Resident Evil 4 (2005)17.06.2004, Jörg Luibl
Resident Evil 4 (2005)

Vorschau:

Wie spielt sich Resident Evil 4? Nach der pompösen Bilder- und Trailerflut erreichte die Erwartungshaltung euphorische Ausmaße, als wir Capcoms Horror-Blockbuster bei Nintendo anspielen konnten: "Endlich komplett 3D! Endlich Innovationen!", jubelte die Zockerseele voller Vorfreude. Aber wie sah es nach 30 blutigen Minuten aus?

Des Horrors neue Kleider

Irgendwo in Europa. Irgendwann im Herbst, sechs Jahre nach den Ereignissen in Raccoon City. Der Himmel hängt wie ein grauer Schleier über dem Land. Ein Blondschopf in Lederjacke geht langsam einen schmalen Waldweg hinauf. Irgendwo flattern zwei Krähen aus dem Unterholz, ziehen in luftiger Höhe ihre Kreise. Der Mann schaut sich um: Nichts als Sträucher und Bäume, Blätter rieseln langsam zu Boden. Er ist umzingelt von einer stummen Armee Birken und Eschen. Eine düstere Trostlosigkeit streckt ihre Finger aus, erste Nebelschwaden umwallen seine Stiefel.

Noch wirkt alles friedlich...
Aber das GameCube-Herz lacht: Schnell wird klar, dass hier Ende des Jahres erwachsene Horror-Unterhaltung auf höchstem grafischen Niveau ins Haus steht. Wenn man eine einsame Hütte betritt, sorgt der erste Schockeffekt für erhöhten Puls: Ein Mädchen hängt von einer Mistgabel aufgespießt an der Wand.

Und schon der erste Bewohner geht nach einer harmlosen Begrüßung wie besessen auf euch los. Noch schlimmer wird es im ersten Dorf, denn dort zeigen plötzlich alle Männer ihre mörderische Fratze. Nur eine Kirchenglocke scheint sie zu beruhigen, denn dann gehen sie alle zur Messe…

Düstere Geiselbefreiung

Was ist hier los? Steckt die eigentlich zerstörte Umbrella Corporation dahinter? Sind das Zombies? Oder Mutationen? Von all dem war jedenfalls keine Rede, als Leon S. Kennedy von der amerikanischen Regierung beauftragt wurde, die Präsidententochter Ashley Graham zu befreien. Kaum ist er in Spanien, entpuppt sich der Auftrag jedoch als Trip in eine bizarre Alptraumwelt.

Wer sind diese Männer? Sie sind weder untot noch mutiert, aber sie wirken apathisch, schlurfen ähnlich langsam wie Zombies und gehen mit allen Waffen auf euch los: Zähne, Äxte, Schaufeln, Motorsägen. Für Fragen bleibt keine Zeit, denn es geht ums nackte Überleben.Obwohl die neue 3D-Kulisse zunächst ungewohnt erscheint, schleicht sich schnell wieder das alte Resi-Gefühl ein. Die kleinen Rätsel, die mysteriöse Story, die bedrohliche Atmosphäre – alles trägt dazu bei.

Das liegt auch daran, dass viele Items der Vorgänger wieder in ihrem bekannten Design auftauchen: Es gibt erneut ein Kampfmesser, grüne Kräuter, das Erste-Hilfe-Spray, die Schrotflinte, die Schreibmaschine zum Speichern und die 10-er-Packungen Munition. Das kleine Inventar scheint übrigens passé zu sein: Satte 56 Plätze haben wir gezählt – von einer Beschränkung keine Spur. Damit dürfte das nervige Deponieren sowie das Hin- und Herlaufen zwischen Rätsel und Truhe der Vergangenheit angehören. 

Frei wie ein Vogel?

Der US-Agent ist zum ersten Mal frei in der dritten Dimension unterwegs: es gibt keine starre Kamera mehr, keine gemalten Hintergründe, keine lästigen Türanimationen. Nachgeladen werden nur größere neue Abschnitte. Vorbei sind auch die Zeiten stocksteifer Drehungen, denn er bewegt sich butterweich vorwärts, während ihr auf seinen Rücken und die Hand mit der Waffe schaut. Nur die unsichtbaren Grenzen an der Böschung hemmen das wohlige Freiheitsgefühl.

Bootskampf auf dem See: Was zur Hölle lauert in der Tiefe?
Ihr steuert Leon in der Schulterperspektive, könnt normal laufen oder rennen - und das ist in Phasen der Munitionsknappheit manchmal die einzige Rettung. Nur wenn man das Fernglas oder den Scharfschützenmodus aktiviert, schaltet die Kamera in die Egosicht. Die Steuerung funktioniert einwandfrei.

Leider haben wir uns weder ducken noch an die Wand drücken können, um z.B. schnell um die Ecke zu schauen. Das führt dazu, dass sich Leon beim Betreten neuer Gänge zunächst recht blind bewegt. Es ist auch nicht möglich, gleichzeitig Gegner anzuvisieren und sich zu bewegen – ganz zu schweigen von einer automatischen Zielhilfe.

Treffer = Kopf ab

Ohne Strafen & Co verlangt das effektive Schießen hier mehr Übung als in einem normalen Shooter. Als Zielhilfe dient der Pistole ein roter Laser, der auf Körperpartien aufleuchtet. Hat man erst mal ein wenig geübt, kann man auf Arme, Beine, Brust, Hände oder den Kopf der Gegner feuern. Bei einem Treffer gibt es je nach Körperzone ein anderes zuckendes Zurückweichen, ein ächzendes Stolpern oder ein Bersten des kompletten Schädels, bis nur noch der Rumpf des Enthaupteten zu sehen ist. Auch in neuem 3D-Gewand zeigt der Titel alte Blutbadqualitäten. Das Schadens- und Physiksystem ist klasse: Kisten können aufgeschossen, explosive Fässer zur Detonation gebracht und heranfliegende (!) Gegenstände mit einem Schuss abgelenkt werden. Denn dreht ihr Gegnern den Rücken zu, bewerfen sie euch von hinten mit allem, was spitz und tödlich ist. Überhaupt scheint die KI sehr aufmerksam zu sein: Besteigt ihr einen Turm und feuert von oben, wirft sie Molotow-Cocktails hinauf. Auch kontrollierte Rückzüge und Neuformierungen dürften euch ins Schwitzen bringen.

Hausfriedensbruch: Die Interaktion mit der Umgebung sorgt immer wieder für Entlastung...
Langsam, aber intensiv!

Trotzdem ist das Kampfgefühl wesentlich langsamer und damit bedrohlicher als in handelsüblichen Shootern. Egal ob Nachladen oder Zielen: alles kostet wertvolle Zeit. Und da die Gegner meist mehrere Treffer einstecken, wenn ihr nicht den goldenen Kopfschuss anbringen könnt, rücken sie euch Schritt für Schritt auf die Pelle. Haben sie euch erreicht, rammen sie euch Mistgabeln in den Bauch oder beißen euch in die Kehle, während die Kamera so nah ranfährt, dass ihr die Bartstoppeln der Angreifer fast fühlen könnt. Kommt es zu diesen Nahkämpfen, könnt ihr entweder mit dem Kampfmesser zuschlagen oder bei Aufleuchten des A-Knopfes zutreten. Diese akrobatischen Kicks sorgen dafür, dass gleich mehrere Feinde stolpern, so dass man schnell Reißaus nehmen oder die Waffe wechseln kann.

Überhaupt sorgen die kontextbezogenen Interaktionen immer wieder für Abwechslung: Steht ihr auf einem Dach, könnt ihr z.B. eine Leiter wegtreten; steht ihr in idealer Deckung, könnt ihr euer Fernglas nutzen; steht ihr im zweiten Stock vor einem Fenster, könnt ihr in Stuntman-Manier hindurchspringen. Gerade diese schnellen Aktionen sorgen für jede Menge Dynamik.    

Ausblick

Wir haben erst so wenig gesehen! Aber bereits so viel gestaunt! Capcom hat sein Horror-Zugpferd vorbildlich in die dritte Dimension katapultiert. Der GameCube zeigt eine bis dato unbekannte Grafikpower, die man sonst nur PC-Shootern zugetraut hätte. Und es wurden viele alte Zöpfe abgeschnitten: die Türanimationen, das kleine Inventar, die steifen Animationen, die vorgerenderten Hintergründe – alles Schnee von gestern. Und trotz der Tatsache, dass auch die klassischen Zombies fehlen, stellt sich schon nach wenigen Sekunden das gute alte Resi-Gefühl ein: das Spiel ist packend, düster und voller Schockmomente. Schließlich wird die altehrwürdige Reihe nicht nur optisch, sondern auch spielerisch in eine neue Dimension katapultiert: das Schadens- und Treffersystem sorgt für adrenalinhaltige Action auf höchstem Niveau und auch die KI überzeugt. Die Euphorie wird lediglich durch die unsichtbaren Levelgrenzen und die mageren Bewegungsmöglichkeiten gedämpft. Aber da gibt`s ja noch die Fahrzeuge, die Bossmonster, die Schattenwesen, die Zwischensequenzen, die Rätsel…wer mit einem US-Import liebäugelt, um bereits im November loszulegen, kann bedenkenlos zugreifen!

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