Project CARS 208.02.2017, Michael Krosta
Project CARS 2

Vorschau: Ambitioniertes Motorsport-Paket

Mehr Inhalt, mehr Simulation, mehr eSport: Mit Projects Cars 2 wollen die Slightly Mad Studios einen Gang höher schalten und den Spitzenplatz unter den Rennsimulationen erobern. Wir waren nicht nur bei der offiziellen Enthüllung im schwedischen Sorsele dabei, sondern durften auch selbst erste Proberunden absolvieren. Und nicht nur das: Dank einer Zusammenarbeit mit Mercedes Benz wurde das virtuelle mit einem realen Fahrerlebnis verknüpft...

Fröhliches Schlittern auf dem Eissee

Ja, richtig gelesen: Bevor ich den Controller in die Hand nahm, durften ich mich im Rahmen der Mercedes Benz Driving Events selbst hinter das Steuer diverser Modelle des deutschen Autobauers aus Stuttgart klemmen, um in Heckschleudern und Allrad-Boliden reale Erfahrungen unter den schwierigen Bedingungen bei Eis und Schnee zu sammeln. Auf dem gefrorenen See unweit des Polarkreises warteten zunächst Slalom-Herausforderungen und Drift-Kreisel, um ein erstes Gefühl für die Wagen zu entwickeln. Um den Anspruch und den Schlitterspaß gleichermaßen zu erhöhen, wurden bis auf das ABS sämtliche Fahrassistenten wie Traktions- und Stabilitätskontrolle deaktiviert. Entsprechend schnell verabschiedete sich die Bodenhaftung und es war nicht nur ein gefühlvoller Umgang mit dem Gaspedal, sondern auch cleveres Gegenlenken gefragt, um nicht von der Piste zu rutschen oder auf eine der fiesen Schneebänke aufzufahren. Dabei lieferten die Instrukteure via Funk und beim gemeinsamen Erkunden in der Kolonne

In Schweden durften wir im Rahmen der Driving Events zunächst reale Erfahrungen hinter dem Steuer sammeln.

hilfreiche Tipps, um unter diesen widrigen Bedingungen die Kontrolle über die Fahrzeuge zu behalten und deren unterschiedliche Fahreigenschaften besser einschätzen zu können.

Realität vs. Simulation

Danach waren die Teilnehmer mehr oder weniger fit, um ihre Fähigkeiten auf diversen Teststrecken unter Beweis zu stellen, die von keinem Geringeren als Hermann Tilke für Mercedes designt wurden. Der Name sagt euch nichts? Nun, der deutsche Bauingenieur zeichnete u.a. für den Yas Marina Circuit in Abu Dhabi oder das Sochi Autodrom in Russland verantwortlich. Schön und gut, aber was hat das alles mit Project Cars 2 (ab 14,99€ bei kaufen) zu tun? Ganz einfach: Der Eissee im hohen Norden Schwedens ist auch Bestandteil der Rennsimulation! Denn die Slightly Mad Studios haben das Areal mitsamt der Streckenvariationen nachgebaut, so dass man auch als Spieler die Mercedes Benz Driving Experience zu Hause am PC oder der Konsole erleben kann. Wie sich im direkten Vergleich zeigt, fällt die virtuelle Variante sogar einen Tick schwieriger aus als unter realen Bedingungen: Die vereiste Oberfläche präsentiert sich im Spiel deutlich rutschiger und ich hatte entsprechend größere Probleme, den Mercedes-AMG C63 S auf dem North Circuit des Trainings-Tracks unter Kontrolle zu halten. Selbst bei geringem Tempo brach das Heck schon bei leichten Lenkbewegungen umgehend aus und ich war mehr mit dem Abfangen beschäftigt anstatt den Boliden in den Griff zu bekommen. In der Realität empfand ich es als sehr viel leichter, ein Gefühl für die Wagen und deren Grip-Limits zu entwickeln. Allerdings sei gesagt, dass in der Demo-Version der Rumble-Effekt des Controllers noch nicht enthalten war, der durchaus gute Anhaltspunkte liefern kann, sobald man sich dem Grenzbereich nähert. Doch auch beim späteren Fahren in einem Full-Motion-Simulator mit Lenkrad und VR wirkte der Anspruch im Spiel höher als beim realen Pendant – vielleicht auch dadurch bedingt, weil der Schnee die Eisschicht bereits etwas „entschärft“ hatte oder

Die virtuelle Variante fiel noch etwas anspruchsvoller aus.

die Spike-Reifen in der Realität mehr Bodenhaftung bieten als ihre virtuellen Gegenstücke. Trotzdem schön, dass Mercedes, die Slightly Mad Studios und Bandai Namco diesen interessanten Direktvergleich ermöglicht haben.

Optimierte Controller-Steuerung

Obwohl das Schlittern auf dem Eis einen gegenteiligen Eindruck vermittelte, wollen die Entwickler nach eigenem Bekunden die Zugänglichkeit verbessern und auch Controller-Piloten nicht verschrecken. Letztere hatten im Vorgänger noch mit einer übersensiblen Steuerung zu kämpfen, die es einem nicht leicht machte, sich mit der fordernden Fahrphysik anzufreunden. Selbst mit diversen Hilfen fühlte sich das Fahren mit dem Controller nicht rund an – gerade im Vergleich zu Forza Motorsport & Co. Das wird jetzt zum Glück anders: Ein Abstecher auf den Fuji Speedway – übrigens eine von vielen Neuzugängen im Streckenaufgebot von Project Cars 2 – machte deutlich, dass man viel Arbeit in die Optimierung der Controller-Steuerung gesteckt hat. Endlich hat man auch ohne Lenkrad die Fahrzeuge sicher im Griff, kann sie präzise durch Kurven dirigieren und ein besseres Gefühl für die physikalischen Kräfte entwickeln. Selbstverständlich bleibt ein gutes Racing-Equipment mit überzeugenden Force-Feedback-Kräften und guten Pedalen weiterhin die erste Wahl. Aber es ist trotzdem schön zu sehen, dass man jetzt auch mit dem Pad in der Hand den Fahrspaß mit den lizenzierten Karossen genießen kann. Wie im Vorgänger hält man übrigens weiter daran fest, den Fahrern keine künstlichen Schranken in den Weg zu legen: Alle Strecken, Fahrzeuge sowie Meisterschaften sollen von Anfang an zur Verfügung stehen und müssen nicht erst mühsam freigeschaltet werden.   

Dynamische Streckenveränderungen

Um die Authentizität zu erhöhen, greift man nicht nur auf die bereitgestellten Herstellerdaten zurück, um die Geometrie der einzelnen Fahrzeugmodelle 1:1 umzusetzen. Ein verbessertes Reifenmodell soll außerdem dafür sorgen, dass sich die mehr als 170 lizenzierten Boliden noch realer anfühlen und man die Abnutzung der Pneus sowie dynamische Veränderungen der Streckenbedingungen noch besser spürt. In dieser Hinsicht hat Slightly Mad Großes vor: Mit ihrem Live Track 3.0 will man z.B. Regen komplett simulieren. Dabei will man sowohl die Absorbtionsrate auf und abseits des Asphalts berechnen als auch die Bildung von realistischen Pfützen berücksichtigen, die an entsprechenden Gefällen entstehen. Zum Vergleich: In Forza Motorsport 6 waren diese „Aquaplaning-Fallen“ lediglich statisch, während das Wetter sich hier dynamisch entwickeln soll. Entsprechend soll bei nachlassendem Regen zuerst die Ideallinie trocknen und eine zunehmend bessere Bodenhaftung bieten, bevor der restliche Teil der Strecke folgt. Auch Bodennebel, starker Nebel oder eine unterschiedlich stark ausgeprägte Bewölkung sollen die Witterungsbedingungen ergänzen.

Project Cars 2 wird dynamische Witterungsbedingungen und Tag-/Nachtwechsel bieten.

Leider durfte ich das dynamische Wetter nur über drei Runden in einem starken Zeitraffer erleben, bei dem die Sonne recht schnell vom Regen verdrängt wurde und die Piste anschließend in einem rasanten Tempo wieder trocknete. Von daher fällt es mir noch schwer, mir diesbezüglich ein aussagekräftiges Urteil zu bilden. Was auffällt: Selbstverständlich wird das Fahren auf dem nassen Asphalt zu einer deutlich rutschigeren Angelegenheit und die Bremswege werden entsprechend länger. Aber den Respekt vor den Pfützen und dem drohenden Aquaplaning, wie ich ihn bei Forza erlebt habe, hat sich hier (noch) nicht eingestellt. Kein Wunder, denn im direkten Vergleich wirkt die „Wasserglätte“ hier harmloser und hat sich weniger krass auf die Fahrphysik ausgewirkt. Allerdings sei angemerkt, dass ausgerechnet auf dieser Strecke die Fahrhilfen am stärksten gegriffen haben und es im Rahmen der Demo keine Möglichkeiten gab, sie individuell anzupassen.       

Mit Vollgas durch die vier Jahreszeiten

Die mehr als 170 Lizenz-Boliden werden aufwändig mit Hilfe von Original-Daten der Hersteller modelliert.

Mit Technologien wie Laserscanning, Photogrammetrie und dem Einsatz von Drohnen bei der Recherche will man die Strecken so detailgetreu wie möglich im Spiel realisieren. Zusätzlich sollen auch die saisonal bedingten Unterschiede zur Geltung kommen. Das betrifft sowohl die Streckenbedingungen in Relation zur vorherrschenden Temperatur als auch die Umgebung, die im Winter mit verschneiten Feldern ganz anders aussieht und wirkt als etwa im Frühling mit blühenden Bäumen. Tatsächlich wird es für alle Strecken entsprechende Varianten für die vier Jahreszeiten geben. Nicht zu vergessen, dass man zusätzlich auch bei Tag und Nacht über den Asphalt donnern darf. Zu der bereits stattlichen Auswahl des Vorgängers sollen sich über 20 neue Strecken gesellen – viele davon mit eher unebenen Oberflächen wie Wald- oder Schneepisten. Durch diesen leichten Offroad-Touch und RallyCross-Events will man das Racing-Angebot um eine weitere Facette bereichern. Doch auch Fans des traditionellen Motorsports haben Grund zur Freude, denn die amerikanische Indycar-Serie soll mit ihren Open-Wheel-Flitzern und Oval-Kursen ebenfalls Bestandteil von Project Cars 2 werden.  

Digitaler Motorsport

Das Thema eSport soll ebenfalls ein starkes Fundament bilden – immerhin zählt der Vorgänger zu den populärsten Vertretern, wenn es um den digitalen Motorsport geht. Deshalb will man direkt aus dem Spiel heraus eine Plattform anbieten, mit der man nicht nur unkompliziert Veranstaltungen von Einzelrennen bis hin zu kompletten Meisterschaften aufsetzen kann, sondern auch sinnvolle Werkzeuge für Live-Übertragungen sowie die Kommunikation an die Hand bekommt. Dazu zählt z.B. eine Zentrale, in der ein Regisseur die Übertragung mit Einblendungen, diversen Kameras und Schnitten selbst gestalten kann, während sich ein Kollege einzig darauf konzentriert, das Geschehen zu kommentieren. Zuschauer werden dagegen die Möglichkeit haben, sofort auf die Übertragungen zuzugreifen. Zudem will man ähnlich des klassischen TV-Programms bestimmte Übertragungen zur „Prime Time“ ausstrahlen. Diese Funktionen werden übrigens nicht nur in der PC-Version, sondern auch auf den Konsolen zur Verfügung stehen. Abstriche müssen allerdings beim Starterfeld gemacht werden: Während auf dem PC bis zu 32 Piloten auf die Strecke dürfen, wird man auf PS4 und Xbox One mit maximal 16 Fahrern Vorlieb nehmen müssen. Alternativ tritt man gegen die KI an, die sich in der Demo zwar etwas zu einfach abhängen ließ, aber immerhin den Eindruck vermittelte, das Prinzip der Kampflinie und dem Fahren mit Köpfchen verstanden zu haben.

Strafsystem im Stil von iRacing

Das Streckenangebot wird um Offroad-Pisten erweitert.

Damit die Onlinerennen nicht wie üblich in einer Crashorgie enden, will man mit einem Strafsystem für Ordnung sorgen, das sich an iRacing orientiert. Demnach fließen Kollisionen sowie das Verhalten auf der Strecke in eine Bewertung ein, die auf einer Plakette und damit quasi eurem Führerschein festgehalten wird. Dort sieht man auch die aktuelle Erfolgsquote und den Zeitraum, wie lange man bereits Project Cars 2 spielt. Je nach Einstufung erhält man Zugang zu Online-Veranstaltungen: Im Idealfall soll das System die Pistenrowdys herausfiltern und gegenseitig zuweisen, während alle anderen in harten, aber fairen Positionsduellen um den Sieg kämpfen. Ich drücke die Daumen, dass es am Ende tatsächlich so gut funktioniert wie erhofft.

Ein realistisches Schadensmodell mit mechanischen Auswirkungen dürfte ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Fahrer zwei Mal überlegen, ob sie die Brechstange auspacken. Leider war in der Demo davon noch nicht zu sehen oder zu spüren – sogar kosmetische Veränderungen am Chassis waren selbst nach heftigen Kollisionen kaum zu erkennen. So bleibt auch hier das Prinzip Hoffnung, dass Slightly Mad beim Thema Schadensmodell eine ähnlich hohe Authentizität verfolgt wie bei der Fahrphysik, den Strecken und dem Verhaltenskodex.

Vorsprung durch Technik

Die KI ist zwar noch etwas langsam unterwegs, hinterlässt aber bereits einen guten Eindruck.

Schon im Vorgänger hat man das Potenzial der hauseigenen Engine eindrucksvoll demonstriert. Die sichtbaren Fortschritte halten sich zwar in Grenzen, aber technisch bietet auch der zweite Teil eine detailverliebten Kulisse, aufwändig gestaltete Fahrzeuge inklusive immersiver Cockpit- und Helmsicht sowie eine hervorragende Audio-Abmischung mit satten Motorklängen. Hatte man die VR-Unterstützung beim Vorgänger noch nachgereicht, ist sie jetzt von Anfang an in die Entwicklung eingebunden. Tatsächlich zeigt sich das Studio begeistert für die Technologie, weil sie den Spieler noch stärker in die Rolle eines echten Rennfahrers versetzen kann. Bisher scheint jedoch nur eine VR-Unterstützung am PC sicher zu sein, doch versicherte mir Creative Director Andy Tudor, dass man alles versuchen werde, um auch Besitzer von PS4-Konsolen mit einem VR-Rennerlebnis zu beglücken. Doch auch für ambitionierte Rennfahrer ohne VR-Equipment will man keine Wünsche offen lassen: Neben der Verwendung von Triple-Screens wird man auch eine Darstellung im 21:9-Format sowie Auflösungen von bis zu 12K (am PC) gestatten.

Darüber hinaus werden auch exotische Hardware-Erweiterungen wie Ventilatoren zur Simulation des Fahrtwinds oder teure Full-Motion-Systeme wie D-Box unterstützt – und das nicht nur wie üblich am PC, sondern auch an den Konsolen wird eine Kompatibilität gewährleistet. Schauten PS4-Besitzer mit Fanatec-Lenkrädern bei letzten Rennspielen wie Assetto Corsa oder F1 2016 aufgrund von Lizenzstreitigkeiten noch in die Röhre, gibt es für Project Cars 2 Entwarnung: Auf direkte Nachfrage stellte Tudor klar, dass man das Luxus-Equipment im Gegensatz zu Codemasters & Co weiterhin unterstützen werde.

Ausblick

Die Konkurrenz muss sich warm anziehen: Mit Project Cars 2 haben die Slightly Mad Studios und Bandai Namco ein heißes Eisen in der Startaufstellung, um Konkurrenten wie Forza Motorsport, Gran Turismo und dem jüngst angekündigten GTR 3 das Leben schwer zu machen. Das Fahren fühlt sich nicht nur mit einem Lenkrad, sondern endlich auch mit dem Controller klasse an! Was die dynamischen und saisonalen Veränderungen der Streckenbedingungen angeht werden aber erst umfangreichere Testfahrten zeigen können, ob das Studio seine ambitionierten Pläne tatsächlich so überzeugend umsetzen kann. Gleiches gilt für den stärkeren Fokus auf eSport und das angekündigte Strafsystem, das Pistensäue zähmen oder im Idealfall zur Vernunft bekehren soll. Hinsichtlich der Einstellungsvielfalt sowie der Auswahl an Strecken, Rennserien und Fahrzeugen ließ schon der Vorgänger kaum Wünsche offen. Mit zusätzlichen Offroad-Pisten, dem Ausbau der Fuhrparks, einer verbesserten VR-Unterstützung und erweiterten Online-Optionen darf man hier sogar noch eine Steigerung erwarten. Ob das auch für die KI gilt, wird sich zeigen: In den Probefahrten verhielt sie sich meist glaubhaft, variierte und verteidigte ihre Linie mit fairen Mitteln, war aber noch etwas langsam unterwegs. Die Zeichen stehen jedenfalls gut, dass Project Cars 2 am Ende des Jahres im spannenden Duell mit Gran Turismo Sport und einem möglichen Forza Motorsport 7 an der Spitze mitkämpfen oder sie sogar erobern wird.

Einschätzung: sehr gut 

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