Vorschau: Motorsport für jedermann
Mehr Technik-PS
Zunächst springt die mächtig aufpolierte Grafik ins Auge: Erinnerte die Kulisse bei der Vorstellung im vergangenen Jahr noch an den PS3-Vorgänger, hat man nicht nur bei den Details an der Strecke sowie bei den aufwändig modellierten Fahrzeugen, sondern auch hinsichtlich der Beleuchtung zwei Gänge nach oben geschaltet. Vor allem bei Sonnenuntergängen begeistern die Ausflüge auf die Rennpisten mit einem wunderschönen Farbenspiel am Himmel und sehenswerten Lichteffekten. Kurz gesagt: Gran Turismo ist technisch endlich auf der PS4 angekommen, auch wenn man auf Dinge wie ein dynamisches Wettersystem verzichten muss.
Zugänglich und trotzdem anspruchsvoll
Polyphony meistert den angestrebten Spagat zwischen Anspruch und Zugänglichkeit: Die Fahrphysik wirkt authentisch, bleibt im Grenzbereich aber recht gutmütig, so dass man selbst PS-starke Boliden von Porsche & Co immer noch relativ gut bei hohem Tempo abfangen kann, sobald man mal ins Schleudern gerät. Trotzdem wird man immer noch genügend gefordert, wenn man die Fahrzeuge beim Rasen am Limit auf der Ideallinie halten will.
KI als Sorgenkind
Im Kampf gegen die KI gilt dies leider nur bedingt: Genau wie im Vorgänger ist selbst auf der höchsten der drei Stufen der deutliche Gummibandeffekt nicht zu übersehen. Selbst nach schweren Abflügen kann man sich oft locker wieder vom letzten Platz zurück an die Spitze kämpfen, weil das Feld mit angezogener Handbremse weiterfährt. Umgekehrt kann man sich kaum von seinen Verfolgern absetzen, sobald man die Spitze erobert hat. Mit echtem Motorsport hat das nicht viel zu tun, was die KI da im Arcade-Modus aufführt! In diesem Zusammenhang machen sich auch wieder Faktoren wie das derzeit noch fehlende Schadensmodell bemerkbar: Es ist weiterhin kein Problem, andere Fahrzeuge ungestraft als Bremsklotz zu missbrauchen oder sich auf Stadtkursen wie Tokio mit Vollgas in die Kurven zu legen, da einen die Banden ohne große Geschwindigkeitsverluste in der Spur halten. Allerdings sollen sich in der finalen Version die Schäden durchaus bemerkbar
Wenig Motivation für Solisten
Für Einzelspieler hat GT Sport ohnehin nicht besonders viel zu bieten: Mit dem Wegfall der klassischen Kampagne mit ihren Veranstaltungen und Tuning-Optionen findet sich hier neben der Fahrschule und dem Arcade-Modus lediglich eine Ansammlung von Mini-Herausforderungen, in denen man seinen Fahrstil sowie die Streckenkenntnis perfektionieren kann. Das alles wirkt wie ein XXL-Tutorial, das zwar durchaus umfangreich ausfällt, aber im Prinzip nur eine Vorbereitung auf die Online-Rennen darstellt. Ein Fragezeichen steht aktuell noch hinter dem Belohnungssystem, das sich in vier Bereiche aufteilt: Zum einen gibt es neben Erfahrungspunkten die üblichen Credits, die man vermutlich in den Kauf von neuen Fahrzeugen investieren muss. Darüber hinaus erhält man aber auch so genannte Mileage-Punkte und Belohnungen, wenn man die tägliche Mindest-Fahrtstrecke absolviert. Wie diese aussehen und was man dafür bekommt, ist derzeit noch nicht ganz klar.
Sportgeist versus Rowdy
Mageres VR-Programm
Das gilt auch für die VR-Tour, in der Besitzer von PSVR ausgewählte Strecken in der virtuellen Realität erleben dürfen. Die Immersion hinter dem Steuer dabei auch bei GT Sport einfach traumhaft: Es ist nicht nur das großartige Mittendrin-Gefühl, wenn man hinter dem Steuer sitzt und den Blick über das Armaturenbrett und den Innenraum schweifen lässt oder den Kopf zum Außenspiegel dreht. Auf einer Strecke wie der Nordschleife kommen die massiven Höhenunterschiede erst in VR richtig zur Geltung – da kann der vergleichsweise flache Eindruck auf der normalen Mattscheibe bei weitem nicht mithalten.
Aber so beeindruckend das VR-Erlebnis auch ist, hat es dennoch ein paar Schattenseiten: Zum einen die grafischen Abstriche, die man aufgrund der geringeren Auflösung, weniger Details und festgelegten Tageszeiten in Kauf nehmen muss. Diese lassen sich aber verschmerzen, weil im Gegenzug das Erlebnis hinter dem Steuer deutlich aufgewertet wird. Viel schlimmer wiegt die Tatsache, dass die Hardware-Ressourcen der PS4 offenbar nicht nur auf staubigen Rallye-Pisten, sondern auch in VR nur 1-gegen-1-Duelle erlauben. Echtes Renn-Feeling kommt bei diesem arg geschrumpften Starterfeld kaum auf. Ein Jammer,
Professionelles Foto-Shooting
Das gilt in gewisser Weise zwar auch für den Scapes-Modus, doch bekommt man hier hochprofessionelle Werkzeuge für Fotografen, mit dem man die virtuellen Boliden in über 1000 reale Bildvorlagen einbetten kann, die bereits Daten für die korrekte Beleuchtung und Tiefeninformationen enthalten. Zusammen mit üblichen Foto-Einstellungen für Blende, Belichtung sowie einer Reihe an Effekten lassen sich kleine Kunstwerke erschaffen, die man anschließend in einer Qualität von bis zu 6K berechnen und abspeichern darf. Darüber hinaus bietet Gran Turismo mit dem Sport-Ableger erstmals einen Livery-Editor im Stil von Forza Motorsport, in dem man nicht nur auf zahlreiche Vorlagen zurückgreifen, sondern auch eigene Designs erschaffen darf, mit denen man seinen Boliden, Rennanzügen und Helmen einen individuellen Touch verpasst.
Ausblick
Zum 20-jährigen Jubiläum von Gran Turismo liefert Sony mit GT Sport leider keinen vollwertigen Nachfolger, sondern „nur“ einen Ableger, dessen Stärken beim Fahrgefühl vor allem auf den Online-Rennpisten zur Geltung kommen werden. Für Solisten wird mit Mini-Herausforderungen sowie dem Arcade-Modus dagegen nicht viel geboten, zumal Letzterer immer noch mit einer zu stark ausgeprägten Gummiband-KI bei Einzelrennen enttäuscht. Immerhin möbelt man für die PS4-Premiere nicht nur die Grafik, sondern vor allem die Motorenklänge ordentlich auf – eine Maßnahme, die längst überfällig war. Der Scape-Modus mit seinen mächtigen Foto-Werkzeugen und der Lackierungs-Editor stellen zudem willkommene Ergänzungen dar, mit denen man neben ambitionierten Rennfahrern auch Grafik-Künstler und Fotografen anspricht. Die VR-Unterstützung wirkt trotz der fantastischen Immersion mit der Beschränkung auf 1-gegen-1-Duelle auf ausgewählten Strecken dagegen zu halbherzig. Basierend auf den überwiegend positiven Erfahrungen aus der geschlossenen Beta wird GT Sport daher erst in den kompetitiven Online-Veranstaltungen mit FIA-Reglement sein wahres Potenzial zeigen und könnte sich tatsächlich als gelungenes Konsolen-Pendant zu iRacing erweisen.
Einschätzung: gut
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