inszenierung angeht. Von isometrischer Distanz ist nichts mehr zu spüren, die Kamera folgt der Schulter des Hexers ganz dicht. Das war zwar auch im ersten Teil optional möglich, aber hier fühlt man sich noch näher am Geschehen, noch mehr mittendrin, fast wie in einem Action-Adventure. Das ist nicht schlimm, zumal die Übergänge zum Rollenspiel erstens fließen und Letzteres ohnehin in seiner Definition schwimmt. Wichtig ist: Kann man Geralts Rolle spielen, indem man Entscheidungen trifft und die Folgen erkennt? Ja. Dieser filmische Fokus hat allerdings auch Nebenwirkungen: Gerade im Prolog fühlt man sich etwas gegängelt, wenn man noch nicht frei erkunden kann, sondern mit kleinen Ausfransungen einem roten Faden folgt.

Die Regie lässt ein Highlight nach dem anderen vom Stapel: Es ist auch perspektivisch sehr ansehnlich, wenn ein Drache hinter einem die Brücke aufreißt, während man nach vorne flüchtet – aber diese ersten Reaktionstests wirken manchmal wie künstliche Unterbrechungen. Mal muss man Space oder eine Maustaste drücken, um vor dem Feuer im Rücken schnell in Deckung zu gehen. Das ist durchaus spannend, wäre aber noch wesentlich intensiver, wenn man das nicht in abgetrennten Sequenzen, sondern flüssig in den Spielverlauf integrieren würde. Sprich: Warum kann ich den Hexer nicht immer aktiv steuern? Das wäre konsequenter und immersiver.

Ärgernisse & Inkonsequenzen

Ist hier also noch nicht alles Gold, was glänzt? Nein. Es gibt kleine Ärgernisse in der Vorschauversion: Einige Soldaten werden etwas zu früh geklont, außerdem wirkt die KI manchmal inkonsequent, manchmal verwirrt. Warum geht ein Feind mitten im Kampf plötzlich in die falsche Richtung? Warum werde ich trotz Sichtkontakt nicht angegriffen? Das sind zwar nur Ausnahmen, aber manchmal scheinen die Abläufe noch etwas wankelmütig.

Es gibt zwar keine Party, aber ab und an ist man auch im kleinen Trupp unterwegs.
Es gibt zwar keine Party, aber ab und an ist man auch im kleinen Trupp unterwegs, der auch zusammen kämpft.

Es gibt nur sporadische Aktionen innerhalb der Spielwelt: Man kann diverse Kräuter sammeln und Kisten nach Gegenständen durchsuchen – wer es einfacher haben will, nutzt sein Amulett, um einen nahen Bereich quasi zu scannen und volle Kisten glimmen zu lassen. Mal muss man eine Ballista bespannen, mal ein Hindernis magisch aufbrechen. Aktives Schlösser knacken gab es bisher nicht, obwohl man auf viele verschlossene Türen trifft. Dafür gilt es an einigen Stellen den passenden Schlüssel zu finden und einzusetzen. Aber das Reizvolle ist hier auch weniger die akribische Interaktion mit der Umgebung, sondern die hervorragende Kommunikation mit den Charakteren.

In den Dialogen kann man mit seinen Entscheidungen nicht nur über Leben und Tod entscheiden, sondern auch spätere Entwicklungen beeinflussen. Wählt man den ehrenvollen Zweikampf, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden? Oder bekämpft man alles, was einem über den Weg läuft? Egal wie man sich entscheidet: Es gibt keine Moralanzeige, die den Hexer auf eine gute oder böse Spur bringt. Aber jede Handlung wird später Konsequenzen haben, wenn man in bestimmten Szenen plötzlich anderen Leuten oder Dialogoptionen begegnet -  im Vergleich zu Dragon Age übrigens in wesentlich kürzeren Abständen, so dass man viel öfter etwas davon mitkriegt und der Wiederspielwert der einzelnen Abschnitte enorm erhöht wird.

Die Sicht der Katze

Nicht nur Stahl, auch Feuer und Magie kommen zum Einsatz.
Nicht nur Stahl, auch Feuer und Magie kommen zum Einsatz.

Auch in finsteren Katakomben ist der Hexer unterwegs: Ich kann zwar Fackeln entzünden, aber profitiere vor allem von seiner arkanen Nachtsicht, die über Meditation und Gebräu aktiviert wird. Dann wird die Welt in Schwarzweiß getaucht und ich erkenne die roten Blutbahnen der Monster oder Wachen auch durch Wände. Diese Zaubertränke werden später immer wichtiger, ich kann mich auch in der Karriere auf sie spezialisieren.

Die Charakterentwicklung werde ich erst nach drei Akten beurteilen könne, aber sie bietet neben dem Training grundsätzlicher Fähigkeiten wie dem Block drei große Bäume für die individuelle Entwicklung des Hexers: Schwertkampf, Alchemie und Magie. Hinzu kommen seine allgemeinen Fähigkeiten wie Vitalität, Schaden, Rüstung, Regeneration, Widerstände gegen Gift oder kritische Auswirkungen wie blutende Wunden, die bei einem Aufstieg oder dem Anlegen von Ausrüstung bzw. der Einnahme von Tränken ansteigen. Auch das Gewicht spielt eine Rolle, denn Geralt kann nicht unbegrenzt den Rucksack voll packen.

Schleichen oder draufhauen?

Sobald ich einer nicht menschlichen Kreaturen gegenüber stehe, sollte ich auch vom gewöhnlichen Langschwert zur filigranen Silberklinge wechseln, die wesentlich mehr Schaden anrichtet – zwei Hauptwaffen gehören zu meinem Repertoire, hinzu kommen u.a. Wurfdolche und Bomben. Bis zum ersten Akt gab es allerdings kaum die Notwendigkeit, die Klingen zu wechseln oder anzupassen. Aber man hat ähnlich wie in Deus Ex: Human Revolution auch manchmal die Wahl, ob man den offenen Kampf oder die hinterhältige leise Taktik suchen will.

Geralt kann bei seinen Spaziergängen jeden ansprechen. Aber wie frei ist die Welt?
Geralt kann bei seinen Spaziergängen jeden ansprechen. Aber wie frei ist die Welt?

Das hört sich gut an, spielt sich aber noch unbefriedigend, weil man Geralt nicht präzise unter Kontrolle hat: Erstens scheint es zufallsabhängig, ob und wo er sich an die Wand drückt, um einen Gang zu erspähen. Zweitens geht er nicht immer in den langsamen Schleichmodus – mal geht er geduckt, mal normal. Hier fühle ich mich in der Bewegung künstlich eingeschränkt, weil ich nur an bestimmten Stellen interagieren kann.

Die Karte ist noch ein wenig verwirrend: Der Pfeil für Geralts Position steht nicht exakt an der Position, wo er sich befindet. Und so authentisch Spielwelt, Kleidung und Gespräche auch sind, so unrealistisch ist das System der Ausrüstung und Beute: Ich kann erledigte Feinde bzw. die Beutel, die sie hinterlassen, zwar anklicken und dann Gold, Gegenstände etc. einsacken. Aber obwohl ich auf der Flucht halbnackt ohne Waffen bin und dringend welche brauche, kann ich weder die nützlichen Rüstungen noch die Langschwerter der besiegten Wachen aufnehmen, die überall herumliegen. Ich darf nur genau das benutzen, was die Entwickler vorgesehen haben, z.B. einen Totschläger oder eine Stangenwaffe.

Mittelalterlicher Klingentanz

Als Monsterjäger kennt sich Geralt mit allen Kreaturen aus - trotzdem muss er sich in Acht nehmen.
Als Monsterjäger kennt sich Geralt mit allen Kreaturen aus - trotzdem muss er sich in Acht nehmen.

Das Kampfsystem schwankt zwischen angenehmer Taktik und unfreiwilliger Hektik, zwischen Arcade-Tendenzen und lobenswertem Anspruch. Ich kann mit der linken Maustaste schnelle und mit der rechten Maustaste schwere Hiebe austeilen. Letztere verursachen zwar mehr Schaden, sorgen aber auch für eine längere Ausschwungzeit, so dass ich für Riposten offen bin – sehr schön. Und genau auf diese verwundbare Phase sollte man auch bei den schwer gepanzerten Feinden achten, die sich teilweise hinter Turmschilden verstecken und langsam auf den Hexer zu stampfen, was übrigens klasse aussieht. Wer diese marschierenden Festungen plump frontal attackiert, wird keinen Schaden anrichten und schnell ins Gras beißen.

Da gilt es, rechtzeitig über Space plus Pfeiltaste wegzurollen, um einem Schlag auszuweichen und direkt danach von der Seite in offene Stellen zu kontern. Als defensives Manöver gibt es zudem den Block, der allerdings stiefmütterlich eingebunden scheint: Bisher ist es nicht möglich, ihn à la Demon's Souls für direkte Konter zu nutzen. Oder kommt das mit den Aufstiegen? Später kann der Hexer ja sogar Pfeile abwehren. Da ist also noch Luft nach oben, zumal man auch der Hektik gegen mehrere Feinde entgegen wirken sollte: Bisher kann man zwar einen Gegner über ALT markieren, aber damit wird er nicht so fixiert, dass ich bei fester Kamera um ihn herum tänzeln kann. So kommt es gegen ein halbes Dutzend Feinde schon mal zu wilden Schwenks und Problemen in der Übersicht. Auch das genaue Werfen von Messer oder Bomben ist noch gewöhnungsbedürftig.

Knackige Kämpfe

Wie kann Geralt die Hinrichtung verhindern? Man hat mehrere Möglichkeiten.
Wie kann Geralt die Hinrichtung verhindern? Man hat mehrere Möglichkeiten.

Die Choreographie der Kämpfe wirkt allerdings wesentlich eleganter als etwa in Dragon Age II - es macht einfach Spaß, den Hexer in Aktion zu sehen. Und der Anspruch ist auf dem normalen Schwierigkeitsgrad angenehm fordernd, denn er kann nicht mal einfach so Heiltränke einschmeißen – das geht nur im Vorfeld eines Kampfes per Meditation. Trotzdem kann sich der magisch begabte Held auch innerhalb eines Gefechts helfen: Mit seinen Runen Yrden, Igni, Qven, Axii und Aard kann er nicht nur brüchige Hindernisse zerstören, sondern auch lähmende Fallen auslegen, kurze Feuerstöße verteilen, den Geist eines Feindes verwirren oder Hiebe für kurze Zeit automatisch blocken. Gerade Letzteres ist in engen Räumen mit mehreren Gegnern lebenswichtig, obwohl es für den Kampf leider keine Rolle spielt, ob man eine Stangenwaffe oder ein Kurzschwert in einem Korridor schwingt; beides scheint gleich effektiv.

Ärgerlich ist allerdings auch im Kampf, dass der Hexer manchmal von unsichtbaren Grenzen aufgehalten wird und nicht überall hinauf oder hinunter springen kann – das geht nur auf Mausklick mit Unterbrechung an bestimmten Stellen. Wenn er z.B. mit Verfolgern im Rücken ein paar Stufen erklimmt und eine Veranda entlang läuft, kann er an deren Ende nicht einfach wieder den halben Meter hinunter springen, obwohl es dort weder ein Gitter noch eine Gefahr gibt. So entsteht eine künstliche Sackgasse trotz klar sichtbarem Ausweg. Wie es besser und offener geht, hat Demon’s Souls demonstriert.

Der Alltag in Temeria

Erst im Test werden wir näher auf das Verhalten der Figuren eingehen. Schön zu sehen ist jetzt schon: Leute reagieren bei gezogener Waffe, indem sie ängstlich vor Geralt ausweichen. Das Eindringen in fremde Häuser wird allerdings nicht immer konsequent geahndet – manchmal fragt der Besitzer nur unbeteiligt, was man von ihm will. Das waren aber bisher nur sporadische Besuche. Positiv stimmt jedenfalls, dass auch der Alltag stimmungsvoll abgebildet wird: Die Leute unterhalten sich angeregt, es gibt Tratsch und Gerüchte, es wird geschlachtet und bei Hinrichtungen gespannt. Hier entsteht in wenigen Minuten schon mehr Atmosphäre in der ersten Stadt als in BioWares letzter Fantasymetropole über Jahrzehnte. Aber wie viele dieser Städte wird es geben?

Ausblick

Ich freue mich auf den Hexer! Das ist die Art von Fantasy, die ich mag: Trotz Magie und Drachen weht immer ein kerniger mittelalterlicher Wind. Das Artdesign ist klasse, die Charaktere markant, die Spielwelt wirkt authentisch. Egal ob Sprecher, Dialoge oder Figurendesign - man fühlt sich fast wie in einem Historiendrama von Shakespeare , fast wie im späten Mittelalter der Rosenkriege. Das Highlight sind die direkten Konsequenzen, die sich unmittelbar und in einer erfrischenden Dichte auf kommende Ereignisse auswirken. Allerdings fühlt man sich im Prolog von unsichtbaren Grenzen und Bewegungsbeschränkungen etwas gegängelt. Und die Polen sollten sowohl das willkürlich wirkende Schleich- als auch das etwas hektische Kampfsystem präziser gestalten. Für den Test wird zudem die spannende Frage sein, inwieweit man dem Hexer eine individuelle Note in der Charakterentwicklung geben kann und ob das Erkunden der Spielwelt genauso gut ist wie die Regie des Einstiegs und die lebendig wirkende Stadt des ersten Aktes. In dem Moment, wo sich dort die Welt und Quests öffnen, pocht das Abenteurerherz jedenfalls schneller. Und man freut sich über die ebenso durchdachten wie interessanten Aufträge, die keine 08/15-Suchdienste beinhalten, sondern zwischen Rassenpolitik und Moral immer wieder ans Gewissen appelieren. Auch wenn noch nicht alles Gold war, was bisher glänzte: Diese Vorschau war wesentlich unterhaltsamer als alles, was sich in letzter Zeit auf meiner Festplatte als Fantasy-Rollenspiel kräuchte und fläuchte.

Ersteindruck: sehr gut


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