Sturmwind07.06.2013, Michael Krosta
Sturmwind

Im Test:

Totgesagte leben länger! Das gilt nicht nur für PC und Konsolen im Allgemeinen, sondern die Dreamcast im Speziellen: Obwohl die Produktion von Segas Traumkonsole Anfang 2001 eingestellt wurde, erfreut sie sich bei Hobbyentwicklern immer noch großer Beliebtheit. Selbst kommerzielle Veröffentlichungen schaffen es hin und wieder noch auf die Plattform. Eine von ihnen ist das Shoot'em Up Sturmwind von Duranik, für das wir unsere Dreamcast aus dem viel zu frühen Ruhestand zurückholten. Hat sich die Entstaubung gelohnt?

Zurück in die Vergangenheit

Hach, was ist das ein schönes Gefühl, den alten Controller wieder in den Händen zu halten - auch wenn er mangels zweitem Analogstick und den dünnen Schultertasten längst nicht so viel Komfort und Möglichkeiten bietet wie aktuelle Pendants. Dafür aber eine innovative Speicherkarte mit eingebautem LCD-Minibildschirm und auch das externe Rumble-Pack darf nicht fehlen, um den Controller zu komplettieren. Konsole? Schnurrt trotz der Jahre immer noch wie ein Kätzchen. VGA-Box? Klar, ist ebenfalls zur Hand, um die bestmögliche Bildqualität zu genießen. Alles ist gerichtet für den neuen Dreamcast-Titel, der in der Tradition von Klassikern wie R-Type steht, aber dennoch genug eigene Ideen mitbringt, um aus der Masse an Shoot'em Ups herauszustechen.

Jede Waffe lässt sich auch nach hinten abfeuern.
Jede Waffe lässt sich auch nach hinten abfeuern.
Das geht schon beim Waffensystem los: Drei Varianten stehen dem Piloten zur Verfügung, zwischen denen er bei Bedarf wechseln darf. Mit dem Lichtblitz verschießt man blaue Lasersalven, die nicht nur geradeaus, sondern gleichzeitig leicht oberhalb und unterhalb des Schiffs abgefeuert werden, um einen guten Rundumschutz zu bieten. Noch besser eignet sich der Typ „Nordwest“, denn hier lässt sich die Richtung der feuerroten Salven gezielt mit dem Feuerknopf kontrollieren, so dass man seine Gegner auf Wunsch in einem 360-Grad-Wirkungskreis attackieren kann. Die letzte und gleichzeitig stärkste Variante hört auf den Namen „Rudel“ - ein kraftvolles grünes Lichtbündel, das aber nur geradeaus geschossen wird. Immerhin erweist es sich besonders hier als praktisch, dass man auch nach hinten ballern kann, denn auf Wunsch (bzw. Knopfdruck) wird die Hauptkanone einfach von der Spitze ans Heck montiert. Das gilt nicht nur für „Rudel“, sondern auch sämtliche andere Waffensysteme, die außerdem - genrekonform - durch langes Halten der Feuertaste einen Superschuss im Repertoire haben. Wer jedoch zu lange auflädt, geht das Risiko ein, die aktuell gewählte Waffe nicht nur zu überhitzen, sondern komplett zu verlieren. Dieses Schicksal droht außerdem bei jedem eingesteckten Treffer, denn die Waffensysteme fungieren gleichzeitig als Schutzschild. Sind alle Systeme futsch, verliert man eines der wenigen Leben.

Mehr Power...oder Punkte

In den Fabrikabschnitten geht es heiß her.
In den Fabrikabschnitten geht es heiß her.
Dem kann man mit dem Aufsammeln von Behältern entgegen wirken, die zwischendurch immer wieder durchs Bild schwirren und bei Beschuss zwischen den drei Waffensystemen sowie einem Punktebonus rotieren. Logisch: In erster Linie sollte man zusehen, alle drei Varianten an Bord zu haben, erlaubt die Auswahl doch einen gewissen Spielraum beim Angriff und Überleben. Erst danach darf man darüber nachdenken, sein Arsenal mit Verbesserungen aufzustocken. Je mehr Behälter man für ein Waffensystem einsammelt, desto stärker wird es. Nicht nur der Schuss wird größer und durchschlagender, sondern auch bis zu zwei Drohnen leisten wertvolle Unterstützung und lassen sich mit der Y-Taste anders positionieren, so dass sie z.B. nach hinten ballern, während man selbst sein Geschütz vorne montiert lässt. Gleichzeitig wehren die Begleiter auch Treffer ab. Müssen sie zu viel einstecken, segnen sie irgendwann das Zeitliche, wenn sie nicht mit dem Aufsammeln von Behältern rechtzeitig repariert werden.

Kleiner Nachteil: Es wird immer nur die aktuelle Waffe aufgerüstet. Ballert man sich gerade mit dem Lichtblitz durch und sammelt einen Nordwest-Behälter auf, bringt das nichts. Wechselt man dagegen noch rechtzeitig auf das richtige System, lassen sich alle drei Kanonen Schritt für Schritt verbessern, denn auch beim anschließenden Durchschalten bleiben die Upgrades erhalten. Wird man getroffen, verabschiedet sich nicht nur die aktuelle Waffe, sondern alle Verbesserungen gleich mit. 

Fordernder Action-Trip

Der Weltraum...unendliche Action.
Der Weltraum...unendliche Action.
Das ist besonders dann ärgerlich, wenn kurz darauf die Begegnung mit einem XXL-Boss ansteht, die meist am Ende der insgesamt 16 Abschnitte, manchmal aber auch schon in der Mitte warten und den Piloten die Hölle richtig heiß machen. Trotzdem bleibt es meist fair, denn hat man die fiesen Angriffsmuster durchschaut und die nötigen Reflexe, um den vielen kleinen Geschossen flott genug auszuweichen, lassen sich auch die Bildschirm füllenden Widersacher wie ein riesiger Tausendfüßler oder schwer bewaffnete Kampfroboter in die Knie zwingen. Zur Not zündet man einfach eine Smartbomb, auch wenn diese ähnlich rar gesät sind wie Extraleben oder Multiplier, mit denen man seinen Punktestand in die Höhe treiben kann.

Sollte es trotzdem beim ersten Anlauf nicht klappen, muss man zum Glück nicht ganz von vorne beginnen, denn nach jedem gemeisterten Level wird ein Speicherpunkt gesetzt. Im Gegenzug muss man auf Checkpunkte innerhalb der relativ kurzen Abschnitte verzichten - klingt fair, denn so ballert man sich zwar verbissen voran, verliert man nicht gleich Lust und Nerven, wenn man ein Level erneut in Angriff nehmen muss.

Abwechslungsreiche Schauplätze

Das Scrolling wechselt schon mal mitten im Level zwischen vertikal und horizontal.
Das Scrolling wechselt schon mal mitten im Level zwischen vertikal und horizontal.
An Abwechslung herrscht kein Mangel: Die Abschitte, die martialische Namen wie Stahlgewitter, Blitzlicht oder Federstahl tragen, führen vom Start im Weltraum u.a. in eine Roboterfabrik mit glühend heißem Schmelzofen, überflutete Areale, unterirdische Höhlen und sogar mitten in einen Schneesturm. Dabei ist es erstaunlich, was die Entwickler aus dem Grafikchip herauskitzeln: Vor allem die Lichteffekte sind bemerkenswert, wenn man beim Vorbeiflug an einer Sonne regelrecht geblendet wird, in der Höhle im beschränkten Sichtfeld die Schatten tanzen oder sich Gegner in eindrucksvollen Explosionen verabschieden. Und dann noch diese detailverliebten Hintergründe mit ihren Parallax-Ebenen, in denen ständig etwas los ist - seien es umherfliegende Trümmerteile, arbeitende Maschinen oder ein einladendes Panorama einer Planetenoberfläche.

Alles ist in Bewegung, wirkt lebendig und der Augenschmaus demonstriert eindrucksvoll, welche Power noch in der Dreamcast steckt! Nur leider nicht genug: Stellenweise treiben die Coder von Duranik mit der gezeigten Pracht die Hardware zu sehr über ihre Grenzen und es kommt zu starken Einbrüchen der Bildrate. Das passiert zwar selten, aber dafür umso heftiger. Ich hätte einen durchweg flüssigen Spielablauf bevorzugt und dafür lieber auf manche Details verzichtet, zumal die Kulisse in manchen Situationen ohnehin etwas zu überladen wirkt und dadurch die Übersicht leidet.

Klasse Leveldesign

Endbosse wie dieser mechanische Heuschrecken-Verschnitt dürfen ebenfalls nicht fehlen.
Endbosse wie dieser mechanische Heuschrecken-Verschnitt dürfen ebenfalls nicht fehlen.
Trotzdem zählt vor allem das Leveldesign zu den Stärken von Sturmwind: So wird in manchen Abschnitten nicht nur horizontal, sondern auch vertikal gescrollt. Selbst die Perpektive wechselt zwischendurch von der klassischen Seiten- auf eine Draufsicht, bei der man sich u.a. die Position von Hindernissen einprägen muss, bevor sie für ein paar Sekunden im Wolkenmeer verschwinden. Solche kleinen Reaktionstests sorgen zwischendurch immer wieder für etwas Abwechslung vom Baller-Alltag. Selbst an kleine Späße wurde gedacht, auch wenn sie im Eifer des Gefechts leider oft untergehen: Bei herabfallenden Blöcken prangt auf einem von ihnen z.B. das Logo von Ataris Jaguar, ein anders Mal rennt eine bewaffnete Figur am oberen Bildschirmrand in Richtung Punkteanzeige, die eine frappierende Ähnlichkeit mit Turrican aufweist. Man merkt einfach, dass die Entwickler offenbar viel Spaß hatten! Auch die Klangkulisse lässt aufhorchen: Zwar ist die deutsche Sprachausgabe etwas zu undeutlich, doch die treibenden Elektro-Tracks sind erste Sahne und bieten eine klasse Kombination aus modernen Synthie-Sounds und klassischen Chip-Klängen, während die wuchtigen Effekte das Geschehen passend untermalen.

Keine Verstärkung

Sieht zwar idyllisch aus, aber auch auf der Planetenoberfläche wird geballert, was die Kanonen hergeben.
Sieht zwar idyllisch aus, aber auch auf der Planetenoberfläche wird geballert, was die Kanonen hergeben.
Neben dem Standard- wird auch ein Arcade-Modus geboten. Dieser besteht zwar nur aus sechs der 16 Stufen, setzt dabei aber auf verschärfte Regeln: Wie am Spielautomaten wird hier nicht nach jeder geschafften Stage gespeichert, sondern man hat lediglich seine begrenzte Anzahl an Leben, um alle Level in einem Rutsch zu meistern - Bossgegner inklusive. Für jeden Modus gibt es außerdem eine separate Bestenliste. Dank eines Code-Systems kann man seine Leistungen über die offizielle Webseite sogar mit anderen Spielern weltweit vergleichen.

Was leider fehlt ist die Möglichkeit, sich mit zwei Spielern den mechanischen und organischen Feindwellen zu stellen - sei es simultan oder nacheinander. Schade, denn so hätte man auch lokal den Wettkampf um den Spitzenplatz der Rangliste austragen können. Zudem habe ich eine optionale 16:9-Darstellung vermisst, die man trotz Retrogedanken ruhig hätte realisieren können, um die prächtige Action auch auf modernen Fernsehern im Vollbild erleben zu können.

Fazit

Sturmwind ist nicht nur ein schöner Abstecher zurück in die Zeiten von R-Type, X-Out, Uridium & Co. Es ist gleichzeitig ein toller Beweis, wie (Hobby-)Entwickler eine eigentlich tote Plattform am Leben halten können. Die Jungs von Duranik haben die Genre-Perlen offensichtlich gut studiert, sich einige der besten Elemente herausgegriffen und mit eigenen Ansätzen gewürzt. Herausgekommen ist ein starkes Shoot’em Up mit abwechslungsreichen Kulissen, einem tollen Waffensystem, fordernden XXL-Bossen sowie einem gelungenen Leveldesign, das auch aktuellen Plattformen gut zu Gesicht stehen würde. Technisch wird ein audivisuelles Baller-Spektakel geboten, welches man der Sega-Konsole gar nicht mehr zugetraut hätte. Leider wird die grafische Pracht mit Einbrüchen der Bildrate erkauft und die Übersicht ist nicht immer optimal. Was ich neben einer 16:9-Darstellung außerdem vermisse, ist ein Zweispieler-Modus. Trotzdem ist Sturmwind ein verdammt guter Grund, die Dreamcast wieder zu entstauben und sich in die Zeit zurück zu versetzen, in der Shoot’em Ups das Maß der Dinge im Actionbereich waren!   

Pro

gelungene Oldschool-Action
schicke Kulissen mit starken Effekten
Waffen- und Drohnen-Management
fordernder Schwierigkeitsgrad
treibernder Elektro-Soundtrack
interessante Perspektivenwechsel
nette Retro-Anekdoten (Turrican, Jaguar)
Ranglisten mit Web-Einbindung

Kontra

stellenweise massive Einbrüche der Bildrate
mitunter zu chaotisch und unübersichtlich
kein Zweispieler-Modus
nur aktuell gewählte Waffe lässt sich aufrüsten
keine 16:9-Anpassung
Sprachausgabe undeutlich

Wertung

Dreamcast

Sturmwind ist ein gelungenes Retro-Shoot'em-Up, das der Dreamcast-Hardware manchmal etwas zu viel abverlangt.

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