Killer 723.07.2005, Jörg Luibl
Killer 7

Im Test:

Jetzt ist es passiert: Der Mainstream ist tot. Hättet ihr gedacht, dass Capcom so weit gehen würde? Dass die Japaner vor der versammelten Spielewelt auf ihn losstürmen und ihn kaltblütig massakrieren würden? Unglaublich. Killer 7 (ab 40,00€ bei kaufen) murkst mal eben die Gewohnheit ab. Einfach so. Blutig, böse, grinsend. Dabei gibt es doch überall Zeugen! Wir waren auch dabei und konnten unseren Augen nicht trauen.

Alles ist anders

Ich habe gerade ein Dutzend irre lachende Kreaturen mit gezielten Schüssen zur Hölle gejagt. Warum? Sie sind auf mich zu gerannt und wollten sich selbstmörderisch in die Luft sprengen. Mal abgesehen davon, dass das politisch und menschlich höchst unkorrekt ist, gehöre ich selbst zu einem Killerkommando der Psychoklasse. Ich bin eine 7-Mann-Armee, die diese Freaks im Auftrag der USA aufhalten soll. Sie nennen sich Heavenly Smiles und irgendein asiatischer Unterweltboss mit großem Terrorappetit soll dahinter stecken.

Das goldene Funkeln markiert die Schwachstelle der Feinde. Bei einem Treffer...
Er ist durchgeknallt mit Einfluss, ich bin schizophren mit Direktverwandlung. Das heißt, ich kann jederzeit in einen von sieben schwer bewaffneten Killern schlüpfen: Dan, Kaede, Kevin, Coyote, Con, Garcian, Mask de Smith - das sind die alternativen Rollen, die euch nach jedem Wechsel neue Angriffe und Spezialaktionen bieten. Kaede ist Scharfschützin und kann unsichtbare Wände einreißen; Coyote knackt Schlösser und springt wie ein Känguru, Mask ist Wrestler und ballert selbst Wände weg, Kevin ist ein Albino, der sich unsichtbar machen und mit Messern hantieren kann.

Trotzdem ist es dumm gelaufen: Einige Himmelsgrinser haben mich mit ihren Ganzkörperexplosionen erwischt. Ich bin verwundet und will abspeichern. Aber das geht gerade nicht. Zwar bin ich laut Karte am richtigen Ort, aber zur falschen Zeit: Die Blondine vom Speicherservice vögelt gerade mit einem alten Mann im Rollstuhl. Darf das wahr sein? Was soll's! Lange kann es nicht mehr dauern, denn sie stöhnt schon im Stakkato. Ach ja: Der kopulierende Alte ist übrigens Harman Smith, mein Kopf und Meister, der Big Daddy der Killertruppe, der am liebsten mit Panzer brechenden Raketen argumentiert.

Durchgeladen, durchgeknallt

Könnt ihr mir noch folgen? Seid ihr etwa verwirrt oder gar angewidert? Das ist gut so. Denn  Killer 7 spielt mit Extremen, lotet Grenzen aus. Es ist mal brutal, mal sexistisch, mal rassistisch. Es ist spielerisch ungewöhnlich, erzählerisch bizarr und grafisch einzigartig: Eine mutige Hommage an einen freien Comicstil, der sich mit breiten Flächen und scharfen Strichen auf das Wesentliche beschränkt. Die Welt wird fast nur noch in Umrissen angedeutet, die Figuren werden markant überzeichnet wie in japanischen Mangas. Die Kulissen mögen spartanisch, kalt oder gar fade erscheinen, aber das Hantieren mit Revolver und Doppelpistolen oder die Darstellung von Karatekicks wird genau so cool inszeniert wie die Spezialeffekte: Zeitlupen, Partikelfontänen, Verzerrungen, Verfremdungen - alles ist dabei.

Nicht nur die Grafik, auch das Spiel bricht mit bekannten Konventionen: Ihr könnt nur dann speichern, wenn die betreffende Lady am Ort bereit dafür ist - trägt sie Freizeitkleidung, hat sie keine Lust auf eure Daten. Das Spiel spielt mit euch, macht euch teilweise zur Marionette und manchmal hat man das Gefühl, dass es einen auslacht. Ihr bewegt euch nicht frei mit dem Analogstick wie in einem Shooter, sondern über einen Knopfdruck in Schulterperspektive auf festgelegten Wegen. Gezieltes Stöbern in Ecken oder Strafen? Gibt's nicht. Freies Feuern? Fehlanzeige. Ihr müsst erst eure unsichtbaren Feinde scannen, die ihr meist nur anhand ihres Lächelns kurz vor dem Kampf identifizieren könnt. Ihr dürft euch immerhin schnell um 180 Grad drehen, eure Feinde automatisch oder manuell in Egosicht anvisieren. Aber ansonsten müsst ihr festgelegten Routen folgen. Wenn es irgendwo Kreuzungen, Gegenstände oder Rätsel gibt, werden diese sofort angezeigt. Und damit Orientierungsfrust nicht aufkommt, werden bereits besuchte Wege oder gelöste Aufgaben deutlich markiert.

...lösen sich die Gegner sofort in einem Blutpartikelregen auf, der automatisch eurem Konto gutgeschrieben wird.
Actionorgie & Rätselkost

Die intensive Action ist nicht umsonst nur für Erwachsene freigegeben, denn sie fackelt eine Orgie der Gewalt ab: Ihr könnt eurem grinsenden Feind z.B. gezielt das Bein wegschießen, so dass er zu Boden fällt und auf euch zurobbt. Mit Spezialmunition bleiben auch Arme und Kopf nicht lange an ihrem Platz, Granaten sorgen für lebende Fackeln und es kann in einem Bosskampf passieren, dass ihr in einen geöffneten Schädel zielen müsst.

Aufgelockert wird die Projektilorgie immer wieder von Erkundungen auf Dächern, im Freien oder Räumen sowie Rätseln. Es gibt sehr viele, interessante und skurrile, aber leider auch sehr viele leichte Knobelsituationen. Wenn ihr in einer Sackgasse eine bestimmte Fähigkeit einer Person benötigt, wie z.B. die Sprungkraft von Coyote, wird das schon auf der Minikarte über sein Icon angezeigt. Wenn ihr vor einem Logikrätsel steht, wird es euch erklärt. Wenn ihr eine Zahlenkombination braucht, wird sie euch überdeutlich vorgestellt. Diese Leichtigkeit lässt einen zwar locker vorankommen, aber die Rätsel hätten entweder besser in die Story eingeflochten oder komplexer sein müssen, um richtig zu begeistern. Man kann dem etwas entgegen wirken, indem man von Beginn an den höheren der beiden Schwierigkeitsgrade wählt. Aber dann sind auch die Gegner härter, das Blut fließt seltener.

               

Kampftaktik & Selbstmordwelle

Die Kämpfe gegen die Heavenly Smiles sind da schon anspruchsvoller, obwohl sie weder mit einer ausgefeilten KI noch Taktik glänzen. Diese Kreaturen kommen aber schon nach den ersten drei der insgesamt zehn bis fünfzehn Spielstunden in zig Varianten vor - klein und schnell, an der Decke krabbelnd, fliegend, riesig groß oder als Kugel rollend. Alle haben eine bestimmte Schwachstelle, die es zu attackieren gilt: Einer Sorte müsst ihr z.B. drei mal auf die Hand schießen, damit sie sich im Kreis dreht und ihren wunden Punkt auf dem Rücken offenbart. Wer nur wild ballert, hat bei vielen Gegnern keine Chance. Spätestens, wenn ihr Nestern mit endlos schlüpfenden Kreaturen und Bossmonstern begegnet, ist taktisches Vorgehen lebenswichtig. Auch die Unsichtbarkeit kann helfen, wenn euch Laserschranken behindern oder Gegnerscharen umzingeln.

Mask de Smith: Er reißt Wände ein und setzt Gegner in Brand. Nur beim Nachladen ist er verdammt langsam...
Trotzdem ist auch die Action fast schon zu einfach zu meistern, so dass geübte Shooter-Spieler am besten gleich mit dem schwierigeren Modus starten sollten, der euch nicht sofort den tödlichen Punkt anzeigt. Das einzige kleine Frusterlebnis innerhalb der intensiven Kämpfe liegt darin, dass man manchmal aus heiterem Himmel attackiert wird, wenn man von z.B. von einem Raum ins Freie wechselt - plötzlich wird man von Selbstmordlächlern überrannt. Diese ausweglosen Situationen samt Zwangstod sind ein unnötiges Ärgernis, aber immerhin nicht all zu tragisch; ihr seid ja zu siebt und könntet theoretisch einfach mit einem anderen Killer weiter spielen. Außerdem kann der schwarze Gentleman Garcian eure Überreste in einer Bluttüte aufsammeln und euch in null Komma nichts wiederbeleben.

Sin City meets Oliver Stone

Blut schmeckt gut. Fleisch ist Mord. Susie hat'ne Uzi. Das sind keine dilettantisch übersetzten Manson-Reime, sondern wild zusammen gewürfelte Sätze aus dem Drehbuch. Wundert euch nicht, wenn ihr die Story rund um die nukleare Bedrohung Japans, korrupte UN-Gruppen und den mysteriösen Terrorchef Kun Lan selbst nach einem halben Dutzend Stunden, ja selbst nach dem Abspann noch nicht richtig verstanden habt - die Verstörung ist ein alles übergreifendes Stilmittel. Schockierende Momente gibt es nicht nur visuell, sondern auch im Text, denn kein Tabu bleibt unangetastet - etwa, wenn euer Helfer Iwazaru seiner Abneigung gegen Schwarze freien Lauf lässt: "Ich hasse Afros. Ist das eklig."

Aber Killer 7 ist weit davon entfernt, eine rassistische Botschaft zu propagieren. Es hat hemmungslos zeitkritische Tendenzen, bohrt in alle Abgründe der menschlichen Gesellschaft und stellt existenzielle sowie politische Fragen. Etwa, wenn es um die nukleare Ausradierung Japans geht: Müsste man Japan etwa zum Wohle der Welt opfern? Hat sich Japan diese Rolle gar historisch verdient? Etwa, wenn ein kleiner amerikanischer Junge schwört, alles Böse auf der Welt auszumerzen, wenn er erstmal groß ist - Bush lässt grüßen. Wenn ihr die düstere, von Tod und Gewalt geprägte Gesellschaftskritik von Filmen wie Natural Born Killers oder Comics wie Frank Millers Sin City mögt, ist Killer 7 euer Spiel. Ihr werdet in eine  irre Parallelwelt entführt, in deren grellen Spiegeln sich immer wieder ein realer Bezug abzeichnet. Das macht neugierig, reizt zum Weiterspielen.

Wenn ihr allerdings deutliche Dialoge, klare Feindbilder und logische Verknüpfungen mögt, ist Killer 7 nicht euer Spiel. Selbst reine Action- und Gore-Fans sollten sich trotz der coolen Schussduelle darüber klar sein, dass es sich zwar manchmal wie ein Shooter oder Survival-Horror anfühlen mag, aber sich über weite Strecken eher wie Survival-Wahnsinn spielt. Man redet mit Köpfen, lässt Blut regnen oder schleppt Laster mit einem Seil weg. Kriegt man Angst? Nein. Höchstens eine gewisse Panik angesichts der Übermacht. Aber der Grafikstil ist einfach zu wenig realistisch, als dass man Schockmomente à la Resident Evil 4 oder authentische Action à la Far Cry erleben würde. Die Monster wirken vielleicht abscheulich, aber gleichzeitig auch abstrus und künstlich.

Kaede zeigt Augenmaß oder Suizidfreude: Dieser Riese lässt sich auf euch fallen und explodiert dann.
Lebenssaft & Levelhatz

Blut ist das zentrale Element des Spiels. Es fließt nicht nur in Strömen, es heilt und stärkt euch auch. Wie bekommt man es? Ganz einfach: Ihr müsst eure Feinde an ihren verwundbaren Stellen treffen - im normalen Schwierigkeitsgrad glänzen sie golden und variieren in der Position. Sie können sich beim ersten Gegner am Arm, beim zweiten am Knie oder beim dritten am Kopf befinden. Trefft ihr diese handgroßen Punkte, löst sich der Gegner sofort in seine Blutpartikel auf, die automatisch von euch aufgesaugt werden und euer Konto füllen. Bis zu 1000 Deziliter haben dort Platz.

Was macht man mit so viel Blut? Man sucht einen Fernseher, filtert ein Serum daraus, um die Kraft, Geschwindigkeit, Zielsicherheit, Trefferquote, Reichweite oder Unsichtbarkeit der Killer zu erhöhen. Der Lebenssaft ersetzt hier die Erfahrungspunkte und lässt eure Charaktere bis zu fünf Level aufsteigen. Jeder Schritt auf der Karriereleiter führt außerdem zu zusätzlichen automatischen Fähigkeiten, die sich direkt im Kampf auswirken: Ihr könnt eure Schüsse z.B. dreifach aufladen, nahende Feinde mit einem tödlichen Tritt ins Jenseits befördern, sie bei Treffern sofort verlangsamen oder beim Zielen direkt den Kopf im Visier haben. Diese kleinen Verbesserungen und das individuelle Aufrüsten laden immer wieder zum Experimentieren ein.

GameCube vs. PS2

Obwohl Killer 7 auf beiden Plattformen auf den ersten Blick dieselbe gute Figur macht, offenbaren sich auf den zweiten doch klare Unterschiede. Die GameCube-Fassung ist einfach sauberer programmiert als ihr technisch schwächerer und von langen Ladezeiten geplagter PS2-Zwilling. Und neben der flüssigeren Darstellung bietet die Nintendo-Konsole im Detail auch mehr Schattenwürfe, so dass Hände und Waffen z.B. plastischer wirken. In Sachen Steuerung hat die PS2 wiederum einen Vorteil: Nur sie bietet euch bei der Bewegung das Digipad als Alternative an. Warum man GameCube-Killern diese zweite Variante vorenthalten hat, ist mir schleierhaft.

           

Fazit

Wer Killer 7 hinter sich hat, wird es nicht so schnell vergessen. Es gibt einfach zu viele Szenen, die sich für die Ewigkeit ins Gedächtnis brennen. Man ballert, knobelt und wundert sich durch eine einzigartige Parallelwelt mit bizarren Charakteren und grinsenden Monstern. Sicher: Es gibt Gründe gegen Killer 7 - die Rätsel sind zu leicht, manche Dialoge erscheinen abstrus, das plötzliche Auftauchen der Gegner frustriert. Und wer eine klare Story sucht, wird komplett enttäuscht. Aber es gibt einen großartigen Grund für Killer 7: Es tötet den Mainstream. Dieses außergewöhnliche Action-Adventure ist ein herrlicher Kontrapunkt zum zielgruppenorientierten Gamingfusel, der alles und jeden in einem gepanschten Mix befriedigen will. Killer 7 ist wie ein klarer Schnaps. Es schert sich keinen verdammten Pixel um den Appetit der Masse. Im Gegenteil: Es verlässt mit Vollgas eingefahrene Wege, nimmt euch mit auf einen rücksichtslosen Höllentrip in die Abgründe unserer Gesellschaft - brutal, orgiastisch, avantgardistisch. Wenn unter der irren Oberfläche noch etwas mehr Spielekitzel stecken würde, hätte ich Platin eingeschenkt. So stoße ich mit Gold auf Capcoms mutiges Kunstwerk an - Prost!

Pro

hilfreiche Karte
bizarre Figuren
taktische Action
einfache Steuerung
gutes Aufrüstsystem
zeitkritische Story
gutes Leveldesign
faires Speichersystem
guter Rätsel- & Actionmix
avantgardistischer Grafikstil
motivierender Charakterwechsel
freispielbarer Modus samt neuem Charakter

Kontra

wirrer Einstieg
undurchsichtige Story
keine freie Bewegung
sehr einfache Rätselkost
nur deutsche Untertitel
einige unfaire Monsterattacken
lange Ladezeiten & Grafikschwächen (PS2)

Wertung

PlayStation2

GameCube

Killer 7 nimmt euch mit auf einen Höllentrip in die Abgründe unserer Gesellschaft - brutal, orgiastisch, avantgardistisch.

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