Vorschau: Musikspielfernsehen
Zurück auf Anfang
Meine Güte! Ich komme mir vor wie ein totaler Anfänger. Ich, der bei Rockband und bisherigen Guitar Heroes viele Songs mit Bravour auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad auf der Plastikklampfe meistert. Und jetzt? Da bin ich froh, wenn ich auf der mittleren Stufe überhaupt mal einen Ton treffe – geschweige denn eine Serie an perfekten Treffern hinlege.
Die neue Gitarre katapultiert mich gedanklich in die Vergangenheit. Damals, 2006, als das erste Guitar Hero als Import in der Redaktion eintraf und ich erste Gehversuche unternahm, die Symbole auf dem Bildschirm taktgenau und mit dem richtigen Farbknopf zu treffen. An Umgreifen und andere fortschrittliche Techniken war dabei noch nicht zu denken. Jetzt geht es mir ähnlich: Die neue Anordnung der Knöpfe sorgt für ein erfrischend anderes Spielgefühl, das Meistern der Griffe und richtige Lesen der neuen „Noten“ in Plektron-Form für eine angenehme Herausforderung. Dabei stehen die weißen Symbole für die untere Knopfreihe, die schwarzen für die obere und statt den früheren fünf Spuren auf dem Highway gibt es jetzt nur noch drei. Aber genau das ist es, was für mich bei Guitar Hero Live (ab 27,79€ bei kaufen) den größten Anreiz ausmacht, denn während ich mich bei Rock Band 4 trotz kleinen Neuerungen wie den freien Gitarren-Soli schnell wieder heimisch fühlen dürfte, wird Guitar Hero Live definitiv eine etwas andere Erfahrung als
MTV der neuen Generation
Noch skeptischer bin ich aber hinsichtlich der Designidee rund um den zentralen Modus Live TV. Dieser erinnert an das klassische MTV. Also ohne diesen ganzen aktuellen Showunsinn im Musikfernsehen, sondern so, wie es früher war bzw. wie es VidZone auf der PlayStation noch ermöglicht. Den Live-Modus muss man sich tatsächlich wie einen TV-Sender vorstellen, bei dem auf zwei Kanälen 24 Stunden und sieben Tage die Woche Musik nach einem festen Programmplan läuft. Wer will, greift spontan zur Plastik-Gitarre und steigt in den aktuellen Song ein, bei dem das Original-Musikvideo anschließend vom bekannten „Noten-Highway“ überlagert wird.
Aber Achtung: Im Gegensatz zum genannten VidZone, bei dem man sich seine Lieblingsvideos in eigenen Playlists zusammenstellen kann, muss man sich hier komplett nach dem Programm richten, das Entwickler Freestyle Games vorbereitet hat. Ich persönlich dürfte kein so großes Problem damit haben, weil mein Musik-Geschmack recht breit gefächert ist und ich „jeden Scheiß“ spiele. Wer es dagegen etwas spezieller mag, könnte schnell die Lust verlieren oder aber seine Spielzeiten auf das Sendeangebot ausrichten, wenn z.B. Heavy Metal auf dem Programm steht.
Streamen statt Speichern
Ein teures Vergnügen?
Größere Sorgen als der Online-Zwang bereiten mir die Pläne von Activision, Guitar Hero mit Live stärker in ein Free-to-play-Korsett zu zwängen, denn möchte man nur ausgewählte Songs nach eigenen Vorlieben spielen und sich nicht am laufenden TV-Programm orientieren, müssen diese Einzel-Auftritte mit so genannten „Plays“ bezahlt werden. Diese kann man sich zwar dadurch verdienen, indem man lange genug in den TV-Kanälen mitrockt, aber eben auch durch die Investition von realem Geld in Form von Play-Mikrotransaktionen. Es wird sicher spannend sein zu sehen, in welchem Verhältnis man die „Plays“ als Belohnung bekommt bzw. wie schnell der Vorrat zur Neige geht. Nur wer sich die zusätzlichen Songs kauft, hat permanenten Zugriff, ohne dabei weitere „Plays“ opfern zu müssen.
Ein Partyspaß?
Allerdings stellt sich mir ohnehin die Frage, wie partytauglich der neue Ableger überhaupt ist. Der Einsatz als Jukebox hat sicher seinen Reiz, wenn man das TV-Programm einfach im Hintergrund laufen lässt und jederzeit einsteigen kann. Aber während ich heute in Rock Band mit bis zu sieben Leuten auf der virtuellen Bühne stehen kann (drei mehrstimmige Sänger/innen, Gitarre, Bass, Drums, Keyboard), erlaubt Guitar Hero Live lediglich Duelle oder Koop-Partien mit zwei Gitarristen – ein echtes Band-Feeling dürfte dabei nicht aufkommen und viele Möchtegern-Rocker mit Mehrspieler-Ambitionen werden zumindest das Schlagzeug als Unterstützung vermissen.
Belohnungen und Gitarren-Verbesserungen
Ausblick
Während Harmonix bei Rock Band 4 am Bewährten festhält, wagen Activision und Freestyle Games mit Guitar Hero Live einen Neuanfang: Mit umgekrempelter Hardware, dem 24/7-Musiksender und Egosicht verpassen sie der Reihe einen anderen Anstrich. Dadurch wirkt das Comeback auf die Musikspielbühne hier frischer als bei der Konkurrenz. Und ich freue mich schon darauf, das Spielen auf der Plastik-Klampfe wieder lernen zu müssen. Die starken Free-to-play-Anleihen stoßen mir dagegen jetzt schon sauer auf: Ich will für einzelne Auftritte nicht mit „Plays“ bezahlen oder mir andere Zugänge mit echtem Geld erkaufen, selbst wenn es optional ist. Dafür gibt es den Spielhallenautomaten oder eine Jukebox! Mich im Rahmen des TV-Senders auf meine Lieblingssongs warten zu lassen oder mich zu zwingen, mich an einem Programm orientieren zu müssen, erinnert mich dagegen zu sehr an das MTV der Achtziger und Neunziger – in Zeiten von On-Demand-Angeboten will ich das Fernsehen in dieser Form eigentlich gar nicht mehr, weder bei ARD, ZDF & Co noch hier. Im Mehrspieler-Bereich lässt mich der Titel trotz der potenziell spannenden Online-Duellen kalt: Während wir bei Rock Band in voller Besetzung die Wände zum Wackeln bringen, wird beim mageren Angebot von Guitar Hero Live wohl nur ein müdes Lächeln übrig bleiben.
Einschätzung: gut
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