Saints Row 225.09.2008, Mathias Oertel
Saints Row 2

Vorschau:

Lange bevor Niko Bellic die HD-Straßen von Liberty City unsicher machte, sorgten die Red Faction-Macher von Volition mit Saints Row für Gangsta-Flair auf der 360. Eine angefangene und wieder eingestellte PS3-Version später, ist die Gang, die sich Lila als Farbe ausgesucht hat, wieder in Stilwater unterwegs. Immer noch mit zielsicher eingesetzten Griffen in die Klischeekiste. Immer noch mit viel Humor. Und immer noch mit haufenweise gut inszenierter B-Film-Action.

Die Leichtigkeit der Saints

Der erste Ausflug der Saints nach Stilwater hatte es einfach: Relativ nah zum Start der Konsole gab es keinen Open World-Titel. Just Cause war weit entfernt und der erste GTA-Ausritt in HD war noch nicht einmal ein Sonnenschimmer am Horizont.

Trotzdem oder gerade deshalb wusste Saints Row durchaus zu unterhalten.

Das verantwortliche Team von Volition machte überhaupt keinen Hehl daraus, dass man dort ansetzen wollte, wo GTA auf SD-Konsolen aufgehört hatte. Dennoch vergaß man nicht, dem Gangsta-Epos seinen eigenen markanten Stil aufzusetzen. So wurde z.B. eine gelungene Verknüpfung zwischen Seitenmissionen und den unterschiedlichen Hauptstory-Strängen im Kampf um die Vorherrschaft auf Stilwaters Straßen geschaffen. Technisch bewegte man sich für Volitions 360-Premiere zwar

Es gibt viel zu tun in Stilwater... Hier eine Ausflugsidee!
auf dünnem Eis und hatte auch mit einigen Kleinigkeiten zu kämpfen, doch das Ergebnis konnte sich mit einer 84-Prozent-Wertung sehen lassen. Und ich gebe ganz offen zu, dass Saints Row seit seiner Veröffentlichung bis heute immer wieder in den Laufwerksschacht der 360 gewandert ist. Trotz der mittlerweile vorhandenen und teilweise deutlich besseren Konkurrenz - das Flair eines ambitionierten B-Filmes, gepaart mit fulminanter Action und mal banalem, mal brachialem Humor macht mir einfach zeitlos Spaß.

The Saints are coming

Teil 2 hingegen hat mit ganz anderen Voraussetzungen zu kämpfen. Rockstar Games hat mit GTA 4 gezeigt, wie eine lebendige, atmende Stadt aussehen kann - und zudem eine intensive, vielschichtige Charakterzeichnung auf die Beine gestellt, die in ihren besten Momenten an Coppola oder Scorsese erinnert.

Nachdem ich zahlreiche Stunden in Stilwater verbracht habe, muss ich auch eingestehen, dass Saints Row 2 (ab 5,88€ bei kaufen) (SR2) nicht an diese beiden Punkte heran kommt. Das soll nicht heißen, dass sowohl die Lebendigkeit als auch die Zeichnung der Hauptfiguren und deren Konflikte vollkommen den Bach runter gehen.

Ich möchte an dieser Stelle einen Filmvergleich bemühen, um das Dilemma zu verdeutlichen: GTA 4 zeigt sich als Multimillionendollar-Produktion mit Top-Besetzung. SR 2 hingegen ist in jeder Hinsicht ambitioniert. Doch Michael Bay führt

Es hat sich viel getan in Stilwater. Doch Saints Row-Veteranen werden sich schnell zurecht finden.
z.B. nicht Regie, sondern hat den Regisseur ausgebildet. Und als Darsteller ist nicht Bruce Willis, sondern einer der Kategorie Steven Seagal im Einsatz - allerdings ein Seagal auf Exit Wounds-Niveau.

Dabei versteht es Volition jedoch, diese vermeintliche Schwäche zu einer Stärke umzumünzen. Bei der Geschichte und der Charakterisierung der Figuren greift man mit vollen Händen in die Klischeekiste, ohne dabei lächerlich zu werden. Dazu gehört auch die platte, aber überzeugende Erklärung, wieso die Saints schon wieder bei Null anfangen müssen, obwohl man sich am Ende von Teil 1 als King of the Hill gezeigt hat. Garniert wird das Ganze mit einer großen Prise deftigen Humors und einigen Running Gags, wobei man sich und das Gangsta-Genre auch immer wieder augenzwinkernd aufs Korn nimmt - was das Spiel enorm sympathisch macht und aus dem ambitionierten B-Film beinahe schon ein Indie-Projekt werden lässt. Wir sind gespannt, ob die finale Fassung diesen Drahtseilakt konsequent weiter verfolgt, ohne sich in Lächerlichkeit zu verlieren.

Konsequente Fortsetzung

Inhaltlich baut Volition auf dem auf, was schon Teil 1 definiert hat: Eine große, freie Welt, in der es vor abwechslungsreichen Nebenaufgaben nur so strotzt. Schade ist nur, dass ein Großteil der Aufgaben aus dem Vorgänger übernommen wurde - allerdings ab und an auch in abgewandelter Form. So wurde z.B. die Eskorte, bei der ihr mit einer Prostiuierten als Chauffeur unterwegs seid, vom Schwierigkeitsgrad etwas entschärft. Auch viele der anderen Aktivitäten zeigen sich leicht verändert. Und natürlich gibt es auch ein paar neue, die wie "Fuzz!" (eine parodistische Anlehnung an diverse Reality-Cop-Shows) einen Heidenspaß machen: In Cop-Verkleidung werdet ihr mit einem Kameramann im Schlepptau zu verschiedenen Kleinstverbrechen gerufen, angefangen von Taschendiebstahl über häusliche Dispute bis hin zu "Erregung öffentlichen Ärgernisses" oder Fahren unter Alkoholeinfluss. Am Tatort angekommen gilt es nun, den Störenfried aus dem Weg zu räumen - wie, bleibt euch überlassen. Schlagstock? Handschellen? Kettensäge?

       

Nach wie vor gilt allerdings, dass die Aktivitäten nicht nur losgelöst vom restlichen Spiel sind, sondern notwendig sind, um sich genügend Respekt zu verschaffen, um die auf die rivalisierenden Gangs aufgeteilten Hauptstorylines freizuschalten und fortzuführen - jedoch in der Reihenfolge, die euch am liebsten ist.

Dabei kommt Action natürlich nicht zu kurz. Und die präsentiert sich ebenso brachial und kompromisslos wie im ersten Teil - und im Vergleich zu anderen Third-Person-Actionern mit einer schwachen KI ausgestattet, die die NPCs größtenteils zu willigen Schießbudenfiguren macht. Doch dadurch wird der gehobene B-Film-Vergleich nur weiter gestärkt.

Überhaupt können die mit Inhalten prall gefüllten Straßenzüge Stilwaters lange ans Pad halten. Es warten Waffen bis Abwinken, fahr- und fliegbare Untersätze ohne Ende, sowie haufenweise Personalisierungsmöglichkeiten für eure im mächtigen Editor erstellte Hauptfigur, die im Vergleich zum "stummen Diener" aus Teil 1 endlich sprechen kann und damit deutlich an Identifikationspunkten und Charakter gewinnt. Als Gimmick könnt ihr sogar den Klamottenstil eurer Gang pimpen.

Fortschritte und Stagnation

Hinsichtlich der Akustik hat man einen großen Fortschritt gemacht: Die Fahrzeuge klingen zwar immer noch alle etwas untermotorisiert, doch die Songauswahl ist nach den eher unbekannten Indie-Tracks des Vorgängers mittlerweile absolut auf 

Das Figurendesign weiß zu gefallen. Dennoch hat Saints Row 2 hinsichtlich der Kulisse noch mit einigen Problemen zu kämpfen, die Volition hoffentlich noch in den Griff bekommt.
Augenhöhe mit den Radiostationen Liberty Citys. Haufenweise lizenzierte Tracks von den 80ern über R&B, Funk, Heavy bis hin zu Klassik warten nicht nur in den Funkwellen über Stilwater, sondern können in den über die ganze Stadt verteilten Plattenläden sogar erstanden und einer privat-persönlichen Playlist hinzugefügt werden.

Und damit kommen wir zu einem Thema, das Volition definitiv noch in den Griff bekommen muss: Die Kulisse. Denn diese präsentiert sich in der uns vorliegenden 360-Version als, nennen wir es mal "spröde". Es ruckelt derzeit zwar nur selten, doch V-Sync-Probleme (auch in Teil 1 ein Manko, das nachgepatcht werden musste), Pop-Ups usw. sorgen zusammen mit dem merkwürdigen "Schleier-Filter" sowie den teils noch ins Stocken geratenden Animationen und deutlichen Klonarmeen dafür, dass SR2 nicht den Eindruck einer Weiterentwicklung macht.

Das ist sehr schade, denn dadurch wird das Gesamtbild empfindlich gestört. Ähnlich wie in Liberty City kann man sich auch in Stilwater einfach nur mal an eine Ecke stellen und beobachten, was passiert. Doch auch hier erreicht man nicht ganz die Unberechenbarkeit der GTAschen Inszenierung. Stattdessen kann man sicher sein, dass es irgendwann zu Übergriffen der Staatsgewalt bzw. irgendwelchen Explosionen kommen wird - was aber wiederum dem B-Film-Klischee zuzurechnen ist und daher wieder passt. Dennoch wird dieser Bereich einen großen Anteil daran haben, ob die Saints erfolgreich in den Krieg um die Wiedereroberung Stilwaters ziehen können. Falls Volition es nicht mehr schaffen sollte, diese Mankos aus dem Weg zu räumen, wäre dies sehr bedenklich, da SR 2 inhaltlich vollkommen und überzeugend auf Goldkurs liegt. Und dabei haben wir noch nicht einmal den Koop-Modus sowie die zahlreichen anderen Mehrspieler-Optionen einkalkuliert, die wir uns für die finale Version aufbewahren wollen.    

Ausblick

Inhaltlich präsentiert sich Saints Row 2 als eine sehr konsequente Fortsetzung. Story, Charakterzeichnung und die explosive Action setzen komplett auf B-Film-Flair der gehobenen Kategorie. Den Entwicklern ist der Sinn für Humor nicht abhanden gekommen und sie sind sich auch nicht zu schade, sich selbst ein paar ironische Seitenhiebe zu verpassen. Auch die bewährte Mischung, durch die über ganz Stilwater verteilten teils witzigen, teils spannenden, aber in jedem Fall unterhaltenden Nebenmissionen den Respekt zu sammeln, den man für die verzweigten nonlinearen Hauptaufgaben benötigt, geht nach wie vor auf. Und obendrauf gibt es im Vergleich zum Vorgänger zum Mehrspielermodus sogar die Möglichkeit, die Stadt kooperativ unter der Führung der Saints zu einen. Technisch hingegen zeigt sich die vorliegende Version eher spröde und macht deutlich, dass zwischen Liberty City und Stilwater mehr als nur ein paar Flugstunden liegen. Dieses Manko könnte sich, falls in der Endfassung weiterhin vorhanden, als entscheidendes Kriterium zwischen "Hot" und "Not" herausstellen. Denn was nützt mir ein riesiger Action-Spielplatz für Erwachsene, wenn ich eigentlich keinerlei visuelle Anreize bekomme, mich dort herumzutreiben? Oder würde sich einer von euch für die Produzentin Tera Patrick interessieren, wenn ihr angehübschter Vorbau in etwa auf Kniehöhe baumeln würde? Ich schwanke allerdings zwischen Skepsis und Zuversicht, dass Volition den Feinschliff noch anbringen kann, um den Ausflug mit den Saints zu einem Konkurrenten für Niko Bellic zu machen. Doch auch in und für Stilwater gilt: Im Zweifel für den Angeklagten.

Ersteindruck: Sehr gut!

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