FIFA 1310.08.2012, Jörg Luibl
FIFA 13

Vorschau:

FIFA 12 hat Verkaufsrekorde gebrochen und sich als eine der lukrativsten Marken der Spielebranche etabliert. Parallel zum wirtschaftlichen Erfolg wächst allerdings der qualitative Druck. Noch hat man nicht diese letzte Welle der Euphorie ausgelöst wie Pro Evolution Soccer zu seinen besten Zeiten. Seit David Rutter die Leitung übernommen hat, spürt man sinnvolle Verbesserungen, die das Spiel nicht für die Masse vereinfachen, sondern weiter Richtung Simulation führen. Letztes Jahr bereicherte „Tactical Defending“ das Spielerlebnis. Was soll dieses Jahr besser werden?

Die Suche nach dem offensiven Kick

Auf den ersten Blick hat sich grafisch kaum etwas getan. Aber der zweite offenbart wesentlich weichere Animationen.
Unsere Vorschauversion war erst zu 75% fertig: Auf den ersten Blick hat sich grafisch kaum etwas getan. Aber schon der zweite offenbart wesentlich weichere Animationen bei Kollisionen und Zweikämpfen.
Schon nach wenigen Matches fallen Verbesserungen auf, darunter zwei physikalische: Der Ball springt öfter vom Fuß, prallt plötzlich ab oder geht im Zweikampf verloren. Vor allem, wenn man ihn im Sprint annimmt, kann das bei weniger versierten Technikern sehr unglücklich aussehen - im schlimmsten Fall hebt er hüfthoch ab. Diese neue Unsicherheit sorgt automatisch für mehr Spannung im Spielaufbau, denn wenn ein Verteidiger nicht aufpasst, wird ihm der abspringende Ball stibitzt. Aber nicht zu früh freuen, denn diesmal ist nach dem Verlust auch die Rückeroberung leichter. Im Gegensatz zu FIFA 12 kommt es häufiger zu einem Hin und Her beim Kampf um das Leder. Noch ein physikalischer Fortschritt fällt auf, wenn man abzieht: Die Distanzschüsse mit Vollspann sind wuchtiger und gefährlicher – sehr schön.

Außerdem bemerkt man zunächst mehr Bewegung und Antizipation auf dem Platz: Die Offensivleute laufen sich besser frei, kreuzen diagonal, kehren sogar um oder gehen auch mal lange Wege in eine Richtung. Das führt allerdings dazu, dass sie diese Route nicht so einfach ändern – man kann diesen Laufweg also nicht plötzlich beim Spielerwechsel unterbrechen und umkehren, was natürlich authentisch ist, aber auch mehr Aufmerksamkeit bei den Pässen in den Lauf erfordert; viele Bälle landen bei zu schnellem Pass aus Versehen im Rücken. Die Pässe in den Lauf kann man jetzt etwas druckvoller spielen, vor allem jene flachen in die Spitze, die an Tempo gewonnen haben. Hier hat EA den richtigen Hebel angesetzt, scheint ihn aber nicht konsequent genug gezogen zu haben.

Die Macht der Gewohnheit

Es gibt einge neue Finessen für Freistöße - man kann einen dritten Mann als Schützen hinzuziehen oder mit der Mauer nach vorne trippeln. Sehr schön: Das ahndet der Schiri mit Gelb!
Es gibt einge neue Finessen für Freistöße - man kann einen dritten Mann als Schützen hinzuziehen oder mit der Mauer nach vorne trippeln. Sehr schön: Das ahndet der Schiri mit Gelb!
Wir haben die Steuerung dieser Pässe in die Tiefe irgendwann auf manuell eingestellt, selbst wenn es dann kniffliger ist. Denn beim automatischen Zuspiel in die Spitze wird bei mehreren Anspielstationen des Öfteren der am weitesten entfernte oder denkbar schlechteste Stürmer gewählt - das hat sehr oft genervt, könnte aber noch an der nicht finalen Version liegen. Das sollte EA so dosieren, dass selbst bei "mit Hilfe" der Druck zumindest über die Distanz entscheidet. Immerhin wird man später in Online-Duellen nur über diese Einstellung in der Rangliste spielen können.

Die Neuerungen hören sich trotzdem alle nicht nur gut an, sie fühlen sich nach den ersten Spielen auch klasse an. Aber es gibt nach bisherigem Stand ein Problem auf lange Sicht: Hat man sich an den etwas zickigeren Ball sowie präzisere Pässe gewöhnt, entsteht immer noch ein sehr gleichförmiger Rhythmus. Da sich am „Tactical Defending“ des Vorjahres nichts Wesentliches geändert hat, werden gerade Kenner von FIFA 12 sehr schnell, sehr effizient verteidigen. Das liegt auch daran, dass man beim Pressing und Abschirmen jetzt noch besser in den Mann kommt als im Vorgänger, wo wir noch die zu großen Abstände für den Zugriff auf den letzten Metern bemängelten – das hat EA behoben. Wer gegen den Ball arbeiten und Druck aufbauen will, wird sich hier also pudelwohl fühlen. Allerdings hat dieser Fortschritt auch eine Kehrseite.

Wo ist "Intuitive Attacking"?

Man vermisst bei der Ballannahme intuitivere Möglichkeiten für Körperdrehungen oder Direktabnahmen.
Man vermisst bei der Ballannahme intuitivere Möglichkeiten für Körperdrehungen oder Direktabnahmen.
Bei der Ballannahme kann man als Angreifer das Leder nicht besonders effizient mit dem Körper schützen oder auf kreative Art in eine Körpertäuschung umleiten. Warum gibt es für Stürmer z.B. keine intuitive Möglichkeit, den heran kommenden Ball über einen Knopfdruck erst zu antizipieren und so direkt ins Dribbling mitzunehmen? Quasi als elegante Überleitung oder Vorbereitung zum Torschuss? In diesen Situationen wirkt PES 2013 individueller und vielfältiger. Man hat lediglich die Chance, sich den Ball wie gehabt sofort weit vorzulegen. Wer das als schnelle Vorlage über den rechten Anlogstick versucht, wird jetzt allerdings noch öfter patzen, da der Ball schonmal verspringt.

Dieses Verhältnis zugunsten der Defensive ist für eine Simulation vollkommen okay, aber man vermisst mehr Möglichkeiten und individuelle Klasse, um dieses Blocken über Pässe oder Dribblings aufzubrechen - die Fähigkeiten der offensiven Topstars kommen in Einzelsituationen aktuell noch zu wenig zur Geltung. Denn selbst ein Messi oder ein Iniesta haben gefühlt keine Bewegungsvorteile. Trotzdem hat FIFA eine sinnvolle Funktion gewonnen: Die Dribblings sind etwas effizienter, wenn man die neue Möglichkeit nutzt, dass man sein Gegenüber vor dem Zweikampf oder der Finte direkt anvisiert. Drückt man zwei Schultertasten (R2 und L2 bei der alternativen Steuerung) gleichzeitig, schaut der Ballführende den Gegner an und kann per Analogstick etwas leichter an ihm vorbei ziehen. Aber was in unseren Spielen noch effizienter war: So kann er den Ball auch verlangsamen und mit ihm nach hinten oder zur Seite dribbeln, ohne Blickkontakt zu verlieren. Und so verschafft man sich auch mehr Zeit für einen guten Pass, während die anderen Spieler an einem vorbei in die Spitze laufen - das sieht nicht nur sehr elegant aus, sondern sorgt für gefährliche Situationen.

Zu wenig Tempowechsel

Grätschen und Tacklings sind noch effektiver als in FIFA 12.
Grätschen und Tacklings sind noch effektiver als in FIFA 12.
Andererseits wird ein recht langsamer Spielaufbau dadurch nochmal verlangsamt. Die an sich lobenswerte Offensiv-KI ist zwar beweglicher im Raum, läuft sich im Mittelfeld gut frei, aber beim letzten Weg in die Spitze gibt sie aktuell noch zu wenig Gas - man erkennt den Vollsprint nicht. Wie schon in FIFA 12 will man seinen Flügelleuten oder Stürmern oftmals zurufen: Jetzt geh doch! Gib Gummi! Hat man dann den Ball, fühlen sich die Sprints manchmal auf den ersten Metern nicht spritzig genug an – man wird selbst mit einem Ribéry, Kuba oder Reus recht früh abgefangen. Aber auch über das manuelle Schicken per L1 wirken die eingeleiteten Läufe etwas pomadig. Wo ist die Explosivität?

Nicht falsch verstehen: Es hat sich durchaus etwas getan im Offensivbereich, denn zwischendurch entstehen auch mal rasante Konter und Tempowechsel, die man so in FIFA 12 nicht gesehen hat. Aber man hat an diesem Rädchen sehr zaghaft gedreht. Hinzu kommt, dass die Ausdauer scheinbar eine größere Rolle spielt: Manche Spieler sind in der Mitte der zweiten Halbzeit so richtig ausgepowert und man hat kaum noch die Chance, ein Laufduell zu gewinnen. Auch diese Maßnahme ist fußballtaktisch richtig, denn sie sorgt dafür, dass man während des Spiels besser dosieren (vor allem das Doppelpressing in der Hälfte des Gegners zieht Kraft) und einwechseln muss.

Verfeinerte Präsentation

Natülich startet FIFA wieder mit voller Lizenz und aktuellen Club-Kadern durch. Reus spielte schon beim BVB.
Natülich startet FIFA wieder mit voller Lizenz und aktuellen Club-Kadern durch. Reus spielte schon beim BVB.
Und grafisch? Auf den ersten Blick sieht das Spiel genauso aus wie FIFA 12 - kein Wunder, denn der nächste Sprung wird erst auf PlayStation 4 & Co kommen. Aber schon nach wenigen Matches nimmt man die feinen Fortschritte wahr. Dabei geht es in erster Linie um die natürlicheren Kollisionen, denn die "Player Impact Engine" hat sich spürbar weiter entwickelt. Konnte man in der letzten Version noch beobachten, wie Spieler ruckartig, roboterhaft oder viel zu weit voneinander abprallen, wirken die Zweikämpfe, Pressschläge und Grätschen jetzt wesentlich weicher und damit realistischer. Es kommt zu wunderbaren Szenen, wenn man gegen den Ball arbeitet.

Außerdem sieht der gezielte Körpereinsatz über den Rempler nicht nur besser aus, sondern hat auch an Effizienz gewonnen. Hinzu kommen weitere hübsche Animationen: Bälle werden z.B. kurz vor der Außenlinie noch mit vollem Einsatz am Boden dahin schlitternd gerettet; es gibt ein paar neue Dribblings sowie Kopfballbewegungen. Klasse auch, wenn der Schiedsrichter bei einem schnell ausgeführten Einwurf (jup, es geht endlich flotter) noch in letzter Sekunde den Kopf einzieht. Außerdem gibt es einige sehr coole Paraden und Reflexe bei den Torhütern, die vor allem den Schlenzer und Heber besser abfangen.

Schön ist auch, dass sich mehr am Spielfeldrand tut: Die Trainer gestikulieren lebendig in der Coaching-Zone und kommen schon mal aufgeregt an den Platz. Und daneben machen sich Ersatzspieler in Leibchen warm. Schade ist, dass es immer noch Clippingfehler bei den Jubelszenen gibt, wenn Spieler durch Körper greifen. Unterm Strich also kein großer grafischer Sprung, aber eine sichtbare Verbesserung der ohnehin schon sehr guten  Präsentation. Die wird auch noch akustisch aufgewertet: Sobald es in Strafraumnähe gefährlich wird, gehen die Zuschauer mit ihrem stetig lauter hallenden Raunen dynamischer mit. Was sich in FIFA 12 noch relativ statisch anhörte, ist jetzt ein markantes Auf- und Abwallen der Vorfreude auf ein mögliches Tor. Und man kann schon in der Vorschau aktuellere Fangesänge hören - z.B. beim BVB: Ein Schuss, kein Tor, die Bayern...

Offene Fragen

Wie sieht es mit den anderen Spielmodi aus? Was hat sich online geändert? Darauf werden wir im Test näher eingehen. Nur so viel: Es wird neue Trainingsminispiele geben, in denen ihr euer Geschick am Ball und beim Schießen beweisen müsst. Dort könnt ihr Punkte sammeln, indem ihr das Leder z.B. über Hindernisse auf Zielscheiben zirkelt. In den Ladepausen konnten wir bereits einige dieser Disziplinen spielen, aber sie waren noch nicht alle fertig entwickelt.

Neu ist außerdem, dass man universell Erfahrungspunkte sammelt und bis zu 100 Level aufsteigt, egal ob man trainiert, managt, offline oder online loslegt. Diesen Level wird man über das Internet vergleichen können. Auch die Freistöße wurden erweitert: Als Verteidiger kann man mit der Mauer näher an den Ball trippeln, bis der Schiri Gelb zückt. Als Angreifer kann man einen dritten Schützen hinzu ziehen und weitere Finten wie das über den Ball laufen einbauen. Allerdings konnten wir mit dem flachen Zuspiel auf den dritten Schützen, der im Strafraum lauert, noch verhältnismäßig viele einfache Tore schießen.

Ausblick

Das wird klasse Fußball, gar keine Frage: Das neue dynamische Raunen bei Torgefahr sorgt für Gänsehaut, die Schüsse krachen wuchtiger, die Kollisionen in Zweikämpfen wirken natürlicher, der Ball verspringt öfter. Nach den ersten drei bis fünf Spielen waren wir allerdings euphorischer als nach mittlerweile über zwanzig Spielen. Hat man sich  an die feinen physikalischen Änderungen gewöhnt, die eine präzisere Ballannahme und genaueres Passen erfordern, schleicht sich eine gewisse Routine ein – vor allem, weil man die Abwehr zu einfach organisieren kann. Dieses FIFA 13 spielt sich etwas offener, aber wer die Verteidigung in FIFA 12 gemeistert hat, wird hier hoch effizient gegen den Ball arbeiten können. Hinzu kommt, dass man in der Offensive lediglich hinsichtlich der Vollspannschüsse sowie Pässe in die Tiefe kleine Fortschritte macht, aber nicht was das finale Freilaufverhalten und explosive Tempowechsel angeht - man spürt den Sprint in die Spitze noch nicht genug genug. Das führt dazu, dass es bei Spielern gleicher Stärke oftmals kaum Torchancen gibt und dass der Spielrhythmus trotz der lobenswerten Verbesserungen etwas zu gleichförmig dahin plätschert. Trotzdem gibt es hier öfter als im Vorgänger auch den schnellen Ball, den rasanten Konter. Und das neue "Complete Dribbling" verschafft mehr Zeit für den tödlichen Pass und erlaubt die ein oder andere Finte. Bei aller Kritik en detail ist das sehr guter, sehr ansehnlicher Fußball – und das schon jetzt in dieser nicht finalen Version. Die Spielmechanik hat sich jedoch nicht so stark verändert wie von FIFA 11 zu FIFA 12 durch das „Tactical Defending“. Man vermisst so eine Art „Intuitive Attacking“, also mehr individuelle Antizipation und Verarbeitung des Balles, damit er nicht so häufig beim Verteidiger versackt und die individuelle Klasse der Techniker besser zur Geltung kommt. In dieser Hinsicht ist PES 2013 aktuell stärker, explosiver und packender. Ich freue mich auf die finale Version, die hinsichtlich Balancing und Feintuning bisher immer zulegen konnte!

gc-Eindruck: sehr gut

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