Black Mirrors Erben
Erinnert sich noch jemand an den April 2004? An den zynischen Samuel und seine Abenteuer in
Black Mirror ? Dieses Spiel konnte dem unter Billigproduktionen und Stangenware ächzenden Genre der klassischen Adventures frische Impulse geben und mit 84% einen beachtlichen Wertungserfolg einheimsen. Trotz optisch bescheidender Mittel und altbekannter Knobelmechanismen inszenierte es endlich wieder ein erzählerisch interessantes und atmosphärisch dichtes Spielerlebnis mit markanten Charakteren - ohne fette Engine, ohne fettes Budget, ohne großes Tamtam wurde es unser Adventure des Jahres 2004.
Was hat das mit
Geheimakte: Tunguska zu tun? Sehr viel. Erstens ist das deutsche Dreierteam von Animation Arts (Grafik), Fusionsphere Systems (Programmierung) und Jörg Beilschmidt (Rätseldesign) fast genau so klein und unbekannt wie vor
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Nina im durchwühlten Büro ihres Vaters: Warum ist er verschwunden? |
zwei Jahren der tschechische Entwickler von Future Games. Zweitens haben sich die Jungs die Stärken des subtilen Gruselhits und anderer erfolgreicher Spielen nicht nur genau angeschaut, sondern auch Konsequenzen für ihr eigenes Gamedesign daraus gezogen. Und drittens könnte auch ihnen ein Überraschungserfolg in einem Genre gelingen, das dieses Jahr regelrecht überschwemmt wird - tief Luft holen:
The Longest Journey 2: Dreamfall ,
Runaway 2 ,
Sam & Max: Freelance Police ,
Tony Tough 2 ,
Paradise ,
Bone: The Great Cow Race ,
Ankh - Herz des Osiris ,
Baphomets Fluch 4 ,
Agatha Christie: Mord im Orient-Express ,
Undercover ,
Belief & Betrayal ...
...hab ich was vergessen? Ist euch schon schwindelig? Dann wartet noch eine Woche für das Rätsel-Schleudertrauma, denn die E3 wird noch zig mehr Adventures alter und neuer Schule offenbaren. Letztes Jahr hat
Fahrenheit eindrucksvoll gezeigt, wo die Zukunft des Genres liegen kann: in der dritten Dimension, in emotionaler Inszenierung, in spielerischer Freiheit, in der mutigen Abkehr von verstaubten Mechanismen.
Sibirisches Mysterium
Warum bin ich dennoch so optimistisch, dass die auf den ersten Blick altbackene Geheimakte ebenfalls einen Akzent setzen kann? Und warum schätzen wir das Spiel mit seinem edlen, aber unspektakulären 2D/3D-Mix derzeit sogar besser ein als das technisch modernere
The Longest Journey 2: Dreamfall ? Das hat zwei Gründe: Zum einen haben mich Story und Dramaturgie trotz anfänglicher Skepsis schnell neugierig gemacht. Ihr schlüpft in die Haut der Wissenschaftler-Tochter Nina, die zunächst mit ihren 90-60-90-Maßen wie ein Babe von der Stange wirkt - schade. Sex sells hin oder her: Kann man nicht mal eine gewöhnliche Frau darstellen? Kann man sich nicht mal aus erzählerischer Sicht vom chauvinistischen Marketingblick lösen und einen weiblichen Charakter ohne Gardemaße kreieren? Würde eine pummelige Frau mit Charme nicht noch viel prägnanter im Gedächtnis bleiben und interessanter sein, gerade weil sie als Typ gegen den Strom schwimmt? Immerhin entdeckt man anhand ihrer hohen Wangenknochen slawische Züge, später auch ihren bissigen Charakter, der dem Klischee wenigstens etwas mehr Ecken sowie Kanten verleiht und Nina durchaus sympathisch macht.
Sie findet das Büro ihres Vaters durchwühlt und selbigen gar nicht erst vor. Wohin ist er verschwunden? Und warum ist wer auch in seine Privatwohnung eingebrochen? Trugen die Täter tatsächlich schwarze Kutten, wie der hysterische Hausmeister stammelt? Mit diesen Fragen im Hinterkopf, werdet ihr schnell auf seine scheinbar brisanten Studien aufmerksam, die sich um eine mysteriöse Explosion in Sibirien drehen, genauer gesagt in der
Region um Tunguska - eine 25-stündige Rätseltour zwischen Deutschland, Kuba, China, Moskau und der Antarktis soll laut Entwickler auf euch warten.
Den Rahmen bildet eine liebevoll gezeichnte 2D-Kulisse, die jedoch abgesehen von einigen Wettereffekten auf technische 3D-Feinheiten, große Schauplätze sowie dynamische Kamerafahrten
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Schöne Zwischensequenzen sorgen schon in der ersten Spielstunde für spannende Momente. |
& Co verzichtet, die noch im ähnlich konzipierten
The Moment of Silence einen angenehmen Hauch moderner Regie verströmen konnten. In den zehn Gebieten mit je zehn Örtlichkeiten gibt es Echtzeit-Schatten, schöne Bewegungen an Bäumen oder wabernden Qualm sowie hier und da Schmetterlinge oder Katzen, die für Leben sorgen. Zwar wirkt manche Außenszene noch etwas steril und manche 3D-Figur nicht ganz harmonisch eingebunden, aber der Eindruck ist gut und stimmungsvoll.
Dazu trägt auch die Akustik bei: Es gibt neben sehr guten deutschen Sprechern (Pitt & Jolie sind zu hören) ein subtiles Geräuschambiente, das im richtigen Moment mit einem Flüstern, Rauschen oder Zischen auftrumpft. Man wird zudem sehr gekonnt mit ansehnlichen Rendersequenzen in Mystery-Stimmung gebracht - gerade die hohe Frequenz sorgt schnell für Filmflair. Irgendwie will man spätestens nach einer halben Stunde auch deshalb keinem mehr richtig trauen, weil die Dialoge sehr viel Zynismus und vage Andeutungen transportieren. Zwar müssen die Gespräche erst auf lange Sicht beweisen, ob sie das Niveau eines "The Moment of Silence" erreichen, denn noch wirken sie an einigen Stellen etwas bemüht witzig oder in Sachen Namensgebung manches Charakters (Eddy der Hausmeister) etwas platt, aber das Gefühl der Ungewissheit auf der einen und Neugier auf der anderen Seite wird gut vermittelt. Ich bin sehr gespannt, ob man diese Dramaturgie auch nach zehn oder 15 Spielstunden halten kann.