Massive Chalice20.01.2015, Mathias Oertel
Massive Chalice

Vorschau: Königliche Vererbungs-Strategie

Brad Muir? Woher kenne ich den Namen? Richtig: Der Designer, der seit Psychonauts mit Tim Schafer zusammen arbeitet, hatte sowohl bei Brütal Legend als auch bei Iron Brigade seine kreativen Finger im Spiel. Mit Massive Chalice steht sein neues Projekt in der Pipeline. Was hat die Rundenstrategie zu bieten?

Fantasy-Taktik à la XCOM?  

Tim Schafers Double Fine Studio ist immer für eine Überraschung gut. Das gilt für zahlreiche Titel aus der Vergangenheit des Teams, angefangen von Psychonauts über Costume Quest bis hin zu Brütal Legend. Natürlich finden sich im Portfolio auch einige blinde Flecken wie das ambitionierte, aber letztlich ernüchternde Spacebase DF-9. Glücklicherweise fällt das für PC und Xbox One geplante Massive Chalice, das auf Kickstarter seinen Anfang nahm und mittlerweile auf Steam im Early Access spielbar ist, in die erste Kategorie. Das Taktikspiel, das unter der Leitung von Iron-Brigade-Macher Brad Muir entsteht und das rundenbasierte Kämpfe à la XCOM mit viel Humor sowie königlichen Familienwirren vereinen möchte, zeigt bereits in der Beta-Version viel Potenzial. Das beginnt beim sehr gelungenen Artdesign mit seinen knalligen Farben und klaren Strukturen, die man aus isometrischer Perspektive betrachtet, wobei man die Kamera entweder in 90-Grad-Schritten schwenkt oder frei zoomt bzw. bewegt.

Rundenstrategie mit Sichtlinien, Beschuss durch eigene Truppen und weiteren Überraschungen ist eine Spielebene in Massive Chalice.
Das geht weiter bei der erzählerischen Grundlage: Ein übergroßer Kelch (im Englischen: Chalice), der mit einer weiblichen sowie einer männlichen Stimme zu einem spricht, wobei die beiden ständig in einem witzigen Meinungskonflikt stehen, muss sich 300 Jahre lang aufladen, bevor er die Bedrohung einer Fantasywelt durch die düstere "Kadenz" beenden kann. Als vom Kelch eingesetzter Herrscher befehligt man in diesem Zeitraum eine Gruppe von Helden aus fünf königlichen Familien im XCOM-Stil. Auf ein Deckungssystem muss man hier zwar verzichten, doch mit einer verzweigten Klassenauswahl und zahlreichen Spezialfähigkeiten wird man hier gegen meist sehr angriffsbetont und auf Sichtlinien reagierende Feinde strategisch gefordert. Neben "Friendly Fire" gibt es zudem zufällige Ereignisse wie eine Aufsplittung der Kampfgruppe beim Betreten des Schlachtfeldes, die einen auf Trab halten.

Schwierige Entscheidungen

Es ist wichtig, welche Regenten man für den Helden-Nachwuchs zwangsverheiratet.
Doch es gibt noch eine zweite taktische Ebene, die einige Entscheidungen und Opfer erfordert: Man muss in den 300 Jahren versuchen, einen bislang überschaubaren Technologiebaum mit Rüstungs- oder Waffenverbesserungen erforschen, die entweder einzelnen Helden oder ganzen Gruppen zur Verfügung stehen als auch die Gebiete mit Burgen sowie sonstigen Gebäuden bebauen. Doch damit ist es nicht getan. Diese Burgen, die je nach Standort für zusätzliche Boni sorgen, müssen von Pärchen besetzt werden, die aus den Helden rekrutiert werden und ähnlich wie in Fire Emblem Awakening für royalen Nachwuchs sorgen – natürlich stehen sie dann nicht mehr für Abenteuer zur Verfügung und man sollte auch tunlichst darauf achten, unterschiedliche Familien miteinander zu koppeln. Pikanterweise ist dies die Hauptmöglichkeit zu neuen Helden zu kommen, wobei die positiven Charakter- oder Kampfeigenschaften der Eltern ebenso übernommen werden können wie schlechte; z.B. Kurzsichtigkeit, die zu einer verminderten Sichtweite im Gefecht führt.  So entstehen aus den drei Startklassen Alchemist (Gruppenschaden), Hunter (Fernangriff)  und Caberjack (Nahkampf) schließlich Hybridklassen, die einem auf dem Schlachtfeld neue Optionen bieten. Die Knirpse werden bis zum 15. Lebensjahr (und damit Kampffähigkeit) in der Burg trainiert, so dass sie je nach Stufe ihrer Eltern bereits mit Level zwei, drei oder höher in die Gefechte einsteigen.

Die andere, gut mit den Heldenaufgaben verknüpfte Ebene ist das Königreich-Management mit den königlichen Vererbungslinien.
Dementsprechend findet man sich schnell in einem Zwiespalt: Welche Helden nimmt man mit? Reicht die Zeit noch, um sie idealerweise zu einem Aufstieg zu bringen, bevor man sie zwangsverheiratet und hofft, dass die Erben einen weiteren strategiedarwinistischen Fortschritt machen? Doch wenn man nicht aufpasst, sind die Helden zwar hochstufig, aber zu alt, um sich fortzupflanzen - man kann schnell in eine fatale Pattsituation kommen. Da die Kadenzfeinde nicht schlafen, muss man klug vorgehen und strategische Zwangshochzeiten schmieden, bevor es zu spät ist. Gleiches gilt für die Forschung bzw. den Bau von Hilfsmitteln: Konzentriert man sich auf einen Heiltrank oder will man doch lieber eine weitere Burg, damit ein weiteres Paar für Heldennachschub sorgen kann? Zwar kann man die Zeit auch nutzen, um neue Helden zu rekrutieren, wenn man sich total mit den Helden und den Nachkommen verplanen sollte. Doch Nachkommen der königlichen Blutlinien sind effektiver.

Ausblick

Es bleibt dabei: Auch wenn Double Fine nicht immer Erfolge feiert (siehe Spacebase DF-9), sorgt es weiter für kreative Impulse. Nachdem in Brütal Legend Action mit Echtzeit-Strategie und Rock’n’Roll verbunden wurde, steht jetzt Rundentaktik auf dem Programm von Designer Brad Muir. Dabei bieten die Kämpfe bislang zwar nicht den strategischen Tiefgang der modernen XCOM-Spiele, doch dies wird durch ein interessantes Klassensystem kompensiert, das in die zweite große Mechanik eingebunden ist: Die Zeitlinie, in der man versucht, den royalen Heldennachwuchs zu optimieren. Viel Humor, Zufallsereignisse und Entscheidungen mit mitunter weitreichenden Konsequenzen runden das Spielerlebnis ab, das darüber hinaus auch mit einem sehr stimmigen Comic-Artdesign punktet. Wenn Double Fine es schafft, über die gesamten 300 Jahre die Spannung, Neugier sowie Überraschung auf einem unterhaltenden Niveau zu halten, könnte der sprechende Riesenkelch zum ersten großen Geheimtipp des Jahres werden.

Einschätzung:
gut

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