Vorschau:
Ego, Alter!
Noch bevor die zwei Gnome meinen Leichenkarren über der großen Höhle ausgekippt hatten, wollten sie von mir wissen, wer ich eigentlich war: Krieger? Magier? Dieb? Ich entscheide mich für den Magier. Auch einen Namen darf ich wählen – dann geht es abwärts. Doch warum erwache ich zum Leben, wo sonst höchstens Geier glücklich werden? Wie ich in den kommenden Minuten, den Lehrstunden für mein Abenteuer erfahre, waren es die Gnome mit ihrer Forschung um eine Art Wiedergeburt. Einer ihrer Wissenschaftler wollte es unbedingt schaffen, Tote ins Leben zurückzuholen und ich bin sein erster erfolgreicher Versuch.
Es ist eine zumindest interessante Erzählung für den gewöhnlichen Einstieg eines gewöhnlichen Rollenspiels. Ich werde mich Stück für Stück entscheiden, welche Zaubersprüche und Angriffsmuster mein Magier lernen soll. Ich werde ihm eine Berufung, ein so genanntes Schicksal, zuweisen, das ihm spezielle Fähigkeiten verleiht. Ich werde Aufträge erledigen, die mit der Geschichte um einen großen Krieg und eine dunkle Bedrohung nichts zu tun haben. Ich werde mir Freunde und Feinde machen - gerade so, wie es mir gefällt. Immerhin zeichnet mit Ken Rolston der federführende Designer von Morrowind und Oblivion für dieses Spiel verantwortlich.
Schmerzvolle Action
Wer allerdings erwartet, dass sich Kingdoms of Amalur einem Skyrim entgegen stellt, liegt daneben. Denn ein klassisches Rollenspiel ist es nicht. Stattdessen folgt es den Fußspuren, die actionreiche Abenteuer wie Brotherhood of Steel oder zuletzt Fable hinterlassen haben. Und das heißt vor allem eins: Kisten kloppen bis der Onkel Doktor kommt! Ich entschuldige mich für das lose Mundwerk, aber anders kann man das banale Prinzip nicht umschreiben. Gerade in den ersten Stunden malträtiert man tatsächlich nur die Angriffstasten - egal, ob sich gefährliche Gegner oder volle Aufbewahrungsgegenstände vor dem Schwert befinden. Es ist sogar egal, ob man sich in einer Höhle, im Wald, in einem Dorf oder gar in einer Wohnung befindet: In Amalur stehen so viele gedankenlos verteilte Kisten, dass selbst der Karton-übersättigte Adam Jensen vor Neid platzen dürfte. Nein, das ist selbst für gestählte Diabloisten nicht immer schön. Logikfreunde werden sogar weinen, wenn sie im Hause eines Verkäufers unmittelbar vor dessen Augen wütend über seine Kistenstapel herfallen... „Hallo, schön dich zu sehen! Möchtest du etwas kaufen?“
„Äh... ja. Habt ihr Kisten?“
Als aufrichtiger Rollenspieler muss man diesen Schmerz erleben. Man muss das Schwert spüren, das die Glaubwürdigkeit zugunsten der Massentauglichkeit ermordet. Hauptsache, man wird gleich zu Beginn fürstlich belohnt. Kistenweise. Damit man ja dranbleibt. Damit man ja nicht den Controller aus der Hand legt, wenn man während der ersten Schritte im Gamepad-gefährdenden Stakkato auf die wenigen Angriffstasten hämmert. Machen wir uns nichts vor: Kingdoms of Amalur ist Kloppmist in Reinform.
Schweden
Die ersten Schritte im ersten kleinen Dorf - lauschig eingebettet zwischen hohen Wipfeln - bestätigen den Eindruck: Im Handumdrehen sichere ich gleich mehreren Dorfbewohnern meine Hilfe zu. Ich weiß jetzt schon, dass ich selten dem roten Faden folgen werde. Zusätzliche Aufgaben werden einen Großteil meiner Zeit fressen. Wie in jedem Action-Rollenspiel. Also, auf geht’s! Nachdem ich dem Besitzer eines kleinen Geschäfts meine Überlegenheit im Kampf gegen seine Kisten vorgeführt habe, klaue ich ihm noch Socken, Kräuter und Bücher direkt aus dem Regal. Dazu drehe ich den Dietrich ähnlich wie in Fallout an die richtige Position. Jetzt versuche ich langsam, das Schloss zu entriegeln und schwupps... steht mir ein bulliger Kerl in einem massiven Bollwerk aus poliertem Eisen gegenüber. „Hör' mal, entweder setzt du jetzt deine Strafe ab oder du legst dich mit mir an.“
Fablehaft!
Mir bleiben immerhin drei Möglichkeiten, denn ich kann die Wache bestechen, sie bekämpfen oder tatsächlich ins Gefängnis wandern. Meine kümmerlichen Schlitzohr-Fähigkeiten machen die erste Variante praktisch zu einem Ding der Unmöglichkeit - vielleicht sollte ich beim nächsten Stufenaufstieg daran denken. Bekämpfen will ich den Kerl aber auch nicht.
Actionreiche Kämpfe und umfangreiches Rollenspiel. Wie stark die einzelnen Elemente sind, muss das Spiel noch beweisen. |
Weit und breit
Was gibt es denn noch zu entdecken? Wo werde ich noch die Folgen meiner Taten spüren? Was passiert denn, wenn ich einen Auftraggeber einfach töte? Ganz einfach: Die Aufgabe gilt als unerfüllbar. Weitere bekomme ich von ihm natürlich schon gar nicht. Ja, es gibt Figuren, die für den Fortgang der Handlung so wichtig sind, dass sie nach einer Zeit der Genesung zurückkehren - ein verzeihliches Stückchen Inkonsequenz. Und was geschieht, wenn ich meine langen Finger nach fremden Habseligkeiten ausstrecke, während mich niemand beobachtet? Siehe da - ich komme ungeschoren davon! Auch die Gespräche sind erfreulich offen. Ich darf nämlich nicht nur während der für die Handlung wichtigen Unterhaltung aussuchen, welche Antworten mein Magier gibt. Als redegewandter Charakter überzeuge ich meinen Gegenüber auch einfach von meiner Meinung. Und ich kann Stichpunkte abfragen, die mit dem Verlauf des Abenteuers und meinem Gesprächspartner zusammenhängen. Und so ganz langsam merke ich, wie ich mich immer mehr darauf freue, diese Fantasywelt in Ruhe zu erkunden. Eine Welt, die im Gegensatz zu Oblivion oder Skyrim übrigens nicht uneingeschränkt offen ist, in der sehr breite und lange Pfade aber frei begehbar sind.
Und nicht zuletzt sollen natürlich auch die Kämpfe vielfältiger werden. Als wir vor Ort bei EA den Anfang des Spiels erlebten, hielten sich die Möglichkeiten zwar noch in Grenzen: Ein paar physische Attacken und wenige Zauber beherrschte mein Magier. Die angenehm weit verzweigten Fähigkeiten in den drei Entwicklungsbäumen versprachen allerdings ein wenig mehr Abwechslung und taktischen Anspruch in späteren Gefechten. Andererseits: Vielleicht werde ich mich auch einfach ums Kämpfen drücken und erlebe das Abenteuer als Dieb. Der beherrscht es nämlich ganz vorzüglich, seine Gegner aus dem Hinterhalt zu meucheln. Es reicht, wenn man - die Ausbildung des Charakters spielt dabei keine Rolle – in die Hocke geht und sich ungesehen einem Feind nähert. Kommt man nah genug heran, reicht ein einziger fieser Stich... Es ist kein Metal Gear, kein Splinter Cell und auch kein Deus Ex. Es ist aber schön, dass mir Kingdoms of Amalur die Wahl lässt, wie ich in das Abenteuer bestehen will.
Ausblick
Es war schon ärgerlich, dass mich eine der Wachen beim Stehlen erwischte, obwohl sie sich nicht einmal im selben Raum befand. Richtig blöd ist auch das Zertrümmern von Kisten im Beisein ihrer Besitzer. Manche Konsequenz wirkt noch zu willkürlich und unausgereift. Auch wird man in den ersten Stunden zu einem banalen Draufschlagen gezwungen, das schnell ermüdend wirkt. Ich wünsche mir sehr, dass meine Figuren im Verlauf der Geschichte so hinzulernen, dass sie schwierige Kämpfe mit taktischen Mitteln führen können - und auch müssen. Es wäre einfach zu schade, wenn das erfreulich umfangreiche Rollenspiel von oberflächlicher Action bestimmt wird. Dabei habe ich schon am Anfang eine Welt erlebt, in der meine Taten echte Konsequenzen haben - das macht Lust auf mehr! Ich darf nicht ungestraft stehlen, könnte aber ganze Dörfer samt Auftraggebern und Zivilisten ausrotten. In Gesprächen genieße ich die Wahl des Themas und kann meine Gegenüber sogar zu ihrer Welt und Geschichte ausfragen. Diese Dinge werden das Rollenspiel nicht neu erfinden. Auch der Gang ins Gefängnis und das Knacken der Schlösser sind aus ähnlichen Spielen längst bekannt. Mit ihnen könnte Kingdom of Amalur: Reckoning allerdings der Beginn eines sehr stimmungsvollen Abenteuers werden!
Ersteindruck: gut
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