Fantasy und Historiendrama
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Der Prolog inszeniert die Belagerung einer Festung - und Geralt darf zur Erstürmung beitragen. |
Das authentische Spielgefühl wird von den Farben und Formen verstärkt, die das hervorragende Artdesign prägen: Das ist keine grelle, sondern eine erdige und überaus vertraut anmutende Welt. Die Kleidung erinnert mit ihren Schnittmustern und Stickereien, mit ihren Riemen, Laschen und Wappen eher an das späte Mittelalter als an klassische Fantasy. Dazu schnappt man schon in ersten Gesprächen etwas über Lords und Fehden, Spione und Gerüchte auf – wer den Vorgänger nicht kennt, dürfte hier allerdings etwas überfordert sein. Zumal die Verweise auf die Vergangenheit des Hexers in statischen Comicbildern inszeniert werden, die deutlich unter der ansonsten hohen Produktionsqualität liegen.
Es gibt sehr viele Übersichten, die Statistiken und Aufgaben anzeigen. Die Menüstruktur könnte allerdings fließender sein: Tagebuch, Inventar, Charakterdaten, Attribute, Meditation, Karte etc. lassen sich nicht von einem Bildschirm, sondern nur über verschiedene Tasten aufrufen. Etwas fummelig ist zudem das Aufnehmen von Gegenständen: Man muss selbst bei kleinen Funden nochmal mit der Maus zur Bestätigung einen Button anvisieren – das könnte man mit Doppelklick intuitiver lösen. Aber das sind alles Peanuts, zumal man das alles für die Konsolenversionen ohnehin anpassen muss.
Denn die Atmosphäre stimmt: Man fühlt sich fast wie in der Zeit der Rosenkriege, es könnte auch das England des 15. Jahrhunderts sein, wenn man sich die Rüstungen und Helme, die Wappenröcke und Waffen anschaut. Nur dass es in der Welt von Temeria auch Drachen, Magier und Elfen gibt – übrigens ab dem ersten Akt mit langen Ohren in bestickten Strumpfhosen zu sehen. Aber keine Bange: Die auf den Büchern von Andrzej Sapkowski beruhende Fantasy ist zwar ab und zu witzig, aber nie kitschig.
Das Fundament von Sapkowski
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Die Kulisse besticht mit stimmungsvollem Licht. |
Seine 1994 in Polen erschienene und erst 2007 ins Deutsche übersetzte Saga um Hexer Geralt thematisiert neben einem zerrissenen, von den Menschen als Dämon gebrandmarkten und seinen alchemistischen Mutationen ebenso bevorteilten wie verfluchten Helden, eher die Hintergründe einer von Rassenhass und Machtgier dominierten Welt. Und die Entwickler von CD Project RED visualisieren diese Vorlage nicht nur meisterhaft, sie lassen sie auch in Quests lebendig werden: Hilft man den Elfen z.B., ihr unabhängiges Reich aufzubauen oder ignoriert man ihr Freiheitsbestreben? Jagt man einen Troll, obwohl der Hexerkodex das eigentlich nur erlaubt, wenn er eine Gefahr für die Menschen darstellt? Die unterhaltsamen Missionen in der ersten Stadt Flotsam strotzen vor Sapkowski und Konsequenzen.
Und dort öffnet sich auch das Spiel, erlaubt Ausflüge in ebenso gefährliche wie ansehnliche Wälder, zu Ruinen und Höhlen. Wer einfach so hindurch joggt, wird schon mal in eine Bärenfalle treten oder von übergroßen Monstern überfallen. Wie weitläufig und überraschend diese Areale sind, werden wir im Test klären. Aber schon jetzt machen die Abstecher in die Wildnis deutlich mehr Spaß als in den letzten aktuellen Rollenspielen. Die Frage ist, wie offen das Ganze konzipiert ist und welche Erkundungsreize sich abseits der Hauptquests bieten. Für Abwechslung in der Stadt sorgten bisher Minispiele wie Würfelpoker, Armdrücken oder Faustkämpfe, die über WASD-Reaktionstests ausgetragen und in einem Turnier à la Fight Club auf die Spitze getrieben werden.