Die düstere Tradition
Video:
Halbautomatische Pistolen? Schrotflinten? Alles dabei, wenn Max loslegt.
Mir ist vollkommen egal, was Rockstar Vancouver mit diesem Mann vorhat, welche Zielgruppe man anvisiert oder wie sich seine Hüfte dreht. Mich interessiert nur eines: Knüpft man an die Tradition an, die Remedy Entertainment mit diesem grandiosen Shooter (
Max Payne, 2001, 93%;
Max Payne 2, 2003, 88%) begründet hat? Dass der auf Knopfdruck verlangsamte Kugelhagel etwas modernisiert wird, ist ein Mosaik. Wenn man die Bullet Time aktiviert, kann man sich im Hechtsprung um 360 Grad drehen, außerdem hat man auch auf dem Boden kriechend die volle Rundumsicht für die nächste Ladung Schrot – Feuer frei, macht Laune.
Dass die Favelas angenehm authentisch aussehen, weil man in Sao Paulo akribisch recherchiert und das Ganze in Polygone gegossen hat, ist ein weiteres. Ich laufe an Fußball spielenden Kids und misstrauischen Bewohnern vorbei, die Armut ist in den engen, aber bunten Gassen genauso greifbar wie die Feindseligkeit gegenüber Gringos, die nicht mal Portugiesisch sprechen. Max schleppt sich wie einer dieser versoffenen Urlauber durch herunter gekommene Hinterhöfe und versiffte Strip-Bars – Augen auf, sieht geil aus.
Film Noir Story?
Er hat noch Haare, er hechtet langsam und nimmt sich viel Zeit für seine Feinde.
Aber viel wichtiger als bei jedem anderen Waffenporno ist hier die Inszenierung der Story. Max Payne war der erste Shooter, der Stilelemente des Film Noir aufgriff. Eine ebenso gnadenlose wie düster choreografierte Krimigeschichte, mit einem verbitterten Helden im Zentrum, der seine Wut und seinen Schmerz in inneren Monologen ausdrückte. Dazu die Femme fatale Mona Sax sowie ein doppelter Boden mit mythologischer Symbolik. Nach dem bisher Gespielten wird dieser Stil leider nicht fortgeführt, es scheint knallhart realistisch zu bleiben – Minuspunkt vermerkt.
Was macht derselbe Max zig Jahre später? Lässt sich von einem alten Kumpel in New Jersey dazu überreden, den Sicherheitsgorilla für eine reiche Familie in Brasilien zu spielen – spannend hört sich das nicht an. Und als ich das erste Video mit seiner Glatze gesehen habe, war ich regelrecht angekotzt, weil er sich damit in die glattrasierte Special-Fisher-Effect-Forces einreiht. Umso verwunderter war ich, dass er in den gespielten Abschnitten sein leicht ergrautes, aber volles Haar trug. Sowohl in Südamerika als auch in Rückblicken, die in New Jersey spielen – Pluspunkt vermerkt.
Haare ab? Ja, aber erst später.
Laut Rockstar wird man sehr lange Zeit mit diesem Max unterwegs sein, bevor ihn etwas dazu bringt, sein Leben und damit auch sein Äußeres radikal zu ändern. Ich bin gespannt, wie die Story diese Wendung begründet. Was das Motiv wird, bleibt abzuwarten, aber ich
Neuerdings kann Max auch in Deckung gehen.
bin erleichtert, dass er genau den zynischen Charakter weiter spielt, den er in Max Payne 2 verkörpert hat. Vor, zwischen und nach den Schussgefechten sinniert er in inneren Monologen über seine meist beschissene Situation – aufatmen, hier bleibt er sich also treu.
Zwar verzichtet man auf die Comicstreifen der Vorgänger, aber dafür nutzt die Regie eine modernere Art des grafischen Patchworks: Manchmal werden Szenen eingefroren, in ein kleines Bild oben links gepackt, während der Rest des Bildschirms sukzessive ebenfalls geteilt und gefüllt wird, teilweise mit Untertiteln oder Schwarzweißfärbung. In diesem künstlerischen Element führt man die Tradition auf interessante Art fort.