Project Arena26.04.2016, Benjamin Schmädig

Vorschau: eSport - echter Sport

Experimente in Virtual Reality sind der Schlüssel in die Spielwelt von morgen. CCP war mit Eve: Valkyrie von Anfang an dabei, hat mit Gunjack schon das zweite VR-Projekt als fertiges Spiel veröffentlicht und mit Arena steht bereits das nächste in den Startlöchern. Dabei sieht das Werfen, Abwehren und Ausweichen Tron-ähnlicher Scheiben wie eine unspektakuläre Weiterführung von Wii und Kinect Sports aus – doch mit diesem Eindruck hatte ich mich gewaltig getäuscht! Denn die Präzision aktueller VR-Technik hebt es auf eine ganz andere Ebene.

Der richtige Touch

Mit Karacho kommt das Hologramm einer blauen Scheibe auf Spieler eins zu geflogen. Seine eigene Scheibe nutzt er als Schild, wirft das Geschoss so zurück und schleudert im gleichen Moment seine eigene blaue Disk auf Spieler zwei. Einer der beiden kann er ausweichen. Die zweite trifft ihn direkt in den Oberkörper.

Das kenne ich doch! Tatsächlich gehört Arena zu den vier VR-Experimenten, die Adam Kraver aus CCPs Atlanta-Studio bereits auf dem Fanfest des vergangenen Jahres vorstellte. CCP Atlanta, das sind sieben Entwickler, die verblieben sind, nachdem CCP die Entwicklung eines Onlinerollenspiels zu World of Darkness eingestellt hatte. 2015 ließ mich gerade ihr damals noch Disc Arena genanntes Projekt allerdings vergleichsweise kalt, u.a. weil die von Kinect erfassten Körperbewegungen verzögert und ungenau ins Spiel übertragen wurden: Der Schild rutschte auf dem eigenen virtuellen Arm hin und her.

Kinect spielt in der aktuellen Version allerdings keine Rolle mehr und vielleicht liegt es ja daran, dass die Bewegungen mit überragender Präzision umgesetzt werden. Immerhin nutzen die Entwickler jetzt die von Oculus gebauten Touch-Controller in Verbindung mit dem Rift und mit denen entsteht ein ganz anderes Spielgefühl! Vive-Besitzer wissen

Sieht unspektakulär aus, wird aber schnell zum mitreißenden, physischen eSport!
längst, wie millimetergenau dafür konstruierte Controller die Bewegungen der Hände ins virtuelle Bild übertragen und auch auf dem HTC-Headset soll Project Arena laufen. Auf dem Fanfest wurde zumindest deutlich, dass Touch dem wohl in nichts nachsteht.

eSport: echter Sport

Und mit dieser Genauigkeit entsteht ein erstaunlich packendes Spielgefühl! Dabei ist es gerade die Einfachheit, die Arena in dem "Brawl" genannten Spielmodus eine große Dynamik verleiht. Sind beide Kontrahenten (Arena ist ein Onlinespiel für Zwei) nämlich erst einmal mit dem Ablauf vertraut, schmeißen sie sich die Scheiben zielgerichtet und mit hohem Tempo entgegen. Eine Art Zielhilfe lenkt die digitalen Frisbees dabei automatisch ein Stück in Richtung Gegner.

Ob man ausweicht, reflektiert oder auf den richtigen Augenblick für den eigenen Wurf wartet: Es erfordert Konzentration, gute Reflexe und schnelle, wenn auch kurze Bewegungen. So ist man schnell in einem mitreißenden, tatsächlich physischen Wettstreit – diese nahtlose Verknüpfung von gelebter Fiktion und echtem Sport hebt die Virtual Reality des Rift ähnlich wie manche Lighthouse-Anwendungen des Vive auf eine besonders vereinnahmende Ebene.

Ein echtes Werkzeug in der virtuelle Welt

Brawl zehrt aber nicht nur von der gelebten Sportlichkeit, sondern auch vom clever gestalteten Spiel. Den Schild öffnet man etwa per Tastendruck am entsprechenden Touch auf der linken oder rechten Seite. Vom Gegner zurückgeschleuderte eigene Scheiben werden außerdem zu gefährlichen Geschossen, denen man ebenfalls ausweichen oder die man auffangen sollte. Ein Schild steckt zudem nur drei Treffer ein – aufladen muss man ihn, indem man ihn auf den Gegner schleudert.

Das ist ein ausgesprochen elegante Idee: Der Schild ist die Scheibe. Man hantiert nicht wie ein klobiger Römer in einer Phalanx, links mit Schild und rechts mit Waffe, sondern mit einem vielseitigen Werkzeug, übergibt es aktiv mal von der rechten in die linke Hand und wägt ab, ob man es als Waffe einsetzt oder zur Verteidigung nutzt. Und weil das Werkzeug nicht verfügbar ist, während es in Richtung Gegner rauscht und zurück, ist man in dieser Zeit auf geschicktes Bewegen angewiesen, kann gegen einen erfahrenen Kontrahenten also nicht einfach stehen bleiben und abwehren. Das erhöht die Spannung enorm, denn in der virtuelle Realität fühlt es sich deutlich intensiver als auf einem Bildschirm an, wenn ein schnelles Geschoss heran rauscht! Im normalen  Spiel ist das Ausweichen dabei selten nötig, da sehr kleine Schilde am Handgelenk stets Schutz bieten. Im Pro-Modus sind diese allerdings gar nicht erst vorhanden: Für Könner wird dieser wohl auf lange Sicht die zentrale Spielweise sein.

Dass man dabei übrigens keine festen Objekte, sondern auch im Spiel lediglich digitale Scheiben schleudert, ist vielleicht der cleverste Kniff der Entwickler. Mir ist es anfangs nämlich gar nicht aufgefallen und erst viel später bewusst geworden, dass ich den physischen Widerstand in Arena nicht vermisse – genau so ist es im Vergleich zu anderen Spielen aber. Auf Nachfrage erfahre ich, dass Kraven und sein Team ihr Spiel tatsächlich genau deshalb als virtuelle Fiktion innerhalb der VR gestaltet haben: Der fehlende Rückstoß und andere Krafteinwirkungen aktueller VR fehlen einfach nicht, wenn der Kopf weiß, dass man es mit Objekten zu tun hat, die kein Gewicht haben.

Was Aufmerksamkeit erregt

Einem anderen Aspekt der Virtual Reality wird CCP Atlanta mit den detailliert gestalteten Sportgeräten, den so genannten Lancern gerecht, denn weil das Umsehen in der virtuellen Umgebung ein ganz anderes ist als in einem

Hat früher u.a. in Echtzeit digitalisiert und macht jetzt ein Spiel daraus: Adam Kraver.
herkömmlichen Spiel, kann man solche Geräte vor allem in Verbindung mit Touch und Vive-Controllern viel genauer unter die Lupe nehmen als in herkömmlichen Videospielen. Ich hatte Kraver darauf angesprochen, nachdem ich überraschend viel Zeit damit verbracht hatte, mir die Lancer aus unmittelbarer Nähe anzusehen und tatsächlich hat er mit seinem Team genau deshalb viel Arbeit in Details gesteckt.

Hält man vor dem Schleudern der Scheibe die dafür notwendige Taste gedrückt, kann man z.B. dabei zusehen, wie sich das Energiefeld aufbaut und das sieht nahe vor den Augen einfach cool aus. Schon der sich drehende, spielerisch unbedeutende Mechanismus unter dem Schild hat mich verblüffend lange fasziniert.

Die Umgebung haben die Entwickler hingegen bewusst einfach gehalten; schick, aber funktionell soll sie sein. Das erweckt zum einen wohlige Erinnerungen an Tron, soll zum anderen aber die Orientierung vereinfachen und dazu beitragen, dass das Spielgeschehen stets übersichtlich bleibt.

Fußballtennis

Das alles fällt auch in Volley auf, einer zweiten Spielart des futuristischen Diskuswerfens. In dieser greift man nicht den Kontrahenten an, sondern versucht die Scheibe hinter ihn zu spielen, quasi ein Tor zu schießen. Der Gegner muss also jeden Schuss reflektieren, so dass ein Hin-und-Her ähnlich Tennis entsteht – ein Netz in der Mitte des Spielfelds unterstreicht diesen Eindruck und wer die Disk direkt dort hinein schießt, schenkt dem Gegenüber einen Punkt.

Dass die Frisbees trotz des Netzes immer in Richtung des Kontrahenten fliegen, liegt an der in diesem Modus besonders starken Zielhilfe, die die Scheiben automatisch in die gewünschte Richtung lenkt. Man schmettert als rechts am Netz vorbei und die Flugbahn des Spielgeräts fliegt ganz von selbst kreisförmig um das Hindernis. Was merkwürdig klingt, funktioniert hervorragend, weil das Augenmerk so auf dem richtigen Reflektieren, nicht dem präzisen Schuss liegt. Richtung und Geschwindigkeit der ankommenden Scheibe machen es dem Gegner lediglich schwerer, das Spielgerät abzuwehren und genau das will man ja erreichen.

Der unerkannte Körpereinsatz

Im Schwung verbirgt sich momentan aber auch eine Schwäche und das gilt sowohl für Brawl als auch für Volley, denn wer sich mit ganzem Körper in eine ankommende Disk "wirft", schießt sie selten mit derselben Wucht zurück wie jemand, der aus dem Stand lediglich mit dem Handgelenk "schnipst". Ob Arena die Bewegung des kompletten Körpers weniger genau erkennt oder mir bisher einfach die Übung fehlt, kann ich nach dem bisher noch eingeschränkten Einblick nicht beurteilen. Mitunter wirkte das Übertragen aller Bewegungen jedenfalls störanfällig.

Abgesehen davon erkennt das System erstaunlich zuverlässig, welche Bewegung man ausführt, obwohl nur Kopf und Hände erfasst werden. Kraver schwärmte etwa von einem seiner Kollegen, der den Schläger des Volley-Spiels (der Lancer kommt nur in Brawl zum Einsatz) hinter dem Rücken entlang führt, um die Disk zu reflektieren, und dass das

"Knuckle up!": Vor dem Schlagabtausch gibt's das visualisierte "GL".
Programm diese Bewegung tatsächlich so darstelle, wie er sie ausführt. Ohne Kinect wird die Darstellung des Körpers dabei über die erkannten Bewegungen der drei Eingabegeräte annähernd berechnet – ich vermute, Kraven kommt hier seine Erfahrung im Motion-Capturing zugute, die er vor seiner Anstellung bei CCP in verschiedenen Studios gesammelt hatte.

Weil Riesen Zwerge stören

Noch ist Project Arena natürlich genau das: ein Projekt, kein voll entwickeltes Spiel und wie dessen Zukunft aussieht, muss CCP erst noch entscheiden. So konnte Kraver auch nicht sagen, ob es neben Brawl und Volley weitere Spielvarianten geben wird. Die Entwickler spielen wohl mit Ideen, derzeit gebe es aber nur die zwei vorgestellten Varianten.

Einen Ausblick ließ sich Kraver allerdings entlocken, denn während man in der auf dem Fanfest vorgestellten Version auf einem von in allen Richtungen scheinbar unendlichen Podesten steht, könnten auf anderen Podesten weitere Spieler stehen. In der Mitte jeder aktiven Plattformen befände sich dann eine Miniaturarena, in der die zwei aktiven Kontrahenten ihr Duell austragen und was für die anderen winzig sei, erscheine den Kämpfern als normale Größe. Die Zuschauer wären in ihren Augen also Riesen.

Und diese Riesen könnten sich nicht nur untereinander hören, sondern auch mit den Spielern sprechen. Sie könnten außerdem ihre großen Köpfe in die Arenen stecken – um den Gegner ihres Favoriten zu irritieren oder einfach nur herumzualbern. Die Köpfe würden je nach Position natürlich ausgeblendet, damit Disk und Spieler stets sichtbar sind. Das alberne Ablenken würde aber schon jetzt funktionieren und sorgt bei CCP Atlanta offenbar für unterhaltsame Stunden.

Ausblick

Project Arena geht es wie vielen für die Virtual Reality entwickelten Spielen: Schaut man sich das Frisbee-Werfen nur an, wirkt es profan. Erinnerungen an Wii und Kinect Sports werden wach, die eine Weile witzig waren, aber nie lange begeistern konnten. Ich verspürte jedenfalls nie den Wunsch, eins dieser Bewegungsspiele nach einem ersten Ausprobieren noch einmal anzufassen. Auf Arena, oder wie auch immer ein aus dem Projekt entwachsenes Spiel heißen mag, bin ich allerdings gespannt, weil das Abtauchen in den futuristischen Sportplatz und die hohe Präzision beim Hantieren mit Oculus Touch und sicherlich auch den Vive-Controllern vor allem das an Tron-Wettkämpfe erinnernde Brawl zu einem ungewöhnlich vereinnahmenden Erlebnis macht. Man bedient eben nicht nur ein bewegungssensitives Gamepad, sondern steckt mittendrin und hantiert mit einem gefühlt echten Werkzeug. Es macht sich bezahlt, dass CCP so intensiv im Bereich der Virtual Reality experimentiert: Project Arena könnte sich zu einem kleinen Highlight entwickeln!

Einschätzung: gut

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