Vorschau: Barock und Science-Fiction
Was vom Tage übrig blieb
“Mankind Divided” statt “Human Revolution”: Wurden mit künstlichen Körperteilen versehene Menschen erst als großer Fortschritt gefeiert, ist die Euphorie längst verflogen. Nach einem Zwischenfall in Human Revolution, herrscht Abneigung gegen künstliche Arme, Beine, Augen und Ohren, die so genannten Augmentationen, vor. Was als Revolution begann, spaltet anno 2029, zwei Jahre nach dem dramatischen Vorfall die Menschheit.
Deutlich wird das gleich zu Beginn, als Jensen am Prager Bahnhof ankommt, wo er Zeuge eines Bombenattentats wird. Wie „praktisch“, denn der ehemalige Sicherheitschef arbeitet inzwischen für eine Eingreiftruppe, die den aufgrund der zwischenmenschlichen Spannungen aufkommenden Terrorismus unterbinden soll. Und sein Arbeitgeber macht tatsächlich jene Organisation für den Anschlag verantwortlich, die mit Gewalt für die Rechte augmentierter Menschen kämpft.
Der Hintergrund ist ebenso spannend wie zeitgemäß und erhält spätestens dort typisches Deux-Ex-Flair, wo Adam als Doppelagent auch eine Verbindung seiner eigenen Truppe zu den Illuminati aufdecken soll. Von dieser großen
Geschichte und Zukunft
In diesem zeigt sich Prag auch von seiner schönen Seite, denn schon Jensens Apartment ist erneut eine stilvolle Unterbringung, in der Eidos wichtige erzählerische Grundlagen schafft: wenn Adam etwa in Ruhe duscht und man einen Blick auf seinen stark augmentierten Körper erhascht oder wenn ihn ein alter Bekannter anruft. Über verschiedene Antwortmöglichkeiten lenkt man dabei wie im Vorgänger viele Unterhaltungen; das Ergebnis der Gespräche wird die Geschichte beeinflussen, deren Ausgang diesmal die Summe vieler Entscheidungen ist, nicht nur einer abschließenden kurz vor dem Abspann.
Sobald Adam das Apartment verlässt, läuft er schließlich durch eine Altstadt, wie sie es in Deus Ex bisher noch nicht gab. Natürlich hat moderne Technik auch im historischen Prag Einzug gehalten: Digitale Werbetafeln stehen vor barocken Mauern mit abfallendem Putz und schwebende Drohnen patrouillieren über Pflastersteinen. Erfrischend sind aber die zum Teil farbenfrohen Wände der vielleicht drei- bis vierstöckigen Häuser. Prag ist ein gelungener Gegenpol zu den oft kühlen Kulissen der Serie und erlaubt Jensen mehr als im Vorgänger das Klettern über Giebel, Vordächer und Balkone. Er soll häufiger Höhenunterschiede nutzen und zumindest seine ersten Schritte in dieser Umgebung unterstreichen das.
„Komm ruhig rein!“
Er genießt außerdem die für Deus Ex typische Freiheit beim Erkunden der Stadt, dem Aufspüren von Geheimnissen sowie dem Lösen für seine Mission wichtiger und unwichtiger Aufgaben. Das war in Human Revolution nicht anders. Dem ersten Eindruck nach ist die Dichte der spielerischen Möglichkeiten in der Fortsetzung aber mindestens ebenso ebenso hoch, wenn nicht gar höher. Interessant auch, dass er sich hin und wieder bei einer der zahlreichen Polizeikräfte ausweisen muss – die Spannung zwischen terroristischer Bedrohung und staatlicher Gegenwehr ist dadurch ebenso ständig spürbar wie die Kluft zwischen Augmentierten und natürlich Gebliebenen.
Weniger schön ist allerdings, dass jeder Mieter, in dessen Wohnung der Agent eindringt, nicht das geringste Problem damit hat, ihm sogar bereitwillig Fragen beantwortet. Man entdeckt also nach wie vor Interessantes und
Viel Action?
Offenheit gibt es hingegen dort, wo man Geschichten abseits des roten Fadens erlebt oder sie ignoriert. Wo Adam z.B. einen Kult ergründen kann, dessen Anführer seine Schäfchen wohl durch eine Art Gedankenkontrolle manipuliert. Offen war auch, wie er einen Spezialisten für künstliche Körperteile erreicht, dessen Haus belagert wird und sich in einem von der Polizei abgesperrten Bereich befindet. Selbstverständlich hätte er sich mit Waffengewalt durchschlagen können – die Entwickler wollen schließlich die Action verbessert haben, indem sie das gewalttätiges Vorgehen u.a. jetzt ebenso belohnen wie das Schleichen oder Hacken von Computern.
Die Handhabung der Waffen und das Zielen fühlten sich beim Anspielen zwar nicht bedeutend knackiger an als im Vorgänger, man wird Jensen allerdings Fähigkeiten verleihen können, mit denen er Gegner über einen Stromschlag unschädlich macht, sich mit einem Schild vor Treffern schützt oder seine Klingen als Geschosse einsetzt. Man kann
Viele Entscheidungen!
Ich habe mich lieber daran gemacht, einen illegalen Pass zu besorgen, der Adam Zugang in das abgesperrte Gebiet gewährt, und auch dabei hatte ich verschiedene Möglichkeiten. Die eine wäre das Zahlen einer horrenden Summe an den Organisator der Fälscherbande – das kam selbstverständlich nicht in Frage. Also habe ich erst den Chef am Tor seines Quartiers ausgeknockt, dann die beiden Wachen und mich anschließend ins Haus geschlichen, u.a. an Laserfallen vorbei, bis ich schließlich die eigentliche Fälscherin traf. Die konnte ich durch Verhandeln zwar nicht davon überzeugen, Jensen einen Pass auszustellen, allerdings erhielt ich interessante Informationen, mit denen ich über einen weiteren Schritt schließlich Zutritt erhielt. Den will ich allerdings nicht vorweg nehmen.
Alles in allem wirkte Prag ein kleines Stück lebendiger als Hengsha oder Detroit im Vorgänger: Die Menschen scheinen eine Idee geschäftiger, man beobachtet eine Streife beim Festnehmen eines mutmaßlichen Gesetzesbrechers und viele drücken ganz offen ihre Abscheu gegenüber Menschen mit Augmentierungen, also auch Jensen selbst aus.
Und apropos: Als Jensen endlich seine Zielperson erreicht, repariert der Tüftler nicht nur einige seiner beschädigten Funktionen – er entdeckt auch experimentelle Augmentierungen, von denen Adam selbst nichts wusste. Und die kann er natürlich aktivieren; wie im Vorgänger über das Sammeln von Erfahrungspunkten. Weil die neu entdeckten Fähigkeiten allerdings eine Menge Energie kosten, darf er nicht alle gleichzeitig verwenden. Man muss sich also spezialisieren, anstatt einen Alleskönnern zu entwickeln.
Räuber und einfallsloser Gendarm
Eidos Montreal erweitert das Prinzip des Vorgängers vor allem im Kleinen. Die große Stärke von Mankind Divided wird deshalb erneut seine enorme Handlungsfreiheit sein. Gestört haben mich wie vor einem Jahr aber besonders die Schwächen feindlicher Wachen, die sich z.B. noch immer abschießen lassen, wenn sie etwa einem ohnmächtigen
Geschwindigkeit macht Diebe
Gespannt bin ich dabei auf eine Neuerung, die mit dem eigentlichen Spiel gar nicht viel zu tun hat: Im so genannten Breach-Modus spielt man einen Hacker, der in die Rechner großer Unternehmen eindringt. Sinnigerweise sehen virtuelle Wachen des Cyberspace genau so aus wie reale Wache und auch der Hacker bewegt sich ähnlich wie Jensen durch die virtuelle Welt, in der er allerdings verschiedene Fähigkeiten erlernen kann, die Adam nicht zur Verfügung stehen, darunter besonders weite Sprünge. Im Wesentlichen funktioniert Breach aber wie das normale Spiel und im Vordergrund stehen das Erreichen einer Punktzahl sowie der Vergleich in weltweiten Ranglisten. In immerhin 75 Levels dürften Highscore-Jäger dabei lange beschäftigt sein.
Ausblick
Mankind Divided übt auch nach drei Stunden keine so große Faszination auf mich aus wie sein Vorgänger – daran sind vor allem kleine Schwächen Schuld, die Deus Ex heute mehr noch als vor fünf Jahren ein wenig altmodisch wirken lassen. Da ist das Verhalten von Wachen, die nicht immer aufmerksam nach einem Eindringling suchen und sich leicht übertölpeln lassen. Und da sind die Bewohner einer Stadt, die nicht einmal mit einem Kommentar erwähnen, dass man gerade in ihre Wohnung eingebrochen ist. Im Gegenzug herrscht in den Straßen von Prag, der ersten offenen Umgebung des Spiels, ein recht geschäftiges Treiben. Wie erwartet lernt Jensen beim Hacken von Computern und in Unterhaltungen mit Bewohnern allerhand Wissenswertes, stolpert über Aufgaben, denen er sich annehmen kann oder auch nicht und dringt entweder mit Köpfchen, Heimlichtuerei oder Waffengewalt in abgesperrte Gebiete vor. Für Actionspieler ist das eigenhändige Aufrüsten der Waffe interessant, Rollenspieler nutzen zusätzliche Möglichkeiten beim Entwickeln der Fähigkeiten des nach wie vor coolen Adam Jensen. Ich bin zwar nicht begeistert, freue mich aber auf eine diesmal stärker beeinflussbare Erzählung in einem gewohnt großen Abenteuer, das aufmerksames Entdecken ebenso belohnt wie geduldiges Kundschaften und Schleichen.
Einschätzung: gut
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