Silence23.01.2015, Jan Wöbbeking

Vorschau: Rückkehr in die Traumwelt

Daedalic kehrt zurück ins Land der Träume: Nachdem Noah seine kleine Schwester auf der Flucht vor einem Bombenangriff verloren hat, versetzt er sich erneut in seine Fantasiewelt, um sie dort wiederzufinden. Wir haben einen ersten Abstecher in den Mix aus 3D-Figuren und leuchtenden Pinselstrichen gemacht und uns mit den Entwicklern unterhalten.

Neue Pfade

Mehr als fünf Jahre ist es bereits her, dass Clown Sadwick durch die verschnörkelt gezeichnete Welt von Marco Hüllen stapfte, um die Geduld aller Figuren mit sarkastischen Kommentaren auf die Probe zu stellen und mit Unmengen von Inventar-Gegenständen zu jonglieren. In Teil 2 schlagen die Entwickler einen anderen Weg ein. Der für die bizarren Dialoge zuständige Jan „Poki“ Müller-Michaelis ist diesmal nicht dabei, weil er an neuen, noch nicht angekündigten Projekten tüftelt. Diesmal kommen die Texte von Anne von Vaszary, die z.B. an Black Mirror 2 und und 3 als Autorin mitwirkte. Der Wechsel macht sich beim Anspielen auf Anhieb bemerkbar. Hauptfigur Noah wirkt deutlich ernster und nachdenklicher als der nihilistische Sadwick in Teil 1. Hier und da gibt es auch jetzt noch einige charmante Witze, wenn z.B. die verschrobenen Stein-Brüder Ralv und Yngo sich zanken, aber die Ausrichtung hat sich klar geändert.

Der zur Vaterfigur gereifte Noah ist bei weitem nicht mehr so albern wie im Vorgänger.
Es wirkt fast ein wenig, als würde das Spiel die Stimmung einfangen, welche Designer und Initiator des Projekts Marco Hüllen ursprünglich für den ersten Teil geplant hatte, bevor Daedalic das Projekt unter seine Fittiche nahm. „Der Sarkasmus ist damals mit Poki dazugekommen“, erklärt uns auch Project-Manager Steffen Boos in einem Gespräch, „Anne soll nicht versuchen, seinen Humor zu kopieren. Uns ist es wichtiger, dass sie ihren eigenen Stil einbringt.“ Da sie im Gegensatz zu Poki eine Tochter hat, könne sie so ganz andere Erfahrungen mit im Spiel verarbeiten, die auch bei der Beziehung zwischen Noah und Renie eine Rolle spielen.

Melancholie statt Sarkasmus

Im Krieg hat er sich zwangsläufig zu einer Art Vaterfigur für die kleine Schwester entwickelt. Als z.B. im Intro die Bomben fallen, trägt er sie gerade noch rechtzeitig in den Bunker. Anders als es zunächst den Eindruck machte, dient die finstere Realität aber nur als Einstieg für das Abenteuer in der Fantasiewelt Silence (ab 1,75€ bei GP_logo_black_rgb kaufen). Anders als ursprünglich geplant wechselt man nicht mehrmals zwischen den Welten.

Nicht nur die Kulissen sehen malerisch aus: Vor den Hintergründen sorgen flatternde Vögel, parallax vorbeiziehende Wolkenschichten und im Wind wehende Vegetation für lebendige Schauplätze. Auch Renies überdimensionierte Kapuze wippt beim Laufen äußerst putzig auf und ab.
Stattdessen erforschen die beiden zunächst getrennt die Fantasiewelt, während der Spieler immer wieder zwischen ihnen wechselt. Auch in dieser einst friedlichen Welt tobt ein Krieg, in dem eine Gruppe von Rebellen gegen die „Seeker“ kämpft: Auf diese pechschwarzen Kreaturen auf vier Beinen mit Maske traf ich auch im angespielten Szenario aus der Mitte des Spiels. Als ich mir für Notizen zu viel Zeit ließ, tötete mich eines der Biester. Man kann also sterben, steigt aber kurz vorher wieder ein, um das Spielerlebnis nicht auszubremsen. Allgemein orientiert sich der Spielablauf mehr an modernen Telltale-Abenteuern wie The Walking Dead als am klassisch gehaltenen Point-and-Klick-Vorgänger. Die Rätsel erstrecken sich höchstens über drei Bildschirme und es gibt nicht mal mehr ein Inventar. Stattdessen kann man jeweils nur eine Gegenstand zur Zeit mit sich herumtragen und einsetzen. Als Renie z.B. einen unnützen Stab findet, schmeißt sie ihn kurzerhand automatisch in die Lava.

Kursänderung für eine neue Zielgruppe?

Ein Grund für die Neuausrichtung ist, dass Daedalic das Spiel auch für PS4 und Xbox One umsetzt und ein neues Publikum erschließen möchte. Im Laufe der vergangenen Jahre seien die Verkäufe im Handel stark zurückgegangen, so dass man Silence offenbar hauptsächlich auf ein Publikum ausrichtet, das Spiele eher als Download kauft und mehr Wert aufs Erzählerische als auf komplexe Rätsel legt. „Ich weiß, dass das einem Teil der Spieler gar nicht schmecken wird“, erläutert Boos, „aber allen kann man es sowieso nicht recht machen. Es ist ja nicht so, dass wir keine klassischen Adventures mehr produzieren. Daedalic arbeitet an einem sehr weit gefächerten Spektrum unterschiedlicher Adventure-Spiele.“ Ab und zu müsse man eben auch Spiele für ein anderes Publikum produzieren, um traditionelle Point-and-Klick-Titel mitfinanzieren zu können, erklärt Boos. Auf den Konsolen (und wahlweise auch auf dem PC) wird die Figur direkt mit dem Stick gesteuert – in ihrer Nähe erscheinen automatisch Hotspots, mit denen man interagieren kann. Die Maus- und Tastatursteuerung bleibt dagegen klassisch; die Leertaste enthüllt die Hotspots.

Schleichen oder Provokation? Gelegentlich muss man sich für alternative Optionen entscheiden, z.B. wenn dieser finstere "Seeker" den Weg versperrt.
Auch eine "falsche Königin" soll im Fantasiereich ihr Unwesen treiben und wird von den Rebellen bekämpft, denen ich mich offenbar im Laufe des Spiels anschließen soll. Im Probe-Abschnitt begegne ich aber zunächst ein paar nicht besonders menschlich anmutenden Wesen. Zuerst steht mir einer der finsteren Seeker im Weg. Die unbekümmerte Renie hat kein Problem, sich an ihm vorbei zu schleichen, die aus dem Vorgänger bekannte Haustier-Raupe Spot versteckt sich dagegen skeptisch hinter einem Felsen. Ich wechsle zum nächsten Bild, kloppe ein paar spitze Splitter von einem riesigen Kristall und attackiere damit das Biest, welches schließlich irritiert davon galoppiert.

Vielseitiger Sympathieträger

Nun kann Spot ohne Furcht durch die Kulisse robben und seine Vielseitigkeit beweisen: Trinkt er die Lava aus dem brodelnden See, verwandelt er sich in eine rollenden Glutkugel. Nun kann er z.B. einen der Steinbrüder mit Lava vollsabbern, was den ordentlich auf die Palme bringt. Als deutlich nützlicher erwies sich in der Szene sein platter Zustand: Wie ein Brett legt er sich über die Lava, so dass Renie sicher ans andere Ufer trippeln kann. Dort liegt einer der Stein-Brüder, eingequetscht unter einem fetten Felsbrocken. Der grummlige kleine Egozentriker sieht das selbstverständlich völlig anders, schließlich sorge er durch seine Position dafür, dass der riesige Findling an seinem momentanen Platz stehen könne.

Da ich ihn laut der groben Missionsanweisung aber mit seinem Bruder zusammenbringen soll, zwänge ich Spot unter den riesigen Brocken und klicke auf seine Ballon-Funktion, so dass er sich kugelrund aufbläst und den Findling zur Seite bugsiert. Nun können die vereinten Stein-Brüder ein magisches und schrecklich schief gesungenes Lied anstimmen, das mir beim Lösen eines ausgelagerten Drehpuzzles mit Steinzylindern weiterhilft. Diese Minispiele lassen sich auf Wunsch überspringen.

Malerische Kulissen

Eine Raupe für alle Fälle: Spot kann sich wieder in mannigfaltige Formen verwandeln.
Ein Highlight ist wieder das detailverliebte Design der gezeichneten Welt, diesmal benutzen die Entwickler allerdings eine neue Technik. Das so genannte Projection-Mapping projiziert im Hintergrund große Zeichnungen auf ein dreidimensionales Gitter, dessen Maschen vom Entwickler dann perspektivisch korrekt zurecht gezupft werden. Das Endergebnis ermöglicht kleine Kamerafahrten - im Gegensatz zu klassischen Polygonen mit ihren kleineren Texturen erinnern die großen Zeichnungen mit ihren Pinselstrichen aber viel stärker an Gemälde. Auch The Book of Unwritten Tales 2 und The Devil's Men nutzen die neue Technik, in Silence kommt sie aber schon jetzt am schönsten zur Geltung.

„Das Wichtigste sind die hellen Pinselstriche“, erklärt Boos, „Die Beleuchtung wird praktisch schon in die Hintergründe hineingemalt. Das birgt allerdings auch Probleme, vor allem im Übergang zum Vordergrund mit den Polygon-Figuren, die ja in Echtzeit beleuchtet werden. Dort gibt es jede Menge Dinge, die am Übergang zwischen den zwei Techniken schief gehen können und dann seltsam aussehen.“ Dazu gehörten vor allem die Schatten oder auch die begehbaren Pfade, welche von vornherein so gezeichnet werden müssten, dass sie aus allen Blickwinkeln perspektivisch korrekt dargestellt werden. Erschwerend käme hinzu, dass viele Engines erst seit Kurzem die globale Beleuchtung der Szenerie unterstützten – Unity z.B. ab Version 5.

Project-Manager Steffen Boos erklärte uns inhaltliche Details und technische Tücken.

Hübsche Technik mit tückischen Details

Außerdem sei es für die Zeichner ein deutlich größerer Arbeitsaufwand als eine klassische 2D-Kulisse, weil viele Dinge zwei Mal gezeichnet werden müssen. „Sonst sieht der Hintergrund bei Nahaufnahmen einfach viel zu unscharf aus. Das ist alles frickelig – sehr, sehr frickelig. Wenn wir heute noch einmal mit dem Projekt starten würden, wüsste ich nicht, ob wir wieder mit Projection Mapping arbeiten würden, aber ich hoffe, der Aufwand zahlt sich aus. Rund ein Jahr haben wir daran gesessen, die Charaktere richtig zu skalieren, wenn z.B. sie in Richtung Hintergrund gehen. Wir hatten zwar Technical Artists, die sehr gut darin waren, Shader zu schreiben, aber das hat da nicht hinein gepasst. Erst ein dritter Technical Artist hat es dann geschafft, die Dinge einigermaßen brauchbar zusammenzuführen.“ Im Gegensatz zur Early-Access-Fassung von The Book of Unwritten Tales 2 arbeitet das Spiel bereits jetzt viel häufiger mit nahen Einstellungen und cineastischen Kamerafahrten.

Ausblick

Der Landschaftsmaler Bob Ross würde sicher eine Träne der Rührung verdrücken, wenn er die Kulissen von Silence: The Whispered World 2 sehen könnte: Die neue Projection-Mapping-Technik mag zwar arbeitsaufwändige Tücken mit sich bringen, aber das Ergebnis sieht unheimlich stimmungsvoll und malerisch aus. Der stilistischen Neuausrichtung des Fantasy-Abenteuers stehe ich aber noch etwas skeptisch gegenüber. Die Dialoge der neuen Autorin Anne von Vaszary wirken zwar geschliffen und ich musste beim Anspielen immer wieder schmunzeln - Pokis herrlich bissigen Sarkasmus aus Teil 1 habe ich aber vermisst. Sicher, Daedalics Star-Autor kann sich nicht vierteilen, aber für mich waren Sadwicks gleichgültige Kommentare damals das Beste am Spiel. Auch spielerisch hat sich einiges verändert: Da sich die Rätsel nur über wenige Bildschirme erstrecken und das Inventar gestrichen wurde, erinnert das Knobeln eher an storylastige Telltale-Titel oder Machinarium – bisher hatte ich aber auch hier Spaß an Experimenten mit Spots Fähigkeiten. Ich bin gespannt darauf, ob die Neuausrichtung der Serie mich auch über einen längeren Zeitraum gut unterhalten kann. Als Erscheinungszeitraum ist das dritte oder vierte Quartal 2015 angepeilt. Das Spiel soll für PC, Mac, PS4 und Xbox One erscheinen.

Einschätzung: gut

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