Steep09.11.2016, Dieter Schmidt
Steep

Vorschau: Das Spiel geht steil!

Nachdem sich SSX 2012 trotz guter Wertungen eher mäßig verkauft hatte, gab es kein ernstzunehmendes Snowboard-Spektakel mehr. Zwar haben die Indie-Entwickler mit Snow oder Mark McMorris Infinite Air nachgelegt, jedoch haben die großen Publisher bezüglich Snowboardspielen kalte Finger bekommen. Ubisoft scheut keine Risiken und unternimmt mit Steep (ab 4,25€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) den Versuch, das vergessene Genre wieder in Schwung zu bringen.

Simpel, aber dennoch fordernd

Und es hat sich gelohnt! Nach drei Stunden im virtuellen Schnee kann man eines schon festhalten: Steep will nicht ein realistisches Bild der Sportarten Snowboard, Ski, Wingsuit und Paragliding abbilden. Es vermittelt dagegen dank einer gut funktionierenden Steuerung ein fantastisches Gefühl, in den Bergen unterwegs zu sein. Während HB Studios mit Mark McMorris Infinite Air versucht hat, skate nachzueifern und damit gescheitert ist, wählen die französischen Entwickler aus der alpinen Stadt Annecy einen ganz anderen Weg. Sie wollen ihre Leidenschaft für die Berge auch denjenigen Spielern näherbringen, die sich nicht jedes Jahr die Hänge hinunterstürzen. Die Trickkiste ist überschaubar und Rotationsbewegungen lassen sich sehr simpel auflösen. Die Schwierigkeit liegt in einem ganz anderen Bereich: Der Anfahrt. 

Steep bietet eine simple aber dafür sehr passende Steuerungsmechanik an.
Zwar werden sich Trickbegeisterte auch schwer ins Zeug legen, um bei späteren Trick-Herausforderungen die Punktzahlen für eine Gold-Medaille zu sichern,  jedoch wird man hier eher zu einer vorausschauenden Planung gezwungen: Wie und mit welcher Geschwindigkeit fahre ich was an, um anschließend welches Obstacle fahren zu können? Annehmbare Tricks schafft dabei jeder. Ein gewisses Timing beim Absprung am Kicker ist dennoch gefragt: Wer hier das Zeitfenster verpasst, wird sich nur langsam drehen. Dafür kann man die schönen Animationen durch ein Tweaken (Verdrehen des Körpers) verfeinern. Kurz gesagt: Jeder kann hier was reißen und Trickbegeisterte können mit dem rechten Analogsticks andere Grabs sowie Rodeo-Drehungen einleiten, sind aber eher mit Absprungwinkel und Geschwindigkeitskontrolle gefordert. Außerdem wirken G-Kräfte: Wer unsauber landet oder zu krasse Sprünge einleitet, wird quasi „angezählt“ und kann erst nach einer Abklingzeit wieder die nächsten Sprünge angehen. 

Das Maximum an Realvorlage

Wer wie ich seit über 20 Jahren im Schnee unterwegs ist, wird mit Steep magische Momente erleben.
Meine anfängliche Sorge der etwas schwammigen Steuerung hat sich schnell in Luft aufgelöst. Man schraubt dem Spieler hier eine Mechanik unter die Füße, die ein stimmiges Gefühl vermittelt, setzt dafür aber in den Herausforderungen auf ein gutes Leveldesign und entsprechend ausgearbeitete Kurse. Die Rennstrecken sind anspruchsvoll und schlängeln sich durch Dörfer, Wälder mit dichten Bäumen oder tödliche Hangabfahrten mit gigantischen Rockdrops (Abfahrten über steile Kliffs). Auch ohne die fantasievollen Strecken eines SSX wird hier Rennspaß durch ein realistisches Setting verbreitet. Die Freestyle-Herausforderungen sind ebenfalls sehr unterschiedlich. Von klassischen Funparks, über Tiefschneegebiete bis hin zu fantastischen Abbildern des Red Bull Ultra Natural-Contests, dessen Strecke in einem von Tannen bewachsenen Hang gehämmert wurde. Auch Backcountry-Fahrer kommen voll auf die Kosten. Da stehe ich auf dem Gipfel, sehe irgendwo in weiter Ferne nur eine leuchtende Säule. Mein Auftrag: Unter fünf Minuten das Ziel erreichen, ohne irgendeine Vorgabe. Denn ansonsten gibt man dem Spieler (leider etwas zu oft) immer eine weiße Linie als Orientierungspunkt zur Hand. In den Tiefschnee-Herausforderungen heizt man einfach drauf los und muss im unterschiedlichen Terrain über mehrere Anläufe seine perfekte Route finden. Gepaart mit der Musik von Coldplay und einer untergehenden Sonne, hat Steep eine Sehnsucht nach den Bergen in mir hervorgebracht und mich derart emotional berührt wie kaum ein anderes Snowboard-Spiel zuvor.  Das wird andere Spieler unter Umständen kalt lassen. Aber irgendwie kann ich mir das angesichts der gewaltigen Naturdarstellung kaum vorstellen.  

Durch die Luft

Auch die Steuerung der Flugdisziplinen geht flockig von der Hand.
In den beiden anderen Luftdisziplinen Wingsuit und Paragliding versucht man ebenfalls situative Spannungsmomente zu erzeugen. Beim Gleiten durch die Lüfte per Schirm sollte man Aufwinde an Berghängen einkalkulieren und kann Abkürzungen durch Wälder nehmen, muss dann aber auf die Baumwipfel achtgeben. Beim Wingsuit inszeniert man die außergewöhnliche Action, die man aus YouTube-Videos kennt: Enge Schluchten und Löcher sind stets Teil der Strecken. Und auch wenn sich die Geschwindigkeit hier in Grenzen hält, muss man in den beiden Disziplinen feinfühlig mit dem Analogstick umgehen, liegt doch der „Sweet-Point“ für eine ruhige Fahrt zwischen dem Ruhepunkt des Sticks und dem Anschlag. Beide Formen der Fortbewegung sind auch elementarer Bestandteil, um neue Gipfel als Startziel freizuschalten, die man vorher im Fahren oder durch die Ferngläser für sich entdeckt hat. Hier habe ich mir ehrlich gesagt etwas mehr erhofft. Ganz bequem wird hier in Ubisoft-Manier das Gebiet mit einer blinkenden Fläche gekennzeichnet, in der man einfach landen muss. Fertig. Und auch ein unglaubliches Kantenflimmern bei geringen FPS in der Weitsicht, Clippings, das langsame Gehen der Fahrer und eine etwas unglückliche Kamerastellung, die sich hin und wieder hinter dem Fahrer positioniert und die Abfahrt verdeckt, sind kleine aber verschmerzbare Negativpunkte. Die Clippings durch Tannenzweige sind durchaus gewollt und würden den Spielspaß arg eingrenzen und Creative Director Igor Manceau versicherte mir auf dem Anspielevent, dass man auch ein Laufen der Fahrer einbauen wird, was manchmal unerlässlich ist, um den richtigen Startpunkt zu wählen.

Ausblick

Die gute Nachricht gleich vorweg: Steep bewegt sich in die genau richtige Richtung. Statt überfrachteter Steuerung bieten die Franzosen eine einfache Handhabung bezüglich der Tricks und der Boardkontrolle an, dafür werden Trickster mit Punktejagd und einem grandiosen Parkdesign gefordert. Überhaupt hat es mich gewundert, wie man so viele spannende Herausforderungen in die Realvorlage der französischen Alpen bauen kann, ohne in ein Fantasiegebilde abzurutschen. Die Challenges in Rennen, Slopestyle, Tiefschnee, Paragliding und Wingsuit haben mich sofort dazu animiert, auf Goldmedaillenjagd zu gehen - ein gutes Zeichen! Und die Bergwelt von Steep wird auch noch ganz unüblich durch ein Gratis-Alaska-DLC sowie weitere noch nicht konkretisierte Sportarten erweitert. Man hat auch versucht, die Punkte- und Zeitjagd durch größere Events, Videoeinspieler und Aufgaben aufzulockern. Hier muss man fünf bestimmte Vorgaben lösen, die hin und wieder das Geschick herauskitzeln, wenn man z.B. über Dächer springen muss, um die Aufgabe zu lösen. Dennoch wirkt die „Geschichte“ rund um den Aufstieg des Fahrers extrem oberflächlich – wie zu erwarten. Seit dem Karriere-Modus in FIFA sollte man diesen Aspekt aber für einen möglichen zweiten Teil im Auge behalten. Steep befindet sich trotzdem auf Awardkurs. Ob man jedoch die Langzeitmotivation lang genug aufrechthalten kann, wird sich im finalen Test zeigen. Und hier dürfte noch ein wesentlicher Aspekt ausschlaggebend sein: Die Herausforderungen, die ich meinen Kollegen schicken werde (und die sie nie brechen werden). Auf der negativen Seite fehlt nach wie vor eine Rail-Mechanik  und kleine grafische Aussetzer stören vereinzelt das Gesamtbild. Dennoch schaue ich verträumt dieses Berggemälde an und es zaubert mir ein breites Grinsen in das Gesicht.

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