Witch It12.04.2018, Jan Wöbbeking

Vorschau: "Bestes Deutsches Spiel"

Es kommt nicht oft vor, dass ein Titel derart abräumt: Ganze drei Preise hat sich das Versteckspiel Witch It beim Deutschen Computerspielpreis gesichert (Hauptpreis, Jugendspiel und Internationales Multiplayer-Spiel - Glückwunsch ans Hamburger Team Barrel Roll Games!) - und damit sogar Publikums-Favoriten wie Elex ausgestochen. Grund genug für uns, auch einen Blick auf den Titel zu werfen.

Klein aber oho?

Echt jetzt? Witch It ist mehrfacher Gewinner des Deutschen Computerspielpreises? Das unscheinbare bunte Versteckspiel, das seit Monaten in unserer Liste mit Early-Access-Keys herumlungert? Bei der Masse an Anfragen werden solche kleinen Multiplayer-Titel leider oft von größeren Themen verdrängt. Nach den drei Auszeichnungen und sehr positiven Nutzerwertungen auf Steam haben wir auch mal ins verhexte Versteckspiel hineingeschnuppert. Das Prinzip orientiert sich an Shooter-Modi wie „Prop Hunt“ aus Garry’s Mod. Passend zur erfrischenden Bescheuertheit der Half-life-2-Erweiterung konnte man sich damals in alle möglichen Gegenstände verwandeln: Im Handumdrehen polterte man als Fass, Stuhl oder ein anderes Objekt durch die Welt, während man von einem Spieler mit der Bleispritze gesucht und gejagt wurde.

Dieser Seestern ist aufgeflogen!
Witch It verlegt das Prinzip in eine Welt, in der es dank Magie mehr Sinn ergibt: Ein Team steuert relativ klassisch designte Hexen, die sich durch Zauberkraft in jegliche „Props“ verwandeln können, die ihnen in der kurzen Versteckphase in die Quere kommen. Besonders cool dabei ist, dass man (mit der entsprechenden Fähigkeit) auch als Gegenstand durch die Luft schweben kann. Ihr wolltet schon immer mal eine Verfolgungsjagd als fliegende Pizza gewinnen? Hier ist euer Spiel!

Völlig von der Rolle

Als Kugelspielfan habe ich mich besonders gerne in Orangen, Wasserbälle und dergleichen verwandelt, um wie in Marble Blast Ultra oder Marbles! Balance Challenge über schmale Balken zu kullern. Da Gurkenfässer, Äpfel oder massive Marktschränke alle unterschiedlich geschmeidig bzw. träge durch die Botanik holpern, bringt das eine angenehme Abwechslung in die Verfolgungsjagden. Das Gegner-Team besteht aus dickwanstigen Jägern. Sie klopfen die Umgebung nach versteckten Hexen ab und geben dabei alberne Geräusche von sich. Die Formulierung „abklopfen“ habe ich bewusst gewählt, denn als Jäger schleudert man mit dem Fadenkreuz im Sekundentakt Kartoffeln auf alles am Wegesrand, das in Wahrheit eine verwandelte Hexe sein könnte.

Eins zwei, drei vier Eckstein: Trotz Einsatz der Unreal Engine sind hier leider nicht nur die Steine eckig. Manche Designentscheidungen wie grobe Minecraft-Pixel wurden aber vermutlich absichtlich getroffen. Aus der Luft wirkt das Panorama jedenfalls idyllisch.
Ab und zu fängt dann tatsächlich eine Blumenvase oder eine Melonenscheibe an zu kreischen, was mit einem befriedigenden „Hab dich!“-Gefühl die folgende Hetzjagd einleitet. Das Hin und Her auf den überschaubaren Karten führt an Strandhügeln vorbei, durch kleine Schlösser oder in verwinkelte Verstecke auf dem Dach. Am besten gefallen hat mir der Irrgarten, in dem ich ein paar Jäger mit ein paar schnellen Haken regelrecht in den Wahnsinn getrieben habe. Grafisch hält sich meine Begeisterung dagegen in Grenzen: Das Comic-Design passt zum Thema und der jungen Zielgruppe, könnte aber ruhig markantere Details und mehr Wahnsinn bieten. Trotz Einsatz der Unreal Engine liegt man auch technisch weit hinter größeren Comic-Shootern wie Plants vs. Zombies: Garden Warfare 2.

Baum oder Hexe?

Ein nettes Extra sind allerdings die schon vorhandenen optischen Anpassungsmöglichkeiten. In einem meiner Matches hatte sich eine Hexe doch tatsächlich komplett in Holztönen eingefärbt und direkt vor meiner Nase in einem Baum platziert. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich sie und warf das kreischende Opfer mit Kartoffeln zu Tode. Die Wurfgeschosse lassen sich später übrigens ebenfalls umgestalten. Außerdem helfen bei der Jagd bzw. Flucht eine Hand voll Spezialfähigkeiten, die ich leider alle schon nach rund anderthalb Stunden freigeschaltet hatte. Ein gackerndes Radar-Huhn etwa zeigt Hexen in der Umgebung an; eine Art Staubsauger wirbelt wie ein Tornado Gegenstände auf einen Haufen. Jäger gelangen flott mit einem Greifhaken auf die Dächer.

Beim Schweben sondern die Hexen ein verräterisches Geräusch ab, das an das klassisch surrende Theremin-Instrument aus alten Horrorfilmen erinnert.
Wer als Hexe auf seine begrenzte Schwebe-Fähigkeit verzichtet, kann sich z.B. direkt in vorhandene Gegenstände verwandeln, statt nur ihr Aussehen zu kopieren. Dadurch weckt man kein Misstrauen, wenn in einer bekannten Ecke plötzlich zwei Kisten statt einer stehen. Damit die Hexen nicht einfach in einer sicheren Ecke campen, gibt es übrigens eine hohe Punktebelohnung für diejenigen, die eine hohe Strecke zurücklegen. In punkto Umfang und Balance sollte das Hamburger Vier-Mann-Team Barrel Roll Games vorm Release aber noch ordentlich nachlegen: Die neun Karten wiederholten sich schnell und die Hexen gewannen deutlich mehr Matches als die Jäger. Bisher gibt es zudem nur drei Modi: Als erwischte Hexe wartet man entweder aufs Match-Ende, verwandelt sich in einen Jäger oder startet das Versteckspiel gleich ganz ohne Spezialfähigkeiten. Im Februar gewann das Team übrigens den ebenfalls in Hamburg beheimateten Hersteller Daedalic als Publisher.

Ausblick

Auf den ersten Blick wirkt Witch It ein wenig minimalistisch, nach ein paar Matches stellt sich aber bereits ein leichter Suchtfaktor ein. Vor allem mit Freunden macht es Spaß, herumzualbern, sie als wandlungsfähige Hexe auszutricksen und sich hektische Verfolgungsjagden zu liefern! Hoffentlich wird in den Bereichen Umfang und Abwechslung noch nachgelegt, zumal auch die Balance vom Publishing-Deal mit Daedalic profitieren könnte. Bisher konnten die Hexen den Löwenanteil der Matches für sich entscheiden. Vielleicht liegt es daran, dass nach der Preisverleihung viele Neulinge hinzugekommen sind. Als Jäger dürfte man schließlich vor allem später erfolgreich sein, wenn man sich die Karten eingeprägt hat und sie effektiv mit den Spezialfähigkeiten absucht. Die Begeisterung der Computerspielpreis-Jury können wir zwar nicht ganz nachvollziehen, für ein paar lustige Matches zwischendurch eignet sich das Spiel aber schon jetzt! Die Vollversion soll Mitte 2018 veröffentlicht werden. Auch Umsetzungen für PlayStation 4 und Xbox One sind geplant.

Einschätzung: gut

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