Assassin's Creed: Syndicate25.09.2015, Benjamin Schmädig

Vorschau: Schleicher und Schläger

Zum ersten Mal ist es nicht nur ein Attentäter: Die Geschwister Evie und Jacob Frye spielen in Assassin's Creed:  Syndicate die Hauptrollen und man kann jederzeit zwischen den Protagonisten wechseln. Eine große Änderung, die viel Platz für spielerische Neuerungen lässt. Ich habe mich auf Herausforderungen gefreut, die unterschiedliche Spielweisen fordern, auf ein Abtauchen in eine wirtschaftlich und gesellschaftlich prägende Ära. In London bin ich dann für einige Stunden ins viktorianische Zeitalter gereist...

Vier Fäuste gegen Halleluja

Evie und Jacob stammen nicht aus aus der damaligen englischen Hauptstadt. Sie wurden im südlich gelegenen Crawley geboren, wo sie in die Kunst der Assassine eingeweiht wurden. Dabei könnten die Zwillinge nicht unterschiedlicher sein: Evie als clevere Schleicherin mit Köpfchen, Jacob als Kerl der Marke "Erst zuschlagen, dann fragen!" Ihr Ziel ist allerdings dasselbe, denn beide wollen den verfeindeten Templern die Herrschaft über die Hauptstadt entreißen.

Politische Prominenz

Das tun sie, indem sie die Stadt Stück für Stück übernehmen. Genauer gesagt tun sie es, indem sie lokalen Banden die Macht über ihre Stadtviertel entreißen. Dafür erobern sie durch Ausschalten der Wachen deren Lager oder befreien Kinder, die in Fabriken zur Arbeit gezwungen werden. Da sie auch in Fight Clubs kämpfen, an Rennen teilnehmen oder Züge ausrauben, sind die Geschwister viel beschäftigte Attentäter.

Erstmals spielen zwei Figuren die Hauptrolle: Man kann fast jederzeit zwischen Evie...

Und natürlich treffen sie auf bekannte Persönlichkeiten, darunter Karl Marl, Charles Darwin und der Erfinder des Telefons, Alexander Bell. Mit Jacob habe ich z.B. verhindert, dass Marx auf dem Weg zu wichtigen Treffen von Spionen getötet wird – die meisten der Aktivitäten sind also aus den Vorgängern bekannt.

Der Wagen, der rollt

Neu sind hingegen zwei Arten der Fortbewegung. Immerhin nutzen die Frye-Zwillinge Kutschen zum Überwinden langer Wege und erleben Verfolgungsjagden, falls sie entdeckt werden. Aufdringliche Polizisten rammen sie dann per Knopfdruck von der Straße – schade, dass die Action auf vier Rädern auf diese spielerische Banalisierung reduziert wird. Zumal mit dem stark vereinfachten Fahrverhalten ohnehin nie das Gefühl einer echten Kutschfahrt aufkommt.

Alexander Bell schenkt den Attentätern außerdem an Greifhaken geknüpfte Seile, mit deren Hilfe sie sich z.B. von einer Turmspitze zur nächsten hangeln. Sie erinnern so an Batman, auch wenn ihre Art der Fortbewegung zum Glück

... und ihrem Zwillingsbruder Jacob, dem Mann fürs Grobe, wechseln.
nicht mit dem flinkem Heranziehen des Superhelden vergleichbar ist. Selbstverständlich können sie aus der Höhe Attentate ausführen, was ihre taktischen Möglichkeiten vergrößert. Ich empfinde das schnelle Überwinden von Distanzen allerdings nicht als Bereicherung des ohnehin rasanten Kletterns.

Interessant übrigens, dass sich die Akrobaten etwas langsamer über die Dächer bewegen als ihr direkter Vorgänger Arno. Das verbessert das Spielgefühl, denn gerade der Abstieg von hohen Gebäuden ging mir mit Arno selbst in Anbetracht der serientypischen Verhältnisse übermäßig schnell. Mir fehlte während des Spielens von Syndicate zwar der direkte Vergleich, aber vor allem Jacob fühlte sich eine Idee schwerer und damit als Figur glaubwürdiger an.

Der Teufel im Detail

Wurde die aktuelle Episode eigentlich parallel zu Unity entwickeltn? Eine weitere im Vorgänger vorgestellte Modernisierung fehlt dem Spiel nämlich ebenfalls: Genau wie den Vorfahren ihres französischen "Berufskollegen" fehlt den Protagonisten jedes Feingefühl beim Öffnen versteckter Kisten. Anstatt sie wie normale Menschen zu öffnen, latschen sie wie einfältige Herumtreiber dagegen. So sieht eine durchdachte Charakterzeichnung der Marke Assassin's Creed aus.

Mich stört auch die Art und Weise, mit der sie Kutscher vom Bock stoßen, um deren Gefährte zu übernehmen. Warum übernimmt Ubisoft dieses plumpe GTA-Klischee, anstatt das historische Szenario mit sinnvollen Ideen zu bereichern? Warum stecken die Entwickler nicht mehr Energie in das Erschaffen eines glaubwürdigen Schauplatzes? Erzählerisch wird ja auch die Armut der unter der Massenproduktion leidenden Bevölkerung thematisiert – wenn ich mit den gleich zu Beginn stinkreichen Fryes durch die Straßen laufe, dürfen sie bettelnden Kindern aber nicht einmal einen Penny spenden. Dass sie ihnen in speziellen Aufträgen hilfreich zur Seite stehen, wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Hohn. Es wäre so einfach gewesen...

London sieht gut, aber weniger beeindruckend als das Paris in Assassin's Creed: Unity aus.

Eine hübsche Spielwiese

Eine lebendige Kulisse hätte dem Schauplatz gleich in mehrfacher Hinsicht gut getan. Immerhin sieht das London des 19. Jahrhunderts gewohnt gut aus, Paris wirkte mit seiner nostalgisch verklärten Farbgebung aber eindrucksvoller. Nichts gegen den graubraunen Dreck einer überzeugenden Umgebung! Begeistert war ich von dem eher nüchtern-neutralen London aber nicht.

Einen kleinen Höhepunkt erlebte ich während einer verregneten Nacht: Als ich mit Evie über die Themse fuhr, fiel mir der rege Schiffsverkehr auf. Ich kann nicht sagen, ob die Anzahl der Kähne der damaligen Realität entspricht, aber es war spannend, von einer der Brücken eins der darunter fahrenden Schiffe zu entern und eine Ladung Schmuggelware zu entzünden. Als hübsche Spielwiese mit tausend Beschäftigungsmöglichkeiten funktioniert auch dieses Assassion's Creed hervorragend.

An anderer Stelle sammelt es allerdings weitere Minuspunkte, genauer gesagt dort, wo ich eine Wache inmitten einiger Passanten ermordete. Wenn man in solchen Situationen Glück hat, murmelt einer, er werde sich das merken. In meinem Fall geschah... absolut gar nichts. Mitunter schreien Menschen zwar auf, inzwischen vermute ich allerdings, dass Jack the Ripper damals einfach bei Tageslicht sein Unwesen trieb.

Was geschieht im Hier und Jetzt?

Apropos Attentate: Wie entwickeln sich also die beiden, so unterschiedlichen Assassinen? Die Antwort ist ernüchternd, denn ich darf beiden Protagonisten fast durchgehend dieselben Fähigkeiten verleihen. Natürlich könnte ich Jacob zum wuchtigen Kämpfer machen, während ich Evie so stärke, dass sie z.B. weniger schnell entdeckt wird. Diese Eigenschaft bringt sie immerhin auch ohne mein Zutun ein. Zum einen halten sich die möglichen Unterschiede aber in Grenzen und zum anderen bin ich kein Freund des Prinzips "Alles geht, spiel wie du willst!" Mir wäre ein Jacob lieber, der echte Schwierigkeiten hat, einen Komplex lautlos zu infiltrieren. Den habe ich in den anfänglichen Stunden jedoch nicht erlebt. Mehr als drei Stunden war ich in London unterwegs; Sequenz Nummer drei und Nummer sieben waren Teil der Vorschauversion.

Was übrigens komplett fehlte, ist ein Einblick in die Handlung in der nahen Zukunft. Ubisoft will einen neuen Faden um den Animus spinnen, während auch Evie und Jacob einen Edensplitter suchen. Dieser Faden bleibt allerdings noch hinter Schloss und Riegel.

"Hände hoch!"

Zurück zu den Fähigkeiten der Geschwister, die auch kriminelle Gangmitglieder gefangen nehmen und der Polizei übergeben. Dafür nähern sie sich unbemerkt in deren Rücken und führen die Ganoven anschließend ab. Je

Kutschen sind praktische Fortbewegungsmittel. Verfolgungsjagden machen allerdings keinen Spaß.
langsamer sie dabei laufen, desto weniger Lärm verursachen sie und desto sicherer sind sie davor entdeckt zu werden. In einer Mission, die ich bereits auf der E3 gespielt habe, nutzt Evie das, um sich in der Verkleidung eines Wachposten mit einem vermeintlichen Gefangenen in einen feindlichen Stützpunkt zu schleichen – eine gute Idee, die den Handlungsspielraum der Attentäter sinnvoll erweitert.

Der überarbeitete Nahkampf überzeugt mich hingegen noch immer nicht. Zwar reagieren Evie und Jacob etwas schneller auf Eingaben. Das an die Batman-Serie erinnernde System ist aber nach wie vor seltsam träge, setzt auf dröges Knopfhämmern statt fingerfertige Kombinationen und ich hatte mehr als in Batman oder Mittelerde: Mordors Schatten das Gefühl, Erfolge hingen vom Levelverhältnis zwischen den Kämpfern ab als von meinen Fähigkeiten.

Ausblick

Natürlich habe ich nach wenigen Stunden nur einen oberflächlichen Eindruck des kompletten Spiels erhalten! Der besteht aus einer Sammlung kurzer Eindrücke, nicht aus einem umfassenden Gesamtbild. Und manche Neuerungen sind ja durchaus sinnvoll. Dazu zählen das Abführen von Gefangenen sowie der fast jederzeit mögliche Wechsel zwischen zwei Hauptfiguren. Zu keinem Zeitpunkt konnte Syndicate bisher allerdings den Eindruck vermitteln, mehr als ein weiteres Update des immer gleichen Spiels zu sein. Schlimmer noch: Anstatt das historische Abenteuer als solches auszubauen, verkommt die Serie immer mehr zu einer belanglosen Beschäftigungstherapie vor hübscher Kulisse. Eine wenigstens im Kleinen glaubwürdige Interaktion mit den Menschen einer Welt im Umbruch ist diesem Spiel scheinbar egal. Nicht einmal auf das namensgebende Meucheln reagiert die Bevölkerung in nennenswerter Form. Spielerische Unterschiede zwischen erzählerisch völlig verschiedenen Charakteren sucht man sowieso mit der Lupe. Ja, Assassin's Creed spielt sich auch auf dem Bock einer Kutsche und den Seilen hoch über dem Asphalt gewohnt gefällig. Meine ehemalige Freude an der Serie konnte Syndicate allerdings noch nicht wieder entfachen.

Einschätzung: befriedigend

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