Splinter Cell: Blacklist30.01.2013, Benjamin Schmädig
Splinter Cell: Blacklist

Vorschau:

Als das erste Video auftauchte, musste man das Schlimmste fürchten: Sam Fisher, einer der bekanntesten Leisetreter, ordert mal eben Raketenschläge per Satellit. Zu allem Überfluss sticht er während der Präsentation hinter verschlossenen Türen eine Wache blutig nieder – ein Entwickler kommentiert dies mit den Worten: "Ja, wir packen auch erwachsene Themen an."

Das Versprechen "Splinter Cell"

Während der Präsentation klingelten alle meine Alarmglocken: Wer pubertäre Gewaltszenen mit „erwachsen Themen“ verwechselt und Stealth-Action als Call of Duty: Blacklist präsentiert, wird der eleganten Stealth-Action mit Sicherheit keine neue Facette abgewinnen. Gedanklich hatte ich Fishers sechsten Großeinsatz zu diesem Zeitpunkt fast schon zur Seite geschoben.

Kurz darauf unterhielt ich mich mit Maxime Béland, der bereits beim Vorgänger federführend war. Und der erzählt mir, wie knapp die Zeit bemessen war, innerhalb der Conviction fertiggestellt werden musste. Wie es ihn als Fan der Serie schmerzte, dass er einige von Sams Fähigkeiten streichen musste – das Verstecken von Leichen etwa, das Aufschneiden von Zeltplanen, die Entscheidung zwischen dem Töten und dem Bewusstlosschlagen eines Feindes. Er erzählt, dass all das zurückkehren wird. Sam soll zwar wie zuletzt ein actionverwöhntes Publikum ansprechen, sich zur gleichen Zeit aber auf seine alten Tugenden besinnen.

Plötzlich war Blacklist wieder interessant – auf dem Papier. Erst jetzt durfte ich allerdings

Sam arbeitet nicht mehr Third Echelon, sondern leitet jetzt Fourth Echelon.
Sam arbeitet nicht mehr für Third Echelon, sondern leitet jetzt Fourth Echelon.
zwei Abschnitte aus Sams sechstem Großeinsatz spielen. Und die große Frage war: Können die halten, was Béland versprochen hatte?

Wer schleicht mit wem?

Sam Fisher ist kein Agent der geheimen Third Echelon mehr; die wurde aufgelöst. Stattdessen führt er jetzt selbst eine Organisation namens Fourth Echelon. Der Name lässt zu wünschen übrig, die Position verschafft ihm allerdings interessante Möglichkeiten. U.a. entscheidet er, für welche Ausrüstung er Geld ausgeben will. So verbessert er Stück für Stück sein Sichtgerät, darf ab sofort sogar die Farbe der drei Linsen ändern, er rüstet je nach Vorlieben verschiedene Waffen aus und wählt Kleidung, die ihn entweder besonders gut schützt oder mit der er besonders unauffällig bleibt. Das Geld dafür verdient er sich im Einsatz; ausgeben darf er es zwischen den Missionen.

Die Wartezeit verbringe ich allerdings nicht in einem Menü, sondern bewege Sam frei durch die Zentrale – ein Flugzeug in wolkiger Höhe. Dort rede ich mit Sams Kollegen, die

Der Agent kann sich frei in seiner Einsatzzentrale bewegen und mit seinen Kollegen unterhalten.
Der Agent kann sich frei in seiner Einsatzzentrale bewegen und mit seinen Kollegen unterhalten.
mir zudem verschiedene Mehrspielereinsätze anbieten: Einzel- und Onlinespiel sind in Blacklist eng verknüpft. Dabei kehren nicht nur die kooperativen Aufträge aus Conviction zurück, sondern auch die aus älteren Episoden bekannten Gefechte, in denen Spione gegen Söldner kämpfen.

Faule Kompromisse

In der engen Verknüpfung sehe ich allerdings einen faulen Kompromiss. Denn ich kann nicht mit Haut und Haar in der Rolle eines leitenden Agenten versinken, wenn ich auf seiner taktischen Karte Worte wie "Einzelmission", "Mehrspielerauftrag" und "kooperativer Einsatz" lese. Wenn sich ein Spiel so offensichtlich nur zum Selbstzweck vermarktet, büßt es Glaubwürdigkeit ein.

Als ähnlich aufgesetzt empfinde ich das grafische Hervorheben meiner Spielweise. Schließlich verdiene ich im Einsatz mit jeder Aktion sowie nach Abschluss einer Mission Punkte, und zwar in drei Kategorien: Die erste ist das unbemerkte Vorbeischleichen, die zweite das schnelle Ausschalten der Gegner als so genannter "Panther" und die dritte lässt sich ganz profan mit „Volles Rohr“ übersetzen. Je mehr Punkte ich dabei mit einer der Spielweisen gesammelt habe, desto größer mein finanzieller Bonus – auch hier drängen

Je nachdem, wofür er Geld ausgibt, entwickelt er seine Ausrüstung weiter.
Je nachdem, wofür Sam im Namen von Fourth Echelon Geld ausgibt, entwickelt sich seine Ausrüstung.
sich die Arcade-Herausforderung und ein Belohnungssystem, das über der logischen Handlung steht, ein Stück zu weit vor die spielerische Handlungsfreiheit. Nicht zuletzt sind die alle paar Meter platzierten Munitionskisten, an denen Sam seinen kompletten Rucksack auffüllen kann (einschließlich Spezialausrüstung wie an Wänden haftende Minikameras) sind ein stinkendes Zugeständnis an die "heilige" Zugänglichkeit.

Der alte Leisetreter

Und trotzdem habe ich meine ersten Schritte (eine Mission in Libyen und eine in London) richtig genossen! Béland hat sein Versprechen gehalten: Blacklist fühlt sich an wie ein Splinter Cell. Ich konnte  zwar noch nicht alle technischen Spielereien und Fähigkeiten des neuen Sam nutzen, aber das ruhige Versteckspiel funktioniert richtig gut. Die Wachen schauen aufmerksam hin, reagieren auf das Betätigen von Lichtschaltern, das Öffnen von Türen und schlagen schnell Alarm. Sie holen Verstärkung und kreisen die Position geschickt ein, an der sie Sam vermuten. Ich muss deshalb sehr sehr genau ihre Wege beobachten, wenn ich ungesehen vorbei will – das ist immerhin die Königsdisziplin der Stealth-Action. Dass die Gegner in einer Situation minutenlang hinter ihrer Deckung verharrten und ein andermal sofort wussten, wo sich Sam versteckte, obwohl seine ferngesteuerte Kamera an der gegenüberliegenden Wand einer großen Halle explodierte, muss man ein halbes Jahr vor Fertigstellung der frühen Vorschau-Version anrechnen.

Sam darf sich übrigens wieder entscheiden, ob er eine Wache KO würgt oder tötet. Ich lege seine Attitüde zwar in einem Menü fest, anstatt die Entscheidung im jeweiligen Augenblick zu fällen, doch das ist ein sinnvoller Kompromiss. Dabei gibt es auch inszenierte Situationen, in denen Sam etwa einen Flüchtling mit Waffengewalt schützen muss – einen absolut gewaltfreien Weg gibt es also nicht. Beim Befreien einer Geisel in

Auch erwachsene Themen will Ubisoft diesmal ansprechen. Mit Details zur Handlung halten sich die Entwickler aber noch zurück.
Auch erwachsene Themen will Ubisoft diesmal ansprechen. Mit Details zur Handlung halten sich die Entwickler aber noch zurück.
Libyen wird eine solche Szene aber so plausibel in die Geschehnisse eingebunden, dass der Einsatz von Waffengewalt glaubwürdig war.

Apropos: Von der Handlung zeigt Ubisoft bisher nur Ausschnitte. Fourth Echelon macht Jagd auf Terroristen, die für die USA bedeutsame Ziele angreifen. Mit Einzelheiten - und auch den versprochenen "erwachsenen Themen" - halten sich die Entwickler bislang zurück.

Sam kann Gegner außerdem durch Pfiffe oder Flüstern auf sich aufmerksam machen. So lockt er sie von ihrer Position weg, um sie zu umgehen oder aus der Deckung heraus auszuschalten. Ich habe mich zudem gefreut, dass er Leichen und Bewusstlose verstecken oder gar in der Patrouilleroute eines Feindes ablegen kann. Ein wichtiger Unterschied liegt für mich auch die Tatsache, dass Sam anders als in Conviction nicht nur so lange in Deckung bleibt, wie ich die Taste gedrückt halte, sondern nach einem kurzen Knopfdruck dauerhaft in der Deckung „festhängt“. Das ruhige Beobachten und Planen bekommt dadurch spürbar mehr Gewicht.

Schlagseite

Kurzum: Der Nachfolger ist an wichtigen Stellen umfangreicher als Conviction – auch wenn es ganz offensichtlich darauf aufbaut. Denn Sam markiert genau wie im Vorgänger mehrere Wachen (per Radar sogar durch Wände hindurch) und erschießt sie per

Als schneller Panther schaltet Sam seine Gegner im Eiltempo aus. Auf diesem Weg ist er bisher allerdings zu mächtig.
Als schneller Panther schaltet Sam seine Gegner im Eiltempo aus. Auf diesem Weg ist er bisher allerdings zu mächtig.
Knopfdruck vollautomatisch. Ich muss die Aktion lediglich freischalten, indem ich ein, zwei Feinde ausschalte, was in beiden Missionen ein Leichtes war. Dabei stammt der zweite Abschnitt – ein in gleißende Scheinwerfer und dunkle Schatten getauchtes London – immerhin aus der Mitte der Kampagne. Solange ich Sam nicht sekundenlang in eine Schusslinie stelle, muss ich lediglich an einen Gegner herantreten und eine Taste drücken. In der englischen Hauptstadt musste ich mich zwar vor speziellen Wachen (Scharfschützen oder schwer Gepanzerte) vorsehen, das Gros bestand aber auch da aus gewöhnlichen Schmiereschiebern.

Sollte Ubisoft seinen Top-Agenten nicht zügeln, indem man ihm das Freischalten des automatischen Ausschaltens deutlich erschwert, könnte also auch Blacklist dort Schlagseite bekommen, wo der Panther den cleveren Spion zur unschlagbaren Kampfmaschine mutieren lässt.

Ausblick

Ein Verdacht hat sich in den zwei Vorschau-Missionen bewahrheitet: Eine neue Facette scheint das neue Splinter Cell der Stealth-Action nicht abzugewinnen. Es hat richtig Spaß gemacht, mit dem alten Sam um aufmerksame Gegner zu schleichen, sie durch Pfiffe anzulocken, auszuknocken und ihre Körper zu verstecken – Blacklist bringt alte Tugenden und moderne Action-Werte harmonisch zusammen. Problematisch ist allerdings der starke Panther, denn wenn Sam seine Gegner ohne mein Zutun tötet, dann ist der rasante Killer wie schon im Vorgänger viel zu mächtig. Diese Einfachheit sowie faule Kompromisse, die mich mit Erfahrungspunkten, aufdringlichen Mehrspielerhinweisen und auffällig vielen Munitionskisten aus der Illusion des Spionage-Thrillers reißen, trüben meinen Vorfreude auf Blacklist. Im Kern steckt ein richtig gutes Splinter Cell – das konnte sich bisher allerdings nicht voll entfalten.

Einschätzung: befriedigend

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