L.A. Noire02.03.2011, Jörg Luibl
L.A. Noire

Vorschau:

Was steckt hinter der mörderischen Reise ins Los Angeles der 40er Jahre? Ein packender Thriller für Erwachsene in offener Welt? Die glaubwürdigste Mimik der Spielegeschichte? Bisher wurde die interessante Mischung aus Detektiv-Adventure und Film Noir nur präsentiert. Jetzt konnten wir erstmals selbst spielen.

Stadt der toten Engel

Die Frau wurde übel zugerichtet. Sie liegt voller Blut in einem Hinterhof von Los Angeles. Ein Straßenpolizist und ein paar Kollegen sind schon da, sichern den Tatort und geben mir kurz einen Überblick. Gab es Zeugen? Wer hat die Leiche wann gefunden? Ich gehe ganz nah ran, beuge mich über sie, um meinen Blick mit dem Analogstick über ihren verstümmelten Körper schweifen zu lassen. Ein gewöhnlicher Mord ist das jedenfalls nicht. Ich suche nach Spuren, kann alles genau anschauen, drehen und wenden.

Was bedeuten z.B. die Buchstaben "BD" auf ihrem Bauch? Ich gehe näher ran, spüre einen Schütteln, drücke kurz einen Knopf und schon wird das Ganze automatisch in meinem Notizbuch als Hinweis vermerkt. Dann nehme ich ihren linken Arm, drehe ihn vorsichtig und schaue mir die Hand und einzelne Finger genauer an - da fehlt ein Ring! Das ist schon die zweite Frau, die derart misshandelt wurde. Mittlerweile spricht man im Dezernat vom "Werwolf-Killer". Gibt es wirklich einen Zusammenhang oder handelt es sich nur um einen Trittbrettmörder?

Mörderische Inspiration

Am Tatort kann man alles drehen und wenden: Wer steckt hinter den bestialischen Frauenmorden in Los Angeles?
Die Entwickler von Team Bondi (The Getaway ) haben sich für ihren Thriller von einem bis heute ungelösten Frauenmord der späten 40er Jahre inspirieren lassen. Unter dem Titel "Black Dahlia" wurde der mysteriöse Stoff bereits filmisch (2006 von Brian de Palma) und literarisch (1987 von James Ellroy) behandelt. Und man merkt dem Spiel vom verrauchten Hauptmenü bis hin zum eleganten Hut die akribische Recherche der Hintergründe an: Die Stadt der Engel wirkt von der Architektur bis hin zur Mode überaus authentisch.

Die Kulisse ist stilvoll und ansehnlich. Die einzelnen Schauplätze werden allerdings nicht so detailliert dargestellt wie etwa in Heavy Rain , was Interieur und Umgebung angeht - das macht aber nichts. Meist werden die eher durchschnittlich designten Hintergründe weich gezeichnet, während die hervorragend inszenierten Hauptdarsteller mit ihren fotorealistischen Gesichtern scharf im Vordergrund agieren. Aber die schönen Oldtimer und schnieken Anzüge können nicht darüber hinweg täuschen, dass es unter der Oberfläche der Stadt gärt. 

            

Korruptes Los Angeles

In den Dialogen geht es zur Sache: Die Polizei ist korrupt, der Alltag im Morddezernat für Cole Phelps ist hart.

Vom einfachen Betrug bis zum hinterhältigen Mord boomt das Verbrechen in den 40er Jahren. So mancher geht davon aus, dass auch die Traumata der vielen amerikanischen Kriegsheimkehrer mit dem Anstieg zu tun haben. Dazu gehört auch der bisher recht geradlinig und fast schon eindimensional anmutende Held des Thrillers: Cole Phelps hat in Japan gekämpft, trägt die Tapferkeitsmedaille und gilt als junge Hoffnung einer Polizei, die ansonsten einen schlechten Ruf genießt. Kann er als Charakter noch an Zerrissenheit und inneren Zweifeln gewinnen? Sehr schön, weil fast beiläufig, wird die Korruption der Zeit thematisiert: Selbst die Polizei lässt es sich gut und auch schon mal was mitgehen, wenn keiner hinschaut.

Trotzdem fehlt diesem Spiel bisher etwas ganz Wichtiges. Man vermisste in den bisherigen Präsentationen und auch beim Anspielen der beiden Fälle ein atmosphärisches Kernelement des Titels: L.A. Noire. Wo ist all das, was den Film noir auszeichnet? Wo ist die Schwärze, wo ist das mysteriöse Dunkle, das z.B. so unheilvoll über allem in Max Payne schwebte? Warum zeigt man davon noch nichts, obwohl gerade diese Düsternis so wichtig sein kann für die Dramaturgie und den Helden? Die aktiven Ermittlungen fühlten sich eher an wie realistische Tatortbegehungen ohne doppelten Boden. Es werden auch Missionen bei Nacht enthalten sein, aber die wurden nicht präsentiert und waren nicht spielbar - sie könnten der Dramaturgie natürlich noch auf die Beine helfen und dem Genre gerechter werden.

Ermittelndes Duo

Sagt der Zeuge die Wahrheit? Ein zentrales Element des Spiels ist die richtige Einschätzung des Gegenübers.
Der historisch angehauchte Krimi ist in Episoden angelegt und läuft chronologisch ab, so dass die Karriere des ehemaligen Soldaten und jetzigen Polizisten linear und mit einem festgelegten Ende nachgezeichnet wird; man hat also keinen Einfluss auf das Finale. Allerdings soll schon während der ersten Fälle ein roter Faden zwischen dem Schicksal des Helden und der mysteriösen Story gewoben werden, den man natürlich noch nicht erkennen kann - ich bin gespannt, ob das klappt und wie das verwoben wird. Bisher wirkte Phelps wie ein gewöhnlicher CSI-Ermittler.

Seinen Beginn im Morddezernat hat sich der junge Officer jedenfalls anders vorgestellt, denn es geht direkt zur Sache. Hatte er bisher nur mit kleinen Verkehrsdelikten zu tun, muss er etwa ab der Hälfte der Spielzeit mit seinem bärbeißigen Partner scheinbar einen Serienkiller jagen. Und dafür sollte auch dieser Hinterhof näher untersucht werden. Ein kurzer Blick ins Rund genügt, um neben den Indizien am Opfer weitere Blutspuren auf dem Asphalt und an Wänden zu finden. So lange es irgendwo noch einen wichtigen Hinweis gibt, spielt eine zwielichtige Musik im Hintergrund - erst wenn ich alle Wesentlichen habe, wechselt der Ton. Man muss aber nicht immer alles an Orten oder in Gesprächen finden; es ist auch möglich, ohne vollständige Indizienliste weiter zu kommen. Wirkt das im kompletten Spiel dann eher beliebig oder erschließen sich bei wirklich perfekter Recherche und Fundliste weitere Erkenntnisse über die Morde? Am Ende jedes Falls informiert eine Statistik lediglich à la 14/16 über offene Punkte.

Der todsichere Fund

Überall können Hinweise lauern - allerdings sorgt ein Rumble dafür, dass man stets weiß, dass etwas näher untersucht werden kann.
Die Suche selbst gestaltet sich aufgrund des lebendigen Verhaltens und kernigen Sprüche der Polizeikollegen sowie des Presserummels überaus stimmungsvoll, ist allerdings nicht allzu schwer  - es erinnert fast an eine geführte Schnitzeljagd. Denn ein Schütteln des Controllers weist mich sicher darauf hin, dass es in der Nähe etwas Interessantes gibt. Ob das abschaltbar sein wird? Diese Dopplung aus Rhythmus und Rumble raubt mir beim Spielen jedenfalls die Spannung der Entdeckung; ich muss mir den Tatort gar nicht genau ansehen, sondern einfach nur überall herum stöbern, bis der Controller anspringt. Wenn das bei allen Fällen so funktioniert, droht eine Abklapper-Routine.

Schade ist auch, dass Phelps nur die wesentlichen, aber nicht auch die kleineren Funde kommentiert: Da hebt er eine Schachtel mit verschnörkelten Mustern auf und legt sie wieder weg. Was war das denn? Zigaretten? Bonbons? Hier hätte man über innere Monologe noch mehr Stimmung und Informationen über Phelps oder die Spielwelt anbieten können. Ob später plötzliche Rückblicke in seine Vergangenheit die gewöhnliche Spurensuche auflockern und ihm als Charakter mehr Tiefe verleihen? Gerade diese Kleinigkeiten könnten aber auch ein Teil der investigativen Spannung sein, bis sie sich vielleicht als irrelevant heraus stellen; hier weiß man doch sehr schnell wie der Hase läuft, denn das Relevante wird sofort gespeichert.   

Wahrheit oder Lüge

Die Kulisse überzeugt mit authentischem Flair der 40er Jahre.
In einem Notizbuch werden automatisch alle Personen, Hinweise, Orte und Dialoge vermerkt; man kann also immer nachschlagen, wer was gesagt hat. Das kann auch Teil eines Rätsels sein, wenn man das richtige Indiz in einem Gespräch auswählen und aktivieren muss, um z.B. ein falsches Alibi zu kontern - sehr schön. Auch die Technik in den Dialogen begeistert: Dank einer Mischung aus Motion Capturing und Motion Scanning wirken die Gesprächspartner unheimlich lebendig - jedes Stirnrunzeln, jedes Lidzucken und jedes Flunkern ist zu sehen. So kann man alleine aus der Mimik ableiten, ob man jemandem glaubt oder nicht. Und genau das ist die Kernfrage in den Verhören: Wahrheit oder Lüge?

Man hat immer die Wahl zwischen "Trust", "Doubt" und "Lie", aber bisher weder Zeitdruck wie in Alpha Protocol oder situative Spannung à la Heavy Rain noch besonders verschachtelte Dialoge. Hier hat man genug Zeit, um seine Menschenkenntnis unter Beweis zu stellen. Schätzt man sein Gegenüber richtig ein, kann man ihm vielleicht weitere Details zum Fall entlocken und bekommt dafür so genannte "Intuitionspunkte". Die kann man wiederum ausgeben, um später wie bei einem Quiz eine falsche Antwort zu streichen oder sich alle Beweise an einem Tatort anzeigen zu lassen - quasi wie Hot Spots in einem Adventure. Außerdem soll man über eine optionale Internet-Verbindung zum Social Club die prozentualen Antworten anderer Spieler einsehen können.

Schlagen, blocken, werfen - die Faustkämpfe wirkten noch sehr leicht und gewöhnlich.
Diese Gespräche sind bisher das Highlight des Spiels, zumal man sich auf die virtuellen Charaktere konzentrieren kann. Aber das Erfahrungspunktesystem mit der Intuition scheint bisher recht überflüssig zu sein, denn das Spiel wirkt doch sehr leicht und verzeihlich, zumal man allen Hinweisen in Ruhe nachgehen kann und auch noch von Kollegen auf die richtige Fährte aufmerksam gemacht wird. Echte Rätsel oder knifflige Situationen gab es in den beiden Fällen nicht. Lediglich einmal musste man eine Kombination aus drei Zahlen eingeben, um eine Kiste zu öffnen. Die war natürlich komplett in den Notizen einsehbar - gähn. Ob da noch kniffligere Schlussfolgerungen kommen? Ob es einen weiteren Schwierigkeitsgrad gibt? Und was kann man eigentlich in der offenen Stadt machen?

Chauffeur oder selbst Gas geben?

Meist bekommt man in einem Briefing die grundlegenden Informationen über den Fall und fährt danach mit dem Polizeiwagen zum Tatort, um ihn zu untersuchen und Zeugen zu befragen. Entweder fährt man selbst in den eleganten Limousinen durch die Stadt, inklusive simuliertem Verkehr und Fußgängern, die vor Schreck auch mal ausweichen. Oder man lässt sich von seinem Partner zu einem Zielpunkt fahren, von denen es auch mehrere wie Bar, Wohnung oder Blumenladen geben kann, da man an verschiedenen Orten parallel recherchieren kann - so kann man parallel Indizien sammeln.

Was kann man abseits der Hauptrecherche in der offenen Stadt machen? Das bleibt noch ein großes Fragezeichen. Es gibt natürlich weder Stunts noch Balleraction à la GTA, was auch gar nicht ins Spieldesign passen würde. Phelps besitzt aber auch

Was hat L.A. Noire (ab 5,09€ bei kaufen) noch zu bieten? Wir vermissen bisher nicht mehr Action, sondern vor allem mehr Film noir!
weder ein eigenes Apartment in der Stadt noch kann er à la Shenmue in Geschäfte gehen oder Leute abseits der Fälle ansprechen. Warum eigentlich nicht? Er kann sich noch nicht mal beim Kiosk eine Zeitung kaufen, obwohl sich gerade das angeboten hätte - hier spielt das Los Angeles der 40er Jahre kaum interaktive Erkundungsreize aus und man fragt sich, wozu L.A. Noire die offene Welt überhaupt braucht. Wäre es nicht klüger gewesen, die einzelnen Schauplätze der Morde sowie Zwischenfälle noch detaillierter auszuarbeiten? 

Man soll wohl Baudenkmäler besuchen, Polizeimarken sammeln und auf Notrufe per Funk reagieren können. Hier muss man abwarten, inwiefern die offene Stadt nur eine hübsche Kulisse oder ein aktiver, sinnvoll integrierter Teil der Atmosphäre ist. Und die Action innerhalb der Fälle? Bisher konnte ich einen Kampf und eine Verfolgungsjagd spielen. Ersterer lief mit einfachen Schlägen, Würfen und Blocks wie ein Arcade-Boxen ab, wobei man nicht gerade ins Schwitzen geriet. Obwohl die Überfallsituation das Potenzial für etwas Spannung hatte, wirkte man als Polizist doch klar überlegen.

Auch die Verfolgungsjagd, bei der man lange genug an die linke Seite eines Autos kommen musste, um es unter Beschuss zu nehmen, hatte trotz der angenehmen Rasanz einen faden Beigeschmack: Wenn man schnell genug ist, kann man die Verbrecher früh stellen; wenn nicht, dann werden sie eben an der Polizeisperre gestoppt. Wenn man hier später Lob bzw. Anschiss von seinem Vorgesetzten für seine Leistung bekommen würde, wenn es also spürbare Konsequenzen geben würde, wäre das motivierender. Aber noch konnten wir nicht alle Situationen durchexerzieren. Und noch bleibt dieses L.A. Noire ebenso viele Antworten schuldig wie es neugierig macht.     

Ausblick

Fotorealistische Mimik, authentisches Los Angeles, klasse Schauspieler. L.A. Noire versprüht sehr schnell historischen Stil und Eleganz. Außerdem sorgen die Gespräche mit der Suche nach Wahrheit oder Lüge immer wieder für kleine psychologische Highlights. Aber bisher spielt sich die Suche nach dem Serienmörder noch zu sehr wie ein CSI in den 40er Jahren. Es fehlte in den beiden Kapiteln trotz lebensnaher Dialoge noch an Spannung und vor allem Herausforderung - man musste quasi nichts clever kombinieren, findet idiotensicher dank Rumble jeden Hinweis und hat kaum Lust die ansehnliche Stadt frei zu erkunden, weil sie scheinbar nur Fassade ist: Ich kann ja nicht mal eine Zeitung kaufen oder in Geschäfte gehen wie in Shenmue vor zehn Jahren. Wird man am Ende nur verstreute Medaillen sammeln oder wird die Kulisse erzählerisch sinnvoller integriert? Und ganz entscheidend: Von "Film Noir" war bisher nichts zu sehen! Es entstand trotz der blutigen Leichenfunde weder eine besonders düstere Atmosphäre noch begegnete man innerlich zerrissenen Charakteren; gerade der Held Cole Phelps bleibt innerhalb seines bärbeißigen Polizeialltags seltsam blass. Das wird hoffentlich daran liegen, dass ich nur zwei Mordfälle aus der Mitte erleben konnte. Werden die sehr gut inszenierten Ermittlungen am Tatort komplexer und rätsellastiger? Kommt da noch eine Steigerung, was Anspruch und investigative Logik angeht? Die anfängliche Euphorie angesichts der Mimik ist angesichts des Spieldesigns jedenfalls ein wenig verflogen. Ich drücke die Daumen, dass nicht nur das verräterische Lidzucken in den Dialogen, sondern auch die Dramaturgie des Thrillers am Ende begeistern kann.

Ersteindruck: gut

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