Pikmin 211.10.2004, Jörg Luibl
Pikmin 2

Im Test:

Im Jahr 2001 begeisterte Shigeru Miyamoto alle Konsolen-Strategen mit Pikmin. Das kunterbunte Abenteuer war nicht nur spielerisch innovativ, sondern sah auch noch richtig klasse aus. Mit einiger Verzögerung ist der in Japan bereits gefeierte Nachfolger endlich auch hierzulande erschienen. Was gibt es Neues? Hat sich das Warten gelohnt?

Floraler Mikrokosmos

So eine Apfelsine ist verdammt schwer: Ein Dutzend knallroter 2cm-Winzlinge ächzen den Vitamin C-Brocken Stück für Stück vorwärts. Bei gedrückter rechter Schultertaste kann man so nah ranzoomen, dass man die feinen Poren auf der orange glänzenden Haut sieht. Als die fleißigen Pikmin eine Pusteblume streifen, schweben milchige Pollen lautlos in die Höhe. Für die florale Traumkulisse haben die disziplinierten Schwerstarbeiter jetzt allerdings keine Augen - egal ob idyllische Teiche oder exotische Gewächse.

Hurra: der erste Schatz ist da! Zur Einstimmung empfehlen wir auch: Download: E3-Trailer 2004 (12,1 MB).
Ihr Ziel ist das Raumschiff von Captain Olimar, denn dort kann die Frucht direkt in kostbares Geld umgewandelt werden. Die Planung der Route ist kinderleicht und komfortabel: Mit der Z-Taste lässt sich der Weg z.B. sofort in Vogelperspektive überschauen, die ganze Gegend kann im Menü dank einer interaktiven Karte begutachtet werden.

Schon hier sollte man große Hindernisse und Umwege berücksichtigen. Es gibt kaum Wegfindungsprobleme und dank der einfachen Sammel-, Trennungs- und Formierungsbefehle hat man seine bis zu 100 Pikmin starke und manchmal sogar fröhlich singende Truppe sehr gut im Griff. Einsteiger freuen sich zu Beginn über eine sehr lehrreiche Übungsstunde, die noch mal alles Wissenswerte aus dem Vorgänger wiederholt und praktisch anwenden lässt.

Kampf gegen Insolvenz

Aber warum rackern sich die kleinen Außerirdischen so ab? Ganz einfach: Erstens haben sie Captain Olimar bereits im ersten Teil als Freund schätzen gelernt. Und zweitens ist der tapfere Raumpilot auf ihre Hilfe angewiesen: Denn auf seinem Heimatplaneten steht seine Fracht-Firma mit 10.000 Pokos in der Kreide - der Bankrott naht! Der treue Olimar hat seinem Chef versprochen, ihm mit einer groß angelegten Schatzjagd zu helfen. Also ist er mit seinem Assistenten Louie erneut auf dem Planeten der Pikmin gelandet, um in vier nach Jahreszeiten geordneten Gebieten Kostbarkeiten zu suchen. Und es gibt zwei Premieren: Erstens könnt ihr auf Wunsch jetzt zwei Truppen unabhängig voneinander steuern. Zweitens habt ihr für das Abenteuer unbegrenzt Zeit, so dass keine Hektik aufkommt.

          

Garten voller Monster

Aber zurück zu den Apfelsinenträgern: Gerade haben sie die Frucht über eine Holzbrücke geschuftet, da beginnt der sandige Boden zu beben, braune Staubwolken hüllen das Tal in Nebel. Was nun? Entweder Olimar schickt noch weitere Pikmin zur Apfelsine, damit die Frucht schneller transportiert werden kann, oder er bereitet sich auf einen Angriff vor. Doch kaum hat er eine Hand voll roter

Alle fünf Pikmin-Sorten beim Gruppenfoto!
Winzlinge zur Unterstützung Richtung Apfelsine geworfen, schon brechen vier ekelhafte Glibberwürmer aus dem Erdreich. Jetzt hilft nur eines: Attacke!

Als weiser Feldherr lässt Olimar nicht irgendwelche Pikmin angreifen, sondern nur die violetten Ledernacken: Sie sind stämmiger, schwerer und zehn Mal stärker als ihre roten Verwandten. Bei gedrückter A-Taste kann man auswählen, welche Farbe an den Zielort geworfen werden soll. Vier von ihnen genügen, um den Würmern in null Komma nichts den Garaus zu machen. Danach werden ihre leblosen Körper ebenfalls Richtung Raumschiff geschleppt, um Samen für neue Pikmin zu säen und als Eintrag im Lexikon verewigt zu werden. Das gehört übrigens zu den delikaten Highlights: Denn in dieser Piklopädie könnt ihr jede Pflanze, jeden Schatz und jedes Monster noch mal in fast fotorealistischer Umgebung anschauen, dabei die Kamera drehen, Hinweise lesen und gefräßige Kreaturen necken.

Pikmin für alle Fälle

Insgesamt gibt es fünf Sorten der kleinen Helfer: Zu den feuerfesten roten und den lila Kämpfern gesellen sich noch die großohrigen gelben, die man wesentlich höher werfen kann, um z.B. Schätze auf Baumstümpfen zu ergattern. Außerdem sind die gelben Leichtgewichte immun gegen Elektrizität. Hinzu kommen noch die blauen Pikmin, die als einzige ihrer Art schwimmen können - ideal, um Flüsse

Dieses Monster sorgt für herbe Verluste...
zu überqueren oder Inseln zu erobern. Und schließlich sind noch die weißen Flinklinge zu erwähnen, die mit ihren 1,5 cm zwar kein Monster beeindrucken, aber dafür schwelende Gifte löschen und vergrabene Schätze aufspüren können. Das hervorragende Level-Design strotzt nur so vor intelligenten Herausforderungen und Überraschungen.

Gerade die Debüts der lila und weißen Pikmin machen den Nachfolger taktisch noch interessanter. Erstere können dank ihres enormen Gewichts z.B. hohe papierne Einkaufstaschen rasend schnell platt walzen, damit der Weg für die anderen frei ist. Endlich hat man auch eine Eingreiftruppe und endlich kann man beim Erforschen der Gegend auch mal plötzlich Artefakte im Erdreich finden. Aber die Spezialisten lassen sich nicht einfach in den Zwiebeln züchten: Sie entstehen nur, wenn man normale Pikmin in große Nachtschatten-Blüten tief unter der Erde wirft. Erst dann transformieren sie zu kostbaren Spezialisten, auf die man gut Acht geben sollte.

       

Bosse mit Achilles-Ferse

Es kann nämlich mitunter schon mal bis zu sieben Stufen in zufallsgenerierter Dungeonmanier runter gehen, bevor euch ein pompöser Endgegner alles abverlangt. Die Nintendo-Designer haben hier ihre ganze Kreativität spielen lassen, denn die skurrilen Gegner sind ebenso bedrohlich wie ansehnlich. Manche protzen mit Spezialattacken wie Rundumschlägen, manche sind rasend schnell, andere

Olimar und Louie machen ein Päuschen.
vergraben sich plötzlich oder richten Bereichsschaden an. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: einen Schwachpunkt, den es zu entdecken gilt.

Habt ihr die Giganten schließlich besiegt, wartet meist ein spezieller Gegenstand auf euch, der neue Gebiete oder Fähigkeiten freischaltet. Eine Antenne alarmiert euch z.B., wenn Schätze in der Nähe sind, Stiefel lassen Olimar schneller laufen und eine Solaranlage erhellt selbst die dunkelsten Höhlen. Hinzu kommen Anzüge gegen Feuerschaden und Elektrizität. Habt ihr die Kostbarkeit eingesackt, schießt euch ein Geysir wieder an die Oberfläche.

Unterirdische Gefahren

Vor dem Eintritt in eine der etwa 14 Höhlen sollte man immer gut abwägen, ob man eine schlagkräftige und effektive Truppe beisammen hat, denn es kann kein Nachschub geordert werden. Habt ihr z.B. weiße Pikmin dabei, um Gifte zu entsorgen? Oder gelbe, falls ihr auf Stromtore stoßt? Und lila Pikmin, für schwere Brocken? Sollte es zum Kampf gegen mächtige und hervorragend animierte Vogelschlangen oder Riesenkäfer kommen, darf aber auch Olimar per Digikreuz mithelfen, denn mit seinen Pülverchen kann er Gegner versteinern oder die eigene Truppe aufputschen, damit sie schneller und stärker zuschlagen.

Falls ihr an der Oberfläche mal nicht weiterkommt, kann auch Teamarbeit helfen: Während Olimar mit seinen roten und lila Pikmin Monster auf Abstand hält, könnte sich Louie z.B. mit blauen Pikmin daran machen, eine Holzbrücke über den Fluss zu bauen. Ein Druck auf die Y-Taste genügt, und schon wechselt die Kamera zum anderen Anführer. Dank dieser kooperativen Möglichkeiten gewinnt das Spielerlebnis taktische Tiefe. Außerdem können Multitasking-Experten natürlich an einem Tag mehr erledigen, wenn sie die Arbeit klug aufteilen: Eine Truppe sammelt Schätze, eine andere Früchte, aus denen Olimar neue Tränke braut.

     

Nachtaktive Räuber

Nur müsst ihr immer noch dafür sorgen, dass alle Pikmin am Ende des Tages sicher in ihre Zwiebeln bzw. euer Raumschiff marschieren, denn mit der Nacht erwachen die Monster der Oberfläche und verschlingen alle Zurückgebliebenen. Eine detaillierte Statistik hält euch am Ende eines Tages auf dem Laufenden, was verlorene und geborene Pikmin sowie eroberte Schätze angeht. Und Vorsicht lohnt sich, denn wer ohne Verluste klarkommt, wird eher interessante Goodies wie z.B. Filme freischalten.

Kampf gegen die Zeit im Challenge-Modus!
Die Story rund um die drohende Insolvenz wird übrigens mit kleinen Mail-Botschaften von eurem Chef vorangetrieben. Sie sind mal witzig, mal informativ und dienen eher als kleine erzählerische Verknüpfung denn als Spannungsmoment.

Überhaupt ist die Geschichte eine weniger wichtige Nebensache, die auch aufgrund der fehlenden Sprachausgabe schnell im Schatten der fordernden Schatz-Einsätze steht. Sehr schade ist zudem, dass man die Kampagne nicht zu zweit erleben kann.

Wuseln im Duett

Falls ihr das umfangreiche Abenteuer gemeistert habt, das selbst Profis beim ersten Versuch sehr lange beschäftigen dürfte, könnt ihr noch auf drei weitere Modi zurückgreifen: Ihr könnt z.B. ein knackiges Duell per Splitscreen gegen einen Freund austragen. Auf knapp einem Dutzend Karten, die von einem bunten Kinderzimmer bis hin zur öden Rostwelt alles abdecken, geht es darum, wer als Erster vier gelbe oder die Königs-Murmel des Gegners erobert hat.

Hier sind Schnelligkeit, Geschick, Taktik und Glück gefragt. Sobald man eine Kirsche in die Basis schleppt, gibt es eine kleine Lotterie, die euch einen besonderen Angriff spendiert: So könnt ihr z.B. einen Felsbrocken im gegnerischen Lager einschlagen lassen oder eine Bombenspinne Richtung Feind jagen, die bei Explosion fast alle Pikmin in den Tod

2-Spieler-Duell: Jemand beschwört gerade die explosive Spinne - eine böse Überraschung!
reißt. Wer ganz dreist ist, marschiert einfach zur Königs-Murmel und schleppt diese in sein Lager. Aber Vorsicht: Der Gegner kann seine Pikmin rufen und eure Träger attackieren!

Im Laufe der Kampagne könnt ihr noch den Challenge-Modus aktivieren, wenn ihr ein besonderes Artefakt findet. Hier geht es darum, in kurzer Zeit möglichst viele Schätze zu bergen - inklusive Highscore. Erschwert wird das Ganze noch dadurch, dass euch nur eine begrenzte Zahl an Pikmin begleiten und es teilweise auch unterirdisch zur Sache geht.

Hier müssen eure Wuselfreunde meist erst einen Schlüssel bergen, um den Weg in die Tiefe zu öffnen. Trotzdem ist diese knackige Herausforderung sehr motivierend, denn sobald ihr eine Arena meistert, wird die nächste freigeschaltet; insgesamt warten etwa 30 auf euch. Sehr spaßig ist dieser Modus auch zu zweit, denn die Arenen sind auch kooperativ über Splitscreen spielbar.

    

Fazit

Wunderbar! Es gibt Spiele, die verzaubern von der ersten Sekunde an und lassen einen nicht mehr los. Pikmin 2 entführt euch in einen charmanten Mikrokosmos zwischen Pusteblumen und Baumstümpfen, der eure ganzen strategischen Qualitäten fordert. Und obwohl es "nur" ein Nachfolger ist, ist es einer der besten, die mir je untergekommen sind. Shigeru Miyamoto und Takashi Tezuka haben das nervige Zeitlimit des Vorgängers gestrichen und dafür jede Menge neuer Möglichkeiten integriert, die Planer und Feldherren begeistern werden. Vor allem die Kooperation im Team, die vielen nützlichen Items, das tolle Lexikon und die spannenden Multiplayer-Modi werten das Spielerlebnis enorm auf. Hinzu kommt eine traumhafte Kulisse, die selbst im totalen Zoom mit verblüffenden Details protzt. Außerdem wurde die Spielbalance so verbessert, dass der Schwierigkeitsgrad jetzt sanft ansteigt, bis er sich auf einem hohen, aber niemals frustrierenden Niveau einpendelt. Zu kritisieren bleibt nur die belanglose Story mit ihrer fehlenden Sprachausgabe sowie das Fehlen einer zu zweit spielbaren Kampagne. Aber das sind Kleinigkeiten, die nicht an der Großartigkeit dieses Strategiespiels kratzen können. Wer sich diese GameCube-Delikatesse entgehen lässt, ist selber schuld!

Pro

klasse Grafik
neue Dungeons
viel zu entdecken
intuitive Steuerung
viele nützliche Items
tolles Lexikon-System
skurriles Monsterdesign
motivierende Kampagne
exzellentes Level-Design
fantastischer Mikrokosmos
kein nerviges Zeitlimit mehr
viele taktische Möglichkeiten
kooperativer Challenge-Modus
sehr spannende Multiplayerduelle
sanft ansteigender Schwierigkeitsgrad

Kontra

Story nur Beiwerk
keine Sprachausgabe
keine kooperative Kampagne

Wertung

GameCube

Geniales Strategie-Erlebnis im floralen Mikrokosmos!

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