Saints Row: The Third26.10.2011, Mathias Oertel
Saints Row: The Third

Vorschau:

Wenn man von einer Gangster-Saga mit offener Welt spricht, werden die meisten vermutlich an Rockstars GTA denken. Doch Volition hat mit Saints Row eine interessante Alternative parat, die zwar nicht ganz so poliert wirkt und mit technischen Mankos kämpft, aber mit ihrem ungehobelten Charme sowie dem überzogenen Humor bisher für gute Action-Unterhaltung sorgte. Was hat Teil 3 auf dem Kasten?

Deutschland vs. Die Welt

Es gibt Spiele, die haben von Grund auf einen schlechten Stand, weil die Konkurrenz schier übermächtig ist. Und es gibt Titel, die haben einen schlechten Stand, weil sie sich durch Schnitte das Leben schwer machen. Bei der Saints Row-Serie kommen beide Elemente zusammen: Von vielen als das "kleine GTA" bezeichnet, blieben die Open World-Gangsta von Volition vor allem technisch immer einiges schuldig. Doch auch Dramaturgie und Teile des Designs wirkten deutlich grober, unterstützten damit aber den Anarcho-Charme, der von den Bandenkriegen in Stilwater ausging. Dieses anarchische Prinzip spiegelte sich auch im überzogenen Humor sowie der teils extremen Gewaltdarstellung wider, die beide bei der USK nicht gut ankamen. Das Ergebnis waren vor allem im zweiten Teil herbe Schnitte, die das Spiel teilweise entstellten sowie eine internationale Inkompatibilität im Mehrspielermodus.

Für Teil 3 können wir nur Teilentwarnung geben. Denn wie THQ bereits bestätigte, wird es auch mit Saints Row The Third (SR3) nicht möglich sein, sich mit Spielern der internationalen Version zusammen zu tun, um den neuen Schauplatz Steelport unsicher zu machen.

Das ist insofern schade, da die Schnitte ansonsten deutlich moderater gesetzt wurden als bislang. So wird man keine Zivilisten als menschliche Schutzschilde nehmen können und bei Gewalt gegen die unschuldigen Passanten ist die Zündschnur der Gesetzeshüter deutlich kürzer als im Rest der Welt. Sprich: Ähnlich wie bei Red Faction Guerilla kann man weiterhin Gewalt gegen Zivilisten ausüben, muss aber damit rechnen, dass die Polizei schneller hinter einem her ist. Als dritter Einschnitt fehlt mit dem Hordenmodus (im Original: Whorde Modus) eine ausgelagerte Variante der hanebüchenen Action, bei der man Welle auf Welle an Gegnern abwehren muss. Als besonderes Gimmick bekommt man aber die Waffe vorgeschrieben, mit der man sich der Feinde entledigt, die auch einige witzige Überraschungen parat haben (Zombies, miniaturisierte Energy Drink-Maskottchen etc.).  

Unter dem Strich kann ich mit diesen Einschnitten leben, denn sämtliche Waffen mit all ihren Funktionen und Auswirkungen haben den Sprung in die deutsche Fassung geschafft. Allerdings verstehe ich nicht, wieso Volition k eine Online-Kompatibilität zu den anderen Versionen herstellen kann - obwohl Valve mit den Left 4 Deads bereits gezeigt hat, dass es möglich ist.  

Verrückter denn je

Abseits der Schnitt-Thematik geben die Saints jedoch in beinahe jeder Hinsicht Vollgas und scheinen genau dort ansetzen zu können, wo der Vorgänger aufhörte. Und das bedeutet, die vorzugsweise in Lila gekleideten Ganoven sind Mittelpunkt einer ebenso überzogenen wie witzigen sowie klischeeüberladenen Geschichte, bei der sich Action und Humor die Bälle wie in einem heiß umkämpften Tennismatch zuspielen.

Insgesamt warten etwa 50 Story-Missionen, von denen in der Anfangsphase allerdings auch einige genutzt werden, um alte und neue der so genannten (optionalen) Aktivitäten vorzustellen, die man tunlichst erledigen sollte, um sich Respekt und Geld zu verschaffen.

Bei den Saints wird scharf geschossen.
Bei den Saints wird scharf geschossen.
Dabei lotet Volition nicht nur die Grenzen des B-Film-Drehbuches, sondern auch die des guten Geschmacks, Humors und des Actiongenres aus, was sich auch am neu gewonnen Status zeigt: Die Saints, die in Stilwater noch von Polizei und anderen Gangs gejagt wurden, sind im neuen Schauplatz Steelport zu absoluten Medienstars gereift. Sie werden wie Filmstars gefeiert, haben eigene Klamottenläden, produzieren Energy-Drinks und sind fester Bestandteil der Popkultur. Dieses vollkommen überzogene Bild zieht sich durch die gesamte Story: Es beginnt bei einem Banküberfall, der bei allem Stress immer noch Zeit für Autogramme lässt und der in einer waghalsigen Ballersequenz auf einem an einem Helikopter hängenden Tresor gipfelt.

Das geht weiter bei einem schick inszenierten Gefecht in einem Flugzeug, das während eines Fallschirmsprungs fortgeführt wird. Und das hört erst bei Kämpfen gegen coole Bosse und einer wilden Verfolgungsjagd auf einer von einem S&M-Sklaven gezogenen Rikscha auf. Und drumherum gibt es Charaktere, die sämtliche Gangster-Klischees ebenso bedienen, wie sie sie durch den Kakao ziehen. Sprich: Die Dialoge versuchen, einen Drahtseilakt zwischen tarantinoesker Qualität und B-Film-Geschnodder zu bewältigen - meist erfolgreich und bis auf wenige Ausnahmen immer komisch.

Wobei Humor ja sowieso ein zweischneidiges Schwert ist. Und es ist ja auch nicht das Schlechteste wenn einem das Lachen auch mal im Halse stecken bleibt. So bei mir geschehen, als der gerade befreite Sexsklave nur mit Hilfe einer Stimmprothese kommunizieren kann, sich dabei aber mit seinem Singsang wie eine Mischung aus Michael Winslow (könnte einigen noch aus "guten" alten Police Academy-Zeiten bekannt sein) und GlaDOS anhört...

Neuer Lack, alte Risse

Und die ersten zwei Stunden der Vorschau-Fassung, in der ich teilweise auch nur durch die Gegend gefahren bin, um die neue (Arcade-)Fahrphysik zu prüfen, die auch den PS- und Handling-Unterschied zwischen den Boliden gut vermittelt sowie die runderneute Kulisse in Augenschein zu nehmen, hinterließen einen sehr guten Eindruck. Ja: Die Engine hat auch in Steelport noch mit Tearing zu kämpfen, das allerdings zu Lasten von nicht immer flüssiger Bildrate auch durch Ziehen der V-Sync-Option behoben werden kann.

Diese „Pest oder Cholera“-Lösung ist zwar nicht optimal und unterstreicht, dass Volition in dieser Hinsicht immer noch hinter den Kollegen von Avalanche oder Rockstar zurückhängt, was sich auch am häufig eintönigen Design der Zivilisten festmachen lässt. Doch dank des insgesamt gelungenen Artdesigns kann ich über etwaige Schwächen der Kulisse hinweg sehen. Es ist zwar schade, dass Volition hier scheinbar nicht zu Potte kommt, doch das macht als verbindendes Element aller Teile mittlerweile auch den Charme aus.

Zumal abseits der Kulisse der Fokus auf puren Spaß gelegt wird. Seien es nun die Hauptmissionen, die Nebenaktivitäten (von denen man als Kenner der Vorläufer leider schon viele kennt, sich aber z.B. über die Reality-TV-Show freut, in der man diverse Maskottchen über den Haufen schießen kann) oder einfach nur das Streunen durch die Stadt, um die vielen Verstecke von Gangs oder Gimmicks zu finden.

"Hast du grad gesagt, isch bin doof?"

Doch mit zunehmender Spieldauer (für diese Vorschau habe ich nach etwa einem Drittel der Hauptstory aufgehört) werden einige KI-Probleme deutlich, die bereits mittelfristig den Wertungs-Fortschritt der Saints in Steelport aufhalten können: Gegner verhaken sich in Wänden. Sie lassen sich einfacher als Moorhühner von der Bildfläche putzen. Sie machen keinen Anschein, zumindest einigermaßen konstruktiv miteinander zu arbeiten, um mir das Leben schwer zu machen. Sprich: Man muss sich derzeit schon verdammt blöd anstellen, um sich den Aufstieg zu verbauen.

In der deutschen Version wird es nicht möglich sein, Zivilisten als Schutzschild zu verwenden.
In der deutschen Version wird es nicht möglich sein, Zivilisten als Schutzschild zu verwenden.
Dummerweise ist aber auch um die KI der Mitstreiter nicht gut bestellt. In Gefechten verhalten sie sich zwar passabel - auch wenn sie sich manchmal von Boss-Charakteren zu einfach abschießen lassen. Doch in Missionen, in denen man aufsie als Fahrer angewiesen ist, wünscht man sich, dass man statt der treuen Saints-Kameraden von Stevie Wonder kutschiert würde. Der Chauffeur eiert im wahrsten Sinne des Wortes über die Fahrbahn und hat riesige Probleme mit der Wegfindung: Er fährt skrupellos durch gegnerische Territorien, als ob es kein Morgen gibt, hat Schwierigkeiten, einer Ampel auszuweichen, die natürlich vollkommen unerwartet vor ihm auftaucht und weigert sich beharrlich, aufs Gas zu treten, wenn wir verfolgt werden. Sprich: In diesen Momenten ernüchtert das Spiel.

Spaßbremse?

Das ist insofern schade, da Volition inhaltlich ein All-You-Can-Eat-Menü auftischt, das im Bereich der Open World-Spiele einzigartig ist und wie in den Vorgängern miteinander verzahnt wird: Gelungene Aktionen (egal ob Aktivitäten, Stunts oder Missionen) bringen Respekt und/oder bare Münze.

Je mehr Respekt man hat, umso mehr Upgrades kann man für sich und seine Gang freischalten. Das beginnt bei besserer Bewaffnung oder einem vergrößerten Munitionsgurt und hört erst bei Gesundheit oder besserer Ausrüstung für die Saints auf, die man nach wie vor als Helfer an seine Seite rufen kann. Allerdings ist die Freischaltung der Upgrades nur die eine Seite, denn bevor man sie nutzen kann, muss man seine mühsam verdiente Kohle investieren. Mit dieser Wechselwirkung aus nötigem Respekt und erspieltem Geld schafft es Volition immer wieder, mich zu den eigentlich unwichtigen Nebenmissionen zu locken oder zu einer feindlichen Gebietsübernahme zu bringen, damit mein stündlich in der Stadt generiertes Einkommen steigt - ein ebenso einfaches wie motivierendes Prinzip.

Ausblick

Die Saints sind zurück - und wie! Mit einem wilden Mix aus coolen Dialogen, abgefahrenen Missionen und bekannten Mechanismen schlägt Volition eine neue Seite der Gangster-Saga auf, die sich glücklicherweise nicht allzu ernst nimmt. Nach den ersten zwei Stunden, in denen ein gut inszenierter Action-Höhepunkt den nächsten jagte, wollte ich den Saints eigentlich den verdienten Fit4Hit-Stern an die lila Klamotten heften. Und es sind weder die für mein Empfinden verschmerzbaren Schnitte (minus der Online-Grenze) noch die nach wie vor eher in der zweiten Reihe der Open World-Spiele stehende Kulisse dafür verantwortlich, dass es unter dem Strich "nur" ein "Gut" mit Option nach oben ist. Denn so gelungen die neue Fahrphysik, das Missionsdesign und die Erweiterung von Revier und Fähigkeiten auch sind, so schwach und damit demotivierend ist die KI. Vor allem auch, da es sich bei diesen Problemen nicht nur um die Gegner geht, die selbst Moorhühner noch unterbieten wollen, sondern auch die eigenen Mitstreiter betrifft. Insbesondere, wenn sie hinter dem Steuer eines Fahrzeugs saßen, haben sie mich zur Weißglut getrieben. Doch um sich endlich mit Gold schmücken zu können, bedarf es mehr als nur abgefahrenen Humor und vollkommen überzogene Action. Ich hoffe, dass Volition diese Probleme erkennt und sie bis zur Veröffentlichung aus der offenen Welt schafft.

Ersteindruck: gut

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