Die Säulen der Erde09.06.2017, Jan Wöbbeking

Vorschau: Harte Sitten

Drei Jahre nach der Übernahme durch Bastei Lübbe wagt der Hamburger Adventure-Entwickler Daedalic eine Zeitreise in den harschen Alltag des 12. Jahrhunderts. Die Adaption von Ken Folletts Roman "Die Säulen der Erde" hält sich bewusst nah am Vorbild und nähert sich der Telltale-Formel an, wenn Geschichte und Gewissensentscheidungen in den Vordergrund rücken.

Ein spielbares Buch?

Beim ersten Anspielen machten sich vor allem zwei Dinge bemerkbar: Im Vergleich zu Daedalics älteren Titeln herrscht ein deutlich ernsterer, erwachsenerer Ton vor und auch spielerisch ist der Titel ein weiterer Schritt weg von vertrackten Rätseln und den klassischen Adventure-Wurzeln des Unternehmens. Die Säulen der Erde wird bewusst als interaktiver Roman betitelt und soll in drei Teilen veröffentlicht werden. Da der Ausgang der Geschichte nicht angetastet wird, hangelt sich die spielbare Geschichte am Handlungsfaden des Vorbilds entlang und lässt dem Spieler nur bei Details Wahlfreiheiten, die z.B. über das Schicksal von Nebenfiguren entscheiden.

Als Ausgestoßene haben es Jack und Ellen nicht leicht.

In einer Zeit blutiger Auseinandersetzungen zwischen Adel, Klerus und einfachem Volk träumt Philip, der junge Prior der fiktiven englischen Stadt Kingsbridge, davon, eine Kathedrale zu errichten. Zusammen mit dem Baumeister Tom Builder, dessen Stiefsohn Jack und der gebildeten Grafentochter Aliena muss sich das Trio gegen allerlei Widerstände behaupten. Die Regie lässt den Spieler abwechselnd in die Rollen der drei Protagonisten sowie zwei weiterer Charaktere schlüpfen. Das angespielte zweite Kapitel startet mit dem „Outlaw“ Jack und macht gleich klar, in welch prekärer Lage er mit seiner Mutter Ellen im verschneiten Wald haust. Ähnlich wie Aloy in Horizon: Zero Dawn hat auch Jack so gut wie keinen Kontakt zur übrigen Bevölkerung.

Entscheidungen über Einzelschicksale

Seine Mutter hat ihm allerdings das Lesen und diverse Überlebenstechniken wie die Jagd beigebracht. Eines Tages stoßen die beiden im Wald auf eine vergrabene Leiche sowie einen Mönch, der ein ausgesetztes Baby mitnimmt. Da Ausgestoßene als vogelfrei gelten, machen sich Jack und Ellen lieber nicht bemerkbar. Kurz danach kommt es allerdings zur Konfrontation mit einem Grüppchen Fremder, das Jack vorwirft, das Baby verschleppt oder getötet zu haben.

In dieser Szene wird ihm sein geliebtes Buch geraubt.

Obwohl ich in den Dialogen einen komplett anderen Pfad wählte als in den von Daedalic zur Verfügung gestellten Szenen (ich präsentierte mich als zivilisiert und belesen statt wild zu knurren oder zu drohen), nahm die Situation einen ähnlichen Ausgang. Allzu stark scheinen sich die Abzweigungen also nicht zu unterscheiden. Das Baby wurde offenbar angesichts der Hungersnot ausgesetzt und die Gruppe tut sich schließlich zusammen, um sich auf die Suche nach dem geistlichen Entführer bzw. Retter zu begeben. Eine meiner (unterlassenen) Aktionen sorgte übrigens für einen kleinen Unterschied im Handlungsverlauf: Im Gegensatz zu einem anderen Journalisten siegte bei mir die Neugier, als ich das Babygeschrei aus dem Wald hörte. Ich machte mich gleich auf den Weg, statt mich zuerst um das Räuchern eines erlegten Tiers zu kümmern. Als ich zurückkehrte, fand die Gruppe bei mir also nur noch verdorbenes Fleisch vor.

Fade Minispiele

Das vorherige Jagen des Rehs lief übrigens mit einem nicht besonders spannenden Reaktionstest ab: Einfach zweimal die Schleuder mit dem Reh kombinieren und danach im passenden Moment die Mitte einer Leiste treffen. Auch davon abgesehen wirkte die Steuerung im Vergleich zu anderen Daedalic-Titeln etwas ungewohnt. Die rechte Maustaste visualisiert Gedankengänge, die sich ähnlich wie Inventargegenstände nutzen lassen. Dadurch dürfte man aber immerhin selten auf dem Schlauch stehen. Da auch Konsolenversionen geplant sind, steht die Controller-Steuerung mindestens genauso stark im Fokus der Entwickler wie die Maus-Variante. Auch Mönch Philip hat wenig Anlass, sich sicher zu fühlen: Da seine Ordensbrüder ermordet wurden, muss er zwangsläufig Verantwortung übernehmen. Im Laufe des Abenteuers entfaltet sich zudem eine Verschwörungsgeschichte um den geplanten Mord am König. Als ich mich quasi als Whistleblower zu einem nahe gelegenen Bischof begab, konnte ich sehr genau bestimmen, auf welche Art ich meine Nachricht überbringen wollte. Ich entschied, wie selbstsicher ich einer Wache gegenübertrat, wie viel ich ihr verriet, um vorgelassen zu werden und ob ich später darauf einging, durch welche Machenschaften ich überhaupt an die Gerüchte gelangt bin.

Die Dialoge umfassen rund 150.000 Wörter.

Bedrückende Atmosphäre

Die finstere Grundstimmung des Spiels macht sich fast überall bemerkbar – z.B. wenn halb verrottete Leichen vom anhaltenden Regen aus dem Boden gespült werden, weil sie, wie ein Mönch es ausdrückt, „einfach nicht im Boden bleiben wollen“. Anderswo erzeugen ruhige Flötenklänge und idyllisch verschneite Waldpanoramen aber durchaus ein Gefühl der Hoffnung, zumal sich im Laufe der Handlung auch eine Liebesgeschichte entwickeln soll. Geleitet wird das Team übrigens von Mathias Kempke, dessen erstes Daedalic-Spiel Spiel The Night of the Rabbit in einem verwunschenen Wald spielte. Die Säulen der Erde erscheint im August für PC, PlayStation 4 und Xbox One. Umsetzungen für Mac, Linux, iOS und Android sind ebenfalls in Planung. Später sollen noch zwei weitere Teile folgen. Teil 1 soll in etwa die Größe von Deponia besitzen, lasse sich aber „flüssiger“ durchspielen, wodurch sich die Spielzeit auf etwa zwölf Stunden beläuft.

Ausblick

Obwohl mich das Szenario im 12. Jahrhundert mit all seinen religiösen Gräueltaten und Machtfehden nur bedingt interessiert, war es durchaus unterhaltsam, in die Geschichte rund um Jack und seinen Begleiter zu starten. Vor allem das finstere Szenario und die erwachsenen Dialoge sind ein willkommener Kontrast zum eher jugendlichen Ton älterer Daedalic-Titel. Ich bedaure es zwar, dass sich einer der letzten Entwickler größerer "Oldschool-Adventures" mehr und mehr vom klassischen Schema mit anspruchsvollen Rätseln verabschiedet – die Umsetzung eines spielbaren Romans wirkt bislang aber weitgehend stimmig. An der ungewohnten Handhabung und den faden Minispielen sollten die Entwickler noch feilen. Inhaltlich gestaltete sich das Anspielen aber bereits vielversprechender als unsere letzten Ausflüge in Telltales Umsetzungen von Batman oder Guardians of the Galaxy.

Einschätzung: gut

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.