Im Test: Eine große Geschichte...
SPOILER!
Eine Anmerkung vorweg: Nachdem wir uns in einem Test der ausgezeichneten zwei ersten Episoden bereits dieser dritten Staffel gewidmet haben, bin ich nach Abschluss aller fünf Folgen zwar nicht mehr ganz so euphorisch, doch im Wesentlichen trifft das dort Gesagte nach wie vor zu.
Ich erwähne das deshalb, weil ich in diesem Text wesentliche Einzelheiten der Handlung bis hin zum Finale ohne weitere Warnung aufzählen werde. Warum? Weil manche Argumente seltsam in der Luft hängen, wenn man sie nicht beim Namen nennt. Und weil Telltale nach wie vor fast ausschließlich an dieser inhaltlichen Ebene interessiert ist, man
Sinnlos auf der Suche
Was ich nach wie vor bedauerlich finde! Weil die Reste des Rätselratens in den vergangenen Jahren immer stärker zurückgefahren wurden, erscheinen sie inzwischen sogar wie Fremdkörper: Wozu soll ich in seltenen Szenen überhaupt noch den Bildschirm per Cursor absuchen, wenn der Protagonist die anschließende Aktion ohnehin automatisch ausgeführt. Rätsel gibt es ja keine mehr. Und die wenigen in diesen Momenten optionalen Dialoge mit in der Nähe befindlichen Figuren haben kein nennenswertes erzählerisches Gewicht.
Ähnliches gilt für die Reaktionsspiele, bei denen man innerhalb kurzer Zeitfenster angezeigte Tasten drücken muss. Das ist spielerisch nämlich dermaßen anspruchslos, dass es kaum einen Zweck erfüllt – ich würde deshalb lieber darauf und auf die Pseudo-Suchspiele verzichten.
Noch besser gefiele mir allerdings ein Ersetzen der über weite Strecken beliebigen Eingaben durch haptisch sinnvolles Tastendrücken, vielleicht auch ineinandergreifende „Gesten“ am Gamepad. Dann hätte man vielleicht stärker das Gefühl, tatsächlich inmitten einer Zombieherde zu stehen, anstatt nur zuzusehen, wie jemand Untote erschießt.
Alt und überholt
Aber gut, das sind Kleinigkeiten. Es ärgert mich zwar, dass Telltale das klassische Adventure so stiefmütterlich behandelt, viel mehr ärgert mich allerdings, dass die Entwickler der Grafik im Kleinen zwar einen modernen Anstrich
Warum hat sich die einst wegweisende Serie eigentlich nie so weiterentwickelt, dass heute sowohl Schauspieler als auch Regie, Kamera und andere Kreative noch eindringlicher erzählen können als damals? Stattdessen sehen viele Bewegungen nach wie vor unnatürlich aus oder müssen außerhalb des Bildes angedeutet werden. Es gibt abrupte Übergänge am laufenden Band, was sich auch auf die Musik auswirkt, und den durch Keyframe- oder ähnliche Techniken erstellten Animationen fehlt eine wenigstens halbwegs glaubwürdige Physik. Comicstil hin oder her: Technisch wirkt The Walking Dead: Neuland (ab 3,60€ bei kaufen) älter als ihm guttut.
Zu viert in die Apokalypse
Nun spielt das alles freilich keine große Rolle, wenn die Geschichte so bedeutungsvoll und emotionsgeladen wäre wie die der ersten zwei Staffeln – und das ist sie auch! Sie dreht sich diesmal um Javier Garcia, der mit seiner Schwägerin Kate, seiner Nichte Mariana und seinem Neffen Gabe in der Apokalypse zu überleben versucht. Aber nicht nur das: Anstatt wie in den vorherigen Jahren davon zu erzählen, wie die vier mit diesen, dann mit jenen und später ganz
Natürlich sind Javier und Co. in den ersten zwei Episoden noch in einem Transporter auf der Flucht vor einer riesigen durchs Land ziehenden Herde Untoter und machen auf dem Weg auch kurzfristige Bekanntschaften. Schließlich kosten die Zombies nach wie vor zahlreiche Menschenleben. Aber schon am Ende der zweiten Staffel schließen sich die ersten Kreise, wenn sie sie nach Richmond gelangen, wo die im englischen Original titelgebende „New Frontier“ ihre Zelte aufgeschlagen hat: eine Gruppe, deren Mitglieder Javiers Nichte kaltblütig erschossen und Kate verwundet haben. Und die von Javiers Bruder, also Marianas Vater und Kates Ehemann, angeführt wird.
Kloß im Hals
Zum einen hat Telltale mit Marianas Tod den womöglich überraschendsten, für mich auf jeden Fall erschütterndsten Tod der gesamten Serie inszeniert! Die Einführung der Figur sowie ihrer Beziehung zu Javier und Kate gelingt den Spieleregisseuren ganz ausgezeichnet – umso erschreckender war der ebenso abrupte wie komplett sinnlose Tod des Mädchens.
Zum anderen war ich über die gesamte Staffel hinweg davon begeistert, dass die Entwickler diesmal nicht verschiedene Konflikte unterschiedlicher Charaktere im Wesentlichen nur aneinanderreihen, sondern länger und intensiver in das komplizierte Geflecht abweichender Ideale und Bedürfnisse innerhalb einer großen Konstellation Überlebender blicken. Das ist der Serie zwar nicht grundsätzlich neu, wird diesmal aber u.a. dadurch betont, dass nur wenige Ortswechsel stattfinden und sich unterm Strich alles um Richmond und seine Anwohner dreht.
So hatte ich viel mehr das Gefühl in die Charaktere hineinzuwachsen. Die emotionale Bindung ist stärker, wenn die Gedanken an einem Ort verweilen, der jede Stunde mit weiteren Geschichten gefüllt wird. Ich war vor allem in Staffel zwei kein Freund der manchmal stichpunktartig erzählten Begebenheiten am Rande des Weges und deshalb sehr glücklich über die aktuelle Ausrichtung.
Ist Blut dicker als sauberes Wasser?
Eine zentrale Rolle nimmt dabei die schwierige Beziehung zwischen Javier und seinem heißblütigem Bruder David ein, der seine Männer und Frauen selbstverständlich nicht angewiesen hatte auf seine eigene Tochter zu schießen. Die handelten aus ganz anderen Beweggründen hinter seinem Rücken und im Namen eines weiteren Führungsmitglieds in Richmond, der kalt berechnenden Joan. Im Gegensatz zu ihr hat David durchaus das im Sinn, was als klassisch „gut“ gelten kann – der
Wie geht man mit einem Bruder um, der seinen eigenen Leuten schadet? Das ist eine der zentralen Fragen und die Entwickler inszenieren diesen Konflikt hervorragend, weil sie auch das starke Band zwischen Javier und David sehr greifbar und viele Entscheidungen damit zu schwierigen Gewissensfragen machen. Es erinnert ein wenig an die Beziehung zwischen Clementine und Kenny in Staffel zwei, wobei Davids Charakter stärker durch seine Taten, „gute“ wie „schlechte“, geprägt ist und seine zwei Seiten damit noch stärker und greifbarer ausgearbeitet sind. Den Konflikt provoziert Telltale zudem nicht nur über Auseinandersetzungen der zwei Brüder, sondern da ist immerhin auch Kate, die längst Gefühle für Javier entwickelt hat, und mehrmals ein ganz anderes Verhalten von Javier fordert als ihr Mann...
Und plötzlich Ende
Umso ärgerlicher finde ich deshalb aber, dass Davids Geschichte viel zu abrupt vorüber ist, jedenfalls in dem von mir und den meisten Spielern gewählten Ende. Denn nach all den Querelen sowie der finalen Entscheidung, ob man David folgt oder wie ich mit Kate zusammen gegen die in Richmond eingefallene Herde kämpft, findet Javier seinen Bruder tot in einem Auto, das war‘s. Auch seine Bestürzung darüber empfand ich als knapp und oberflächlich abgehandelt. Natürlich muss er nur wenige Sekunden später seinen von einem Untoten gebissenen Neffen erschießen, dem Jungen die Waffe in die Hand drücken oder Clementine die grausame Arbeit überlassen – dass er nach dem Ende der Szene gemeinsam mit Kate nur drei Tage später aber lediglich Fotos an eine Gedenkwand heftet,
Dieselbe Leier
Der knappe Abschluss und eine gewisse dramaturgische Starre haben meine Begeisterung im Verlauf der dritten Staffel leider gedämpft; eine Starre, die zum einen von den erwähnten technischen Beschränkungen und zum anderen aus relativ festen Erzählstrukturen herrührt. Jede Episode beginnt etwa mit einer Rückblende, anstatt wenigstens einmal direkt an die dramatischen Ereignisse der letzten Folge anzuschließen.
Überhaupt die Tatsache, dass Telltale nicht den Mut hat z.B. die vierte Folge mit der leisen Entschlossenheit enden zu lassen, mit der Javier und seine Begleiter nach Richmond zurückzukehren, um David aus Joans Händen zu befreien – stattdessen muss es wie in den Folgen davor ein dramatischer Dialog-Entscheidungs-Showdown samt Übergang in eine Schießerei sein. Auf Dauer wirkt dieses gleichförmige Auf und Ab der Dramaturgie doch ermüdend; es verhindert emotionale Überraschungen, die etwa der erste Kuss zwischen Javier und Kate als abschließendes Bild hätte haben können.
„High-five, Clem!“
Im Gegenzug gefällt mir der langsame Aufbau dieser Beziehung aber richtig gut! Von behutsamen Andeutungen in Rückblenden über ein vorsichtiges Annähern bis hin zum ersten Kuss gibt Telltale seinen Figuren und Spielern die nötige Zeit, um in die Beziehung hineinzuwachsen. Das ist gerade im Bereich der Videospiele eine Seltenheit und schon deshalb wohltuend.
Über Rückblenden erzählen die Spielemacher außerdem einen großen Teil der Geschichte Clementines, also der einzigen Konstanten des interaktiven The Walking Dead. Genauer gesagt beschreiben sie so, was dem Mädchen zwischen der zweiten und dritten Staffel wiederfahren ist. Klasse, wie sie dabei nicht nur schlicht weitererzählen, sondern auch deutlich herausstellen, wie sehr die ohnehin taffe Überlebenskünstlerin inzwischen von den Ereignissen der letzten Jahre gezeichnet ist – auch weil sie einst Mitglied der rauen New Frontier war. Dass sie in der Gegenwart der dritten Staffel gleichzeitig Charme und Coolness gewinnt, ist umso bemerkenswerter. Könnte man ihr ein High-Five zu klatschen, hätte ich das gleich mehrmals gerne getan. Auch wenn in Staffel drei vieles ohne sie geschieht: Clem ist völlig zurecht der Anker dieser nach wie vor starken Charakterserie!
Fazit
Auch wenn die Serie lieber in starren Mustern tritt, anstatt Technik, interaktives Konzept und auch die Inszenierung zu modernisieren: Die dritte Staffel The Walking Dead ist erzählerisch beinahe auf einer Höhe mit dem herausragenden Einstieg vor fünf Jahren und gehört damit zu den besten interaktiven Geschichten, die Telltale je erzählt hat. Da sich Neuland um eine große Gruppe örtlich relativ fest verankerter Charaktere dreht, hat die Erzählung mehr Zeit ihre Figuren vorzustellen und deren Beziehungen zu vertiefen. Überraschende Entwicklungen wirken dadurch dramatischer – dass diesmal keine flüchtigen Begegnungen, sondern Familienbande im Mittelpunkt stehen, verstärkt die Schlagkraft solcher manchmal schöner und oft grausamer Ereignisse nur. Gerade in Anbetracht der erzählerischen Stärke wirkt der erwähnte Stillstand aber umso schwerer, denn vor allem in emotionalen Szenen fallen abrupte Schnitte oder ungelenke Bewegungen besonders störend auf, während spielerisch belanglose Such- und Reaktionsspiele mehr ablenken als die Spannung zu erhöhen. Würde Telltale diese seit Jahren verschleppten Ärgernisse endlich hinter sich lassen, würde The Walking Dead auch insgesamt wieder eine Klasse erreichen, die seine Autoren einmal mehr unter Beweis stellen!
Pro
Kontra
Wertung
Android
Herausragende Geschichte um eine Gruppe Überlebender, die ihr Potential aufgrund altbackener Technik und etwas zu starrer Erzählweise nicht ganz ausschöpft.
XboxOne
Herausragende Geschichte um eine Gruppe Überlebender, die ihr Potential aufgrund altbackener Technik und etwas zu starrer Erzählweise nicht ganz ausschöpft.
PlayStation4
Herausragende Geschichte um eine Gruppe Überlebender, die ihr Potential aufgrund altbackener Technik und etwas zu starrer Erzählweise nicht ganz ausschöpft.
iPad
Herausragende Geschichte um eine Gruppe Überlebender, die ihr Potential aufgrund altbackener Technik und etwas zu starrer Erzählweise nicht ganz ausschöpft.
PC
Herausragende Geschichte um eine Gruppe Überlebender, die ihr Potential aufgrund altbackener Technik und etwas zu starrer Erzählweise nicht ganz ausschöpft.
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