State of Mind14.06.2016, Jan Wöbbeking

Vorschau: Futuristisches Drama

Daedalic wagt einen Schritt in die Zukunft, und zwar in zweierlei Hinsicht: Der Thriller State of Mind (ab 8,64€ bei kaufen) spielt nicht nur in einer dystopischen Zukunft des Jahres 2048, sondern wird auch das erste große 3D-Adventure des Studios in einer offenen Welt. Ist Konkurrenz für Vorbilder wie Life Is Strange im Anmarsch?

Auf der Suche

„Es startet als Familiendrama, doch später merkt man, dass es sich um ein weltweites Drama handelt“, erklärt Kai Fiebig, der auch Blackguards 2 als Senior Producer betreute und mit seinem aktuellen Spiel erforschen möchte, in welche Richtung uns die Zukunft führen könnte. Im Jahr 2048 wird der Alltag in „Neo-Berlin“ noch viel stärker von Technik dominiert als heutzutage. Die erste Hauptfigur Richard Nolan hält allerdings nicht sonderlich viel von den allgegenwärtigen Hologrammen, Virtual- und Augmented-Reality-Systemen. „Sämtliche Technik aus dem Spiel ist tatsächlich in der Mache. Es stellt sich allerdings die Frage: Was sind die Konflikte, die daraus entstehen? Und will ich das überhaupt?“, ergängt Fiebig.

Unterhaltung mit dem Hausroboter gefällig?
Im Laufe des Abenteuers erkundet man mit mehreren spielbaren Charakteren die offene Welt – inklusive direkter Controller-Steuerung aus der Schulterperspektive. Dort erwarten den Spieler zahlreiche Entscheidungen, welche die Handlung ein wenig in unterschiedliche Richtungen lenken. Außerdem gibt es Schleich-Passagen, komplexe Hacking-Puzzles mit drehbaren Datenzylindern sowie Rätsel-Sequenzen, bei denen man mit Hilfe spezieller Headsets in eine Erinnerung einsteigt. Bei Letzterer läuft man durch eine psychedelisch blitzende Szenerie und muss Teile eines Zimmers durchschalten, bis ihre Reihenfolge der Fragmente stimmt und die Erinnerung komplett ist.

Vielschichtige Aufgaben

Als Belohnung gelangt man zurück in die reale Welt und gewinnt eines der Puzzleteile, die offenbar nach und nach die verlorenen Erinnerungen zurückbringen und Fragen der Geschichte aufklären. Hinter dem für Daedalic untypischen Open-World-Spiel steckt Martin Ganteföhr, der u.a. The Moment of Silence und Overclocked entwickelt hat. Beim Design haben sich die Entwickler nach ein paar verworfenen Experimenten im Bladerunner-Look für einen eckigen Stil entschieden, der von der Unreal-Engine zum Leben erweckt wird.

Diesmal wagt sich Daedalic an eine verhältnismäßig große offene Welt.
Richard verdient sein Geld mit kritischem Politjournalismus bei der Publikation „The Voice“ und gerät in der heruntergekommenen Betonwüste durch familiäre Probleme und eine Romanze in Schwierigkeiten. Die zweite Hauptfigur Adam lebt dagegen in einer paradiesisch-elitären Gesellschaft und verfasst Artikel für ein Boulevardmagazin. Richard hat am Anfang des Spiels einen Unfall. „Beiden fehlt etwas“, deutet Fiebig an, will aufgrund der Spoiler-Gefahr aber noch nicht näher ins Detail gehen. Vorsicht übrigens vor der offiziellen Ankündigung, denn dort wird der erste Story-Twist gleich vorweggenommen. Im zweiten Kapitel z.B. macht sich der Spieler auf die Suche nach der verschollenen Familie. „Adam hat auch Lücken, also versuchen beide, gegenseitig diese Lücken zu füllen“, fügt Fiebig hinzu. Auch eine geheimnisvolle Marskolonie soll dabei eine Rolle spielen.

Der Ton macht die Musik

„Das Gameplay bewegt sich stark an der Story“, erklärt Fiebig. So musste ich beim ersten Anspielen z.B. bestimmen, wie Journalist Richard eine Kolumne verfasst. Mit jedem Glas Alkohol wird der Ton zunächst melancholischer und ironischer, dann schließlich regelrecht agressiv – was entsprechende Auswirkungen auf die Welt und die zahlreichen Abzweigungen der Geschichte nehmen soll. Je nachdem wie er sich im Text positioniert, ist es beispielsweise leichter, mit Widerstandsgruppen oder Hacker-Organisationen aus dem Untergrund Kontakt aufzunehmen. Als der Sohn nicht einschlafen kann, stehen mir ebenfalls ein einige Optionen zur Verfügung: Gebe ich den liebevollen Papa oder bringe ich dem Nachwuchs bei, sich in seinem Alter mal ein wenig zusammenzureißen? Ein großes Hologramm-Aquarium mit seinen Lieblingsfischen scheint ihn zumindest schon einmal etwas zu beruhigen.

Neben Schleichsequenzen gibt es auch Schießereien, in denen man bewaffnete Drohnen und Geschütze übernimmt.
Auch auf eine der Schleich-Passagen konnte ich einen frühen Blick werfen. Sie bauen stark auf Manipulation von Kamera-Systemen und Roboterwachen. Dabei ist es den Entwicklern wichtig, dem Spieler das Hacken nicht zu einfach zu machen. Statt einem schlichten Minispiel gibt es also ein komplexeres ausgelagertes Puzzle, bei dem man offenbar Code-Fragmente zurecht dreht, bis man das Rätsel geknackt hat. Ähnlich wie in Watchdogs 2 lassen sich auch Vehikel hacken, so dass man z.B. eine Polizeidrohne kapern kann. Nach der Übernahme bewaffneter Technik kommt es also zu Schießereien. In einer klassischen Geschütz-Sequenz z.B. "zappt" man Drohnen weg.

Ungewohnte Offenheit

Als ich von all den unterschiedlichen Aufgaben in der offenen Welt erfuhr, formte sich in meinen Gedanken schnell die Frage, ob man sich nicht darin verliert. Man kan sich schließlich frei in der für Adventure-Verhältnisse ziemlich großen Stadt bewegen, in der an auch ein geräumiges Flughafengelände erkundet. „Man muss nicht immer hin- und herlaufen“, erklärt Fiebig, „oft reicht das Videotelefonat mit einem Questgeber, der dann als Hologramm vor einem auftaucht.“ Außerdem wolle man den Spieler durch entsprechendes Missionsdesign an wichtige Punkte lenken. Man kann sich allerdings auch auf manigfaltige Weise ablenken, da sich allerlei Dinge in der Welt manipulieren lassen. So kann man z.B. in der eigene Wohnung Klavier spielen, futuristische Haushaltsgeräte bedienen oder sich mit dem Haushaltsroboter zanken.

Ausblick

State of Mind hat mich wirklich überrascht: Einen derart vielschichtigen Genremix hätte ich vom auf klassische Adventures und Taktik fokussierten Hersteller Daedalic nicht erwartet. Schön, dass die Hamburger sich an ein großes, für sie neuartiges Projekt wagen. Ich bin allerdings noch skeptisch, ob die zahlreichen Spielmechanik-Fragmente in der weitläufigen offenen Welt letztendlich ein homogenes Abenteuer ergeben. Vielleicht liegt es daran, dass mich die von gleißenden Neonlichtern durchzogene Szenerie immer wieder an Dreamfall Chapters erinnerte, welches sich trotz interessanter Ansätze verzettelt hatte. Daedalic traue ich bei der Umsetzung aber deutlich mehr Professionalität zu als Red Thread Games. Das futuristische Szenario und die mit der Technik verbundenen Fragestellungen der Geschichte gefallen mir bereits. State of Mind erscheint im ersten Quartal des kommenden Jahres für PC, PlayStation 4, Xbox One und Mac.

Einschätzung: befriedigend

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