Guitar Hero Live31.07.2015, Michael Krosta

Vorschau: Musikspielfernsehen

Neues Team, neue Gitarre, neues Konzept: Mit der Rückkehr auf die Musikspiel-Bühne schneidet Activision viele alte Zöpfe ab, verzichtet auf die Weiterverwendung von Instrumenten sowie DLC-Songs der Vorgänger und setzt stattdessen auf ein interaktives MTV mit Streamingtechnologie – und Mikrotransaktionen.

Zurück auf Anfang

Meine Güte! Ich komme mir vor wie ein totaler Anfänger. Ich, der bei Rockband und bisherigen Guitar Heroes viele Songs mit Bravour auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad auf der Plastikklampfe meistert. Und jetzt? Da bin ich froh, wenn ich auf der mittleren Stufe überhaupt mal einen Ton treffe – geschweige denn eine Serie an perfekten Treffern hinlege.

Die neue Gitarre katapultiert mich gedanklich in die Vergangenheit. Damals, 2006, als das erste Guitar Hero als Import in der Redaktion eintraf und ich erste Gehversuche unternahm, die Symbole auf dem Bildschirm taktgenau und mit dem richtigen Farbknopf zu treffen. An Umgreifen und andere fortschrittliche Techniken war dabei noch nicht zu denken. Jetzt geht es mir ähnlich: Die neue Anordnung der Knöpfe sorgt für ein erfrischend anderes Spielgefühl, das Meistern der Griffe und richtige Lesen der neuen „Noten“ in Plektron-Form für eine angenehme Herausforderung. Dabei stehen die weißen Symbole für die untere Knopfreihe, die schwarzen für die obere und statt den früheren fünf Spuren auf dem Highway gibt es jetzt nur noch drei. Aber genau das ist es, was für mich bei Guitar Hero Live (ab 27,79€ bei kaufen) den größten Anreiz ausmacht, denn während ich mich bei Rock Band 4 trotz kleinen Neuerungen wie den freien Gitarren-Soli schnell wieder heimisch fühlen dürfte, wird Guitar Hero Live definitiv eine etwas andere Erfahrung als

SingStar lässt grüßen: In den Live-Kanälen und Shows laufen die Original-Musikvideos im Hintergrund.
das, was man in den letzten Jahren erlebt hat. Auch die Präsentation aus den Augen des Gitaristen in Ego-Perspektive wirkt frisch, doch bleibt die Frage, ob und wie schnell sich die Sprüche der Bandkollegen sowie Reaktionen des Publikums abnutzen.

MTV der neuen Generation

Noch skeptischer bin ich aber hinsichtlich der Designidee rund um den zentralen Modus Live TV. Dieser erinnert an das klassische MTV. Also ohne diesen ganzen aktuellen Showunsinn im Musikfernsehen, sondern so, wie es früher war bzw. wie es VidZone auf der PlayStation noch ermöglicht. Den Live-Modus muss man sich tatsächlich wie einen TV-Sender vorstellen, bei dem auf zwei Kanälen 24 Stunden und sieben Tage die Woche Musik nach einem festen Programmplan läuft. Wer will, greift spontan zur Plastik-Gitarre und steigt in den aktuellen Song ein, bei dem das Original-Musikvideo anschließend vom bekannten „Noten-Highway“ überlagert wird.

Aber Achtung: Im Gegensatz zum genannten VidZone, bei dem man sich seine Lieblingsvideos in eigenen Playlists zusammenstellen kann, muss man sich hier komplett nach dem Programm richten, das Entwickler Freestyle Games vorbereitet hat. Ich persönlich dürfte kein so großes Problem damit haben, weil mein Musik-Geschmack recht breit gefächert ist und ich „jeden Scheiß“ spiele. Wer es dagegen etwas spezieller mag, könnte schnell die Lust verlieren oder aber seine Spielzeiten auf das Sendeangebot ausrichten, wenn z.B. Heavy Metal auf dem Programm steht.  

Streamen statt Speichern

Kombo-Ketten erhöhen weiter die Punktzahl oder müssen als Herausforderung gemeistert werden.
Aber dessen ist man sich auch bei Activision bewusst und bietet deshalb Alternativen an – Alternativen, die man sich selbstverständlich bezahlen lässt. Wie früher lassen sich einzelne Songs käuflich erwerben. Zusammen mit den Tracks, die sich auf der Disk befinden, können diese dann unabhängig vom TV-Programm in Einzel-Sessions jederzeit „auf Abruf“ gespielt werden. Dabei handelt es sich aber nicht länger um klassische DLC-Songs, da die Lieder auch nach dem Kauf nicht als Datenpaket auf der Festplatte landen, sondern weiterhin aus der Cloud gestreamt werden – eine Verzögerung ist mir beim Probespiel zum Glück nicht aufgefallen. Genau wie beim Live-TV gilt also auch hier: Die Konsole muss immer mit dem Internet verbunden sein – selbst dann, wenn man Zugriff auf seine eigene Bibliothek haben möchte. Einzig die Songs, die sich zum Start mit auf der Disk befinden, wird man auch offline spielen können. Aber bevor jetzt alles aufschreien sei gesagt, dass dies in der Vergangenheit schon ähnlich war, denn auch in älteren Teilen ließen sich die DLC-Songs aus Lizenzgründen nur dann spielen, wenn man mit dem Internet verbunden war. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Daten noch auf der Festplatte landeten.

Ein teures Vergnügen?

Größere Sorgen als der Online-Zwang bereiten mir die Pläne von Activision, Guitar Hero mit Live stärker in ein Free-to-play-Korsett zu zwängen, denn möchte man nur ausgewählte Songs nach eigenen Vorlieben spielen und sich nicht am laufenden TV-Programm orientieren, müssen diese Einzel-Auftritte mit so genannten „Plays“ bezahlt werden. Diese kann man sich zwar dadurch verdienen, indem man lange genug in den TV-Kanälen mitrockt, aber eben auch durch die Investition von realem Geld in Form von Play-Mikrotransaktionen. Es wird sicher spannend sein zu sehen, in welchem Verhältnis man die „Plays“ als Belohnung bekommt bzw. wie schnell der Vorrat zur Neige geht. Nur wer sich die zusätzlichen Songs kauft, hat permanenten Zugriff, ohne dabei weitere „Plays“ opfern zu müssen.

Die Gitarren lassen sich neuerdings mit "Hero Powers" ausstatten.
Aber was, wenn man einen schönen Abend mit Freunden abrocken möchte, sich dafür aber nicht auf das Live-Programm verlassen oder alle Songs kaufen will? Auch für diesen Fall hat Activision eine Antwort in Form von Mikrotransaktionen parat: Mit einem zeitlich begrenzten Pass werden alle Songs für einen gewissen Zeitraum freigeschaltet, wenn man einen noch nicht näher definierten Obolus entrichtet.   

Ein Partyspaß?

Allerdings stellt sich mir ohnehin die Frage, wie partytauglich der neue Ableger überhaupt ist. Der Einsatz als Jukebox hat sicher seinen Reiz, wenn man das TV-Programm einfach im Hintergrund laufen lässt und jederzeit einsteigen kann. Aber während ich heute in Rock Band mit bis zu sieben Leuten auf der virtuellen Bühne stehen kann (drei mehrstimmige Sänger/innen, Gitarre, Bass, Drums, Keyboard), erlaubt Guitar Hero Live lediglich Duelle oder Koop-Partien mit zwei Gitarristen – ein echtes Band-Feeling dürfte dabei nicht aufkommen und viele Möchtegern-Rocker mit Mehrspieler-Ambitionen werden zumindest das Schlagzeug als Unterstützung vermissen.

Kleine Jam-Session im Proberaum?
Die Vermischung von Soloauftritt und Online-Duellen innerhalb des TV-Programms hört sich jedoch interessant an: Hier wird man automatisch via Matchmaking mit anderen Klampfen-Helden verbunden und verglichen, die ebenfalls gerade live in den jeweiligen Kanälen unterwegs sind. Das dürfte auf jeden Fall auf ein paar spannende Battles hinauslaufen. Darüber hinaus werden auch so genannte Premium-Shows geboten, zu denen man erst Zugang erhält, wenn man vorgegebene Herausforderungen wie das Erreichen einer bestimmten Sterne-Wertung meistert (...oder sich das Ticket alternativ mit Mikrotransaktionen erkauft). Dabei kann es sich z.B. um Live-Versionen eines bestimmten Songs oder sogar um ein exklusives Debüt handeln. Aber Vorsicht: Man muss sich im Vorfeld auf einen Schwierigkeitsgrad festlegen. Wer die größten Belohnungen absahnen will, muss also auch das höchste Risiko eingehen, denn wer versagt, bekommt keine zweite Chance bzw. muss sich anschließend einer anderen Herausforderung stellen – auch ein Neustart wird nicht erlaubt, falls sich der Misserfolg schon abzeichnet.

Belohnungen und Gitarren-Verbesserungen   

In Egosicht auf der großen Bühne kommt die Live-Atmosphäre am besten rüber.
Nein, es dreht sich entgegen aller Befürchtungen hier doch nicht alles um Mikrotransaktionen, denn neben der harten Währung wird auch eine spielinterne Variante angeboten. Die so genannten „Coins“ bekommt man schon gutgeschrieben, wenn man das Spiel jeden Tag startet, aber auch für ausgiebiges Spielen, durch das man mit der Zeit seinen Erfahrungslevel erhöht. Steigt man in den Stufen auf, wird man vornehmlich mit visuellen Upgrades belohnt, darunter neue Spielerkarten fürs Profil oder weitere Highway-Designs. Alternativ schaltet man sie mit Coins frei – mit echtem Geld kommt man hier ausnahmsweise mal nicht weiter. Darüber hinaus lassen sie sich in Verbesserungen der Gitarre investieren, die über den visuellen Schnickschnack hinausgehen: Mit den Modifikationen sackt man z.B. bei jeder getroffenen Note mehr Punkte ein oder erhöht die Anzahl an Hero-Regionen, um früher die Star-Power durch das Hochreißen des Gitarrenhalses (oder weniger spektakulär auf Knopfdruck) aktivieren zu dürfen.

Ausblick

Während Harmonix bei Rock Band 4 am Bewährten festhält, wagen Activision und Freestyle Games mit Guitar Hero Live einen Neuanfang: Mit umgekrempelter Hardware, dem 24/7-Musiksender und Egosicht verpassen sie der Reihe einen anderen Anstrich. Dadurch wirkt das Comeback auf die Musikspielbühne hier frischer als bei der Konkurrenz. Und ich freue mich schon darauf, das Spielen auf der Plastik-Klampfe wieder lernen zu müssen. Die starken Free-to-play-Anleihen stoßen mir dagegen jetzt schon sauer auf: Ich will für einzelne Auftritte nicht mit „Plays“ bezahlen oder mir andere Zugänge mit echtem Geld erkaufen, selbst wenn es optional ist. Dafür gibt es den Spielhallenautomaten oder eine Jukebox! Mich im Rahmen des TV-Senders auf meine Lieblingssongs warten zu lassen oder mich zu zwingen, mich an einem Programm orientieren zu müssen, erinnert mich dagegen zu sehr an das MTV der Achtziger und Neunziger – in Zeiten von On-Demand-Angeboten will ich das Fernsehen in dieser Form eigentlich gar nicht mehr, weder bei ARD, ZDF & Co noch hier. Im Mehrspieler-Bereich lässt mich der Titel trotz der potenziell spannenden Online-Duellen kalt: Während wir bei Rock Band in voller Besetzung die Wände zum Wackeln bringen, wird beim mageren Angebot von Guitar Hero Live wohl nur ein müdes Lächeln übrig bleiben.

Einschätzung: gut   

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