Wolfenstein 2: The New Colossus11.08.2017, Marcel Kleffmann
Wolfenstein 2: The New Colossus

Vorschau: Terror-Billy gegen das Regime

B.J. Blazkowicz trifft The Man in the High Castle. In Wolfenstein 2: The New Colossus hat das Regime, wie es in der deutschen Version heißt, Nordamerika unterjocht. Doch der kunterbunte Widerstand und allen voran "Terror Billy" versuchen alles, das "Land der Freien" von der Schreckensherrschaft zu befreien. Wir haben den Nachfolger von Wolfenstein: The New Order angespielt, cineastische Zwischensequenzen betrachtet und scharenweise Regime-Soldaten über die Wupper geschickt.

Mit dem Rollenstuhl gegen das Regime

Wolfenstein 2: The New Colossus (ab 4,30€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) spielt mehrere Monate nach Wolfenstein: The New Order und zufälligerweise erwacht Serienheld B.J. Blazkowicz genau aus seinem Koma, als das Rebellenschiff vom Regime angegriffen wird. Regime? Was denn für ein Regime? In der deutschen Version werden Begrifflichkeiten aus dem Dunstkreis des Nationalsozialismus nicht verwendet, stattdessen ist von dem Regime die Rede, dem der "Kanzler" und nicht der "Führer" vorsteht. Entsprechende NS-Symbole und Propaganda fehlt bzw. ist wie bei The New Order oder The Old Blood ersetzt worden.

Reihenweise zerplatzen Regimesoldaten in einer Zwischensequenz.
Nach dem Angriff auf das Rebellenschiff schwingt sich Blazkowicz als harte, fast unkaputtbare Kampfmaschine in den nächstbesten Rollstuhl und stellt sich den Angreifern entgegen - mit Knarre im Anschlag und maximal 50 Gesundheitspunkten, die sich temporär durch Healthpacks anheben lassen. Türschwellen sind kein Hindernis, nur bei Treppen hört es auf, aber zum Glück gibt es an Bord praktische Maschinen und Fließbänder, die sich als Transport- oder Aufzugalternative anbieten. Stellenweise ist es schon kurios bis absurd, wenn Blazkowicz mit einem Krankenhemd in einem klapprigen Rollstuhl über ein Fließband gekarrt wird und mit vollem Rohr die feindlichen Soldaten von der Bildfläche pustet und auf Explosivzeugs feuert. Sehr gut ist übrigens, dass man im Vergleich zum Vorgänger auf dem Boden liegende Waffen oder Munition automatisch einsammelt, anstatt sie umständlich „benutzen zu müssen“. Das ist gut für das Spieltempo. Sachen aus Kisten oder Regalen müssen hingegen „benutzt“ werden.

Zwischen Slapstick und Ernst

Im metallenen Schiffsbauch findet man an den Wänden immer wieder obskure elektrische Anlagen, die Regimesoldaten bröckchenweise verdampfen. Diese wurden von einem Wissenschaftler des Widerstands installiert, der in einer filmreifen Zwischensequenz erklärt, was aus Anya (Frau von Blazkowicz), Caroline und Co. geworden ist, während im Hintergrund Regimesoldaten regelmäßig zerbrutzelt werden.

Der erste Auftritt von Frau Engel ... und eine Kampfansage an Terror Billy
Manche Soldaten versuchen, durch das Energiefeld zu spurten, andere versuchen es auf Zehenspitzen, werden aber trotzdem in ihre Bestandteile aufgelöst, was beinahe Slapstick-Züge annimmt. Solche humoristischen oder satirischen Passagen kommen häufiger vor und lockern das Geschehen auf. Auf die Idee, das Energiefeld bzw. die Gerätschaften an der Wand zu zerstören, kommen die nicht ganz so hellen Regime-Soldaten übrigens nicht.

Die Energiefallen kann man sich im weiteren Level-Verlauf zunutze machen, da sie sich mit Schaltern an-/ausschalten und als Falle für die Feinde nutzen lassen. Man kann die Gegner also mit der Bleipuste ausschalten oder sie in die Fallen locken oder beides …

Frau Engel macht ernst

Wolfenstein 2: The New Colossus wird laut Publisher Bethesda gemäß den in Deutschland geltenden rechtlichen Beschränkungen für die Verwendung von Inhalten mit Bezug zum Nationalsozialismus und Neo-Nazi-Organisationen, die in der Vergangenheit u. a. als Verstöße gegen §86 des deutschen Strafgesetzbuches ausgelegt wurden, mit inhaltlichen Anpassungen in Hinblick auf die NS-Propaganda und -Symbolik erscheinen. In Österreich und Deutschland wird die gleiche Version erhältlich sein. Darüber hinaus wird es nicht möglich sein, die englische Sprachausgabe in der deutschen Version zu aktivieren!
Am Ende des Levels verlässt man das Schiffsinnere und kann alsbald einen Blick auf die „Ausmerzer“ erhaschen. Doch der Kampf der Rebellen gegen die Regime-Soldaten ist aussichtslos. Selbst der retrofuturistische Maschinenanzug hilft der Anführerin nicht. Die Rebellen werden festgesetzt und dann betritt Frau Engel die Bühne. Obgleich nicht alle Dialogpassagen überzeugen können, (gerade das Gesülze mit „dem Kopf von seinem Körper befreien“ fällt in dieser Hinsicht auf), ist die Inszenierung des Geschehens erstklassig, angefangen damit, dass zu Beginn durch geschickt gewählte Kamerawinkel stets versucht wird, das Antlitz von Frau Engel zu verbergen, um sie gekonnt als Antagonistin zu etablieren. War die letzte Zwischensequenz mit den Elektrofallen eher witzig, geht es in dieser Passage todernst zur Sache, zumal die sadistische Frau Engel mit ihrer beleibten Tochter Sigrun hart ins Gericht geht und ihre Überzeugungen offen infrage stellt. Sigrun wiederum ist von der ganzen Lage völlig überfordert.

Freie Erkundung vor Roswell

Der Eindruck, dass Machine Games die gewohnte Mischung aus Shooter-Passagen und langen Zwischensequenzen in The New Colossus beibehält, bestätigt sich in einem anderen Level, das ungefähr aus der Mitte der Story-Kampagne stammt. Ziel in diesem Roswell-Level es, eine in einem Feuerlöscher versteckte Atombombe in einer unterirdischen Forschungsanlage zu platzieren, um so den Führungsstab auszuschalten. Dazu muss sich der als Feuerwehrmann verkleidete Blazkowicz zunächst mit einer Kontaktperson in Joe’s Diner treffen - und zwar ausgerechnet am Jahrestag der Machtübernahme des Regimes in den USA. Während der feierlichen Parade darf man sich in einem etwas (Betonung auf "etwas") weitläufigeren Level frei umschauen, einen Blick auf das Buch „Victory“ von Frau Engel werfen und den mal mehr oder weniger gelungenen Gesprächen der Statisten lauschen, wobei die Vertonung laut Bethesda nicht final sei.

In Wolfenstein 2 hat das Regime die Kontrolle über die Vereinigten Staaten übernommen, vergleichbar mit dem Szenario aus The Man in the High Castle.

Dieses überschaubare, begehbare Areal bietet spielerisch wenig Möglichkeiten zur Interaktion, unterstreicht jedoch die Stimmung und die Atmosphäre enorm, denn die retrofuturistische, faszinierende, alternative Vergangenheit à la The Man in the High Castle lebt von der Detailverliebtheit, der schicken Kulisse sowie von kreativen Einfällen.

Im Diner folgt die nächste, drei Minuten lange, hochklassige Zwischensequenz, in der eine scheinbar von Hans Landa (Inglorious Basterds) inspirierte Figur den Geschehnissen sowie der Erdbeermilch auf den Grund geht. Nur am Ende verhält er sich etwas dämlich und unglaubwürdig. Im Anschluss an diese Cutscene geht es mit der nächsten, sechs Minuten langen Zwischensequenz weiter, in der ein „klischeehafter“ Area-51-Verschwörungstheorethiker neben vielen wirren Worten die eigentliche Mission erklärt. Obgleich dieses Video schön inszeniert ist, konnte die Sequenz nicht so sehr mitreißen. Sie war zu langgezogen und kam nicht auf den Punkt. Übrigens: Die meisten Einspieler ließen sich abbrechen, bis auf die Erdbeermilch-Szene.

Mit dem Raketenzug nach Roswell

Nach dem Erkundungsausflug und den beiden Cutscenes konnte es (endlich) losgehen. Durch einen Erdtunnel schlägt sich Blazkowicz zu einem unterirdischen Bahnhof eines Raketenzuges durch und hier zollte die frühe Version ihren Tribut, da der Charakter an einer Stelle im Stollen steckenblieb. Ich durfte das Level erneut spielen durfte, inkl. der unabbrechbaren Erdbeermilch-Zwischensequenz und der abbrechbaren anderen Verschwörungstheoretikersequenz. Gut: Optionen zum Schnellspeichern und Schnellladen sind diesmal vorhanden. Dafür liegen die automatischen Kontrollpunkte etwas weiter auseinander.

Die Gewaltdarstellung wurde im Vergleich zur internationalen Version bisher nicht verändert und ist stellenweise sehr blutig. Auch Gliedmaßen können abgetrennt werden.

Action oder Schleichen?

Nach den fast schon ausufernden Zwischensequenzen darf man als Blazkowicz wieder ordentlich austeilen. Den Bahnhof des Raketenzuges nach Roswell kann man auf die harte oder auf die leise Tour säubern. Als Verfechter der harten Tour ballert man sich einfach mit maximaler Feuerkraft, zwei unterschiedlichen Waffen pro Hand (Akimbo) und einem beinahe an DOOM erinnernden Tempo durch die Regimehorden. Sollte ein ranghoher Aufseher mitbekommen, was da passiert, schlägt er Alarm und dann kommen viele, nein: wirklich viele Soldaten aufmarschiert, die es ebenfalls auszuschalten gilt. Alternativ kann man die Gegner leise ausschalten, zum Beispiel mit einer schallgedämpften Knarre oder mit einer Axt im höchst effektiven Nahkampf. Letztere kann auch beim Lehnen um die Ecke geworfen werden. Im Idealfall meuchelt man sich bis zum Anführer durch, dessen Entfernung und Position praktischerweise angezeigt wird, und entledigt sich anschließend der restlichen Bagage - was einfacher gesagt als getan ist, schließlich lassen sich ausgeschaltete Gegner nicht wie bei Dishonored oder anderen Schleichspielen verstecken. Zudem sind die Feinde hellhörig. Zumindest in diesem Level bot sich eine Mischung aus beiden Vorgehensweise an, wobei man sich auch lauthals zum Aufseher vorkämpfen und einfach alles ausschalten konnte. Old-School-Shooter Feeling pur!

Hat man sich bis zum Raketenzug vorgekämpft und das Gefährt gestartet, geht es an Bord weiter. In hohen Tempo rast der Zug durch einen Tunnel und Blazkowicz kämpft sich im und auf dem Zug bis zum Führerstand durch, stellenweise auf engstem Raum und mit Regimesoldatenstau in den Gängen. Bis dahin dürfen normale Regime-Soldaten, dick gepanzerte Schergen mit Doppel-Laserkraftwerk, mechanisch verstärkte Superhunde und an Terminatoren erinnernde Kampfroboter bekämpft werden. Am Zielbahnhof geht es weiter zur Kommandozentrale, bis die Atombombe stilecht in einem Ufo platziert werden kann.

Sieben Schwierigkeitsgrade werden geboten.
Danach folgen ein Zwischenendboss, der sich komplett umgehen lässt und ein Zwischenspurt zur Evakuierung.

Verbesserungen des Helden

Im Laufe der Story-Kampagne kann Blazkowicz in drei Bereichen verbessert werden. Je nach Spielweise wird er stärker in Sachen Heimlichkeit, Chaos oder Taktik. Gleichermaßen können die Waffen individuell mit Ausrüstungsupgrades angepasst werden. So lassen sich Munitionskapazitäten, Schaden und Laustärke zum Beispiel bei der Pistole verändern. Das Sturmgewehr kann man zu einem panzerbrechenden Scharfschützengewehr ausbauen und das MG wird zum Nagelwerfer mit erhitzten Projektilen. Das Dieselkraftwerk kann übrigens explosive Kanister verschießen, die an Gegnern oder Wänden haften bleiben und sich per Fernzünder in die Luft jagen lassen.

Ausblick

Machine Games baut bei Wolfenstein 2: The New Colossus konsequent auf die Stärken von Wolfenstein: The New Order. So gibt es wieder reichlich, teils sehr lange Zwischensequenzen, die hervorragend inszeniert wurden und mit starken Animationen punkten. Jedoch konnten nicht alle Cutscenes mitreißen, was eher am Drehbuch, der Figurenzeichnung oder den Dialogen und nicht an der Inszenierung lag. Während die Einführung von Frau Engel und die Erdbeermilchszene klasse sind, kommt das Video mit dem Verschwörungstheoretiker irgendwie nicht auf den Punkt. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Timing, die Qualität der Zwischensequenzen und die Charakterzeichnung insgesamt präsentieren werden, gerade weil versucht wird, sowohl Satire mit Slapstick-Einlagen als auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem faschistischen Unterdrücker aufzubieten. Punkten kann Wolfenstein 2: The New Colossus mit einem faszinierenden Szenario, das detailverliebt umgesetzt wurde und an manchen Stellen lobenswerten Freiraum zur Erkundung bietet. Einen wirklich guten Eindruck hinterließen die Action-Passagen nach Oldschool-Shooter-Bauart, die diesmal eine Spur zügiger ablaufen, da das Aufsammeln von Gegenständen jetzt weitgehend automatisch passiert. Waffenarsenal, Upgrademöglichkeiten und Gegneraufgebot wirken stimmig und gut, wobei man wieder zwischen der Brachial-Actionmethode und einer Stealth-Mechanik lite wählen darf. Und wenn Machine Games jetzt noch mehr kreative und überraschende Level-Konzepte aus dem Hut zaubert wie z.B. die angespielte Fahrt auf einem Raketenzug, könnte Wolfenstein 2 der Auftakt zu einem erstklassigen Shooter-Herbst werden.

Einschätzung: gut

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