Fire Emblem: Path of Radiance10.11.2005, Jörg Luibl
Fire Emblem: Path of Radiance

Im Test:

Ihr wollt kein hektisches Hack'n'Slay? Ihr habt Lust auf Rollenspielflair und rundenbasierte Kämpfe, die ein helles Köpfchen statt ein schnelles Händchen fordern? Dann könnte Fire Emblem: Path of Radiance (ab 299,00€ bei kaufen) interessant für euch sein. Nintendo überträgt das ruhmreiche Fantasy-Strategiespiel nicht nur zum ersten Mal vom GBA auf den GameCube, sondern auch zum ersten Mal in die dritte Dimension. Neuer technischer Glanz, alter taktischer Spielspaß?

Im Schatten des Vaters

Ike hat's nicht leicht. Als junger Waldläufer wird er noch nicht richtig ernst genommen in der Söldnertruppe und muss mit dummen Sprüchen leben. Dass sein Vater Greil auch noch der Anführer der bekannten Kämpfer ist, macht die Sache nicht leichter. Er will als loyaler Sohn in seine Fußstapfen treten, zweifelt jedoch an seinen Fähigkeiten. Doch der Schatten des

Ike in Rage - allerdings hat er nur ein Holzschwert. Doch das soll sich bald ändern...
Vaters ist nicht das Einzige, was Ike beschäftigt: Als seine Heimat Crimea von den Nachbarn aus Daein überfallen wird, begibt sich die Tochter des Königs in die Obhut von Greils Bande.

Sie befindet sich auf der Flucht vor den Streitkräften der Invasoren. Nach einer hitzigen Debatte entscheidet sich Greil für die Retttung der jungen Thronfolgerin. Kurze Zeit später wird das Hauptquartier der Söldner von feindlichen Truppen umstellt. Es bleibt nur eine Chance: Die Flucht ins benachbarte Reich Gallia. Das ist zwar befreundet, aber dort herrschen die Laguz - Halbmenschen, denen niemand traut und die sich in Raubtiere oder Vögel verwandeln können. Ikes Abenteuer kann beginnen…

Kitsch oder Epos?

Man kann die Story als eindimensional und pathetisch abstempeln, denn viele naive Dialoge und archetypische Beziehungen verströmen zunächst einen Hauch von Fantasykitsch - vor allem bis zum achten Kapitel. Aber dort wird man eines Besseren belehrt. Denn das Epos rund um Ikes Schicksal nimmt plötzlich Fahrt auf und plötzlich sorgen tragische Momente und hochwertige, wenn auch verdammt spärlich gesäte, Zwischensequenzen im Anime-Stil für erzählerische Klasse. Was der Präsentation im grafischen Detail fehlt, kann sie in Sachen Regie tatsächlich wieder wettmachen.

Natürlich wird hier kein extravagantes Abenteuer aufgetischt und Fantasykenner hangeln sich an einer langen Klischeeleine durch einen klassischen Gut-Böse-Konflikt inklusive Rache, Liebe und Verrat. Aber war das nicht auch der Tolkien'sche Stoff, der Millionen begeisterte? Irgendwann kommt jedenfalls der Punkt, an dem man trotz der durchsichtigen Moral mitfiebert. Und eines kann man der Erzählung nicht vorwerfen: dass es ihr an interessanten Figuren, Dialogen und Wendungen mangeln würde.

Leider können die 3D-Kämpfe im Großformat nicht das "atemberaubende" Versprechen der Verpackung halten. Statt Sprachausgabe gibt's nur deutsche Texte.
In Sachen Dramaturgie und Story wird der hauseigene Rundenkonkurrent Advance Wars Dual Strike  eindeutig übertroffen. Aber wie sieht es im taktischen Bereich aus? Auf den ersten Blick weniger umfangreich und vielfältig: Es gibt abseits der Kampagne keinen Skirmish-Modus oder gar eine Multiplayerunterstützung - selbst Splitscreenkämpfe sind also nicht möglich. Erst, wenn man Fire Emblem gemeistert oder einen GBA mit Fire Emblem: Sacred Stones angeschlossen hat, winken neben Artworks auch weitere Herausforderungskarten. Hinzu kommt, dass das Gelände nicht so eine tragenden Rolle spielt: Es gibt keine besonderen Höhenvorteile oder Abzüge auf ungünstigem Boden.

Zwar bleibt man im Wald versteckt, aber das war's auch schon. Auch sollte man keinen Realismus bei Sichtlinien oder dem Fernkampf erwarten: Bogenschützen können gerade mal zwei Felder weit schießen; für weitere Distanzen muss man sich in eine Ballista setzen. Außerdem bietet das Missionsdesign keine großen Freiheiten: Es gibt einige Stellen, an denen man sich ein Mitspracherecht gewünscht hätte, wenn es z.B. um das Aufteilen der Gruppe oder die Allianzentscheidung geht.          

Taktisches Dreieck

Aber das sind alles kleine Wünsche und Auffälligkeiten am Rande, die harmlos um einen wertvollen spielerischen Kern schwirren. Die Kritik prallt an den Stärken von Fire Emblem ab. Denn auf den zweiten Blick bietet es herrlich personalisierte Taktik für Sammler, Tüftler und Feldherren - nur befehligt ihr keine große Armeen, sondern eine Truppe aus Spezialisten. Das Kampfsystem ist ebenso einfach wie komplex: Axt schlägt Lanze. Lanze schlägt Schwert. Schwert schlägt Axt. Das ist

Übersicht und eine geordnete Defensive führen zum Erfolg.
das magische Dreieck, das ihr in der Schlacht kennen solltet. Natürlich kann man mit jedem Waffentyp Schaden anrichten und das Prinzip zur Not ignorieren. Aber wer mit einer Doppelaxt auf einen Schwertkämpfer stürmt, wird empfindliche Abzüge hinnehmen müssen. Selbst im arkanen Bereich ist Taktik gefragt: Auch Magier müssen wohl überlegt Feuer, Wind oder Donner beschwören, denn auch hier gilt das Schere-Stein-Papier-Prinzip - nur das arkane Licht ist universell effektiv.

Die jeweiligen Boni und Mali werden schon vor dem Kampf in einem informativen Doppelmenü angezeigt. Hier können noch viele weitere Modifikationen betrachtet werden: Bogenschützen erhalten z.B. Pluspunkte beim Beschuss fliegender Einheiten; es gibt Panzer brechende Waffen oder solche, die am besten gegen Reiter wirken - kleine Icons informieren euch über aktuelle Fähigkeiten. Mit ein bisschen Gestöber und gezieltem Itemtausch kann man sich optimal auf jeden Gegner vorbereiten.

Eldorado für Rollenspielwühler

Fire Emblem ist ohnehin ein Eldorado für Statistiker und Rollenspieler mit Hang zum exzessiven Party-Management: Neben dem Level, der Kraftpunkte, der Bewegung und der Kondition gibt es auf insgesamt drei Seiten Informationen über acht Attribute wie Stärke, Resistenz oder Glück sowie die Statur, das Ausweichen, die Spezialfähigkeiten oder den Waffenlevel, der alleine sechs Stufen beinhaltet. Und hier kann man sich köstlich lange damit beschäftigen, ob eher der Ritter oder der Waldläufer das neue Schwert führen soll.

Eure Kämpfer sammeln für alle Attacken und Paraden Erfahrungspunkte, die irgendwann in einen Levelaufstieg münden, was gerade zu Beginn sehr zügig geht. Leider kann man dann nicht selbst entscheiden, ob die Stärke oder das Glück erhöht werden sollen - alles wird automatisch aufgewertet. Das passiert zwar im Sinne der Charakterklasse, raubt dem Spieler aber Freiheiten bei der Entwicklung. Das wird allerdings ab dem achten Kapitel wieder ausgeglichen, wenn man Mitglieder seiner Truppe mit Erfahrungspunkten oder Fähigkeiten ausrüsten kann. Erst hier könnt ihr auch gezielt Partnerschaften bilden, die zwei Helden im Kampf weitere Boni verleihen, da sie sich danach vertrauen und aktiv unterstützen - eine klasse Idee.

Möchtet ihr einen Recken besonders fördern, müsst ihr ihn oft an die Front schicken oder aus dem Pool der Teamerfahrungspunkte individuell aufpeppeln. Aber Vorsicht: Wer einmal stirbt, ist auf ewig verloren. Gerade diese Konsequenz ist unglaublich motivierend und sorgt dafür, dass man seine lieb gewonnenen Helden nicht sinnlos verheizt. Da

Zig Dialoge treiben die Story voran und sorgen für Rollenspielflair.
es zwischen den Kämpfen immer wieder Zickereien, Zank und Techtelmechtel zwischen den Gruppenmitgliedern gibt, wachsen sie einem durchaus ans Herz. Und über das Manöver "Retten" kann man schwer verwundete Recken, die keinen Heiltrank mehr haben, aus der Gefahrenzone schleppen und an einem sicheren Ort absetzen - aber nur, wenn sie leichter sind als der Träger.

Auch das ist wieder eine dieser feinen Kleinigkeiten, die Fire Emblem auszeichnen: Man kann Verbündete auf ein benachbartes Feld schupsen, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen; man kann mit Speeren über zwei Felder attackieren, bei der richtigen Waffenwahl mit Konterangriffen glänzen oder gezielt die Erstschlagfähigkeit nutzen. Neu ist zudem die Möglichkeit, eure Kämpfer schleichend um den Feind zu bringen. Die Möglichkeiten sind enorm, aber selbst Einsteiger werden von kurzen Tutorials behutsam und im richtigen Augenblick informiert. Anstatt eines langwierigen Trainings werden kurze anschauliche Übungen präsentiert, die man auch ignorieren kann.      

RPG im Strategiepelz

Für Rollenspielflair sorgen nicht nur all die Werte und Zahlen, sondern auch Stippvisiten bei Einheimischen, die euch mit Items belohnen, oder das Öffnen von Schatzkisten und Türen mit entsprechenden Schlüsseln. Dass sich unter der Strategie-Oberfläche eine lebendige Fantasywelt verbirgt, verdeutlicht auch die Möglichkeit, eure Gefährten selbst auf den Kampfkarten ansprechen zu können - nicht über die Taktik, sondern über persönliche Eindrücke oder die Herkunft wird dann diskutiert. Ihr könnt auch Einheiten bestehlen oder mit Gesang weitere Züge ermöglichen. All das erinnert genau so wohltuend an gute alte AD&D-Zeiten wie NPCs, die plötzlich auf den Karten auftauchen und sich euch anschließen. Fans ist das alles vertraut, Einsteiger werden von der Komplexität und Detailfreudigkeit angenehm überrascht.

Auch Magie kommt in vier arkanen Bereichen zum Einsatz: Feuer, Wind, Donner und Licht.
Zwar gibt es keine klassischen Rassen wie Elfen, Zwerge oder Orks, aber dafür sorgen die Laguz für Abwechslung. Sie tauchen in Menschengestalt auf, können sich aber je nach Art in Tiger, Falken, Katzen, Raben oder gar rote Drachen verwandeln und kräftig zulangen. Im Bereich der Klassen geht es wieder klassisch zu: Kämpfer, Waldläufer, Berserker, Ritter, Priester, Magier, Diebe - alle erdenklichen Berufe sind dabei und unterstreichen die Vielfalt, die in Fire Emblem steckt.

Optimaler Schwierigkeitsgrad

Lasst euch von der Leichtigkeit des Einstiegs und Titanias mächtigen Hieben nicht täuschen: Der Schwierigkeitsgrad steigt zunächst sehr sanft, aber nach zwei Stunden deutlich spürbar an. Wer es noch kniffliger haben will, kann ihn auf die dritte Stufe hebeln. Aber schon auf normalem Niveau überzeugt die KI der Gegner: Man kann immer wieder beobachten, wie sich schwer verwundete Einheiten zurückziehen, um sich zu heilen, oder wie Feinde gezielt eure schwachen Priester und Zauberer attackieren. Selbst Tränke werden von der KI geschickt genutzt.

Dabei umgehen sie sogar näher stehende Kämpfer, wenn es einen Weg gibt. Überhaupt liegt ein großer taktischer Reiz in der gezielten Bewegung und Positionierung eurer Truppen: Vor jedem Konflikt könnt ihr ihre Aufstellung und Ausrüstung anpassen. Während der Auseinandersetzung gilt es, seine Kämpfer je nach Typ möglichst geschickt zu manövrieren - schwache Mitglieder sollten umrahmt werden, Reiter können aufgrund ihrer Beweglichkeit schnelle Hit&Run-Attacken fahren, und sich nach einem Hieb wieder zurückziehen, und in Dungeons sollte man die Umzingelung durch geschicktes Versperren von Zugängen verhindern.

Obwohl es vor allem im späteren Verlauf sehr langwierige, gerade in der Startphase monotone und hinsichtlich der Manöver auch eintönige Schlachten inklusive Bogenschützen, Reitern, Magiern und fliegenden Pegasi geben kann, muss man nicht immer stupide bis zum letzten Mann kämpfen: Die Zielvorgaben variieren angenehm vom Halten einer Stellung auf Zeit, dem Erobern eines Punktes bis hin zur geordneten Flucht. Außerdem kann man meist einen Anführer besiegen, um die Karte zu meistern. Allerdings werden Perfektionisten, die keinen Abenteurer verlieren wollen, schnell bemerken, dass eine geordnete Defensive fast immer Trumpf ist. Man kann Fire Emblem vielleicht vorwerfen, dass es offensive Durchbrüche zu selten belohnt. Aber all das trägt zu einem angenehmen, manchmal zähen, aber gleichzeitig immer wieder fordernden Spielgefühl bei. Optimal wäre es gewesen, wenn man auch während der langen Schlachten hätte speichern können. Nichts ist schlimmer als ein Heldentod in der letzten Runde, der Perfektionisten wie mich zum erneuten Spielen der gesamten Karte zwingt.

Buntes Fantasy-Mittelalter

Leider kann die neue dritte Dimension nicht für den erhofften Augenschmaus sorgen: Obwohl Umhänge wehen, Kapuzen

Auch wenn's manchmal vor Pathos trieft: Ikes Schicksal läasst einen nicht so schnell los.
wackeln und Flüsse fließen bleibt die Präsentation ein optisches Mittel zum Zweck der Übersicht - eher dröge als prickelnd. Und so episch die Story auch ist, sie wird ohne Sprachausgabe von deutschen Texten in Dialogboxen erzählt. Selbst an den laut Verpackung "atemberaubenden" Kämpfen im Großformat hat man sich schnell satt gesehen, so dass man sie nur noch klein auf der dreh- und zoombaren Karte ablaufen lässt - das spart auch Zeit. Etherlords II & Co inszenieren das wesentlich besser. Auch musikalisch kann Fire Emblem auf Dauer einfach nicht überzeugen: Nur in den dramatischen Zwischensequenzen wird die viel zu eintönige Melodie endlich von packenden Tönen ersetzt. Das ist noch enttäuschender als die fehlenden Sprecher, denn die dramatische Erzählung hätte mehr Klangreichtum verdient.

Das Spiel hat aber durchaus seinen Charme und lebt von seinem nostalgischen, manchmal fast naiven Fantasyflair. Es ist weder kulleraugenkitischig noch gotisch düster, sondern einfach mittelalterlich bunt. Man wühlt sich durch edle Menüs, bekommt ein markantes Figurendesign sowie einige sehenswerte, wenn auch unspektakuläre Zauberei. Die Hardware des GameCubes wird allerdings nicht mal ansatzweise gefordert. Man könnte sich Fire Emblem auch gut als DS-Umsetzung vorstellen.           

Fazit

An alle Fire Emblem-Fans: Greift zu! An alle Einsteiger: Lasst euch vom ersten Eindruck nicht täuschen. Ja, die Musik ist verdammt eintönig. Ja, der GameCube wird technisch nicht mal ansatzweise gefordert - es könnte auch locker als DS-Spiel umgesetzt werden. Und ja, die Story trieft zunächst vor Klischees. Aber was in der ersten Stunde kitschig, optisch bieder und spielerisch altbacken erscheint, entpuppt sich spätestens ab dem achten Kapitel als fordernde Rundenstrategie für Tüftler, Sammler und Feldherren. Kennern der Serie braucht man das nicht zu erzählen, denn schon auf dem GBA ging's taktisch und erzählerisch immer höchst delikat zur Sache. Und trotz der halbherzig genutzten dritten Dimension ist in den umkämpften Wäldern und Dungeons von Tellius erneut kluges Team-Management gefragt. Fire Emblem erreicht zwar nicht die taktische Vielfalt und den Umfang von Advance Wars, aber dafür punktet es mit klassischem Rollenspielflair und einer epischen Story, die plötzlich verdammt viel Fahrt aufnimmt. Auf dem DS würde ich inklusive Multiplayer-Modus sofort einen Gold-Award zücken. Warum kommt das eigentlich nicht für den Kleinen?

Pro

hilfreiche Tutorials
gutes Kampfsystem
angenehme Lernkurve
enorme Einheitenvielfalt
epische Rahmenerzählung
jede Menge Waffen & Zauber
interessantes Team-Management
motivierende Rollenspielelemente
lebendige Party-Kommunikation
Kampf im Freien und in Dungeons
GBA-Verbindung für Bonusmaterial(Artworks, spielbare Challenge-Maps)
hervorragende Zwischensequenzen

Kontra

fade Kulisse
eintönige Musik
keine Sprachausgabe
einfache Gut-Böse-Moral
Gelände spielt keine Rolle
nur automatisierter Aufstieg
kein Speichern während der Kämpfe
kein Multiplayermodus; kein Skirmish
zu wenig Zwischensequenzen

Wertung

GameCube

Epische Rundenstrategie für Sammler, Taktiker und Rollenspieler.

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