Dishonored: Die Maske des Zorns26.04.2012, Jörg Luibl
Dishonored: Die Maske des Zorns

Vorschau:

Dunwall ist eine fiktive Stadt, die an das London des 19. Jahrhunderts erinnert. Sie wirkt von oben wie ein viktorianisches Meer aus Schornsteinen, Türmen und Giebeln - der ideale Platz für Tyrannen und Assassinen, für leise Heimlichkeiten und hinterhältige Morde. Der Mann mit der Maske lauert mucksmäuschenstill auf einem Dach. Zwei Meter unter ihm steht eine Wache auf einem Balkon, schnappt ein letztes Mal frische Luft. Dann spritzt Blut.

Der Einfluss des Todes

Man hätte nicht nur diese Situation eleganter lösen können, indem man die Wache z.B. ignoriert und einen anderen der acht Eingänge zum Gebäude sucht oder indem man sie lediglich bewusstlos schlägt. Man kann das komplette Abenteuer ohne einen einzigen Mord meistern. Jede Mission bietet mehrere Wege, um zum Ziel zu gelangen. Die Zahl der begangenen Morde soll Auswirkungen auf so manche Begegnungen mit Passanten (ein skrupelloser Killer wird selten gegrüßt) und letztlich sogar auf die politische Stabilität in der Stadt haben, in der zwei Parteien im Angesicht einer Seuche um die Macht kämpfen. Jeder Tote wird gezählt und ihre Summe beeinflusst schließlich die drei möglichen Enden.

Das hört sich gut an, aber noch bleibt unklar, inwiefern man auch erzählerisch dazu motiviert wird, möglichst wenig Blut zu vergießen. Ob man irgendwann mit einer Partei sympathisiert? Denn eigentlich müsste der Zorn des Helden auf das politische Establishment wie eine Flamme brennen: Er heißt Corvo Attano, hat früher als Wache die Kaiserin beschützt und soll sie umgebracht haben. Der tyrannische Lordregent, der entfernt an Max Schreck in Nosferatu (1922) erinnert, hat ihm den Mord in die Schuhe geschoben. Als Corvo schon zum Tode verurteilt dahin schmachtet, rettet ihn allerdings ein Fremder und verleiht ihm magische Kräfte. Wer ist dieser Mann, der "Outsider" genannt

Egal ob Architektur oder Kleidung. Die fiktive Stadt Dunwall erinnert an ein viktorianisches London - allerdings bezieht die Stadt ihre Energie aus Walöl.
Egal ob Architektur oder Kleidung. Die fiktive Stadt Dunwall erinnert an ein viktorianisches London - allerdings bezieht die Stadt ihre Energie aus Walöl.
wird? Warum rettet er ihn? Und was glüht da plötzlich in seiner Hand? Die Antworten darauf findet man nicht in einer offenen Welt, sondern in einer linearen Kampagne, deren Kapitel jeweils begrenzte Abschnitte öffnen – das verbindende Element ist ein alter Pub, der als verdecktes Hauptquartier fungiert. Von dort aus wird man von einem Fährmann zur nächsten Mission gebracht.

Die Magie in der Hand

Corvo versteckt sich in diesem Pub und nimmt Aufträge des mysteriösen Fremden an. Dank ihm wurde er über Nacht zum wütenden Jäger mit Maske und magischer Begabung, der auf Knopfdruck ein Kreismenü öffnet und dort zig  übernatürliche Kräfte sowie gefährliche Waffen parat hat. Im Laufe des Abenteuers kann er seine martialischen und arkanen Möglichkeiten erweitern, indem er bei Händlern einkauft, Runen oder Knochen findet, von denen vor jedem Spiel zufällig 20 von 50 ausgestreut werden - diese können z.B. dafür sorgen, dass Ratten länger beschworen werden, dass auch Wasser die magische Energie auffrischt oder dass Leichen zu Asche werden. Dann muss man sie nicht mehr umständlich vor den Augen der Wachen verstecken.

Ansonsten kann Corvo in Egosicht nicht nur mit Messer, Säbel und Pistole angreifen, sondern auch Granaten oder eine Armbrust mit diverser Munition einsetzen, die lediglich betäubt oder direkt tötet. Er kann plump Türen sprengen, durch Schlüssellöcher lugen oder eine Sicht durch Wände aktivieren, um die Situation abzuschätzen. Sehr cool: Er darf dank der Maske auch akustisch heran zoomen und entfernte Gesprächen belauschen, um so vielleicht einen Hinweis zu erhaschen. Außerdem muss er nicht unbedingt langsam und geduckt schleichen, sondern kann sich kurz teleportieren, indem er ein Ziel wie etwa einen

Laut und blutig oder elegant und leise? Der Spieler hat auf dem Weg zum Ziel immer die Wahl.
Laut und blutig oder elegant und leise? Der Spieler hat auf dem Weg zum Ziel immer die Wahl.
Sims, Balkon oder Kronleuchter anvisiert – kurz die Faust geballt und schon ist er da. So überwindet er außerhalb und innerhalb von Gebäuden in null Komma nichts die Vertikale. Das wirkt in den vorgespielten Situationen wie Stealth-Action auf Speed.

Damit nicht genug, kann er Ratten zur Verwirrung beschwören, kurze Windstöße abgeben, die Zeit anhalten, um Kugeln auszuweichen oder um selbst länger zu zielen – z.B. auf drei Feinde gleichzeitig. Aber die spektakulärste Fähigkeit ist eine andere: Corvo kann in andere Körper fahren, egal ob Mensch oder Tier. In der Haut eines Wächters kann er zwar nicht kämpfen, aber er kann kurzfristig mit ihm an seinen Kollegen vorbei schlendern und vielleicht eine Tür zu öffnen, dahinter einen Schalter zu bedienen oder eine zu Leitung sabotieren, so dass einem Politiker in der Sauna etwas zu heiß wird – ein böser, geschickt eingefädelter Unfall. Sehr schön: Sobald er den Fremdkörper verlässt, ist der Eigentümer für ein paar Sekunden verwirrt.

Von der eigenen Kugel getötet

Man hat immer die Wahl, ob man die Aufträge blutig oder clever löst.
Man hat immer die Wahl, ob man die Aufträge blutig oder clever löst. Ob der Mann auch schon ein Opfer der Seuche ist? Die "Weiner" bluten jedenfalls aus den Augen...
Es geht aber noch spektakulärer. In der Haut eines Fisches oder einer Ratte kann man ideal durch Wasserleitungen oder Rohre schlüpfen, um ungesehen in abgeriegelte Bereiche zu gelangen. Wie oft wird man das für kleine Rätsel oder mechanische Spielereien einsetzen können? Fest steht, dass man die Kräfte clever kombinieren kann: Über den Windstoß lassen sich Projektile der Feinde zurückwerfen. Und wenn eine Wache schießt, hält man die Zeit an, so dass die Kugel schon in der Luft schwebt. Dann übernimmt man den Körper der Wache und läuft mit ihr zurück an den Ort, auf den sie selbst gezielt hat. Wenn man sie jetzt verlässt, wird sie von ihrer eigenen Kugel erledigt…

Aber die magischen Superkräfte fordern ihren Preis: Sie kosten Energie. Trotzdem scheinen die Möglichkeiten des Helden in den vorgespielten Szenen nahezu unerschöpflich und im Vergleich zu den begrenzten Reaktionen der Wachen etwas übermächtig. In den Kämpfen versuchten sie sich zwar mit ihren Säbeln zu verteidigen oder zurück zu schießen, aber das sah alles recht unbeholfen aus. Die spannende Frage ist, ob Corvus auch mal von einem mächtigeren Gegenspieler gekontert wird, ob abseits des Lordregenten interessante Antagonisten aufgebaut werden. Oder ob er auf seinen Teleports durch die hübschen Gemäuer wenigstens einer fähigen KI begegnet, die ihn mit ihren Routen, Alarmstufen und Verfolgungen unter Druck setzt oder in Überzahl auch kämpferisch besiegt. Viel vom Reiz dieses Abenteuers wird von diesem Figurenverhalten abhängen, das evtl. auch über die vier Schwierigkeitsgrade beeinflusst werden kann..

Viktorianische Parallelwelt

Corvo kann viele übersinnliche Fähigkeiten einsetzen, darunter auch eine Sicht durch Wände, Windstöße oder die Beschwörung von Ratten.
Corvo kann Granaten & Co, aber auch viele übersinnliche Fähigkeiten einsetzen, darunter eine Sicht durch Wände, Windstöße oder die Beschwörung von Ratten.
Was jetzt schon überaus reizvoll ist, ist das Artdesign, das sich in den begrenzten Arealen auf architektonische Kleinigkeiten und prächtiges Interieur konzentrieren kann: Schon an den wenigen vorgespielten Schauplätzen wie dem Badehaus „Golden Cat“ sorgt die Kulisse mit ihrem edlen Gemäldestil für eine Stimmung, die zum näheren Hinsehen und Erkunden einlädt. Egal ob verzierte Tapeten oder prunkvolle Teppiche, kristallene Lampen oder schnieke Uniformen, egal ob strenge Pickelhaube, edle Manschetten oder verzierte Säbel: Die historischen Vorbilder des viktorianischen Zeitalters sind unverkennbar. Allerdings gleicht Dunwall auch einem Überwachungsstaat à la Half-Life, denn überall gibt es Lautsprecher und patrouillierende Truppen.

Und die ebenso aristokratisch wie industriell anmutenden Kulisse wird angenehm überzeichnet, so dass trotz der vertrauten Motive etwas Fremdartiges über der Stadt liegt: Da sind die übergroßen Hunde mit ihren langen Echsenzungen, die mechanischen Kutschen ohne Pferde oder die zweibeinigen Wächter, die wie Riesen durch die Stadt stolzieren und mit stählernen Bögen bewaffnet sind. In einer Situation muss Corvus ein Gebiet durchqueren, dass von mehreren dieser Aufpasser bewacht wird – dabei muss er ihren Pfeilen ausweichen oder diese kontern und ihre Schutzschilde einreißen, bevor er sogar selbst auf einem Zweibeiner herum stolzieren kann. Sehr gespannt bin ich bereits auf den Maskenball, der als eine Mission lediglich beschrieben wurde: Dort kann man sich beim Adel einschmeicheln und delikate Situationen einleiten.

Ausblick

Ansehnlich, stimmungsvoll und freies Spiel - Dishonored macht mich neugierig. Nicht nur aufgrund seiner gemäldeartigen Kulisse, die eine dystopische Parallelwelt des 19. Jahrhunderts inszeniert, in der sich Aristokratie, Industrialisierung und Magie treffen. Vor allem interessiert mich die Stealth-Action, die clevere Lösungswege innerhalb der Aufträge anbieten soll – und je nachdem, ob und wie viele Feinde man tötet, gibt es drei Enden. Aber wie wirkt sich das Teleport-Tempo auf das Schleicherlebnis aus? Und kann man den zig übernatürlichen Fähigkeiten des Helden mit einer aufmerksamen KI und konternden Antagonisten etwas entgegen setzen? Der plumpe Ballerweg erschien bisher wie eine fade, weil viel zu leichte Alternative. Aber noch wurden lediglich komprimiert Möglichkeiten präsentiert und was die Entwickler über ihr offenes Design erzählten, hörte sich richtig gut an. Man soll z.B. Bücher finden, die nicht nur mehr über die Hintergründe verraten, sondern Aufgaben erst nach der Lektüre auf bestimmte Art lösbar machen: Nur wer etwas über Häresie liest, soll jemanden in der Folterkammer als Ketzer brandmarken können. Ich bin gespannt, wie sich dieses Abenteuer entwickelt - es soll noch dieses Jahr erscheinen.

Ersteindruck: gut

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.