Lost Kingdoms19.08.2002, Jens Bischoff
Lost Kingdoms

Im Test:

Während From Software in Japan für den kommenden Winter bereits einen Nachfolger des strategischen Karten-Rollenspiels Rune angekündigt hat, ist hierzulande gerade erst Teil 1 erschienen. Aus lizenzrechtlichen Gründen musste Publisher Activision den Titel zwar in Lost Kingdoms umbenennen, aber ansonsten hat sich nichts geändert. Was das originelle Konzept des ersten GameCube-RPGs in der Praxis zu bieten hat, erfahrt Ihr in unserem ausführlichen Testbericht.

Eine Prinzessin für alle Fälle

Die für ein Rollenspiel äußerst banale und unoriginelle Story von Lost Kingdoms ist schnell erzählt: Ein einst idyllisches Fantasy-Reich wird plötzlich Stück für Stück von einem geheimnisvollen Nebel verschluckt und Scharen angrifflustiger Monster versetzen die wehrlosen Einwohner in Angst und Schrecken. Auch die königlichen Soldaten haben den übernatürlichen Eindringlingen nicht viel entgegenzusetzen. Nur gut, dass gerade eine magisch begabte Prinzessin zur Hand ist, die mit dem Runenstein ihres Vaters und ein paar Zauberkarten bewaffnet sogleich auszieht, der dunklen Plage den Garaus zu machen.

Hier kommt Ihr ins Spiel: Als Prinzessin Katia, oder wie immer Ihr heißen wollt, durchkämmt Ihr die fünf Königreiche nach weiteren Runensteinen und Karten, um die bösartigen Invasoren mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Physische Gewalt ist nämlich weder Katias Stärke noch ein probates Mittel gegen Vampire, Werwölfe, Dämonen und Konsorten. Aber selbst kleinere Übel wie Skelette, fleischfressende Pflanzen oder Mumien wollen sich nur durch magische Kartentricks ins Jenseits verabschieden. So reist Ihr von Schauplatz zu Schauplatz, rettet verzweifelte Dorfbewohner, sammelt Informationen, löst einfache Rätseleinlagen, absolviert gelegentliche Nebenquests, erweitert stetig Euer Monster-Quartett und steht in antiquierten Zufallsbegegnungen, wie man sie von Final Fantasy & Co kennt, beherzt Eure Frau.

__NEWCOL__Interaktive Kampfarenen

Zu Gesicht bekommt Ihr Eure Widersacher nämlich erst nachdem in eine räumlich begrenzte, aber ansonsten der aktuellen Location haargenau entsprechende Kampfarena umgeblendet wurde. Das Besondere daran ist, dass Ihr Euch hier nicht nur in Echtzeit mit mehr oder weniger angriffslustigen Gegnern duelliert, sondern sich auch zahlreiche Objekte wie Bäume, Kisten, Zäune oder Felsen zerstören lassen, die oft dringend benötigte Mana-Auffrischungen sowie zusätzliche Spielkarten preisgeben oder nach dem Ende des Kampfes Geheimgänge, versteckte Schalter oder vorher unerreichbare Schatzkisten freilegen.

Wer seine maximal 30 pro Auftrag zur Verfügung stehenden Karten, die man vor jeder Mission selbst bestimmen darf, sparen möchte, kann durch geschicktes Provozieren und Ausweichen auch versuchen, gegnerische Monster zerstörbare Objekte aus dem Weg räumen oder sich sogar gegenseitig Schaden zufügen zu lassen. Gehen die Karten doch einmal zur Neige, sollte man schleunigst einen der beliebig oft benutzbaren Regenerationspunkte aufsuchen, die nicht nur verbrauchte Lebensenergie wiederherstellen, sondern auch erst während des aktuellen Auftrags erlangte Karten in weiteren Kämpfen verfügbar machen. Karten-, Mana- und Lebensauffrischungen bekommt man auch durch das Fangen blauer Feen, doch manchmal können sich diese überall umherschwirrenden Helferchen auch als getarnte Gegner entpuppen.

El Dorado für Sammler

Sinkt Eure Lebensenergie dennoch einmal auf Null oder sind sämtliche Karten aufgebraucht, bleibt Euch nichts anderes übrig als den laufenden Auftrag abzubrechen.

Daraufhin kehrt Ihr auf die Weltkarte zurück, von wo aus Ihr nicht nur die momentan zur Verfügung stehenden Auftragsorte, sondern später auch einen Feenforscher und eine Apothekerin erreicht - Speichern ist ebenfalls nur auf der Weltkarte möglich. Während Euch der Forscher für das Sammeln kleiner roter Feen, welche ebenfalls die Spielwelt bevölkern, hin und wieder mit Extra-Karten belohnt, wird die Apotheke schnell zum Dreh- und Angelpunkt für ambitionierte Sammler. Hier kann man nämlich nicht nur lukrative Bonus-Aufträge erhalten, sondern auch Karten verkaufen, erwerben, duplizieren oder sogar umwandeln - genügend Geld bzw. Erfahrungspunkte vorausgesetzt. Insgesamt warten immerhin 105 verschiedene Spielkarten darauf, von Euch entdeckt zu werden.

Dabei gibt es drei grundlegende Kartenkategorien: Waffen (Monster, die an Ort und Stelle einen individuellen Angriff ausführen), Beschwörungen (eine Art Aufruf à la Final Fantasy) und Unabhängige (eigenständig handelnde Kreaturen). Eingesetzt werden die Karten per simplen Tastendruck, wobei immer nur vier verschiedene Karten aus Eurem Arsenal sofort einsatzbereit sind. Ungeeignete Karten lassen sich zwar auch durch nachfolgende ersetzen, so abgelegte Karten sind dann im aktuellen Kampf allerdings nicht mehr verfügbar. Dafür lassen sich stark angeschlagene Gegner mit einem so genannten Fangwurf in neue Karten verwandeln. Während Ihr Katia frei, aber trotz 60Hz-Option ziemlich träge durch die Kampfarena dirigiert, könnt Ihr Richtung und teils auch Einsatzort der gerade verwendeten Karte je nach deren Reichweite bzw. Wirkungsradius geschickt festlegen.

__NEWCOL__Strategie unerlässlich

Zudem gehört fast jede Karte bzw. fast jedes Monster einer von vier Elementargattungen an (Wasser, Feuer, Holz, Erde), die sich im Schere-Stein-Papier-Prinzip gegenseitig ausstechen. So sind Wasserkreaturen etwa besonders effektiv gegen Feuerwesen, während sich Letztere wiederum hervorragend gegen Holzmonster, aber überhaupt nicht gegen Seeungeheuer eignen usw. Der taktische Spielraum wird im Spielverlauf aufgrund der unterschiedlichen Kartenkategorien, Elementargattungen, Angriffsarten und -reichweiten jedenfalls immer komplexer - schließlich gilt es, die Stärken und Schwächen von bis zu über 100 individuellen Kreaturen ständig im Hinterkopf zu behalten und mit Bedacht einzusetzen. Auch das in jeder Mission limitierte Karten-Set will stets weise gewählt sein, wobei Angaben über die Elementarzugehörigkeiten der in den jeweiligen Locations vorkommenden Monsterarten bei der Zusammenstellung der einzelnen Sets helfen.

Während sich Katias Statuswerte nur durch das Sicherstellen von Runensteinen verbessern lassen, erhalten mitgeführte sowie in Kämpfen erfolgreich verwendete Karten -wie es sich für ein Rollenspiel gehört- auch Erfahrungspunkte, welche später das Duplizieren oder Umwandeln in stärkere Karten erlauben. Positiv ist dabei, dass einmal gesammelte Erfahrungspunkte und Karten auch beim Scheitern bzw. Abbrechen eines Auftrags oder Katias Exitus nicht verloren gehen. So kann man bestimmte Karten gezielt aufleveln ohne ständig auf seine Lebensenergie, die Kartenanzahl oder das Missionsziel achten zu müssen. Schade ist nur, dass einmal erfolgreich bestandene Aufträge nicht erneut zur Verfügung stehen, um weitere Geheimpassagen und gut versteckte Karten zu entdecken oder einfach nur sein Rating zu verbessern.

Augen zu und durch

Nach der Erfüllung einer Mission wird nämlich die Leistung beurteil und je nach Bewertung darf man sich bis zu drei Extra-Karten aus einem verdeckten Stapel aussuchen, der meist auch äußerst seltene Raritäten beinhaltet. Für den zweiten Teil hat From Software aber schon Besserung versprochen, denn dann sollen alle Orte beliebig oft be- und durchsucht werden können und auch die Anzahl der einsetzbaren Karten soll beim Nachfolger verdoppelt werden. Nachbesserung wäre jedoch auch bei der spärlichen Präsentation vonnöten, denn technisch erweist sich Lost Kingdoms als äußerst schlicht und unspektakulär. Lediglich die Animationen und Echtzeitschatten können überzeugen, während besonders die Charaktere, Locations und seltenen Zwischensequenzen bieder und steril wirken.

Auch die Ohren werden bei Lost Kingdoms alles andere als verwöhnt. Der Soundtrack bietet bis auf wenige Ausnahmen nur nerviges Gedudel, die spärlichen Sound-FX klingen teils fast schon vorsintflutlich und die Sprachausgabe beschränkt sich auf ein paar mickrige japanische Ausrufe und Floskeln, die nicht einmal übersetzt wurden. Warum auch, schließlich gibt es ja nicht einmal deutsche Bildschirmtexte. So bleiben allen, die kein Englisch oder Französisch sprechen, zwar die meist belanglosen Dialoge erspart, aber eben auch wichtige Hinweise zu Missionszielen und Rätseleinlagen sowie die detaillierten Beschreibungen der einzelnen Spielkarten.

__NEWCOL__Wer sucht, der findet

Dafür gibt es eine komfortable Automap und die Möglichkeit, die Kamera manuell zu rotieren und zu zoomen. Dies ist vor allem wichtig, um im Kampf die Übersicht zu behalten sowie hinter Gebäuden versteckte Schatztruhen und Ähnliches ausfindig zu machen. Es könnte sich ja eine seltene Karte oder ein Gegenstand zur Lösung eines Rätsels darin befinden. Diese sind zwar meist nicht besonders anspruchsvoll, bieten aber dennoch eine willkommene Abwechslung in Kampfpausen. Wer keine Lust darauf hat, kann viele Rätseleinlagen auch einfach ignorieren, denn wie das Meistern der Nebenquests ist auch das Lösen mancher Rätsel zum Weiterkommen nicht erforderlich.

Hangelt man sich aber nur von einem Pflichtauftrag zum nächsten, verpasst man nicht nur zahlreiche Aufträge und Rätsel, sondern auch viele Locations und Gegner - ganz zu schweigen von den oft nur hier zu findenden Karten. Der Spielumfang ist für ein Rollenspiel zwar allgemein nicht gerade üppig, wenn man allerdings alle Geheimnisse lüften und Karten finden will, ist man dennoch einige Tage mit Lost Kingdoms beschäftigt. Darüber hinaus kann man mit seiner Kartensammlung auch in fünf unterschiedlichen Arenen gegen einen menschlichen Mitspieler antreten - inklusive zuschaltbarer Handicaps, Zusatzregeln und Zeitlimits sowie der Möglichkeit bis zu drei Karten als Wetteinsatz zu bestimmen, die nach dem Kampf unwiderruflich den Besitzer wechseln.

Fazit

Auch wenn Lost Kingdoms für strategisch veranlagte Rollenspielfans sicher nicht die Erfüllung ist, ist es für den ersten und momentan einzigen Genrevertreter auf dem GameCube doch zumindest ein akzeptabler Einstand. Das originelle Konzept mit taktischen Karteneinsätzen in Echtzeit ist eine nicht ganz neue, aber gut umgesetzte Alternative zu Final Fantasy & Co. Ist der Sammeltrieb erst einmal geweckt, gibt man keine Ruhe, bis alle 105 Karten gefunden sind. Dank freiwilliger Sonderaufgaben, interaktiver Levelarchitektur und auflockernder Rätseleinlagen wird aber auch abseits von Zufallskämpfen und Karten-Management Abwechslung geboten. Sogar spannende Zwei-Spieler-Duelle mit optionalem Wetteinsatz und variablem Regelwerk sind möglich. Schade nur, dass der Umfang zu gering, die Story zu flach und die technische Umsetzung dem GameCube alles andere als gerecht wird. Zudem ist es unbegreiflich, dass Activision der Titel nicht einmal eine Lokalisierung wert war - und das obwohl man bei der Gestaltung des durchweg farbigen deutschen Handbuchs sichtlich keine Kosten gescheut hat.

Pro

<li>60Hz-Modus</li><li>innovatives Konzept</li><li>praktische Automap</li><li>strategische Echtzeitkämpfe</li><li>zerstörbare Levelarchitektur</li><li>Sidequests & Rätseleinlagen</li><li>über 100 verschiedene Karten</li><li>unterhaltsame Zwei-Spieler-Duelle</li>

Kontra

<li>laue Story</li><li>mäßige Grafik</li><li>nicht lokalisiert</li><li>geringer Umfang</li><li>keine Sprachausgabe</li><li>dürftige Soundkulisse</li><li>schwache Präsentation</li><li>altmodische Zufallskämpfe</li><b>Vergleichbar mit:</b><i>Magic
The Gathering, Pokémon-Serie, Digimon-Serie, Jade Cocoon 1 & 2</i>

Wertung

GameCube

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