Deus Ex: Human Revolution08.03.2011, Benjamin Schmädig
Deus Ex: Human Revolution

Vorschau:

Ich bin gar nicht begeistert. Ich dachte, es würde mich vom Hocker reißen. Stattdessen stehe ich mit verschränkten Armen da. Ich höre mich von Deus Ex: Human Revolution (ab 6,61€ bei kaufen) erzählen, von Entscheidungen, von einem offenen Spiel, von überraschenden Neuerungen, von der Rückkehr in eine der faszinierendsten Spielewelten überhaupt. Es ist fast ein Jahr her, dass die Entwickler das dritte Deus Ex zum ersten Mal präsentierten. Und ich frage mich: Wo ist der Funke geblieben, der damals meine unbändige Vorfreude entfachte?

Versprechungen

Was ist Deus Ex? Es ist eine Spieleserie, die gerade mal zwei Episoden groß ist. Wie kommt es also, dass der Zweiteiler ein Ansehen genießt, das dem eines Citizen Kane auf der cineastischen Bühne, eines Michael Jordan auf dem sportlichen Parkett oder John F. Kennedy auf politischem Boden gleicht? Manche Spieler sehen in Deus Ex eine Art Heilsbringer - u.a. deshalb, weil seine inhaltlichen Werte zwar oft verkündet, aber selten erfüllt werden. "Spielerische Freiheit" fasst jene Ideale zusammen, die aus Deus Ex so viel mehr machten als zwei Actionspiele. Denn ob man als Spezialagent mit roher Gewalt, auf Zehenspitzen oder technischen Spielereien ans Ziel gelangte, blieb jedem selbst überlassen. Im zweiten Teil kamen gar rhetorische Fähigkeiten hinzu. Und genau diese Offenheit versprachen die neuen Entwickler bei Eidos Montreal auch für Human Revolution - das war es, was meine Augen glänzen ließ.

Wann spielt Deus Ex: Human Revolution? Wir befinden uns in der Zukunft - genauer gesagt 25 Jahre vor den Ereignissen des ersten Teils. Das neue Spiel erzählt einen Teil der Vorgeschichte des Science Fiction-Thrillers. "Es ist nicht das Ende der Welt. Aber man kann es von hier aus sehen" lautet das Motiv. Die Welt ist von technologischem Fortschritt geprägt: mechanische Körperteile sind dessen wichtigste Errungenschaft. Doch viele Menschen sehen in den sogenannten Augmentations ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Demonstranten versammeln sich vor der Zentrale von Sarif Industries, einem der bedeutendsten biotechnischen Konzerne. Die Labore von David Sarif werden Ziele gewalttätiger Anschläge; längst musste der Magnat einen privaten Sicherheitsdienst engagieren, um sein Eigentum zu schützen.

Das zweite Leben

Keine Miliz, keine paramilitärische Organisation - ein einzelner Mann kümmert sich hauptverantwortlich um Sarfis Sicherheit und die seines Eigentums. Schwarze Haare, spitzes Gesicht, Ziegenbart: Adam Jensen. Die Kamera führt mich in die Egoperspektive hinter Jensens Augen und das Spiel beginnt. Ich bewundere das matte Weiß der sorgfältig gestylten Laborräume - dann lerne ich, dass Jensen wie viele Actionhelden aus der Deckung heraus schießen kann, dass er Gegner mit Gas betäuben oder lautlos ausknocken kann. Doch schon kurz darauf verliert Jensen fast sein Leben.

Mehr zur Geschichte und den Hintergründen des Spiels findet ihr in unserer ersten ausführlichen Vorschau.
Mit ruhiger Hand aufgenommene Filmszenen zeigen in ebenso geschmackvollen wie eindringlichen Bildern, wie Adams verletzte Körperteile durch Prothesen ersetzt werden - das Verwirrspiel um Intrigen, Verschwörungen und Machtspiele kann beginnen.

Als Adam nach sechs Monaten wieder die Zentrale von Sarif Industries betritt, kann er mit seinen Armen schwere Gegenstände heben, er kann kurzzeitig sehr schnell sprinten, Sicherheitssysteme hacken und seinen biomechanischen Prothesen ein paar Dutzend weitere Eigenschaften verleihen. Mit Erfahrungspunkten kauft er z.B. lautloses Gehen, Unsichtbarkeit, die Fähigkeiten zum Hacken stark gesicherter Computer, Überzeugungskünste für Unterhaltungen oder brutale Takedowns. Denn genau wie seine zwei Vorgänger lenke ich Adam Jensen so wie es mir beliebt: leise, clever oder lautstark - mit dem Einsatz zahlreicher Spezialfähigkeiten unterstreiche ich seinen Charakter.          

Entscheidungen, Entscheidungen

Und genau wie seine Vorgänger hat auch Jensen alle Zeit der Welt, die Umgebung zu erkunden. Ich bin lange durch Sarifs mehrstöckiges Bürogebäude gestiegen, habe Türschlösser geknackt, Computercodes aufgespürt, habe Zeitungen, Memos und fremde Emails gelesen. Ich bin durch Lüftungsschächte gekrochen, habe nach dem Weg gefragt und ich wollte einen Kollegen zurechtstutzen, dem Adams schnelle Genesung Spanisch vorkam. Die Funksprüche seines Arbeitgebers Sarif konnte ich gelassen ignorieren.

Alles Gold, was glänzt? In unserem ausführlichen Interview sprechen die Entwickler über das einzigartige Artdesign, Charakterentwicklung, Umfang und mehr.
Irgendwo sind erneut Terroristen in eins seiner Labors eingedrungen, haben Geiseln genommen und waren drauf und dran, Sarifs großes Wirtschaftsgeheimnis zu entdecken. Solche Dinge haben Zeit...

... dachte ich. Denn als ich Jensen endlich in den Einsatzhelikopter bequemte, hatte Sarif bereits mächtig miese Laune: Die Geiseln waren längst tot. Auch das Squad-Team, das am Einsatzort Stellung bezogen hatte, hielt mir die Tragweite meines späten Erscheinens immer wieder vor Augen. Ich hätte die Büroräume also durchaus erkunden dürfen - mich irgendwann aber dennoch sputen müssen. Welch bittersüße Konsequenz! Was wäre denn gewesen, wenn ich pünktlich erschienen wäre? Dann hätte ich in einem Büro oberhalb der Labors nicht nur Leichen gefunden, sondern könnte die Geiseln vor dem Tod bewahren, falls ich die Bombe vor ihren Nasen rechtzeitig entschärfen würde.

Entscheidungen, Entscheidungen, Entscheidungen: Schon im Hubschrauber wollte Sarif wissen, ob Jensen den Nah- oder den Fernkampf bevorzugt, ob er lieber mit scharfer oder mit Betäubungsmunition loszieht. Adam erhält daraufhin entsprechende Ausrüstung - Erinnerungen an das erste Deus Ex werden wach. Dann beginnt für Adam Jensen der erste echte Einsatz. Sein Ziel ist der Kopf der Bande, die sich in Sarifs Labor festgesetzt hat. Und obwohl der Weg dorthin in diesem ersten Level noch nicht so offen ist wie in einem späteren, das die Entwickler bereits auf der gamescom vorgestellt hatten: Die vielfältigen Wurzeln der Serie sind mit jedem Schritt spürbar.

Gewalt oder Gnade? Ihr Leben liegt in seiner Hand.

Der Knochenbrecher

Schon auf den ersten Metern hat Jensen die Wahl, ob er mit Krawall durch den Haupteingang poltert, über das Dach schleicht oder die Wachen heimlich bewusstlos schlägt. Letzteres ist der perfekte Weg für ausgefuchste Tüftler, denn sobald eine Wache einen bewusstlosen Kameraden entdeckt, weckt sie ihn wieder auf. Sofort würden sich die Sicherheitskräfte in der Umgebung dann auf die Suche nach dem Eindringling machen. Natürlich könnte Adam den betäubten Gegner in eine ruhige Ecke zerren, doch das kostet Zeit und die ist dank der knappen Patrouillerouten meist knapp. Brachiale Kämpfer nutzen die Klingen an Jensens bionischen Armen deshalb zum Ermorden ihrer Widersacher. Gewiefte Hacker machen sich hingegen Geschütztürme zu Eigen und richten sie auf ihre Feinde. Wer Adams Arme stärkt, kann ein solches MG sogar mit sich herumtragen! Mein Ehrgeiz verbietet mir ein derart tumbes Vorgehen; immerhin kann Adam jeden Auftrag ähnlich wie Metal Gear Solid ohne einen einzigen Mord bestehen - einzige Ausnahme sind auch hier die martialischen Showdowns gegen besondere Gegner. Wer will, wird also für ruhiges Beobachten und geschicktes Taktieren belohnt.

Mit einem geschickten Kniff zeigen die Entwickler dabei selbst beim lautlosen Ausknocken, dass ein solcher KO kein Freundschaftsdienst ist. Denn deren Ellbogen und Knie brechen so unüberhörbar, dass man ihren Schmerz beinahe spüren kann. Das clevere Umgehen der Patrouillen ist deshalb zum ersten Mal nicht nur der aufwändigste Weg, sondern auch der anständigste - für mich als "KO-Cleaner" ist das eine willkommene Herausforderung. Nicht umsonst gibt es in jedem Raum mindestens einen versteckten Weg durch Lüftungsschächte, Nebenzimmer oder verschlossene Türen - hinter unscheinbaren Kisten verstecken sich unzählige Möglichkeiten.        

Taktische Nadelstiche

Adams Energieversorgung ist es übrigens egal, ob er einen Gegner tötet oder leben lässt, denn jede besondere Aktion, dazu zählen Takedowns jeder Art, kostet Energie. Und die ist knapp! Ein wichtiges Minimum lädt sich zwar langsam von selbst auf, wertvolle Fähigkeiten wie Unsichtbarkeit verschlingen allerdings unsäglich viel Strom. Jensen kann sich daher nicht als übermächtiger Roboter in den Kampf stürzen, sondern muss das durchdachte Versteckspiel oder den Deckungskampf mit taktischen Nadelstichen zu seinen Gunsten wenden.

Ich habe minutenlang aus der Deckung heraus spioniert, bin auf Zehenspitzen geschlichen, habe geschossen, gewürgt, Geheimgänge entdeckt, Geiseln gerettet, Geiseln verloren.

Wie wird Adam Jensen das Schicksal seiner Welt beeinflussen?
Ich konnte Adams Widerstandsfähigkeit gegen Kugeln oder Gas verstärken, ich habe durch Wände gesehen, Feinde auf dem Radar markiert, Kisten verschoben, Gegner in eine Falle gelockt. Ich bin in einer coolen Sequenz von hohen Dächern gesprungen und sanft im Rücken einer Wache gelandet. Die Szene am Schluss des beeindruckenden E3-Trailers, bevor Jensen mit der bloßen Faust  eine Wand durchschlägt - das ist der lässige Sprung aus dem Spiel. Und ich habe zum Schluss des Einsatzes eine spannende Geiselnahme erfolgreich beendet.

"Lass die Waffe fallen!"

Das gab es noch in keinem Deus Ex: Adam Jensen erhält in Gesprächen nicht nur wichtige Informationen oder wichtige Codes; mitunter muss er unter Zeitdruck verhandeln. Doch was soll er einem Terroristen sagen, der zu allem entschlossen und mit dem Rücken zur Wand steht? Seine Waffe ist an die Stirn einer völlig verängstigen Frau gepresst - ein Fehler und die Geisel wird sterben. Der Terrorist macht Druck; er fühlt sich hintergangen und sinnt auf Rache. In Ruhe lese ich mir mögliche Antworten durch, mit denen Jensen auf sein Gegenüber reagieren kann. Aber so sehr mir das Spiel Zeit zum Lesen gibt, so schwer fällt mir die Entscheidung. Und dann verschwinden die Texte plötzlich, der Terrorist drängt auf eine Antwort. Ich werde nervös. Ich weiß, dass ich jetzt handeln muss - zum Glück kann ich noch einmal wählen...

Problemlösung anno 2011: Welche Wege Adam Jensen in ein und derselben Situation gehen kann, zeigten die Entwickler bereits in ihrer gamescom-Präsentation.

Jensen könnte die Verhandlung jederzeit abbrechen und seinen Gegner erschießen, müsste dafür aber ausgesprochen schnell reagieren, um auch das Leben der Frau zu retten. Ich argumentiere also weiter. Argument für Argument lege ich mir den Terroristen zurecht, meine vorher gesammelten Informationen helfen bei der Entscheidung für die richtigen Antworten. Und tatsächlich: Irgendwann lässt er die Geisel gehen und flüchtet. Erst später erfahre ich, dass er die Frau tatsächlich erschießen würde, hätte Adam einen Fehler gemacht. Aufatmen, aufschreiben, weitersagen: Gerade ging eine verdammt spannende Geiselnahme zu Ende!       

Ausblick

Wo bleibt sie also, die Begeisterung, mit der ich seit einem knappen Jahr auf dieses Spiel gewartet habe? Wo ist der Funke, der damals übersprang? Es gibt ihn noch - nur hat er sich gewandelt. Denn nachdem ich Human Revolution zum ersten Mal spielen konnte, ist aus ihm ein Feuer geworden und das lodert mit ganzer Kraft! Das neue Deus Ex trifft voll ins Schwarze. Natürlich ist da noch die offene Frage der Erzählung, weil sich das ausgeklügelte Geflecht der Verschwörungen erst entwickeln muss. Und natürlich muss das Abenteuer trotz der spannenden Geiselnahme sowie dramatischer Konsequenzen auch beweisen, dass es einen spielerischen Schritt weiter geht als zwei Vorläufer, die insgesamt 19 Jahre auf dem Buckel haben. Es bietet aber eine Handlungsfreiheit, die in manchem Rollenspiel ihresgleichen sucht. Es sieht, von technischen Kinkerlitzchen abgesehen, fantastisch aus. Und es hat eine markante Identifikationsfigur, die dem übergroßen JC Denton in nichts nachsteht. Ich weiß jetzt, dass ich mich nicht länger vor Ungeduld zermartern muss. Und genau deshalb verschränke ich die Arme, lehne mich zurück und harre in aller Ruhe der großen Dinge, die da kommen werden.

Ersteindruck: sehr gut

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