Animal Crossing21.10.2004, Jens Bischoff
Animal Crossing

Im Test:

In Nintendos Animal Crossing alias Animal Forest+, das nach jahrelanger Wartezeit endlich auch seinen Weg nach Europa gefunden hat, fühlt man sich tatsächlich wie ein Sim in Harvest Moon. Zwar vermutet man auf den ersten Blick einen Titel für Dreijährige, aber hinter der bonbonfarbenen Kulleraugen-Fassade steckt wesentlich mehr als nur ein kindischer Zeitvertreib. Am Ende wollten wir die charmante Animal Crossing-Welt sogar gar nicht mehr verlassen.

Eine Zugfahrt, die ist...

Doch zurück zum Anfang, als wir noch schlecht gelaunt im Zug nach FunkTown saßen: Eigentlich wollten wir ja nach Funky Town und dort einen draufmachen, aber Orte, die mehr als acht Buchstaben umfassen, werden von der Anmimal Crossing-Bahn nicht angefahren und so war ich unterwegs in

Gesprächig: Im Lauf der Zeit erfahrt ihr immer mehr über eure tierischen Nachbarn.
besagtes FunkTown, das ein ziemlich ödes Kaff sein sollte. Zu allem Ärger setzte sich dann auch noch so eine Grinsekatze namens Olli neben mich, die sich absolut nicht abwimmeln ließ und mich die ganze Fahrt voll laberte. Da ich knapp bei Kasse war und noch keine Anlaufstelle in FunkTown hatte, ließ ich mich von ihm allerdings bequatschen, fürs Erste bei seinem Freund unterzukommen.

Ein Häuschen für lau

Und tatsächlich, kaum stieg ich in FunkTown aus dem Zug, kam auch schon Ollis Waschbärenkumpel Tom angerannt, um mich abzuholen. Allerdings stellte sich bald heraus, dass mir dieser keine Bude vermieten, sondern verkaufen wollte, was mein Budget natürlich keinesfalls zuließ. Egal, sagte ich mir, was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß und versuche ihn mit einer kleinen Anzahlung abzuspeisen. Doch statt mir mürrisch Zahlungsaufschub zu gewähren, bot er mir gleich einen Job in seinem Laden an, um meine Kasse aufzubessern. Feiner Kerl, dachte ich mir und willigte ein.

Tapetenwechsel: Mit der Bahn könnt ihr die Städte eurer Freunde besuchen.
Bezahlte Plauderstunde

Zwar musste ich ihm versprechen, gleich mit der Arbeit anzufangen, aber kaum hatte ich in seinem Auftrag ein paar Blümchen und Bäumchen vor seinen Laden gepflanzt, durfte ich auch schon frei nehmen, um die übrigen Einwohner kennen zu lernen. Das ging recht flott, denn FunkTown ist wirklich ein Kaff. Dennoch leben hier die unterschiedlichsten Charaktere und selbst der mürrische Weißtiger Boris schien über meine Ankunft nicht ganz unerfreut. Ich hoffe jedenfalls auf gute Nachbarschaft.

Gibt‘s hier kein Ikea?

Als besonders gastfreundlich erwies sich übrigens Vogeldame Anna, die mir die Zustellung eines Ladeneinkaufs gleich mit einem neuen Fußboden dankte. Den konnte ich auch gut gebrauchen, denn der nackte Steinboden meiner kargen Einzimmerwohnung wirkte nicht gerade gemütlich. Am nächsten Tag fand ich auf dem Sperrmüll sogar einen fast neuwertigen Stuhl sowie einen noch funktionierenden Fernseher, um meine Bude etwas wohnlicher zu gestalten. Durch das Verkaufen selbst gepflückter Äpfel und am Strand gesammelter Muscheln konnte ich mir sogar das nötige Kleingeld für eine Tapete und eine Kommode zusammensparen.          

Eine Hand wäscht die andere

Auch mit den Nachbarn läuft alles prima. Lediglich Boris meint immer wieder den Griesgram raushängen lassen zu müssen. Über das neue T-Shirt, das ich ihm neulich zukommen ließ, hat er sich allerdings tierisch gefreut. Auch die anderen freuen sich immer, wenn ich mal vorbeischaue - und das

Kritischer Blick: In diesem Aufzug sehen wir aus wie ein Fall für die Ausnüchterungszelle...
hoffentlich nicht nur, weil ich ihnen immer bereitwillig meine Hilfe anbiete. Mir macht es jedenfalls nichts aus, verliehene Bücher wiederzubeschaffen, wenn ich dafür ein paar neue Videospiele bekomme. Zuhause hab ich nämlich inzwischen bereits ein altes NES stehen, das ich bei schlechtem Wetter immer mal wieder anschmeiße, um neue Highscores bei Pinball, Excitebike oder Donkey Kong zu erzielen.

Vergebenes Liebeswerben

Ansonsten halte ich es in meinen vier Wänden allerdings nie besonders lange aus, ab und zu muss man allerdings aufräumen oder die Möbel umstellen, um Platz für Neuanschaffungen zu machen. Seit dem Anbau, der mich ein halbes Vermögen gekostet hat, ist zwar wesentlich mehr Platz, aber mein Traumhaus stelle ich mir immer noch anders vor. Auch Tom hat seinen Laden kürzlich ausgebaut, schließlich floriert das Geschäft und es ziehen immer wieder neue Bewohner zu. Eine davon, Elfi, ist eine wirklich süße Maus, der ich jetzt schon Dutzende Briefe geschrieben und Geschenke gemacht habe, aber ich kriege sie einfach nicht rum. Na ja, die anderen meinen ohnehin, dass man hier weder Affären, Beziehungen noch Familie haben kann...

Petri Heil! - Wer will, kann sein Glück beim Angeln versuchen.
Vom Casanova zum Kulturattaché

Egal, mittlerweile habe ich ohnehin eine neue Leidenschaft entdeckt: das Museum. Als ich hier ankam, stand es noch leer, aber seit ich mich als Hobbyarchäologe, Kunstsammler und Heimatkundler engagiere, blüht es regelrecht auf. So mache ich mich mit meinem Spaten immer wieder auf die Suche nach Fossilien, stelle mit meinem Kescher heimischen Insekten nach, sorge mit meiner Angelrute für Neuzugänge in den Aquarien oder versuche kostbare Gemälde für die Galerie zu erwerben. Museumseule Eugen ist über meine Besuche und Stiftungen jedenfalls stets hoch erfreut und manchmal stoße ich bei meinen Ausgrabungen sogar auf richtige Schätze.

Verkannter Designer

Gern gesehen bin ich auch in der Schneiderei der Igelschwestern Tina und Sina, wo ich nicht nur immer wieder neue Klamotten in Auftrag gebe, sondern auch mit dem Entwerfen eigener Kollektionen für Aufsehen sorge. Die Begeisterung der anderen hält sich aber wohl in Grenzen, denn so manches verschenktes Designerstück habe ich später im Fundbüro oder im Sperrmüll wieder entdeckt. Na ja, sollen sie halt weiterhin ihre altmodischen Batik-Shirts und Strickpullis tragen... Wie auch immer, letztendlich sind die Geschmäcker halt verschieden und auch ich habe schon das ein oder andere geschmacklose Geburtstagsgeschenk zu später Stunde heimlich auf den Müll gebracht.       

Alle Jahre wieder

Trotzdem fand ich es nett, dass alle an meinen Geburtstag gedacht hatten auch meine Mutter keine Kosten gescheut hat, mir meinen Lieblingskuchen mit der Post zuzuschicken. Letztes Weihnachten habe ich sogar einen echten Klimt geschenkt bekommen, den ich nur schweren Herzens dem Museum abgetreten habe. Diese Jahr habe ich übrigens auch genügend Süßigkeiten für Halloween gekauft, um

Prächtiges Feuerwerk: Am Nationalfeiertag scheut die Stadtverwaltung keine Kosten.
nicht wieder mit leeren Händen dazustehen, wenn die anderen um die Häuser ziehen - es soll sogar ein richtiges Gespenst unter all den Verkleideten sein, das eine besondere Überraschung parat hält. Na ja, ich war ja schon ziemlich überrascht als neulich eine Wahrsagerin ihr Zelt im Dorf aufschlug oder Straßenmusiker K. K. Slider am Bahnhof Musikwünsche erfüllte.

Fragliche GBA-Pflicht

Ich freue mich auch schon wieder auf das Sportfest Ende März, das Blütenfest Anfang April, das Angelturnier im Juni oder das große Feuerwerk am Nationalfeiertag. Darüber hinaus gibt es aber noch viel mehr zu entdecken. Demnächst möchte ich zum Beispiel mit dem Schiff nach Animal Island übersetzen, wo man mal so richtig abspannen kann. Allerdings dürfen nur Besitzer eines Game Boy Advance sowie eines entsprechenden Linkkabels die Reise auf das karibische Eiland antreten, was ich nicht ganz nachvollziehen kann, da man die Zusatz-Hardware eigentlich gar nicht benötigen würde... Tom scheint das auch nicht zu verstehen und bietet in seinem Laden nebenbei daher eine Tauschbörse für seltene und spezielle Waren an, die es unter anderem nur auf der Insel zu finden gibt.

Besuchen und besucht werden

Zudem kann man für einen Tapetenwechsel auch mit dem Zug in die Animal-Crossing-Städte von Freunden reisen oder andere Spieler in die eigene Stadt einladen. Man kann sogar bis zu drei Freunden ein Haus in seiner Stadt vermachen, die gar keine eigene Stadt bzw. kein eigenes Animal

Erwischt: Wer es wagt den Reset-Knopf zu drücken, bekommt eine Standpauke von Maulwurf Resetti.
Crossing-Spiel besitzen. Allerdings werdet ihr nie anderen Spielern begegnen, da ihr nie zeitgleich mit diesen in ein und derselben Stadt unterwegs sein könnt. Dafür werdet ihr beim nächsten Mal sicher Spuren des Besuchs wie gefällte Bäume, geerntete Früchte, gepflanzte Blumen oder erhaltene Briefe bzw. Geschenke entdecken. Zu lange solltet ihr eurer Stadt übrigens nicht fern bleiben, da die Gegend sonst verwahrlost und sich in eurer Wohnung Kakerlaken einnisten...

Soziale Verpflichtungen

Na ja, da ich sowieso nur selten zuhause bin, stören mich die Viecher nicht wirklich und auch die Bewertungen meiner Wohnungseinrichtung durch die Akademie des schönen Hauses sind mir eher egal. Hauptsache mir gefällt‘s und Feng Shui kann mich sowieso mal! Hin und wieder etwas Unkrautjäten muss jedoch sein, denn außer mir macht das eh keiner und wenn alles verwahrlost, kommen keine neuen Bewohner und die alten fangen an zu sich zu beschweren oder weg zu ziehen. Überhaupt scheinen hier alle sehr sensibel und nehmen es einem gleich übel, wenn man sich ein paar Tage nicht meldet oder mal einen Gefallen verschwitzt - aber das hab ich dann wohl auch nicht anders verdient!     

Fazit

Vorsicht, Animal Crossing macht süchtig und droht einen Großteil eurer Freizeit zu verschlingen! Der äußerst offen und liebevoll gestaltete Mikrokosmos verzichtet zwar komplett auf Story und Spielziele, lädt mit seinen skurrilen Bewohnern und amüsanten Ereignissen aber immer wieder zum Abtauchen ein. Man geht angeln, sammelt Muscheln, pflanzt Bäume, erntet Früchte, fängt Insekten, gräbt nach Fossilien, kauft neue Möbel, spielt Videospiele, hört Musik, schreibt Briefe und vieles mehr, während man sich immer wieder mit seinen tierischen Mitbürgern unterhält und ihnen Gefallen tut. Die Handhabung ist dabei so einfach wie das Konzept zeitlos und jeden Tag erwarten einen neue Überraschungen. Trotzdem schießt Nintendo an einem Großteil der Zielgruppe vorbei, da der Spielverlauf für Kids mangels verständlicher Sprachausgabe einfach zu textlastig ist, während sich ältere Spieler wohl nur schwer mit dem kulleräugigen Protagonisten identifizieren dürften. Hat man sich an die kindliche Aufmachung und technische Rückständigkeit aber erst einmal gewöhnt, kann man sich dem Charme der kunterbunten Fabelwelt nur mehr schwer entziehen. Die Zeit vergeht trotz des realen Tagesverlaufs wie im Flug und man präsentiert sein kleines Städtchen stolz Freunden und Verwandten. Schade ist nur, dass man nie gemeinsam die Gegend unsicher machen kann, wodurch immenses Potential verschenkt wurde.

Pro

zeitloses Spieldesign
veränderbare Spielwelt
inklusive Memory Card
charmante Präsentation
vorbildliche Lokalisierung
unkompliziertes Gameplay
freispielbare NES-Klassiker
zahllose Aufgaben & Ereignisse
Spielgeschehen komplett in Echtzeit
dynamische Tages- und Jahreszeiten

Kontra

teils unnötige GBA-Pflicht
sehr kindliche Aufmachung
verschenktes Multiplayer-Potential
keine verständliche Sprachausgabe
technisch nur auf gehobenem N64-Niveau

Wertung

GameCube

Wer Harvest Moon mag, sollte einen Blick in Animal Crossing werfen!

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